Eine neue Monografie erschließt erstmals die kunst- und sozialgeschichtliche Bedeutung des Alten Südlichen Friedhofs. Stadtdirektor Dr. Michael Stephan, Leiter des Stadtarchivs München, stellt am Diens- tag, 28. Oktober, um 11 Uhr in der Aussegnungshalle des Alten Südlichen Friedhofs, Thalkirchner Straße, das Buch „Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München“ vor. Es ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts am Bayerischen Nationalmuseum in Verbindung mit dem Stadtarchiv München, gefördert durch die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung. Der Alte Südliche Friedhof zählte im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Orten Münchens. Zu ihm machte sich an den hohen, demnächst wieder anstehenden Festtagen Allerheiligen und Allerseelen die ganze Stadt auf den Weg. Die Stadtbevölkerung gedachte dort nicht nur ihrer toten Familienangehörigen, sondern besuchte auch die Grabstätten der vielen Berühmten und erfreute sich an der feierlichen Architektur und Grabmalkunst. So gingen hier seit dem frühen 19. Jahrhundert Kunst und Totengedächtnis eine einmalige Symbiose ein. Viele der führenden Künstler jener Zeit, wie die Architekten Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze, die Bildhauer Ludwig von Schwanthaler und Adolf von Hildebrand sowie die Erzgießer Johann Baptist Stiglmaier und Ferdinand von Miller d.Ä. waren auf diesem Friedhof nicht nur tätig. Die meisten von ihnen wurden dort auch beigesetzt. Zusammen mit den Ruhestätten vieler berühmter Gelehrter, von Joseph von Fraunhofer über Friedrich Wilhelm von Thiersch bis Justus von Liebig, zeugten die Künstlergräber vom Ruf Münchens als eine Stadt der Künste und Wissenschaften.
Dass der ehemalige Zentralfriedhof noch heute ein Ort der Kunst ist, war durch die Kriegseinwirkungen lange Zeit vergessen; vieles Wertvolle war unter einem Efeumantel verborgen. Durch die Initiative des zuständigen Referats für Gesundheit und Umwelt, des Stadtarchivs München und des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege konnte zwischen 2003 und 2007 zunächst eine Inventarisierung aller Grabstätten durch die Kunsthistoriker Claudia Denk und John Ziesemer durchgeführt werden. Im Anschluss daran nahmen die beiden ein Forschungsprojekt in Angriff, das der bedeutenden künstlerischen Rolle dieses Friedhofs erstmals gerecht werden wollte. Die Ergebnisse dieser jahrelangen Untersuchungen liegen nun in einer umfangreichen Monografie vor.
Die damalige Sonderstellung dieses Friedhofs innerhalb Deutschlands, ja sogar Europas, ergab sich vor allem daraus, dass sowohl seine Architektur als auch viele herausragende Grabmäler von den hohen Ansprüchen König Ludwigs I. geprägt wurden. Über seine Funktion als bloßer Bestattungsort hinaus besaß der Friedhof in seiner Blütezeit eine eminent identitätsstiftende Bedeutung: Für den ‚Kunstkönig‘ war der Friedhof ähnlich wie die Bayerische Ruhmeshalle und die Walhalla ein Gedenkort, an dem er der künstlerischen, militärischen und politischen Elite huldigte. Auch die Stadt konnte dort mithilfe aufwendiger Grabmäler für die Bürgermeister ihren Weg aus der staatlichen Kuratel in die Selbstverwaltung selbstbewusst darstellen.
Anhand umfangreichen Bild- und Quellenmaterials rekonstruieren die beiden Autoren die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Anlage. Die hohe künstlerische Qualität und die damalige politische Aktualität dieses ersten öffentlichen Gedenkorts in München werden so wieder erfahrbar. Der Katalogteil widmet sich in vertiefenden Einzelanalysen den bedeutendsten erhaltenen Grabstätten. Darüber hinaus werden die Grabmäler in übergreifenden Aufsätzen aus unterschiedlichen Blickwinkeln in die zentralen ästhetischen und memorialen Debatten ihrer Zeit gestellt. Wiederentdeckte bzw. neubewertete Meisterwerke der Sepulkralkunst aus Bronze und
Stein bezeugen, wie sehr dieser Friedhof Teil der „Kunststadt“ München war.
Den Autoren sind dabei eine Fülle von Künstlerzuschreibungen sowie spannende Funde in Münchner Archiven und Sammlungen gelungen, vor allem im Stadtarchiv München, aber auch im Münchner Stadtmuseum, der Staatlichen Graphischen Sammlung und dem Architekturmuseum der Technischen Universität.
„Kunst und Memoria. Der Alte Südliche Friedhof in München“ von Claudia Denk und John Ziesemer (544 Seiten, 615 meist farbige Abbildungen, ISBN 978-3-422-07227-5) ist im Deutschen Kunstverlag erschienen und kostet 49,90 Euro.