Mängel im Seniorenstift St. Josef der Münchenstift GmbH
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dr. Wolfgang Heubisch, Dr. Michael Mattar, Gabriele Neff, Thomas Ranft und Wolfgang Zeilnhofer-Rath (Fraktion Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung) vom 9.5.2014
Antwort Sozialreferentin Brigitte Meier:
In Ihrer Anfrage vom 09.05.2014 führen Sie Folgendes aus:
„Das St.-Josef-Heim ist mit 340 Bewohnern eines der größten von zwölf Häusern der städtischen Münchenstift-Einrichtungen. Dem RTL-Bericht vom 05.05.2014 zufolge herrschen untragbare Zustände. Laut Kreisver waltungsreferat (KVR) ist die Heimaufsicht den Gewaltvorwürfen nachgegangen. Und bezüglich der im Fernsehbericht dargestellten Vorwürfe werde es laut KVR ‚umgehend eine erneute Überprüfung’ geben.“
Zu Ihrer Anfrage vom 09.05.2014 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Hat sich die Personalsituation im St.-Josef-Heim seit September 2013 verbessert?
Sind mehr Mitarbeiter für die Kunden (nicht für Dokumentation von Arbeitsabläufen) vorhanden, um eine Wiederholung der unhaltbaren Zustände zu verhindern?
Antwort:
Der mit dem Kostenträger vereinbarte und somit für das Haus St. Josef vorgesehene Personalschlüssel wurde im September 2013 und wird auch zum Stand 09.05.2014 erfüllt. Eine darüber hinaus gehende Personalbesetzung wird nicht refinanziert.
Die Personalsituation in den Pflegebereichen hat sich im Vergleich zum September 2013 aber zumindest dahingehend verändert, dass der Einsatz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Zeitarbeitsfirmen gesunken ist, womit mehr Kontinuität und damit Stabilität verbunden ist.
Zur Verhinderung einer Wiederholung der im Haus St. Josef aufgedeckten Missstände kann die MÜNCHENSTIFT GmbH aufgrund dieser Vereinbarungen mit den Kostenträgern folglich nicht mehr Personal einsetzen, sondern muss neben den personellen und organisatorischen Konsequenzen (siehe Frage 2) andere Lösungsansätze beschreiten.Die MÜNCHENSTIFT GmbH verfolgt eine Null-Toleranz-Strategie, wenn es um Gewalt in der Pflege geht. Abwertendes Verhalten gegenüber Bewohnerinnen und Bewohnern bzw. psychische und körperliche Gewalt werden in keinem Fall geduldet. Die städtische Gesellschaft scheut sich nicht, sich in derartigen Fällen sofort von den betroffenen Personen zu trennen.
Gewalt in der Pflege ist kein neues, MÜNCHENSTIFT-spezifisches Thema, sondern ein bedauerlicherweise unerträgliches und nicht zu duldendes Übel in der Altenhilfe.
Es ist schwierig, die Gewalt als solche aufzudecken, da die meisten Betroffenen sich schämen, Angst haben oder aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage sind, sich zu erfahrener Gewalt zu äußern. Oftmals fehlen aber auch die Beweismittel, denn Gewalt wird in der Regel nicht vor Zeuginnen oder Zeugen ausgeübt.
Um den komplexen Situationen, in denen Gewalt entstehen kann, annähernd gerecht zu werden, nützt die MÜNCHENSTIFT GmbH Interventionsmaßnahmen, welche darauf abzielen, durch Professionalität, Kommunikation und Sensibilisierung Gewalt in der Pflege zu vermeiden.
Neben den Angeboten zu Teamsupervision und Einzelcoaching gibt es umfangreiche Angebote an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer Fachlichkeit und somit in ihrem Verständnis für die Pflegebedürftigen zu stärken, aber auch um zum Thema zu sensibilisieren.
Allein für diese Themen investiert das Unternehmen im Jahr 2014 insgesamt 58.595 Euro.
Obwohl sich die MÜNCHENSTIFT GmbH intensiv und aufrichtig mit diesem Thema beschäftigt und entsprechende Ressourcen investiert, kann keine Garantie gegeben werden, dass ein derartiges Fehlverhalten des Pflegepersonals künftig gänzlich ausgeschlossen werden kann.
Frage 2:
Laut Münchenstift habe es neben dem Austausch der Leitung „weitere personelle und organisatorische Konsequenzen“ gegeben. Wie sehen diese konkret aus?
Antwort:
Der Sachverhalt beginnt lange vor dem Zeitpunkt der Filmaufnahmen im September 2013.Bereits Ende 2012 waren im Wohnbereich 9 mit einer Kapazität von 35 Plätzen Probleme in den Bereichen Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität zu erkennen.
Am 05.12.2012 entschied sich der damalige Geschäftsführer deshalb für einen internen Belegungsstopp für den Wohnbereich 9. Dies wurde der Heimaufsicht mitgeteilt.
Außerdem wurde am 06.12.2012 durch die Abteilung Qualität der MÜN-CHENSTIFT GmbH ein wohnbereichsbezogenes Qualitätsaudit durchgeführt, bei dem in verschiedenen Bereichen Verbesserungspotentiale und Versorgungsdefizite festgestellt wurden.
Als Maßnahmen waren u.a. die intensive Begleitung und Kontrolle des Bereichs, z.B. mittels fokussierter Pflegevisiten am Bett, durch die Pflegedienstleitung (PDL) geplant.
Es wurde versucht, einen Beratungstermin mit der Heimaufsicht zu vereinbaren, der jedoch aufgrund deren mangelnder personeller Kapazität nicht zu Stande kam. Die Sachbearbeiterin der Heimaufsicht bat jedoch um Zusendung eines Maßnahmenplans, der am 20.12.2012 zugeleitet wurde.
Vor allem erfolgte bis auf Weiteres keine Nachbelegung frei werdender Betten. Die PDL und deren Stellvertretungen waren täglich in dem Wohnbereich und begleiteten und berieten Fach- und Hilfskräfte. Außerdem führten sie punktuelle und sporadische Qualitätskontrollen durch.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnbereiches 9 (am 17.01.2013 30 Personen) zogen zum Teil in den nächsten Wochen nach Rücksprache mit den Angehörigen und Betreuern innerhalb des Hauses um, da die Geschäftsführung beschlossen hatte, neben der Sicherung der Ergebnisqualität notwendige Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen in diesem Wohnbereich durchzuführen.
Hierüber wurde die Heimaufsicht am 17.01.2013 informiert.
Am 29.01.2013 wurde die Pflegedienstleitung aufgrund unüberwindbarer Differenzen zwischen ihr und der Hausleitung vom Dienst freigestellt und es wurde vorübergehend die Pflegedienstleitung aus dem Haus Alfons Hoffmann eingesetzt. Im Februar 2013 konnte eine langjährige Mitarbeiterin, bis dato stellvertretende PDL im Hans-Sieber-Haus, als PDL für das Haus St. Josef gewonnen werden.
Am 18.03.2013 prüfte die Heimaufsicht routinemäßig die Einrichtung. Im Wohnbereich 9 mit damals noch acht Bewohnerinnen und Bewohnern ergaben sich keine Beanstandungen.Parallel zu den seit Dezember 2012 bekannten Problematiken im Wohnbereich 9 wurde auch in anderen Wohnbereichen des Hauses deutlich, dass Prozess-, Struktur und Ergebnisqualität verbesserungswürdig waren. Neben anderen Konsequenzen trennte sich die MÜNCHENSTIFT GmbH im
Dezember 2013 von der Leitung des Hauses St. Josef.
Nach Ausstrahlung des Fernsehberichts am Montag, den 05.05.2014 wurden bereits am nächsten Tag drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres vom Dienst freigestellt; das Kündigungsverfahren wurde eingeleitet.
Frage 3:
Wie sieht die heutige Personalsituation im St.-Josef-Heim und in den anderen Häusern der Münchenstift aus?
a) wie viele Kräfte sind in der Pflege und wie viele Kräfte sind in der Ver waltung beschäftigt (Darstellung Anzahl der VZÄ und der Personalkosten gegliedert in Pflegebereich und Ver waltung)?
b) Wie sieht die Relation der Pflegekräfte zu den Kunden aus?
Antwort zur Frage 3a:
Da eine Darstellung aller Häuser zu aufwändig wäre und die personelle Besetzung auch sehr ähnlich ist, wird hier nur das betroffene Haus St. Josef im Detail dargestellt. Die Daten der anderen Häuser können aber jederzeit auf Anfrage eingesehen werden.
Besetzte Planstellen des Hauses St. Josef im April 2014:
Verwaltung: 6,49
Betreuungsassistenten: 9,56
Sonderstellen Pflege: 2,93
Vollstationäre Pflege: 114,62
Personalkosten im Monat April 2014:
Verwaltung 25.187,54 Euro
Betreuungsassistenten 27.825,92 Euro
Sonderstellen Pflege 12.982,08 Euro
Vollstationäre Pflege 467.577,00 Euro
Antwort zu Frage 3b:
Der Personalschlüssel im Haus St. Josef setzt sich u.a. wie folgt zusammen:Vollstationäre Pflege Pflegestufe 1 1 : 3,04
Vollstationäre Pflege Pflegestufe 3 1 : 1,92
Hausgemeinschaften Pflegestufe 0 1 : 13,15
Hausgemeinschaft Pflegestufe 1 1 : 5,37
Hausgemeinschaft Pflegestufe 3 1 : 2,05
Wachkoma Phase F1 Kategorie 1 1 : 3,00
Wachkoma Kategorie 3 Härtefälle 1 : 0,92
Rüstige ohne Stufe 1 : 23,30
Wohnen mit Service 1 : 41,53
Das bedeutet, dass z.B. in der vollstationären Pflege für 3,04 Bewohnerinnen und Bewohner mit Pflegestufe 1 eine Planstelle zur Verfügung steht.
Mit eingerechnet in den Pflegeschlüssel sind die Pflegedienstleitung, deren Stellvertretungen und die Qualitäts- und Ausbildungsbeauftragten. Hinzu kommen im Haus St. Josef 7,96 Planstellen für Betreuungsassistentinnen und -assistenten (Stand April 2014). Diese Planstellen errechnen sich auf Grundlage des § 87 b Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Frage 4:
Besteht die Möglichkeit, dass die LH München als 100%-Gesellschafterin der Münchenstift GmbH zusätzliche Pflegekräfte finanziert, ohne dass dies zu einem Beihilfeverfahren nach EU-Recht führen würde?
Antwort:
Zum einen wird nach § 82 Abs. 5 SGB XI ausgeschlossen, dass öffentliche Zuschüsse zu den laufenden Aufwendungen einer Pflegeeinrichtung (Betriebskostenzuschüsse) bezahlt werden können, da diese von der Pflegevergütung abzuziehen sind. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass z.B. Kommunen durch Bezuschussung ihrer Einrichtungen den Markt beeinflussen und es soll erreicht werden, dass öffentliche und private Träger von Pflegeeinrichtungen gleichgestellt sind.
Personal, das nicht über die Pflegesätze refinanziert wird, könnte prinzipiell ohne Anrechnung auf die Pflegeleistungen bezuschusst werden. Hier ist aber das EU-Recht zu beachten. Zuschüsse an die MÜNCHENSTIFTGmbH (z.B. auch Eigenkapitalerhöhungen) sind als EU-rechtliche Beihilfe zu werten.
Eine Befreiung von der Notifizierungspflicht bei der EU-Kommission kann u.a. nur erfolgen, wenn das Unternehmen eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse übernimmt (DAWI). Dabei handelt es sich um Leistungen mit besonderer Gemeinwohlverpflichtung, die daher auch defizitären Charakter haben können.
Selbst wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass hier eine DAWI zu begründen wäre, muss man sehen, dass alle anderen Träger von Alteneinrichtungen die gleichen Probleme wie die MÜNCHENSTIFT GmbH haben. Eine Bezuschussung von zusätzlichen Pflegekräften ausschließlich bei der MÜNCHENSTIFT GmbH würde den Markt entscheidend beeinträchtigen und für eine große soziale Unruhe in der stationären Münchner Altenpflege sorgen, die neben der MÜNCHENSTIFT GmbH überwiegend von freien
Trägern erbracht wird.
Zielführend ist folglich nur eine Personalschlüsselerhöhung für alle Träger, die aber nicht durch die Landeshauptstadt München, sondern durch die Kostenträger zu finanzieren ist. Damit sind dann aber auch höhere Pflegesätze verbunden.
Frage 5:
Münchenstift wirbt mit seiner Internet-Präsentation damit, dass es Bewohnervertreter gibt, die „...die Mitwirkung und Mitsprache der Bewohner in unseren Häusern gewährleisten.“
Kommen Situationen, wie sie im Fernsehbericht geschildert wurden, diesen Bewohnervertretern zu Ohren, bzw. wie effektiv können diese Bewohnervertreter wirklich arbeiten, um Missstände im Umgang des Personals mit Bewohnern zu thematisieren oder sogar abzustellen?
Antwort:
Diese Frage wurde an die Vorsitzende des Gesamtgremiums der Bewohnervertretungen und Bewohnerfürsprecher der MÜNCHENSTIFT GmbH
weiter geleitet.
Die Antwort ist als Anlage nachstehend abgedruckt.Rathaus Umschau
Seite 26