Erste Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in München priva- tisiert – wer entscheidet, wie mit den Hilfesuchenden umgegangen wird?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Jutta Koller, Dominik Krause und Oswald Utz (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 1.9.2014
Antwort Sozialreferat:
In Ihrer o.g. Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Seit einiger Zeit ist bekannt, dass in der Funkkaserne eine neue Dependance der Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne errichtet werden soll. Wir GRÜNE/rosaliste haben dies sehr begrüßt, da die Enge in der Bayernkasere nicht mehr tragbar ist.
Nun wurde für den 27.8. zu einem runden Tisch in der Funkkaserne eingeladen – leider so kurzfristig, dass es kaum möglich war zu kommen –, bei dem mitgeteilt wurde, dass die Funkkaserne als erste Einrichtung in Bayern nicht von Angestellten der Regierung von Oberbayern, sondern von einer privaten Firma verwaltet und betreut werden sollen. Ausgewählt wurde, ohne Ausschreibung, die Schweizer Firma ORS, bzw. deren gerade vor einigen Tagen gegründete deutsche Tochter.
In der SZ vom 28.8. wurden bereits Fragen laut, warum gerade diese Firma ausgesucht wurde, die in der Schweiz nicht unumstritten ist. Auch im Internet stößt man auf einige Kritik am Umgang der Mitarbeiter von ORS mit den von ihnen betreuten Flüchtlingen.
So soll den Flüchtlingen ein Handyverbot ausgesprochen worden sein, Zuspätkommen wurde mit vorübergehendem Hausverbot bestraft und
sogar von Isolierzellen als Strafmaßnahme ist zu lesen. Es ist unklar, was die Menschen in der Funkkaserne erwartet und wer über die dort geltenden Regeln entscheidet.“
Zu Ihrer Anfrage vom 1.9.2014 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen unter Miteinbeziehung der Stellungnahmen der Regierung von Oberbayern wie folgt Stellung:
Frage 1:
Die Funkkaserne gehört zumindest teilweise der Stadt – warum wurden der Regierung keine Bedingungen hinsichtlich der Betreuung der Flüchtlin-ge gestellt? Schließlich leidet ja die Stadt darunter, wenn es schief läuft – wie sich jetzt bei der Bayernkaserne wieder zeigt.
Antwort:
Die Asylsozialbetreuung wird mit Beschlüssen des Feriensenats vom 27.8.2014 und des gemeinsamen Kinder- und Jugendhilfeausschusses und Sozialausschusses vom 4.11.2014 durch die Landeshauptstadt München mitfinanziert. Somit wird auf den Umfang und die Inhalte der Asylsozialbetreuung Einfluss genommen. In der Funkkaserne wird die Innere Mission München mit Besetzung der hierfür vorgesehenen Stellen die Asylsozialbetreuung vor Ort ausüben.
Frage 2:
Warum wurde entschieden, dass die Funkkaserne privat betrieben werden soll?
Antwort:
Als sich die Situation in der Bayernkaserne insbesondere im Lauf des Junis 2014 verschärfte, intensivierte die Regierung von Oberbayern ihre Bemühungen um Gewinnung neuer Asylbewerberunterkünfte. Mitte Juli 2014 wurde klar, dass die Funkkaserne aufgrund ihres guten baulichen Zustands innerhalb weniger Wochen ertüchtigt werden kann. Aufgrund dieser schnellen Verfügbarkeit wurde entschieden, anders als bisher (z.B. bei den bestehenden Dependancen oder der Bayernkaserne selbst) die
Dienstleistungen für die Funkkaserne nicht jeweils einzeln oder separat zu beauftragen. Unter diesen Prämissen – gebündelte Dienstleistungen aus einer Hand – wurden Angebote von mehreren Anbieterinnen und Anbietern eingeholt und daraufhin die ORS Deutschland GmbH (ors) beauftragt, vgl. Antwort zu Frage 3.
Die Regierung von Oberbayern arbeitet schon bisher, auch in der Erstaufnahmeeinrichtung München, mit verschiedenen Dienstleisterinnen und Dienstleistern zusammen. Neu ist insofern, dass die Regierung von Oberbayern diese Dienstleistungen nun „gebündelt“ aus einer Hand in Auftrag gegeben hat. Die Regierung von Oberbayern ist aber in der Funkkaserne wie auch in der Bayernkaserne und den anderen Dependancen die verantwortliche Betreiberin und Inhaberin des Hausrechts.
Frage 3:
Weshalb wurde eine in Deutschland bisher unbekannte Agentur beauftragt und nicht mit bekannten Anbietern verhandelt?Antwort:
Aufgrund der Dringlichkeit und Kurzfristigkeit der Inbetriebnahme wurde der Auftrag nicht über eine Ausschreibung, sondern freihändig vergeben. Dabei wurden den gesetzlichen Vorgaben entsprechend drei Angebote – auch von in Deutschland ansässigen und bekannten Anbieterinnen und Anbietern – eingeholt. Aufgrund des Gesamtkonzepts und unter Würdigung z.B. von Wirtschaftlichkeit, Qualität der Dienstleistungen und geplanter Mitarbeiterstruktur wurde der ors der Auftrag erteilt.
Frage 4:
Was ist bekannt über die Geschäftsführung der gerade erst gegründeten deutschen Tochter der ORS?
Antwort:
Der Regierung von Oberbayern ist die Kritik in den Schweizer Medien zur ors bekannt. Die Regierung von Oberbayern hat diese Kritik mit der ors im Rahmen des Angebotsverfahrens, sprich vor Auftragsvergabe, ausführlich und intensiv besprochen. Umgekehrt ist auch die ors gegenüber der Regierung von Oberbayern offen und transparent mit diesem Thema umgegangen und konnte die Kritik umfänglich und nachvollziehbar entkräften.
Frage 5:
Wer stellt sicher, dass die Standards im Umgang mit den Flüchtlingen in der Funkkaserne nicht schlechter sind als in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen?
Antwort:
Der mit der ors geschlossene Vertrag regelt das spezifisch auf die Anforderungen der Erstaufnahmeeinrichtung München ausgerichtete Dienstleistungskonzept. Die Umsetzung und Einhaltung der vertraglichen Regelungen wird von der Regierung von Oberbayern – wie bei den sonstigen von uns beauftragten Dienstleisterinnen und Dienstleistern auch – fortlaufend kontrolliert.
Frage 6:
Welches sozialpädagogische Angebot wird es geben und wie wird dies in das bestehende Netzwerk in München integriert werden können?
Antwort:
Mit der Asylsozialberatung ist auch in der Funkkaserne die Innere Mission München beauftragt. Das Angebot läuft synchron zur Betreuung in denbisherigen Erstaufnahmestandorten. Geplant ist die Betreuung vor Ort in der Funkkaserne, wofür, wie auch für flankierende Angebote, ausreichend Räume zur Verfügung stehen.
Am 10.11.2014 begann ein Deutschunterricht durch eine staatliche Lehrkraft, jeweils Montag bis Donnerstag 8.30 – 12 Uhr.
Es steht ein Schulraum für 15 Personen zur Verfügung. ors übernimmt die Ausstattung mit Stühlen und Tischen. Bei großem Andrang kann ein großer Sozial- und Sportraum genutzt werden.
Frage 7:
Lt. Süddeutsche hat ORS angekündigt, für eine „Tagesstruktur für die Flüchtlinge“ zu sorgen, unter anderem durch „gemeinsames Putzen“. Wie ist dies mit dem totalen Arbeitsverbot zu vereinbaren, dem die Flüchtlinge unterliegen? 1-Euro-Jobs kann ORS als gewinnorientiertes Unternehmen ja wohl nicht anbieten, mangels „Gemeinnützigkeit“.
Antwort:
In allen Erstaufnahmestandorten der Regierung von Oberbayern besteht für Asylbewerberinnen und Asylbewerber gemäß den asylrechtlichen Regularien die Möglichkeit, für 1,05 Euro je Stunde mitzuarbeiten. Es gelten hier dieselben Voraussetzungen wie bei Ein-Euro-Jobs. Auch in der Funkkaserne können Asylbewerberinnen und Asylbewerber daher von dieser Möglichkeit (freiwillig) Gebrauch machen. Arbeitsgelegenheiten nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz wurden in der Funkkaserne für alle gemeinnützigen Tätigkeiten, die nicht zu den Obliegenheiten der Firma ors zählen, bereits eingerichtet.
Frage 8:
Die Regierung sagt, das Hausrecht liege weiter bei ihr – wie und durch wen will sie das durchsetzen?
Antwort:
Wie in allen sonstigen Dependancen auch übt die Regierung von Oberbayern das Hausrecht aus. Das ist im Vertragswerk mit der ors festgelegt und wird auch so praktiziert. Das schließt aber nicht aus, dass die ors nach den erwähnten vertraglichen Vorgaben der Regierung von Oberbayern laufende oder alltägliche Besuche selbst erlaubt. Über Pressebesuche oder sonstige, über den alltäglichen Betrieb hinausgehende Besuche entscheidet die Regierung von Oberbayern.Frage 9:
Wer formuliert die Hausordnung?
Antwort:
Die Hausordnung basiert auf dem von der Regierung von Oberbayern für alle Dependancen geltenden Muster.
Frage 10:
Haben die dann in der Funkkaserne Beschäftigten das Recht „Strafen zu verhängen“ oder ein Handyverbot auszusprechen?
Antwort:
Wie auch in allen anderen Dependancen sind eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierung wie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Dienstleisterinnen und Dienstleistern im Rahmen Ihres jeweiligen Aufgabenspektrums befugt, auf die Einhaltung der Hausordnung hinzuwirken. Damit ist aber nicht die Befugnis verbunden, „Strafen zu verhängen“.
Frage 11:
Ist der Zugang für Beratungsinitiativen und sonstige Ehrenamtliche gesichert?
Antwort:
Der Zugang von Ehrenamtlichen wird wie bei allen anderen Standorten auch von der Inneren Mission München gebündelt und gesteuert. Für die Angebote von Beratungsinitiativen können nach Aussage von ors gesonderte Beratungszimmer zur Verfügung gestellt werden.