Die Mieten der Nachbarschaftstreffs auf der Grundlage ihrer wohnungswirtschaftlichen Zweckbestimmung wieder begrenzen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Anna Hanusch, Clara Nitsche, Bernd Schreyer, Christian Smolka und Sybille Stöhr (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 21.1.2022
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, wird der o.g. Antrag als Brief beantwortet.
Sie beantragen, die Mieten für Nachbarschaftstreffs in bestehenden und künftigen Mietwohnanlagen der GWG und Gewofag (nun Münchner Wohnen) auf die Höhe der EOF-Mieten zu begrenzen. Darüber hinaus sollen über die bayerischen Wohnraumförderungsbestimmungen geförderte Gemeinschaftsräume durch Nachbarschaftstreffs mitgenutzt werden.
Der Inhalt des Antrages betrifft deshalb eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Aufgrund der Verhandlungen mit den beiden städtischen Wohnungsgesellschaften GWG und Gewofag, nun Münchner Wohnen, wurde um Fristverlängerung gebeten. Die erneute Verzögerung bitte ich zu entschuldigen.
Zu Ihrem Antrag vom 21.1.2022 teile ich Ihnen folgende Informationen mit:
Public-Private-Partnership
Zu Beginn der Nachbarschaftstreffs (NBT) vor gut 22 Jahren galt das Prinzip des Public-Private-Partnership (PPP) mit der Säule, dass die Vermieter*innen die Räume zur Verfügung stellten und die Stadt die Personal- und Sachkosten trägt.
Neben den Nutzer*innen profitieren auch Vermieter*innen und die Stadt München. Die Mieter*innen haben eine Anlaufstelle für die vielfältigen Fragen nach dem Zuzug, es gibt einen neutralen und vor allem konsumfreien Ort, um mit der Nachbarschaft in Kontakt zu kommen und gemeinsame Interessen zu erkennen und mit Leben zu füllen. Das entlastet die Vermieter*innen und vermeidet Unsicherheiten, die möglicherweise zu Konflikten führen können. Die Wohnzufriedenheit und Identifikation mit dem Wohnumfeld steigen.Durch das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe werden Potenziale der Nachbarschaft aktiviert, wovon die Menschen in der näheren Umgebung profitieren können. So wird präventive Arbeit geleistet, die auf Seiten der Stadt zu einer Entlastung der Fachstellen beitragen. Zudem können Probleme in Haushalten schneller erkannt und die notwendigen Maßnahmen der Fachstellen eingeleitet werden.
Meist konnten Mietvereinbarungen von 1 Euro/Monat oder 1 Euro/m²/Jahr getroffen werden. Die Betriebs- und Nebenkosten wurden über den Zuschuss des Sozialreferates an die Träger gedeckt.
Räumliche Ausweitung
Die ersten Nachbarschaftstreffs wurden im Rahmen des PPP in vorhandenen Räumen eingerichtet. So wurden kleine Ladeneinheiten und ehemalige Hausmeisterstützpunkte genutzt oder Wohnungen freigestellt und für die Bewohner*innenarbeit genutzt.
Das Angebot wurde gut von den Bewohner*innen angenommen, so dass die Anregung der Träger und Nutzer*innen entstand, dass die Räume noch besser nutzbar werden sollten. Damit war der Wunsch verbunden, dass es mehrere und größere Räume gibt, dass sie gut sichtbar und im Erdgeschoss mit separatem Zugang positioniert werden. Raum für Kinderspiele oder Sport ist immer begehrt. Lagerflächen für die einzelnen Gruppen werden auch heute noch über absperrbare Schränke zur Verfügung gestellt, aber auch die Grundausstattung wurde an die Bedarfe der Nutzer*innen angepasst. Sind Gruppen aktiv, besteht immer Bedarf nach Abstellflächen für Kinderwägen, Rollatoren und Garderobe.
In der Vollversammlung vom 29.7.2015 („Nachbarschaftsarbeit in München stärken“, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 01597) wurde beschlossen, dass die Treffleitungen dauerhaft in den Nachbarschaftstreffs verortet werden und das ursprüngliche Ziel aufgegeben wird, die Leitung des Treffs nach einer Anschubphase von drei bis fünf Jahren in die Hände einer Gruppe ehrenamtlich engagierter Personen zu übergeben.
Damit ging auch einher, dass in Neubaugebieten der Bedarf an größeren Räumen für Nachbarschaftstreffs schon in der Planungsphase angemeldet wurde. Das derzeit übliche Raumprogramm sieht eine Nutzfläche von 170 m² vor.
Gewerbemiete führt zu hohen Kosten
Da es sich bei Nachbarschaftstreffs nicht um Wohnen im eigentlichen Sinn handelt, liegt nach Ansicht der Bauherren ein gewerbliches Mietverhältnis vor. Damit einher gehen höhere Mieten, es werden mehr Flächen in die Berechnung einbezogen und die Mietanpassungen sind schon im Mietver-trag festgelegt und gelten mit sofortiger Wirkung ohne Vorlauf und Ablehnungsmöglichkeit.
Von den anfänglichen Raumüberlassungen aus dem Kooperationsgedanken heraus zu symbolischen Mieten von einem Euro pro Monat für den gesamten Treff, werden nun Mieten von 34 Euro/m²/Monat zuzüglich Neben- und Betriebskosten angesetzt. Dabei werden alle Flächen, auch Kellerräume, einbezogen. Bei einer Nutzfläche von 170 m² besteht eine Gesamtfläche von ca. 230 m². Allein für die Nettomiete würden bei Anmietung dann jährlich 96.600 Euro an Zuschussmitteln benötigt, das ist mehr als für das eingesetzte Personal pro Treff zur Verfügung steht (81.470 Euro Jahresmittelbetrag für S12/4 TVöD SuED). Bei dieser ersten Bewertung sind Mietsteigerungen noch nicht berücksichtigt.
Einführung einer Mietobergrenze
Die Einführung einer Mietobergrenze, wie im Antrag von Die Grünen-Rosa Liste vom 22.1.2022 gefordert, würde einige Vorteile mit sich bringen:
- Der beiderseitige Nutzen eines Nachbarschaftstreffs, sowohl für Vermieter*innen als auch für die Stadt München mit ihren weiteren sozialen Angeboten und Einrichtungen, würde sich in der finanziellen Kooperation zeigen.
- Die langfristige Kostenentwicklung des Produkts Angebote im Sozialraum wäre besser kalkulierbar.
- Es könnten gleichzeitig einheitliche Regelungen getroffen werden zur Berechnungsgrundlage der Miete (Nutzfläche oder Gesamtfläche), zur Höhe der Mietanpassungen (Mieterhöhung über Index- oder Staffelmietregelung) und zum Zeitpunkt der Mieterhöhung angepasst an die Vorlaufzeiten einer Zuschusserhöhung. Diese Punkte führen immer wieder zu Diskussionen zwischen den Trägern der Nachbarschaftstreffs und der jeweiligen Vermieter*innen.
Andererseits hätte die Mietobergrenze weitreichende fachliche Konsequenzen. Mit Einführung einer Mietobergrenze für Nachbarschaftstreffs entsteht eine Bindung der Verwaltung (und damit des beauftragten Trägers) Mietverträge nur dann abzuschließen, wenn die Miethöhe die Mietobergrenze nicht übersteigt. Damit ist aber nicht gewährleistet, dass die Vermieterseite diesen Konditionen zustimmt. Es kann also sein, dass keine Räume mehr für einen Nachbarschaftstreff gefunden und angemietet werden können.
In Neubau- oder Sanierungsgebieten meldet das Sozialreferat im Rahmen des Planungsverfahrens den Bedarf an Räumen für einen NBT an das Referat für Stadtplanung und Bauordnung und geht dabei von den Erfahrungs-werten aus, dass bei Zuzug mehrerer hundert Haushalte eine Anlauf- und Orientierungsstelle sinnvoll ist und einen wichtigen Beitrag für das Entstehen lebendiger Nachbarschaften liefert.
Akzeptiert der Bauherr die Vermietung mit Mietobergrenze nicht, dann entsteht in diesem Neubaugebiet kein NBT und die Fläche wird anderweitig verplant. Damit ist auch eine nachträgliche Einrichtung eines NBT so gut wie ausgeschlossen, da geeignete Flächen nur schwer zu finden sein dürften.
Es ist also eine Abwägung zwischen der Frage, ob sich die Stadt München die freiwillige Leistung Nachbarschaftstreffs zu den steigenden Konditionen an immer neuen Standorten leisten will und der Frage, ob das Entstehen neuer Nachbarschaftstreffs verbindlich an die Beteiligung der Bauherrenseite geknüpft wird.
In Bestandgebieten können sich viele Jahre nach Bezug Änderungen im Gemeinschafsleben ergeben. Häufig sind dabei Faktoren zu beobachten, wie größerer Wechsel der Bewohnerschaft (Generationswechsel), Wegfall von Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungen bzw. Fehlen von aktuell benötigter Infrastruktur (Kinderbetreuung, Einrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene, Pflegebedarfe) oder Sanierungsbedarf bei Wohnungen und Freiflächen. Als mögliche Reaktion kann für den Bereich des sozialen Miteinanders vorgeschlagen werden, einen Nachbarschaftstreff einzurichten. Auch hier kann die Begrenzung der Miete dazu führen, dass keine Räume zu den vorgegebenen Konditionen gefunden werden und in der Folge kein NBT realisiert werden kann.
Auch die Sicht der Bauherren ist nachvollziehbar, dass die Refinanzierung von Neubauten, die grundsätzlich auf die langjährige Nutzung über mehrere Jahrzehnte abgestimmt ist, nicht mit den anfänglichen Vereinbarungen im Public-Private-Partnership (PPP) vereinbar ist. Zu Beginn des PPP Anfang der 2000er-Jahre wurden meist Bestandsräume zur Verfügung gestellt, die schon weitgehend abgeschrieben waren. Die letzten NBT sind alle in Neubaugebieten mit neu errichteten Räumen entstanden. Aufgrund der deutlich gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten ist der Ansatz der Kostenmiete von Bauherrenseite verständlich.
Wir gehen aber davon aus, dass die bestehenden Mietvereinbarungen mit der Münchner Wohnen für die NBT nicht angepasst und zu den gleichen Konditionen fortgeführt werden und damit dem Anliegen des Antrags zumindest für die bestehenden NBT entspricht.
Sozialgerechte Bodennutzung - SoBoN 2021
Mit der SoBoN-Novelle 2021 vom 28.7.2021 (Vorlagennummer 20-26/V 03932) werden die Nachbarschaftstreffs als ursächlicher Bedarf durch dieEntwicklung des neuen Baugebietes benannt. Damit werden in Gebieten, für die 200 EOF-Wohnungen oder 800 Wohnungen insgesamt vorgesehen sind und das Sozialreferat den Bedarf für einen Nachbarschaftstreff bestätigt hat, entsprechende Flächen abgetreten. In welcher Form die NBT-Räume überlassen werden, ob als Teileigentum erworben oder mit Nutzungsrecht, wird derzeit in einer Arbeitsgruppe im Referat für Stadtplanung und Bauordnung erarbeitet. Die Frage nach der Miethöhe entfällt dadurch. Die neue SoBoN-Regelung greift erst für Planungsgebiete, die seit der Novelle 2021 erstmals beplant werden und somit erst für Baugebiete, die in sieben bis zehn Jahren bezugsfertig sind. Für viele der bekannten Baugebiete wurden die Planungen noch vor der Novelle 2021 begonnen, so dass der ursächliche Bedarf hier noch keine Anwendung findet (z.B. Kreativquartier, Sanierungsgebiet Moosach, Freiham 2. Realisierungsabschnitt, Lerchenauer Feld, Lerchenauer See, Kirschgärten oder Eggarten – hier liegt ein Stadtratsantrag vor zur Einrichtung eines NBT, Antrag 20-26/A 03686). Als ursächlicher Bedarf wurde ein NBT für die Planungsgebiete Campus Süd (StBez. 19) und Siedlung Ludwigsfeld (StBez. 24) bewertet.
EOF-Gemeinschaftsräume
In den Wohnraumförderungsbestimmungen (WFB 2022) für Bayern ist in Ziffer 12.7 die Planung von Gemeinschaftsräumen geregelt. Demnach können „Gemeinschaftsräume mit einer angemessenen Fläche vorgesehen werden. Bei Wohnanlagen mit mindestens 50 Wohnungen soll die Fläche bis zu 0,5m je Wohnung betragen“. In Abstimmung mit der Obersten Baubehörde können diese Gemeinschaftsräume weiterhin verpflichtend in die Bauplanung aufgenommen werden. Dabei steht es den Eigentümer*innen frei, die Verwaltung der Räume an eine Einrichtung wie die NBTs zu übertragen und damit für das Quartier zu öffnen. Im Zuge der Bauplanung ist es also möglich, die EOF-Gemeinschaftsräume bei der Flächenbedarfsermittlung eines NBT zu berücksichtigen und entsprechend kleiner zu planen. Das bedarf einer guten und vor allem frühzeitigen Abstimmung zwischen Sozialreferat, Referat für Stadtplanung und Bauordnung und den jeweiligen Bauträgern.
Auswirkungen auf das Produkt
Das Risiko, dass trotz fachlicher Notwendigkeit keine Räume für einen NBT angemietet werden können, da keine Angebote gefunden werden, die die Mietobergrenze einhalten, sollte aus Sicht des Sozialreferats nicht eingegangen werden.
Die neue Kalkulation mit Gewerbemieten im Neubau verursacht allerdings eine Kostensteigerung von jährlich 50.000 – 60.000 Euro bei neuen Treffsim Vergleich zu bisherigen Standorten. Das entspricht einem Drittel der Gesamtkosten eines Nachbarschaftstreffs. Entweder müsste das Produktbudget mit jeder neuen Einrichtung deutlich ausgebaut oder neue Einrichtungen könnten nur noch in wenigen ausgewählten Quartieren realisiert werden. Bei der derzeitig angespannten finanziellen Lage der Landeshauptstadt München ist ein weiterer Ausbau dieser freiwilligen Leistung mit einer Grundsatzentscheidung abzustimmen. Dabei sind auch die Anliegen vor Ort durch Bezirksausschüsse und Bauherren einzubeziehen. Da beim Eckdatenbeschluss im Juli 2024 keine neuen Mittel für Nachbarschaftstreffs zur Verfügung gestellt werden konnten, überprüft das Sozialreferat momentan, auf welche der angemeldeten NBT-Bedarfe in Neubau- oder Sanierungsgebieten, die sich erst in der Planungsphase befinden, verzichtet werden kann.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.