Die Landeshauptstadt München zeichnet (Nachwuchs-)Autorinnen und -Autoren für vielversprechende literarische Projekte aus. Die diesjährigen Literaturstipendien werden an Pierre Jarawan für sein Romanprojekt „Am Ende bleiben die Zedern“, Sophia Klink für ihr Romanprojekt „Kakaoschichten menschlicher Unwissenheit“, Markus Ostermair für sein Romanprojekt „Der Sandler“, Denijen Pauljevic für sein Romanprojekt „Mimicria“ sowie Silke Kleemann für ihr Jugendbuchprojekt „Manic Road Movie“ vergeben. Das Stipendium für Übersetzungsprojekte erhält Richard Barth für seine Übersetzung von John Eliot Gardiners „Bach: Music in the Castle of Heaven“. Die alle zwei Jahre vergebenen sechs Stipendien sind mit jeweils 6.000 Euro dotiert.
Zusätzlich wird der Leonhard und Ida Wolf-Gedächtnispreis für Autorinnen und Autoren unter 30 Jahren in Höhe von 3.000 Euro an Jan Reinhardt für sein Prosaprojekt „Elias und Elathyne“ vergeben.
Dies hat heute der als Feriensenat tagende Verwaltungs- und Personalausschuss jeweils auf Empfehlung einer Jury beschlossen.
Aus den Jury-Begründungen (in Auszügen):
Pierre Jarawan: „Am Ende bleiben die Zedern“
„Es ist nicht vorrangig die brennende Aktualität des Themas, dem sich der deutsch-jordanische Schriftsteller Jarawan mit seiner Libanon-Odyssee verschrieben hat, die sein Romanprojekt so vielversprechend macht. Viel- mehr überzeugt dieser Text vor allem durch seine literarische Dynamik und die erzählerische Wahrhaftigkeit, die aus dem Situativen, Vergänglichen überaus glaubhaft universale Leitlinien von Lebens- und Denkweisen frei- legt. Jarawan schickt seinen jungen Protagonisten, den bestmöglich in der
Bundesrepublik integrierten Libanesen Samir, auf eine abenteuerliche, win- dungsreiche Spurensuche in die Heimat seiner Eltern. Was als biographi- sche Rekonstruktion beginnt, entwickelt sich rasch zu einem berührenden Ineinanderführen der Erinnerungskulturen, zugleich aber auch zu einem bedrückenden Panorama von Repression und Identitätsverlust.“
Sophia Klink: „Kakaoschichten menschlicher Unwissenheit“
„Sophia Klinks Prosatext erzählt von drei Abiturienten, die von zwei Leiden- schaften angetrieben werden: von einer wissenschaftlichen Neugier, die sie zu ausgefallenen Forschungsprojekten treibt, und von dem dringenden Bedürfnis, andere Menschen für die Schönheit und die Zerbrechlichkeit der Natur zu sensibilisieren. Marion, Andreas und Benjamin könnten un- terschiedlicher nicht sein: Benjamin, rührend gewissenhaft, der für nichts anderes Augen hat als für seine Herbarien. Andreas, viel zu ungeduldig, der große Reden schwingt, aber nichts riskiert. Und Marion, die Ich-Erzäh- lerin, für die die Autorin eine ganz eigene Sprache findet, sinnlich und doch präzise, den Ton einer klugen jungen Frau, in dem sie mit großer Sensibi- lität die wachsenden Beziehungen zwischen den Protagonisten schildert. So entsteht eine ungewöhnliche und eigenständige essayistische Prosa mit dem Mut zum Ungesagten, zum Unsagbaren und zum Abstrakten. Die Motivwelt aus der Biologie wird von der Autorin außergewöhnlich kundig eingesetzt und lenkt unseren Blick auf Zusammenhänge, die in der Regel unsichtbar für uns sind.“
Markus Ostermair: „Der Sandler“
„Markus Ostermairs Romanprojekt ist eine Spurensuche mitten unter uns: Karl Maurer lebt sein obdachloses Dasein in München, immer geprägt von der Alkoholabhängigkeit. Ostermair nimmt uns mit auf die Spur seines Pro- tagonisten, der neben den kleinen und großen Problemen eines Obdach- losen vor allem vor einer Weichenstellung in seinem Leben davontippelt: Er hat Schuld an dem Tod eines kleinen Jungen, verließ deshalb Frau und Kind, sein ganzes früheres Leben. Dieser Verlust zieht sich durch seinen Alltag, als diffuse Hoffnung, eines Tages wieder anknüpfen zu können. Und dann sorgt wieder der Tod für eine Wendung: Als ein obdachloser Freund stirbt, muss sich Karl Maurer entscheiden, ob er der Straße entfliehen und sich seinen Lebensthemen stellen will. Markus Ostermair gelingt es in sei- nem hervorragend recherchierten und sprachlich überzeugend gestalteten Romanprojekt, den Obdachlosen Karl für den Leser zu entanonymisieren.“
Denijen Pauljevic: „Mimicria“
„Vor den Häschern der Armee getürmt, kommt der junge Ich-Erzähler aus Belgrad nach München. Er findet Unterkunft in einem Asylheim, in dem auch seine Cousine Branka mit ihrer kleinen Tochter lebt. Es ist eine Gesell- schaft der Gestrandeten, unter denen er auch sinistre Koalitionen eingeht, um das Bleiberecht in Deutschland zu erlangen.
Diese Geschichte, die einige Parallelen zur Biographie des Autors aufweist, hätte ein dunkles Rührstück mit eingebauten politischen Empörungsre- flexen werden können. Stattdessen wird mit Denijen Pauljevic ein Autor ausgezeichnet, der sein Können vom Film nutzt, um uns in jeder Szene, in jedem Dialog mit einem ungewöhnlich frischen und unsentimentalen Er- zählzugriff zu überraschen. Pauljevics Blick auf Menschen und Situationen ist genau, seine Darstellung beweglich und mit schnellem Strich gezeich- net. Groteske und Humor transportieren Schweres auf leichten Bahnen, eine Kunst, die man sich für den Zeitroman nur wünschen kann.“
Silke Kleemann: „Manic Road Movie“ (Jugendbuchprojekt)
„Silke Kleemann erzählt in ihrem Buchprojekt „Manic Road Movie“ auf überzeugende Weise die Selbstfindung des vierzehnjährigen Doug. Ge- schickt verwebt sie die Geschichte des Jungen mit der seines manisch depressiven Vaters.
Was als Besuch bei den Großeltern beginnt, endet für Doug in einem abenteuerlichen Trip nach Schottland, zu dem der Vater seinen Sohn in einer manischen Hochphase überredet hat: im wahrsten Sinne ein „Ma- nic Road Movie“. Der flapsige Erzählton des Ich-Erzählers passt sich dem ironisch-distanzierten Blick Jugendlicher auf Familie und Umwelt an. Die Leser hören Doug beim – wie er es selber nennt – „in-sich-Erzählen“ zu. Mit sensiblem Gespür für ihre Charaktere setzt Silke Kleemann das Thema Coming-of-Age sprachlich und dramaturgisch gekonnt um.“
Richard Barth: Übersetzung des Buches „Bach: Music for the Castle of Heaven“ von John Eliot Gardiner
„Gardiners umfangreiches musikwissenschaftliches Werk, das dem Über- setzer Sachverständnis und terminologische Präzision wie auch stilistische Flexibilität abverlangt, analysiert die wichtigsten Werke Bachs mit einem Hauptaugenmerk auf der Vokalmusik. Als aktiver Chor-sänger greift Richard Barth auch selbst zur Partitur, um die Ausführungen des Autors nachzuvoll- ziehen. Argumentiert wird auf dem aktuellen Forschungsstand, doch durch- aus subjektiv-interpretierend und zwischen Fach- und Umgangssprache wechselnd. Dies wie auch die metaphernreiche Sprache meistert Barth bravourös und übermittelt so einen schwungvollen und kenntnisreichen Text. Besondere Erwähnung verdient die Geschmeidigkeit der Syntax. Erst dadurch, dass in der Übersetzung wieder alles seinen Platz findet, wirkt dieser dichte und vielschichtige Text bereichernd, bereitet seine Lektüre Vergnügen.“
Jan Reinhardt: „Elias und Elyathyne“ (Leonhard und Ida Wolf-Gedächtnispreis für Literatur)
„Beeindruckend souverän erzählt der Autor von dem Jungen Elias, der im Rollstuhl sitzt und genau weiß, was er will, aber eingeengt wird von der Fürsorge der Erwachsenen. Entgegenzusetzen hat Elias dem nicht viel –
ein wenig wirkungslosen Protest, ein bisschen Spott für die ungeliebte Therapeutin und seine Schwärmerei für Superheldencomics. Bis er das wundersame Mädchen Elathyne trifft. Auf unaufdringliche Weise erzählt Jan Reinhardt von der einschränkenden Vormundschaft des guten Willens und dem Recht eines jungen Menschen, er selbst zu sein – und von dem Willen, sich diese Freiheit zu nehmen. Das gelingt dem jungen Autor mit großer Stilsicherheit und ohne erzähleri- schen Rückzug ins Pathetische oder Floskelhafte. Der Text ist ironisch und zart an den richtigen Stellen, humorvoll, aber nie klamaukig, und besticht durch seinen erzählerischen Rhythmus. Ein Text, der zwischen Roadnovel, Liebesgeschichte und Coming-of-Age-Roman von genuin Menschlichem erzählt und jüngere wie ältere Leser gleichermaßen ansprechen dürfte. Die Preisverleihung mit öffentlicher Lesung der Stipendiatinnen und Stipendiaten findet am Mittwoch, 21. Oktober, im Literaturhaus München statt. Die ausführlichen Jurybegründungen und Informationen zum Preis und den Jurys sind unter www.muenchen.de/literatur abrufbar.