Umbenennung Fachstelle
Antrag Stadtrats-Mitglieder Hans Hammer, Dr. Evelyne Menges und
Thomas Schmid (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 16.8.2023
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Am 16.8.2023 haben Sie folgenden Antrag gestellt:
„Die ‚Fachstelle für Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit‘ wird unter Erweiterung ihres Aufgabenbereichs auch des Linksextremismus in ‚Fachstelle für Demokratie – gegen Extremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit‘ umbenannt.“
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Die Ausrichtung der Fachstelle für Demokratie wurde zuletzt mit dem Stadtratsbeschluss vom 28.9.2016 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06652) verankert. Darüber hinaus wurde der Fokus der Fachstelle für Demokratie in den letzten Jahren immer wieder schrittweise erweitert bzw. konkretisiert und an die aktuellen Herausforderungen angepasst. Das zeigt sich zum einen in der veränderten Namensgebung der Fachstelle mit dem Beschluss von 2016, zum anderen aber auch in den jüngsten Stadtratsbeschlüssen, die die inhaltliche Arbeit der Fachstelle in den Themenbereichen Antisemitismus (V 04896), Antiziganismus (V 09105), Antirassismus (V 11895) sowie Diskriminierung und rechter Hass an Münchner Schulen (V 01799 und V 10766) konkretisieren und zum Teil personelle Erweiterungen für genau diese Themenbereiche vorsehen.
Der grundlegende Auftrag der Fachstelle für Demokratie leitet sich dabei nach wie vor aus dem zentralen Grundsatz der Bayerischen Verfassung ab, in der es – wie auch in Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland – heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt.“ Entsprechend ist die Fachstelle damit beauftragt, sämtliche demokratischen Kräfte in München, die sich den Angriffen auf die Menschenwürde Einzelner oder ganzer gesellschaftlicher Minderheiten entgegenstellen, weiter zu vernetzen, zu stärken und deren Arbeit zu bündeln. Denn eine demokratische Stadtgesellschaft stellt langfristig den besten Schutz gegen menschenfeindliche Tendenzen und insbesondere gegen jeden Angriff auf die Menschenwürde – sei es durch Ausgrenzung, Hass oder Gewalt – dar.Darüber hinaus entwickelt die Fachstelle vorrangig Ansätze, wie Minderheiten und vulnerable Gruppen in unserer Stadtgesellschaft geschützt und Zivilgesellschaft und Verwaltung im Umgang mit demokratie- und menschenfeindlichen Strömungen gestärkt werden können.
Im Fokus der Fachstelle für Demokratie sind dabei seit Bestehen demokratie- und menschenfeindliche Tendenzen in der Münchner Stadtgesellschaft. Demokratie- und menschenfeindliche Haltungen finden sich – wie etwa die jüngsten Ergebnisse des München Monitors vom Januar 2023 auch in Bezug auf die Landeshauptstadt zeigen und die Leipziger Autoritarismus-Studie und die „Mitte-Studien“ seit vielen Jahren für die gesamte Bundesrepublik – nicht nur in kleinen Teilen der Gesellschaft, sondern es handelt sich dabei um gesamtgesellschaftliche Tendenzen. Der Fokus der Fachstelle gilt dabei immer der gesamten Bandbreite des Problems.
Der „Extremismus“-Begriff hingegen verengt die Problemwahrnehmung und ist nicht zielführend, um das Problem umfassend zu bearbeiten. Die Gründe hierfür hatte ich bereits in meinem Antwortschreiben auf den Antrag der CSU-Stadtratsfraktion (Antrag Nr. 14-20/A 02727) vom 23.2.2017 ausführlich erläutert. Da dies dem aktuellen Stand der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Thema entspricht (siehe etwa Falter, Jürgen W. (2019): Zum Begriff des „Politischen Extremismus“ – Kritik und Kritik der Kritik. In: Marker, Karl; Schmitt, Annette; Sirsch, Jürgen (Hrsg.): Demokratie und Entscheidung. Beiträge zur Analytischen Politischen Theorie. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 41 - 58.) erlaube mir deshalb an dieser Stelle auf mein damaliges Antwortschreiben zu verweisen. Die darin von mir dargelegten Gründe, weshalb eine Umbenennung der Fachstelle weder zielführend noch notwendig ist, gelten auch weiterhin. Ich möchte an dieser Stelle auch auf den Beitrag „Kritische Anmerkungen zur Verwendung des Extremismuskonzepts in den Sozialwissenschaften“ für die Bundeszentrale für Politische Bildung von Politikwissenschaftler und Professor an der FU Berlin Dr. Richard Stöss zur Tauglichkeit des Extremismus-Begriffs verweisen, der nach einer aufschlussreichen Analyse folgendes Fazit zieht: „Das Extremismuskonzept mag für die Praxis der Verfassungsschutzbehörden hinreichend präzise und handhabbar sein, für sozialwissenschaftliche Analysen ist es ohne Nutzen. Es führt nicht zu neuen Erkenntnissen, es verhindert sogar differenzierte Einsichten in die komplizierte Welt gesellschaftlich-politischer Sachverhalte. Denn der Extremismusbegriff beruht auf zweifelhaften Annahmen, zwängt völlig unterschiedliche Untersuchungsobjekte in eine Schublade, betreibt Schwarz-Weiß-Malerei und wird auch durch seine Eindimensionalität der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht. Daher zählt das Extremismuskonzept auch nicht zum Standardsozialwissenschaftlicher Forschung.“ (vgl. https://www.bpb.de/themen/ rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/200099/kritische-anmer- kungen-zur-verwendung-des-extremismuskonzepts-in-den-sozialwissen- schaften/[03.04.24])
Schließlich möchte ich im Hinblick auf die in Ihrem Antrag genannten Straftaten auch noch einmal betonen, dass die Fachstelle ihren Aufgabenbereich sehr klar abgrenzt, primär im präventiven und koordinierenden Bereich – zum Schutz der Menschenwürde aller hier lebenden Menschen und insbesondere von Minderheiten und vulnerablen Gruppen, die als Opfer in den Fokus von Ausgrenzung und Abwertung geraten. Sobald es zu demokratie- oder menschenfeindlich motivierten Straf- oder gar Gewalttaten kommt, ist die Polizei die richtige und verlässlichste Ansprechpartnerin zur Strafverfolgung der Täter*innen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.