München setzt sich für ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige ein
Antrag Stadträtin Alexandra Gaßmann (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 27.5.2024
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
Vielen Dank für Ihren Antrag vom 27.5.2024.
In Ihrem Antrag vom 27.5.2024 fordern Sie Herrn Oberbürgermeister Reiter auf, sich bei der Bundesregierung schnellstmöglich für ein Verkaufsverbot von Lachgas an Minderjährige einzusetzen.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen zu Ihrem Antrag Folgendes mit:
Das für Gesundheitsfragen zuständige Gesundheitsreferat nimmt bezüglich der medizinischen Einordnung von Lachgas wie folgt Stellung:
„Lachgas (Distickstoffmonoxid) findet sich in vielen unterschiedlichen Bereichen, beispielsweise in der (Lebensmittel-) Industrie, der Landwirtschaft, aber auch in der Medizin. Im Gegensatz zu den anderen Einsatzbereichen handelt es sich bei medizinisch verwendetem Lachgas um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Dieses wird – aufbereitet in einem Gemisch aus Lachgas und Sauerstoff – aufgrund seiner schmerzstillenden und betäubenden Wirkung bereits langjährig als bewährtes Narkosemittel eingesetzt. Hierdurch werden bei bestimmungsgemäßem Gebrauch durch ärztliches Fachpersonal unerwünschte Nebenwirkungen wie Sauerstoffmangel, vermieden. Zu industriellen oder sonstigen Zwecken wird Lachgas meist mit einer fast hundertprozentigen Reinheit verwendet.
Beim Konsum zu Rauschzwecken mittels Sahnespenderkapseln oder Zylindern wird Lachgas hingegen unkontrolliert konsumiert und unverdünnt eingeatmet.
Die gewünschte Rauschwirkung entsteht, nachdem das Lachgas eingeatmet wurde. In der Lunge verdrängt das Gas dann den Sauerstoff, wird dann in das Blut aufgenommen und gelangt so auch ins Gehirn, wo es seine Rauschwirkung entfaltet. Auch wenn der Wirkmechanismus wissenschaftlich bislang nicht abschließend geklärt ist, sind vielfältige Effekte des Konsums zu beobachten, wie beispielsweise, dass der Konsum von Lachgas die Stimmung aufhellt und Glücksgefühle entstehen lässt, ein Zustandder Euphorie eintritt und Halluzinationen auftreten können. Zudem hat Lachgas einen betäubenden Effekt. Die Wirkung setzt rasch, bereits 10-30 Sekunden nach Inhalation, ein und lässt, da das Gas schnell wieder abgeatmet wird, in der Regel bereits innerhalb von 1-5 Minuten wieder nach.
Der missbräuchliche Konsum von Lachgas ist aus medizinischer Sicht weder harmlos noch ungefährlich. Er kann sowohl unmittelbare gesundheitliche Schäden verursachen als auch langfristige oder chronische Schäden nach sich ziehen.
Folgende Risiken und mögliche Schäden während des Konsums sind zu nennen:
- Lachgas verdrängt bei Inhalation den Sauerstoff in der Lunge. Dies kann zu einem zeitweisen Sauerstoffmangel (Hypoxie) und in der Folge zu Schwindel, aber auch zu Bewusstlosigkeit führen.
- Bei der Verwendung werden die Gaskartuschen extrem kalt (bis zu -55° C), so dass bei direkter Inhalation schwerste Verletzungen an Fingern oder Lippen möglich sind.
- Durch den hohen Druck des komprimierten, sich ausdehnenden Gases sind Lungenverletzungen (bspw. ein Pneumothorax) möglich.
- Typischerweise sind Konsumierende kurzzeitig desorientiert und haben Koordinationsstörungen, wodurch das Risiko für Stürze steigt. Auch das Risiko von Unfällen steigt, wenn im Rausch am Straßenverkehr teilgenommen wird.
- Die akuten schädlichen Wirkungen sind in der Regel geringfügig und klingen innerhalb kurzer Zeit ab, nachdem der Konsument das Gas nicht mehr einatmet. Einige Wirkungen, wie beispielsweise Benommenheit, Schwindel und allgemeine Beeinträchtigung, können jedoch etwa 30 Minuten anhalten.
- Gemäß der Fachmeinung von Neurologinnen und Neurologen besteht durch den Konsum von Lachgas zudem ein Risiko von Lähmungserscheinungen bis hin zu hypoxischen Hirnschäden.
Zur chronischen Toxizität bzw. den langfristigen Schäden ist bekannt, dass regelmäßiger und hoher Konsum von Lachgas das Risiko von möglicherweise auch langfristigen Schäden des peripheren und zentralen Nervensystems birgt. Typische Symptome für Nervenschäden sind zunächst Kribbeln oder das Gefühl von Nadelstichen in den Händen, Armen oder Beinen. Solche Missempfindungen können aber auch in anderen Körperteilen auftreten. Zusätzlich kann es zu Lähmungserscheinungen kommen. Nervenschäden können dazu führen, dass die Kontrolle über die Muskulatur schwindet – dann sind Gleichgewichtsstörungen und Muskelschwächemöglich. Schäden von Nerven im Rückenmark können dazu führen, dass Probleme beim Gehen auftreten.
Bei chronisch und höher dosiertem Konsum von Lachgas stellt auch die irreversible Inaktivierung von Vitamin B12, welches u.a. eine wichtige Rolle beim Aufbau von Nerven einnimmt, ein großes Problem dar. Ein Vitamin-B12-Mangel kann darüber die beschriebenen Nervenschädigungen hinaus schwere hämatologische Schäden wie Leukopenie, Thrombozytopenie oder Anämie verursachen, aber auch neurologische Störungen wie die funikuläre Myelose (Rückenmarkschaden) und periphere Neuropathie auslösen.
Beschrieben ist zudem, dass es bei wiederholtem intensivem Gebrauch auch zu langfristigen psychischen Folgen wie Psychosen, Halluzinationen und Stimmungsschwankungen kommen kann.
Die Gefahr durch den Konsum von Lachgas wird durch die Konsumierenden unterschätzt. Die wenigsten der Konsumierenden wissen, dass sie schwere, möglicherweise auch lebenslange Folgen davontragen können. Diese Auffassung wird sowohl durch medizinische Fachgesellschaften vertreten (z.B. Deutsche Gesellschaft für Neurologie) als auch beispielsweise durch die European Union Drugs Agency (EUDA).
Die Risiken des Konsums liegen weniger in einer körperlichen Abhängigkeit als in den mitunter massiven körperlichen Schäden, die schon ein einmaliger, sehr intensiver Konsum auslösen kann. Eine psychische Abhängigkeit kann entstehen, da Lachgas ein Gefühl der wohligen Entspannung und „Losgelöstheit“ vermittelt, welches allerdings nur sehr kurz anhält und deshalb wiederholt werden muss. Da Lachgas oft in Gruppen beim Feiern konsumiert wird, spielt auch das Gruppenerlebnis eine verstärkende Rolle.
Aktuell ist Distickstoffmonoxid frei verkäuflich, es bedarf dazu keiner gesonderten Verkaufsgenehmigung und unterliegt keiner Altersbeschränkung. Seit einiger Zeit hält auch der Einzelhandel größere Kartuschen vor, z.B. im Umgriff von Tabakwaren oder Erfrischungsgetränken etwa an Kiosken. Dies wird dem Gefährdungspotential des Stoffes nicht gerecht und unterstützt direkt den Missbrauch zu Rauschzwecken, da die Kartuschen keinen anderen Zweck erfüllen.
Das Gesundheitsreferat sieht aufgrund der hohen Risiken des missbräuchlichen Konsums insbesondere für Jugendliche und Heranwachsende ein Verkaufs- und Besitzverbot von Distickstoffmonoxid über das Jugend-schutzgesetz für geboten an, sollten die aktuellen Prüfungen im Bundesgesundheitsministerium nicht in ein weitreichenderes Verbot über andere Gesetze münden.“
Trotz dieser medizinischen Einschätzung kann das Kreisverwaltungsreferat derzeit mangels gesetzlicher Vorgaben bedauerlicherweise keine Verkaufsverbote aussprechen bzw. den Verkauf erschweren. Lachgas ist in seiner reinen Form für jedermann im Supermarkt oder in E-Kiosken erhältlich, beispielsweise als Sahnekapsel für Sahnespender. Im Internet florieren aber auch Onlineshops, die das Gas in verschiedenen Geschmacksrichtungen und großen Mengen anbieten. Weil Besitz und Erwerb in Deutschland legal (nicht verboten) sind, spricht man in der Szene auch von einem sogenannten „Legal High“.
Durch die Presse wurde im Frühsommer bekannt, dass sich sowohl die bayerische Staatsregierung als auch das Bundesgesundheitsministerium diesem Problem annehmen möchten. Entsprechende Rechtsetzungsakte sind jedoch bislang nicht erfolgt. Deswegen und aufgrund der oben beschriebenen medizinischen Risiken für die Konsument*innen hat sich Oberbürgermeister Reiter mit einem Schreiben beim Bundesgesundheitsministerium für ein Verkaufsverbot von Lachgas für Minderjährige eingesetzt.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist