Sozialreferentin Dorothee Schiwy und der Vorsitzende der unabhängigen Expert*innenkommission Ignaz Raab haben heute auf einer Pressekonferenz das Kooperationsprojekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Geschehnisse in städtischen Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien von 1945 bis heute vorgestellt. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) unter der Leitung von Professorin Dr. Sabine Walper übernimmt dabei die Aufgabe, Unrechtserfahrungen jeglicher Art wissenschaftlich zu untersuchen.
Bürgermeisterin Verena Dietl: „Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung nimmt die Stadt München eine deutschlandweite Vorreiterrolle ein, um das Unrecht, das die Menschen bei der Unterbringung in Heimen oder Adoptiv- und Pflegefamilien erfahren haben, systematisch aufzuarbeiten und öffentlich anzuerkennen. Mit Anerkennungsleistungen in Höhe von 35 Millionen Euro, die der Stadtrat im August 2024 bewilligt hat, setzt die Stadt ein deutliches Zeichen. Die ersten Anträge mit einer Summe von insgesamt 930.000 Euro sind bereits ausgezahlt. Dieser Verantwortung sollten sich auch Bund und Land stellen.“
Die DJI-Forschenden werden der Frage nachgehen, welche Formen an physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt die Betroffenen erlebt haben. Dazu führen sie Interviews mit Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend in Heimen oder bei Pflege- oder Adoptivfamilien lebten, und analysieren Akten aus städtischen Heimen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung betrifft auch die Organisationen, die solche Missstände erst ermöglicht haben und soll eruieren, ob es unter den Täter*innen Netzwerke gab. Besondere Aufmerksamkeit werden die Forschenden dabei auf politische, legislative und gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen richten. Sozialreferentin Dorothee Schiwy: „Das Kooperationsprojekt soll auf Basis dieser Erkenntnisse einen Beitrag dazu leisten, Kinder und Jugendliche besser zu schützen und ihre Rechte zu etablieren. Es zielt zudem darauf ab, die Gesellschaft durch öffentliche Berichterstattung und durch Empfehlungen für Gewalterfahrungen von Kindern und Jugendlichen zu sensibilisieren. Denn Kinderschutz ist Staatsaufgabe und darf nicht an den Grenzen der Landeshauptstadt Halt machen. Mit dem Präventionskonzept, das sich an die wissenschaftliche Aufarbeitung anschließen wird, sollen Vorkehrungen in Einrichtungen, Pflege- und Adoptionsfamilien getroffen werden, damit sich Geschehnisse aus der Vergangenheit nicht wiederholen.“
Professorin Dr. Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts: „Es geht darum, die Mauern der Scham und des Schweigens zu durchbrechen. Wir wollen herausfinden, welche Gewalttaten in der Vergangenheit geschehen sind und was diese Taten ermöglicht hat. Je genauer wir die Risiken für sexualisierte Gewalt und Missbrauch verstehen, umso besser können wir diese Risiken für Kinder und Jugendliche in Zukunft verringern.“
Das Gesamtprojekt soll den Zeitraum von 1945 bis heute abdecken. Das DJI wird sich schwerpunktmäßig der Zeit von 1945 bis 1990 widmen. Das Stadtjugendamt München übernimmt die Aufarbeitung in der Zeit nach 1990, seit das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) gilt. Anhand der Ergebnisse der Aufarbeitung soll ein Präventionskonzept erarbeitet werden, das die bestehenden Konzepte erweitert und zusätzliche Sicherheits- und Präventionsmaßnahmen mit aufnimmt. Die unabhängige Expert*innenkommission, die 2021 von der Landeshauptstadt München zur Aufarbeitung von Missständen in Heimen, Pflege- und Adoptionsfamilien eingesetzt worden ist, begleitet das gesamte Projekt.
Ignaz Raab, Vorsitzender der unabhängigen Expert*innenkommission: „Ich freue mich, dass wir nach gut drei Jahren und der Gewinnung einer kompetenten Anlaufstelle beim KINDERSCHUTZ München, der Installation eines tatkräftigen und konstruktiven Betroffenenbeirats und der Entwicklung von Anerkennungskriterien auch den nächsten Punkt unseres Auftrages – die wissenschaftliche Aufarbeitung – starten können. Mit dem DJI haben wir ein erfahrenes und hochkompetentes Institut zum Thema Aufarbeitung gewonnen. Unsere Prämisse war immer Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“
Von links nach rechts: Ignaz Raab, Vorsitzender der Expert*innenkommission, Sozialreferentin Dorothee Schiwy, Professorin Dr. Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts, und Benno Oberleitner, Vorsitzender des Betroffenenbeirats. (Foto: Michael Nagy/Presseamt)