Mängel in der Digitalisierung offenlegen: Wie steht es um die digitale Vernetzung der einzelnen städtischen Dienststellen?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sabine Bär und Manuel Pretzl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 8.11.2023
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
Mit Schreiben vom 8.11.2023 haben Sie folgende Anfrage gestellt:
„Wie die Abendzeitung am 6. November 2023 berichtet hat, gibt es ein Defizit bei der digitalen Anbindung der Stadtkasse an die Daten des städtischen Einwohnermeldeamtregisters. Dem Bericht zufolge hat die Stadtkasse keinen Zugriff auf die aktuellen Meldedaten, was dazu führt, dass Rechnungen und Mahnungen u.U. an veraltete Adressen versendet werden. In solchen Fällen muss dem Bericht zufolge der Brief zunächst vom Postzusteller als unzustellbar identifiziert werden und mit entsprechendem Hinweis zurück ans KVR geschickt werden, damit dann wiederum Mitarbeiter im KVR tätig werden und die neue Adresse des Empfängers recherchieren – und das alles, obwohl die neue Adresse der Stadt ja längst vorliegt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche städtischen Dienststellen noch von diesem Problem betroffen sind und welche Folgen das hat“
Zur Beantwortung Ihrer Fragen wurden die Stadtkämmerei und das IT-Referat eingebunden. Ihre Fragen kann ich wie folgt beantworten:
Frage 1:
Warum ist die Stadtkasse nicht an das digitale Einwohnermeldeamtsregister angeschlossen?
Antwort IT-Referat:
Eine entsprechende Anforderung, das SAP-System der Stadtkämmerei direkt an EWO (das Einwohnermeldesystem der Landeshauptstadt München) anzuschließen, wurde im Jahr 2014 geprüft. Auf Wunsch der Stadtkämmerei wurde dies seinerzeit nicht weiterverfolgt, sondern stattdessen eine Verbindung zum bayernweiten Auskunftssystem BayBIS, z.B. zur Plausibilisierung von Änderungen an Geschäftspartnerdaten, hergestellt.
BayBIS ermöglicht den Zugriff auf den zentralen Einwohnerteildatenbestand aller bayerischen Meldebehörden, wohingegen EWO nur Münchner Adressen enthält. Dies ist wichtig, da viele Schuldner der Landeshauptstadt München nicht in München wohnen.Ein Zugriff auf das städtische Melderegister für die Bearbeitung von Mahnrückläufer ist jetzt bereits manuell möglich und mit einem vergleichsweise geringen Mehraufwand für die dort eingesetzten Mitarbeiter*innen realisierbar. Sofern von der Stadtkämmerei gewünscht, wird aber trotzdem gerne geprüft, inwiefern ein direkter Anschluss an das Melderegister auch unter Abwägung von Aufwand und Nutzen sinnvoll ist.
Antwort Stadtkämmerei:
Im Erhebungsbereich der Stadtkasse werden alle Forderungen der Landeshauptstadt München gegen natürliche Personen, Personengesellschaften und juristische Personen im In- und Ausland im automatisierten IT-Erhebungsverfahren angemahnt. Nur ca. ein Viertel aller Mahnungen betrifft natürliche Personen mit Wohnsitz in München, die im Einwohnermelderegister der Stadt München eingetragen sind. Die im Erhebungsbereich der Stadtkasse eingesetzten Mitarbeitenden können bei der Bearbeitung sog. ,,Mahnrückläufer“ (unzustellbare Mahnungen) bisher online auf das städtische Melderegister zugreifen und so die aktuellen Anschriften schnell ermitteln und im ITErhebungsverfahren aktualisieren. Der Personalaufwand hierfür ist vergleichsweise gering, siehe Antwort zu Frage 5.
Aus der Zielrichtung des Antrags, alle Änderungen im Melderegister unmittelbar und ohne Zeitverzögerung in den Datenbestand der Stadtkasse zu übernehmen, ergibt sich, dass hierfür ein ständiger täglicher Aktualisierungsdienst eingerichtet werden soll. Ob und mit welchem Aufwand dies möglich wäre, wurde bisher im Hinblick auf die bei der Stadtkasse verfügbaren Online-Zugriffe auf das Melderegister und die vergleichsweise geringen Kosten für die manuelle Aktualisierung bisher nicht näher untersucht.
Die Stadtkämmerei hat zwar das städtische SAP-System in 2014 an ein Melderegister angeschlossen und dabei auch eine Anbindung an das städtische digitale Einwohnermeldeamtsregister untersucht, hierbei ging es aber nicht um einen täglichen Aktualisierungsdienst, sondern um eine Qualitätssicherung und möglichst automatische Verarbeitung nur bei der Neuanlage von Personenstammdaten in SAP-PSCD.
Bei dieser Lösung hat sich die Stadtkämmerei schließlich für eine Anbindung an das von der AKDB betriebene bayerische Behördeninformationssystem BayBIS entschieden, weil dieses nicht nur Münchener Meldeadressen, sondern die Meldeadressen aller deutschen Meldebehörden beinhaltet und somit einen größeren Nutzen bietet. Ein Änderungsdienst bei Adressänderungen im BayBIS-Datenbestand ist damit aber nicht verbunden.
Frage 2:
Welche weiteren städtischen Dienststellen sind noch nicht digital an das Einwohnermeldeamtsregister angeschlossen?
Antwort IT-Referat:
BayBIS stellt, im Unterschied zu EWO, keinen Dienst zur Verfügung, der es erlaubt, Änderungen abzufragen oder sogar aktiv über Änderungen an Meldedaten, wie Umzüge, informiert zu werden. EWO bietet zahlreiche standardisierte Schnittstellen, über welche Einwohnerdaten (auch Adressen) und deren Änderungen (z.B. Umzüge) abgefragt werden können.
Für den Anschluss von EWO an ein weiteres System müssen jeweils individuell für jede Abfrage die fachlichen Berechtigungen und eine Freigabe für die entsprechenden Daten seitens des Kreisverwaltungsreferates vorliegen, um den notwendigen hohen Schutz von sensiblen Einwohnermeldedaten zu gewährleisten. Eine solche Anbindung von EWO erfolgte beispielsweise an die Fachverfahren der Führerscheinbehörde, der Waffenbehörde, des Wohnungsamtes und des Wahlamtes. Diese beziehen von EWO automatisiert Daten oder werden über Datenänderungen informiert.
Im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung ist u.a. eine LHM-weite Erfassung der Prozesse und Dienststellen avisiert, die mit Adressdaten von Bürger*innen arbeiten, um den Austausch dieser Daten auch über Themen des Geschäftspartnermanagements der Stadtkämmerei hinaus zu lösen.
Antwort Kreisverwaltungsreferat:
Städtische Referate bzw. angeschlossene Eigenbetriebe können unter bestimmten, insbesondere datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben auf bestimmte Daten der Meldebehörde zugreifen. Dafür muss ein Antrag auf Datenfreigabe bei der Meldebehörde gestellt werden. Sind die Voraussetzungen gegeben, wird eine Freigabe zur Nutzung der relevanten Daten von der Meldebehörde erteilt.
Dabei entscheiden die antragstellenden Dienststellen, in welcher Weise sie die Daten geliefert bekommen, um sie bei ihrer Aufgabenerfüllung zu nutzen. Dies kann über Schnittstellen zwischen den Fachverfahren, aber auch über Einzelabrufe, über die sogenannte Webauskunft des in der Münchner Meldebehörde verwendeten Fachverfahrens oder über Zugriffe auf das BayBIS-System erfolgen.
Eine generelle Freigabe zum Abruf und zur Nutzung von Daten aus dem Melderegister ist gesetzlich ausgeschlossen. Jede Verarbeitung personenbezogenen Daten durch öffentliche Stellen stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) dar, der einzeln gerechtfertigt werden muss.
Aktuell verfügen folgende 26 städtische Fachverfahren über eine Schnittstelle zum Fachverfahren des Bürgerbüros. Diese sind:
Die Auswirkungen der Registermodernisierung auf den gesamten innerstädtischen Datenaustausch sind noch offen.
Frage 3:
Wann ist mit dem Anschluss der Stadtkasse an das Datensystem zu rechnen?
Antwort Stadtkämmerei:
Da dies abgesehen von der Wirtschaftlichkeit einer solchen Lösung auch ganz wesentlich von verfügbaren Ressourcen im Kreisverwaltungsreferat und im IT-Referat abhängt, kann diese Frage von der Stadtkämmerei nicht beantwortet werden.
Hierbei ist aber jedenfalls zu berücksichtigen, dass derzeit wegen der laufenden Einführung von S4/HANA im Rahmen des Projektes „neoFin I SAP® Lösungen“ im Jahr 2024 eine Veränderungssperre (sog. „freeze-Phase“) für das bestehende SAP-System besteht, so dass nach derzeitigem Projektstand eine Prüfung der Anbindung von PSCD an das Melderegister frühestens im Jahr 2025 erfolgen könnte.
Frage 4:
Ist es im Rahmen der Einführung der E-Akte generell geplant, die Daten des Einwohnermeldeamts bedarfsgerecht referatsübergreifend zur Verfügung zu stellen?
Antwort IT-Referates:
Effizientes, stadtweites Datenmanagement ist die Grundlage für eine effektive Digitalisierung der Verwaltung und daher fest in der Digitalisierungsstrategie der Landeshauptstadt München verankert. Im Rahmen der stadtweiten Einführung der E-Akte ist jedoch nicht vorgesehen, Daten aus Fachverfahren der Referate/Eigenbetriebe in ihrer Gesamtheit referatsübergreifend zur Verfügung zu stellen.
Die Anbindung von Fachverfahren, z.B. des Einwohnermeldeamtes, an die E-Akte erfolgt in der Regel so, dass nur aktenrelevante Dokumente aus dem Fachverfahren in der E-Akte zur Archivierung bzw. Weiterbearbeitung abgelegt werden. Dies betrifft nicht alle Daten, die das betreffende Fachverfahren zur Durchführung des jeweiligen Verwaltungsprozesses speichert. Vielmehr werden nur solche Dokumente in der E-Akte abgelegt, die Auskunft über den Entstehungsprozess oder den Entscheidungsprozess des betreffenden Verwaltungsvorgangs geben. Diese können dann je nach Berechtigungs- und Rolleneinstellung sowohl referatsweit als auch mandantenübergeifend stadtweit verfügbar gemacht werden. Auch ein Zugriff auf die in der E-Akte abgelegten Daten durch ein weiteres System ist grundsätzlich möglich.
Antwort Kreisverwaltungsreferat:
Die E-Akte ist ein reines digitales Ablagesystem und kein Verfahren, in dem behördliche Maßnahmen getroffen werden, d.h. also kein sogenanntes Fachverfahren. Außerdem ist eine generelle Freigabe von personenbezogenen Daten gesetzlich ausgeschlossen (siehe oben).
Frage 5:
Wie viele Mitarbeiter sind im Kreisverwaltungsreferat bzw. bei der Stadtkasse dafür zuständig, fehlende oder fehlerhafte Adressen zu ermitteln, die dem Einwohnermeldeamt längst vorliegen?
Antwort Kreisverwaltungsreferat:
Das Bürgerbüro im Kreisverwaltungsreferat führt als Meldebehörde das Melderegister der Stadt. Die Aufgabe der Meldebehörde ist es, das Melderegister jederzeit „fortzuschreiben“ (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Bundesmeldegesetz), das heißt, an die aktuelle Situation anzupassen, wenn bekannt wird, dass das Melderegister unvollständig oder unrichtig ist. Dass das Melderegister nicht mehr auf dem neuesten Stand ist, kann allen Mitarbeitenden des Bürgerbüros bekannt werden, beispielsweise im Rahmen einer Kund*innenvorsprache, bei der Bearbeitung eines Antrags aus einem Online-Services, durch eine (elektronischen) Meldungen anderer Behördenoder einen Beschwerdesachverhalt. Das Melderegister ist dann unverzüglich zu korrigieren. Dies gewährleistet, dass die im Melderegister gespeicherten Informationen stets den gegenwärtigen Verhältnissen entspricht. Mit diesen Arbeiten sind dem Grunde nach nahezu alle Mitarbeitenden der Bürgerbüros befasst.
Antwort Stadtkämmerei:
Die Stadtkasse bearbeitet jährlich rund 10.000 Mahnrückläufer für natürliche Personen mit Adresse in München, bei denen derzeit die aktuelle Adresse manuell ermittelt werden muss.
Dies verursacht einen Personalaufwand für manuelle Recherchen von ca. 0,3 Vollzeitäquivalenten (VZÄ).
Frage 6:
Welche Kosten entstehen durch die manuellen Recherchen der Adressen?
Antwort Stadtkämmerei:
Das bisher mit der Recherche von Adressen beauftragte Personal ist i.d.R. in der Besoldungs-/Entgeltgruppe A6/E6 bis A8/E8 eingruppiert. Die Personalkosten für eine Vollzeitkraft in dieser Einwertung belaufen sich bei A8/E8 jährlich auf durchschnittlich 59.650 Euro, die oben bei Frage 5 genannten 0,3 VZÄ verursachen somit Personalkosten von jährlich durchschnittlich 17.895 Euro.
Frage 7:
Wie häufig kommt es vor, dass Bürgerinnen und Bürger seitens der Stadtkasse abgemahnt werden, weil ihre neue Adresse nicht digital übermittelt wurde und deshalb Rechnungen noch ankamen?
Antwort Stadtkämmerei:
Der Versand von öffentlich-rechtlichen Abgabenbescheiden und privatrechtlichen Rechnungen ist Aufgabe der Fachreferate, die Mahnung erfolgt durch die Stadtkasse. Sofern eine Fachdienststelle einen Bescheid oder eine Rechnung mit falscher Adresse versendet, wird dieser von der Post als unzustellbar zurückgegeben (Bescheidrückläufer). Der mit den Fachdienststellen vereinbarte Prozessablauf sieht vor, dass das Fachreferat in diesem Fall unverzüglich eine Mahnsperre bei der Stadtkasse veranlasst. Eine Mahnung wird dann für diesen Einzelfall zuverlässig verhindert.
Sobald die Fachdienststelle die richtige Adresse ermittelt hat, veranlasst sie die Änderung der Anschrift und die Mahnsperre wird entfernt. Fälle, in denen wegen inaktueller Adressen unberechtigte Mahnungen ergehen,kommen deshalb nur in Einzelfällen vor, z.B. wenn die Stadtkasse durch die Fachdienststelle nicht rechtzeitig informiert wird, dass eine Mahnsperre erforderlich ist.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist