Gefährdet die EU-Zulassung „Neuer Gentechnik“ die Biolandwirtschaft der Stadtgüter?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 23.2.2024
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
In Ihrer Anfrage teilten Sie uns mögliche Auswirkungen der von der europäischen Gesetzgebung geplanten Änderung zur Verwendung von Gentechnik in der Pflanzenzüchtung mit.
Zunächst möchte ich mich für die gewährte Fristverlängerung bedanken.
Sie bitten in diesem Zusammenhang um die Beantwortung der folgenden Fragen:
Frage 1:
Hebeln die neuen Regelungen der Europäische Union (EU) das bestehende Anbauverbot des Bayerischen Naturschutzgesetzes für gentechnisch veränderte Pflanzen aus?
Antwort des Referats für Klima- und Umweltschutz (RKU):
„Pflanzen, die mit neuen genetischen Verfahren in der Pflanzenzüchtung gewonnen werden (Neue genomische Techniken (NGT)-Pflanzen) und die nicht als gentechnisch veränderte Organismen gelten, wären voraussichtlich nicht von dem in Art. 11b des Bayerischen Naturschutzgesetzes verankerten Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen in Bayern erfasst. Soweit eine Kennzeichnungspflicht für NGT-Pflanzen bestehen bleibt, könnte das Bayerische Naturschutzgesetz um eine Vorschrift zu diesen Pflanzen ergänzt werden.
Die Neuregelungen der europäischen Vorschriften zur ‚Neuen Gentechnik‘ befinden sich noch im Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag der europäischen Kommission beinhaltet eine einfachere Zulassung für NGT-Pflanzen, die als gleichwertig mit konventionellen Pflanzen angesehen werden. Dies wären gemäß dem Vorschlag Pflanzen, für die kein fremdes genetisches Material von einer Art verwendet wird, die sich nicht natürlich mit der zu verändernden Art kreuzen kann. Andere NGT-Pflanzen müssten weiterhin strengere Anforderungen erfüllen, die denen der derzeitigen Vorschriften für genetisch veränderte Organismen entsprechen. NGT-Pflanzen sollten im ökologischen Landbau weiterhin verboten und ihr Saatgut müsste deutlich gekennzeichnet werden. Das europäische Parlament hat am7.2.2024 seinem Standpunkt zum Vorschlag der Europäischen Kommission zu NGT-Pflanzen zugestimmt. Die Abgeordneten unterstützten die neuen Vorschriften und stimmten zu, dass die NGT-Pflanzen, die mit natürlich vorkommenden Sorten vergleichbar sind, von den strengen Anforderungen der Vorschriften für genetisch veränderte Organismen ausgenommen werden sollten. Die Kennzeichnungspflicht für alle NGT-Pflanzen soll nach dem Willen des Europäischen Parlaments jedoch beibehalten werden.“ *1
Frage 2:
Ist eine Koexistenz von „Neuer Gentechnik“ und ökologischer Landwirtschaft, wie sie die Stadtgüter München betreiben, langfristig möglich?
Antwort:
Die Stadtgüter München (SgM) wirtschaften nach den Verbandsrichtlinien des ökologischen Landbaus, die die Verwendung von genetisch veränderten Organismen in Einklang mit der EU-Bio-Verordnung (EG) 2018/848 ausschließen. *2 Dies bedeutet für den Ackerbau der SgM, dass auch künftig nur biologisches Saatgut aus herkömmlicher Züchtung verwendet wird und die ökologische Landwirtschaft weitergeführt wird.
Die Koexistenz von NGT und ökologischer Landwirtschaft betrachten die SgM als teilweise möglich. Die Getreidearten Weizen, Hafer und Gerste sowie Bohnen und Erbsen sind natürlicherweise Selbstbefruchter. Die Nachkommen, also die Samen ihrer Pflanzen, sind identisch mit den Elternpflanzen. Bei Verwendung von biologischem Saatgut aus herkömmlicher Züchtung ist keine Einbringung von fremdem Erbgut zu erwarten. Die Fremdbefruchtung, bei der die Blüten einer Pflanze von Pollen anderer Pflanzen (derselben Art) bestäubt werden, verursacht eine Kreuzung von Erbgut und die Nachkommen fremdbefruchtender Pflanzen sind genetisch vielfältig und unterschiedlich, sowohl untereinander als auch im Vergleich zur Elternpflanze. Dies trifft zum Beispiel für Mais, Roggen und Raps zu. So könnte der Pollen von NGT-Mais die weiblichen Blütenteile von ökologisch kultivierten Maispflanzen bestäuben und dies würde zu Kreuzungsprodukten führen. *3, 4, 5
Frage 3:
Welche Möglichkeiten haben die Stadtgüter München, um weiterhin vollkommen gentechnikfrei zu wirtschaften?
Antwort:
Der von der Thematik betroffene Betriebszweig ist Ackerbau. Die SgM werden weiterhin biologisch zertifiziertes Saatgut verwenden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für den gentechnikfreien Anbau
Frage 4:
Würden die Stadtgüter München künftig ihre Produkte freiwillig kennzeichnen, wenn es zu einer Verunreinigung mit gentechnisch verändertem Erbgut kommt?
Antwort:
Es ist grundsätzlich möglich, dass die SgM ihre Produkte zur Vermarktung dahingehend kennzeichnen, welche Sorte angebaut und geerntet wurde. Eine Kennzeichnung im Fall einer sog. Verunreinigung mit gentechnisch verändertem Erbgut ist nicht möglich, da grundsätzlich keine Genom-Analysen von Ernteprodukten durchgeführt werden. Außerdem wird der Ursprung der sog. Verunreinigung, also ob eine Einkreuzung mit einer NGT-Sorte oder auch mit einer herkömmlich gezüchteten Sorte stattgefunden hat, nicht ausgemacht werden können. Pflanzen, die mit NGT erzeugt werden, könnten grundsätzlich auch durch in der Natur ständig stattfindende Kreuzung und Mutation entstehen.
Frage 5:
Welche Möglichkeiten hat die Stadt München, um den Einsatz von Gentechnik in München zu verhindern?
Antwort des RKU:
„In ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich kann die Landeshauptstadt München – wie bisher auch – auf die Verwendung gentechnisch veränderter Pflanzen im bisherigen Sinn, NGT-Pflanzen oder von Produkten aus solchen Pflanzen verzichten. Dazu ist jedoch erforderlich, dass die entsprechenden Pflanzen und Produkte einer entsprechenden Kennzeichnungspflicht unterliegen.“
Frage 6:
Werden mit angrenzenden Kommunen Gespräche über die Vorteile einer gentechnikfreien Kommune geführt?
Antwort des RKU:
„Diese Frage fällt nicht in die Zuständigkeit des RKU. Dem Geschäftsbereich III sind keine Gespräche mit angrenzenden Kommunen bekannt.“
Frage 7:
Plant die LH München gentechnikfreie Betriebe zu fördern, z.B. indem
a) garantiert wird, dass in städtischen Einrichtungen weiterhin nur gentechnikfreie Lebensmittel verwendet werden dürfen
b) das Kriterium „Gentechnikfrei“ explizit beworben wird bei „Zu Tisch – besser iss das“
c) Aufklärungsarbeit in die schulische Ernährungsbildung aufgenommen wird?
Antwort zu a) und b) des RKU:
„Die Beschlusslage innerhalb der LHM (u. a. Mehr Bio-Lebensmittel in allen städtischen Einrichtungen und bei allen städtischen Verpflegungsanlässen: Schritte in Richtung einer Ernährungswende in München Städtische Einrichtungen als Vorbild. Fleisch zu 100% aus artgerechter Tierhaltung, mehr Obst und Gemüse, weniger Abfall! Vorlagennummer 20-26/V 03573 und Grundsatzbeschluss Ernährungshaus, Vorlagennummer 20-26/V 09095) setzt einen klaren Fokus auf die Förderung der Verwendung von Bio-Lebensmitteln aus der Region. Bei Produkten des ökologischen Landbaus ist der bewusste Einsatz der Gentechnik verboten. Durch die Verwendung ökologisch erzeugter Lebensmittel ist gleichzeitig auch die Verwendung von gentechnikfreien Lebensmitteln garantiert.
Für den Bereich der Außer-Haus-Verpflegung wird die Förderung der Verwendung von Bio-Lebensmitteln über die Beratungs- und Schulungsangebote im ‚Haus der Kost‘ (Trägerin RKU) umgesetzt. Das Projekt ‚Zu Tisch – besser ist das‘ wurde als Angebot für die Individualgastronomie entwickelt und unterstützt Betriebe in der Öffentlichkeitsarbeit, die beim Einkauf ökologisch erzeugte Lebensmittel tierischen Ursprungs einsetzen.“
Antwort zu c) des Referats für Bildung und Sport (RBS):
„An den städtischen weiterführenden Schulen wird die Ernährungsbildung unserer Schüler*innen immer wichtiger. Dabei spielt auch die Herkunft der Lebensmittel und die Nachhaltigkeit im Anbau eine herausragende Rolle. Dieser Ansatz spiegelt sich beispielsweise im Fachunterricht oder in BNE (Bildung für Nachhaltige Entwicklung)-Projekten, die an unseren Schulen angeboten werden, wider. Ernährungsbildung und damit auch BNE wird den Schüler*innen in vielfältiger Weise vermittelt. So können sie Tag täglich über die Schulverpflegung erfahren, was gesunde Ernährung bedeutet. Sie sind aufgefordert, sich in den Essensgremien zu engagieren, damit die Schulverpflegung immer weiter verbessert wird. Sie haben dadurch die Möglichkeit, mit der schuleigenen Mensa oder dem Pächter in Austausch zu gehen, welche Lebensmittelqualität ihnen wichtig ist. Zudem wird das Bewusstsein für gesunderhaltende und nachhaltige Ernährung über den Unterricht, AGs und Projekte wie beispielsweise den Überkochenwagen gefördert.“
Frage 8:
Welche Möglichkeiten hat die Landeshauptstadt München, um ihren Einfluss auf EU-Institutionen geltend zu machen? Was hat die Landeshauptstadt München bisher unternommen, um die neuen EU-Regelungen abzuwenden.
Antwort:
Dem Kommunalreferat sind keine Bestrebungen der Landeshauptstadt München bekannt, die geplanten EU-Gesetzgebungsänderungen abzuwenden.
*1 https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20240125STO17062/neue-verfahren-in-der-pflanzenzuchtung-zur-starkung-des-lebensmittelsystems; aufgerufen am 5.3.2024
*2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02018R0848-20230221&qid=1712760397303#tocId13, (Artikel 11) aufgerufen am 18.3.2024
*3 https://www.transgen.de/lexikon-nutzpflanzen.html, Stichwortsuche Mais
*4 https://www.transgen.de/lexikon.html, Stichwortsuche Allogamie, Autogamie, Neue genomische Techniken
*5 https://www.mpimp-golm.mpg.de/22418/Frag_die_Gerste, aufgerufen am 18.3.2024