Klarheit zum Leerstand von Wohnungen in München
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Alexandra Gaßmann, Hans Hammer und Winfried Kaum (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 12.11.2024
Antwort Sozialreferat:
In Ihrer Anfrage vom 12.11.2024 führen Sie Folgendes aus:
„In der Presse-Berichterstattung der letzten Zeit war von rund 22.000 leerstehenden Wohnungen in München die Rede. In einer Antwort des Sozialreferats der Stadt München wird zu dieser Thematik jedoch eine deutlich niedrigere Zahl vermutet. Diese Diskrepanz wirft Fragen auf, da präzise Zahlen über den Leerstand von großer Bedeutung sind, um geeignete wohnungspolitische Maßnahmen zu ergreifen.“
Für die gewährte Verlängerung der Frist für die Beantwortung Ihrer Anfrage bedanke ich mich.
Zu Ihrer Anfrage vom 12.11.2024 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Der Beantwortung der einzelnen Fragen werden zunächst die nachfolgenden generellen Ausführungen vorangestellt:
Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) liegt eine Zweckentfremdung vor, wenn der Wohnraum länger als drei Monate leer steht.
Im Umkehrschluss ist ein Leerstand von Wohnraum, der weniger als drei Monate dauert, zweckentfremdungsrechtlich nicht relevant und insofern unbeachtlich.
Der Anwendungsbereich vorstehender Satzung erstreckt sich ausschließlich auf frei finanzierten Wohnraum, nicht jedoch auf öffentlich geförderten Wohnraum (§ 1 Abs. 2 ZeS). Für letzteren gelten die gesonderten Bestimmungen des Bayerischen Wohnraumförderungsgesetzes (BayWoFG).
Auch ein länger als drei Monate andauernder Leerstand frei finanzierten Wohnraums stellt jedoch nicht zwangsläufig eine Zweckentfremdung von Wohnraum dar.
So ist ein länger als drei Monate andauernder Leerstand gemäß § 4 Abs. 2 ZeS zweckentfremdungsrechtlich unbeachtlich,
- wenn der Wohnraum leer steht, weil er trotz nachweislicher geeigneter Bemühungen über längere Zeit nicht wieder vermietet werden konnte,
- weil der Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instandgesetzt oder modernisiert wird oder
- weil der Wohnraum alsbald veräußert werden soll.
Darüber hinaus können im Einzelfall weitere anerkennungswürdige Gründe vorliegen, die einen länger als drei Monate andauernden Leerstand zweckentfremdungsrechtlich rechtfertigen. Hierzu zählen z.B. unklare Eigentumsverhältnisse im Falle erbrechtlicher Auseinandersetzungen. Ein Wohnraumleerstand ist in diesen Fällen insofern aus zweckentfremdungsrechtlicher Sicht gerechtfertigt, ein Einschreiten des Sozialreferats ist rechtlich nicht möglich.
Ein Leerstehenlassen von Wohnraum mit der Absicht, auf diese Art und Weise und durch bloßes Zuwarten den monetären Wert des Wohnraums zu steigern, ist hingegen in keinem Falle ein derartiger, einen Leerstand rechtfertigender Grund.
Eine illegale Zweckentfremdung von Wohnraum stellt ferner eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 500.000 Euro je Wohneinheit geahndet werden kann.
Darüber hinaus und unabhängig hiervon ist ein zeitlich überwiegender Leerstand von nur sporadisch genutzten Zweitwohnungen zweckentfremdungsrechtlich unbeachtlich. Dies gilt auch, wenn eine derartige Wohnung für einen länger als drei Monate andauernden Zeitraum nicht genutzt wird.
Nachfolgend wird, in Abstimmung mit dem Direktorium, Statistisches Amt, auf die konkreten Fragen eingegangen.
Frage 1:
Welche Datenquelle und Methodik verwendet die Landeshauptstadt München, um den Leerstand von Wohnungen zu erfassen?
Antwort:
In Bezug auf sich im Eigentum der Münchner Wohnen GmbH befindlichen Wohnraum wird eine Übersicht länger leerstehender Wohnungen im Geschäftsbericht der Münchner Wohnen GmbH veröffentlicht (siehe Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 12203).Darüber hinaus erfolgt keine systematische vollständige Erfassung des Leerstands von Wohnraum.
Eine derartige Erfassung ist aus Sicht des Sozialreferats auch nicht erforderlich, da das Sozialreferat zumeist relativ zeitnah von (möglichen) Wohnraumleerständen Kenntnis erlangt.
Die vom Sozialreferat eingeführte Online-Plattform zur Meldung vermuteter Zweckentfremdungen ist ein etabliertes Instrument, über das sehr viele Hinweise auf möglicherweise leerstehenden Wohnraum eingehen. In den Jahren 2018 bis 2024 gingen insgesamt rund 6.300 Meldungen auf eine mögliche Wohnraumzweckentfremdung ein. Hiervon entfallen insgesamt rund 3.200 Meldungen auf einen vermuteten Leerstand (dies entspricht rund 51% aller abgegebenen Meldungen). Die für den Vollzug des Zweckentfremdungsrechts zuständige Abteilung im Amt für Wohnen und Migration geht jedem begründeten Verdacht auf einen Leerstand von Wohnraum nach und wirkt gegebenenfalls – bei Vorliegen einer Zweckentfremdung/eines ungerechtfertigten Leerstandes – mit verwaltungsrechtlichen Mitteln auf dessen Beendigung hin. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen.
Rechnerisch gingen in der Vergangenheit in jedem Monat rund 38 Meldungen auf einen vermuteten Wohnungsleerstand ein. Diese Anzahl ist in Relation zu insgesamt mehr als 800.000 vorhandenen Wohnungen in München zu betrachten.
Die Schaffung eines systematischen und vollständigen Verzeichnisses aller Wohnraumleerstände wäre nach Einschätzung des Sozialreferats im Übrigen mit einem sehr hohen Aufwand verbunden. Ein substanzieller Mehrwert ergäbe sich hieraus hingegen nicht.
Eine Erhebung wäre stets nur eine Momentaufnahme, da sich Leerstände täglich ändern. Die systematische Erfassung wäre teuer und aufwändig. Im praktischen Vollzug wären im Rahmen dessen tatsächliche Bestandsaufnahmen vor Ort notwendig, zudem stetige Kontrollen des jeweiligen Sachverhalts. Dies würde einen äußerst hohen und nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand verursachen.
Automatisierte Abfragen bei externen Stellen, die einen dahingehenden Vollzug erleichtern würden (wie etwa Angaben zum jeweiligen Stromverbrauch) sind datenschutzrechtlich nicht möglich.
Frage 2:
Worin bestehen die Gründe für die Abweichung zwischen den Zahlen des Statistischen Bundesamtes und jenen des Sozialreferats?
Antwort:
Im Falle der in der Presseberichtserstattung genannten Zahl zu leerstehendem Wohnraum handelt es sich um ein Ergebnis aus dem Zensus von 2022.
Ein wichtiger Bestandteil des im Jahr 2022 in ganz Deutschland durchgeführten Zensus war eine Gebäude- und Wohnungszählung, bei der alle Eigentümer*innen bzw. Verwalter*innen von Wohnraum zu Gebäude- und Wohnungsmerkmalen befragt wurden.
Es handelte sich um eine Vollerhebung zur Erfassung aller Gebäude mit Wohnraum sowie der sich darin befindlichen Wohnungen. Davor fand eine Erhebung in dieser Form im Jahr 2011 statt. Die Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung des Zensus 2022 zum Leerstand beziehen sich auf den Stand zum Stichtag 15. Mai 2022.
Im Gegensatz zur Erhebung im Jahr 2011 wurden im Jahr 2022 erstmals auch Daten zur Dauer und zu den Gründen für leerstehenden Wohnraum erhoben.
Die Ergebnisse hierzu wurden seit Juni 2024 von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder veröffentlicht und können vom Statistischen Amt der Landeshauptstadt München unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften statistisch ausgewertet werden. Die Daten liefern einen fundierten Überblick über Umfang, Dauer und Gründe für den Leerstand von Wohnungen im Stadtgebiet München.
Die differenziertere Betrachtung der Ergebnisse des Zensus nach den Leerstandsgründen und -dauer (siehe Antwort zu Frage 4) bestätigt die Einschätzung des Sozialreferats, dass es sich bei weitem nicht in allen der in Rede stehenden rund 22.000 Wohnungen um potenziell zweckentfremdungsrechtlich relevanten (und einschreitungsbedürftigen) Leerstand handelt.
Frage 3:
Welche Zahlen leerstehender Wohnungen hält die Stadt München für korrekt?
Antwort:
Der Zensus 2022 beinhaltete die Erfassung des gesamten Wohnraums in Deutschland zum Stichtag 15. Mai 2022. Es existiert keine vergleichbare Datengrundlage, die ähnlich flächendeckende Ergebnisse zum Leerstand von Wohnraum liefert. Darüber hinaus gibt es keine laufende amtliche Statistik zum Leerstand von Wohnungen.
Frage 4:
Wie viele dieser Wohnungen sind nur kurzfristig leerstehend, also in einer Phase der Nachvermietung bzw. Erstvermietung? Wie viele Wohnungen sind im Gegenzug tatsächlich langfristig leerstehend bzw. ungenutzt?
Antwort:
Mangels (wie ausgeführt) eigener Erhebungen beziehen sich die nachfolgenden Werte auf die Ergebnisse aus dem Zensus 2022.
Die Leerstandsquote für München belief sich zum vorgenannten Stichtag 15. Mai 2022 auf 2,4%. Es handelt sich hierbei um eine sehr geringe Leerstandsquote.
Üblicherweise wird eine Leerstandsquote von drei bis fünf Prozent als normal und akzeptabel angesehen. Das Institut für deutsche Wirtschaft nennt eine Leerstandsquote von 2,5% als Mindestwert, um eine natürliche Fluktuation zu ermöglichen. Leerstandsquoten von um die 2% ermöglichen gerade noch, dass Umzüge überhaupt stattfinden können (vergleiche Gutachten des IW „Mehr Wohnungsmangel durch steigende Bedarfe und sinkende Bautätigkeit“ vom 7.6.2024 und Angaben im Internet unter https://service.destatis.de/zensuskarte/index.html#!p=3&a=09162).
Zum Stichtag 15. Mai 2022 standen in München in Gebäuden mit Wohnraum insgesamt 22.403 Wohnungen leer. In dieser Summe sind auch
Wohnungen enthalten, die nicht dem Schutzbereich des Zweckentfremdungsrechts unterliegen (z. B. öffentlich geförderter Wohnraum). Zudem beinhaltet die Summe auch den marktaktiven Leerstand (eine Wohnung ist innerhalb von drei Monaten für den Bezug verfügbar).
Die nachfolgenden Darstellungen beziehen sich auf den Zensus 2022.
Gründe für den Leerstand:
- Bei 53% (rund 11.800) der leerstehenden Wohnungen handelte es sich um sogenannten marktaktiven Leerstand, das bedeutet um Wohnungen, die innerhalb der nächsten drei Monate für den Bezug verfügbar waren.
Ein Leerstand von unter drei Monaten ist zweckentfremdungsrechtlich unerheblich (siehe Antwort zu Frage 1).
- Für fast jede vierte leerstehende Wohnung (25% bzw. rund 5.600 Wohnungen) waren Baumaßnahmen oder Sanierungen vorgesehen oder fanden zum Zeitpunkt der Erhebung bereits statt.
Unter diesen Umständen war/ist auch ein länger als drei Monate andauernder Leerstand zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigt (siehe Antwort zu Frage 1).
- Bei gut 6% der Wohnungen (rund 1.400 Wohnungen) wurde als Grund für den Leerstand der Verkauf des Gebäudes oder der Wohnung angegeben.
Auch in diesen Fällen war/ist ein länger als drei Monate andauernder Leerstand zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigt (siehe Antwort zu Frage 1).
- Bei gut 4% (rund 950 Wohnungen) war ein Abbruch bzw. Rückbau geplant.
Auch bei Vorliegen dieses Grundes für den Leerstand war/ ist ein länger als drei Monate andauernder Leerstand zweckentfremdungsrechtlich gerechtfertigt (siehe Antwort zu Frage 1).
- Bei gut 3% (rund 750 Wohnungen) wurde als Grund für den Leerstand die künftige Selbstnutzung angegeben.
Im Falle dieser Wohnungen könnte eine Zweckentfremdung vorgelegen haben, sofern kein anerkennungswürdiger Grund für den Leerstand vorlag. Die bloße Absicht, eine Wohnung künftig selbst zu nutzen, ist kein anerkennungswürdiger Grund für einen länger als drei Monate andauernden Leerstand.
- Für die restlichen rund 9% (rund 1.900) leerstehenden Wohnungen wurde ein „sonstiger Grund“ für den Leerstand angegeben. Auch im Falle dieser Wohnungen könnte eine Zweckentfremdung vorgelegen haben, sofern der „sonstige“ Grund für den Leerstand kein ebenso einen Leerstand rechtfertigender Grund war/ist (z.B. erbrechtliche Auseinandersetzung, siehe Antwort zu Frage 1).
Dauer des Leerstands:
Tabelle 1 (Quelle: Direktorium, Statistisches Amt)
Dauer und Gründe des Leerstands:
Von den Wohnungen, die seit drei Monaten oder länger leer stehen, ist bei gut der Hälfte als Grund Baumaßnahmen, ein geplanter Abriss, Rückbau, Verkauf oder eine künftige Selbstnutzung vorgesehen.
Bei mehr als einem Drittel handelt es sich um marktaktiven Leerstand. Bei 11% der Wohnungen wurde ein „sonstiger Grund“ für den Leerstand angegeben.
Bei Wohnungen, die bereits seit mindestens zwölf Monaten leer stehen, verteilen sich die Gründe für den Leerstand wie folgt:
Tabelle 2 (Quelle: Direktorium, Statistisches Amt)
Auch hier lassen die angegebenen Gründe für den überwiegenden Anteil darauf schließen, dass ein zweckentfremdungsrechtlich anerkennungswürdiger Grund für den Leerstand vorlag.
Fazit:
Von den im Zensus insgesamt rund 22.000 angegebenen leerstehenden Wohnungen lag zum Zeitpunkt der Erhebung in Bezug auf rund 8.300 Wohnungen keine potenzielle Zweckentfremdung vor (da Leerstand seit weniger als drei Monaten, siehe Tabelle 1).In Bezug auf die übrigen rund 13.700 Wohnungen (länger als drei Monate andauernder Leerstand) liegt eine Zweckentfremdung nur vor, wenn der Leerstand nicht durch einen anerkennungswerten Grund gerechtfertigt ist (siehe Ausführungen zu Frage 1). In der weit überwiegenden Mehrheit der Fälle deutet der für den Leerstand angegebene Grund jedoch darauf hin, dass eine zweckentfremdungsrechtliche Rechtfertigung für den Leerstand vorliegt (siehe oben bei „Gründe für den Leerstand).
Frage 5:
Wie haben sich die Zahlen seit dem Jahr 2000 entwickelt?
Antwort:
Eine Darstellung der Entwicklung genauer Werte zu leerstehendem Wohnraum seit dem Jahr 2000 ist mangels aussagekräftiger Daten nicht möglich.
Im vorangegangenen Zensus im Jahr 2011 wurde für München eine Leerstandsquote in Höhe von (sehr geringen) 2,1% ausgewiesen.
Frage 6:
Was plant die Stadt München gegen langfristig leerstehende Wohnungen zu unternehmen?
Antwort:
Das Sozialreferat prüft jeden einzelnen bekannt gewordenen Leerstand von Wohnraum auf dessen zweckentfremdungsrechtliche Zulässigkeit. Sofern es erforderlich ist, wird konsequent mit den zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Mitteln auf eine Beendigung des Leerstands und auf eine zeitnahe Wiederzuführung des betroffenen Wohnraums zu Wohnzwecken hingewirkt.
Aus nachstehender Aufstellung ist ersichtlich, wie viele Wohneinheiten durch Maßnahmen des Sozialreferats in den vergangenen fünf Jahren vor einer illegalen Zweckentfremdung durch Leerstand bewahrt und dadurch für den Wohnungsmarkt erhalten werden konnten.
Zwar ist im Falle eines gerechtfertigten Leerstands ein unmittelbares Einschreiten des Sozialreferats nicht möglich. Jedoch wird in jedem Sachverhalt ein Fortbestehen des jeweils geltend gemachten Grundes für den Leerstand zeitlich engmaschig überwacht.
Überdies besteht in zweckentfremdungsrechtlichen Verfahren ein enger Austausch mit dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung (Lokalbaukommission).
Durch diese Zusammenarbeit ist das Sozialreferat in entsprechend gelagerten Verfahren stets, beispielsweise über den Stand eines baurechtlichen Genehmigungsverfahrens in Bezug auf einen konkreten Wohnraum, informiert. Auch baurechtlich noch zu klärende Aspekte können einen länger andauernden Leerstand rechtfertigen.
Den Erfahrungen des zuständigen Fachbereichs nach liegen in der weit überwiegenden Anzahl der bekannten und längere Zeit (länger als drei Monate) dauernden Wohnraumleerstände anerkennungswürdige Gründe für den jeweiligen konkreten Leerstand vor, wie etwa eine Sanierung oder eine geplante Veräußerung.
Eine detaillierte Auswertung des Zensus 2022 steht zusammenfassend nicht im Widerspruch zu tatsächlichen Beobachtungen im Stadtgebiet sowie zu den im Sozialreferat eingegangenen Meldungen und laufenden Verfahren.
Die Ergebnisse des Zensus 2022 spiegeln insoweit die bisherigen Vollzugserfahrungen des Sozialreferats wider.