Verschobene Einbringung des Haushalts 2016: Wo stockte der städti- sche Informationsfluss?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Katrin Habenschaden und Dr. Florian Roth (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 26.10.2015
Antwort Stadtkämmerer Dr. Ernst Wolowicz:
Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
„Am 15.10.2015 erklärte OB Dieter Reiter zur Haushaltsverschiebung in einer Pressemitteilung, dass der Kämmerer ihm von neuen Erkenntnissen berichtet hatte, die den ursprünglichen Haushaltsentwurf als ,teilweise überholt erscheinen ließen‘. Dabei werden auf der Einnahmenseite vor- rangig die wirtschaftliche Situation der Stadtwerke München, auf der Aus- gabenseite die referateübergreifenden höheren Budgetanmeldungen ge- nannt. Dabei erhöhen sich die Personalausgaben noch einmal um mehr als 100 Mio. Euro. Außerdem erklärte der Oberbürgermeister, dass sich auch die Kosten für die Schulbauoffensive, hier ging das verantwortliche RBS anfangs von Gesamtkosten von rund 1,8 Mrd. Euro aus, nun auf 9 Mrd. Euro erhöht haben. Unklar ist, wie es bei Erarbeitung des Haushaltsplans 2016 nach der Sommerpause zu solch schwerwiegenden Veränderungen kommen konnte, die nun eine Komplettüberarbeitung der Zahlen notwen- dig machen, ohne dass diese Informationen bereits vorher an alle relevan- ten Beteiligten flössen.“
Vorbemerkung:
Zunächst erscheint es sinnvoll, das generelle Verfahren zur Erarbeitung des Haushaltsplanentwurfes zu erläutern: die Stadtkämmerei erhält in den Monaten März und April die Anmeldungen der Referate für die aus ihrer Sicht notwendigen Haushaltsansätze des nächsten Jahres. Nach der Überprüfung durch die Kämmerei entsteht Juli/August daraus eine erste „Feinfassung“ des Haushalts. Kleinere Korrekturen werden noch bis Mitte September eingearbeitet. Das Gesamtwerk – die mittlerweile 14 Bände umfassen Hunderte von Seiten – muss dann bis spätestens Anfang Oktober in Druck gehen, damit die Einbringung des Haushaltes in den Stadtrat Mitte Oktober erfolgen kann.
Dies bedeutet, dass weder die Beschlüsse aus dem September- noch aus dem Oktober-Plenum in den Haushaltsentwurf eingearbeitet werden. Auch ein Ausblick auf das November- bzw. das Dezember-Plenum kann noch nicht gegeben werden.Um dem Stadtrat einen aktuelleren Stand der Haushaltslage zu vermitteln, stellen wir im Dezember den sogenannten Schlussabgleich des Haushaltsplan-Entwurfes vor. Erst dann wurden bisher Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf dem Stadtrat vorgelegt.
In finanziell guten Zeiten stellte diese Praxis auch kein Problem dar. Diesmal sind die Vorzeichen für das Jahr 2016 jedoch alles andere als rosig, denn sie haben sich im Frühherbst gravierend verschlechtert. „Business as usual“ war aus meiner Sicht daher nicht angebracht, auch wenn es für Verwaltung und Politik zunächst einfacher wäre.
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
1. zur wirtschaftlichen Situation der Stadtwerke München:
Frage 1.1.:
Wann hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft als Betreuungsreferat erst- malig von den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen erfahren?
Frage 1.2:
Wann hat das Referat für Arbeit und Wirtschaft die Kämmerei davon unter- richtet, um so eine zeitnahe Einarbeitung in den Haushaltsentwurf sicher zu stellen?
Antwort:
Das RAW hat zu diesen Fragen folgende Antwort übermittelt: „Dem Referat für Arbeit und Wirtschaft ist der ,Bericht für den SWM Konzern zum 30.06.2015‘ vom 07.09.2015, der gleichzeitig im Rahmen der regelmäßigen Berichterstattung an den Aufsichtsrat der SWM versandt wird, mit Anschreiben vom 10.09.2015 am 15.09.2015 zugegangen. Dem Stadtrat wurden die Informationen aus dem Bericht für den SWM Konzern zum 30.06.2015 mit dem Oktoberbericht am 13.10./21.10.2015 zur Kenntnis gebracht. Dem Stadtrat wird mit Bericht zum effektiven Leistungscontrolling am 10.11./19.11.2015 noch einmal detailliert über den Stand der Hochrechnung zum 30.06.2015 berichtet.
Oben genannte Berichte sind der Kämmerei jeweils ebenfalls zugegangen.
Allerdings standen und stehen Entscheidungen aus, die noch einen erheblichen Einfluss auf das Ist-Ergebnis der SWM im Jahr 2015 haben können: In der Hochrechnung Stand 30.06.2015 der SWM ist einerseits noch nicht der Erlös aus dem Ankauf der Grundstücke der SWM durch dieLHM eingeflossen (Beschluss in der VV vom 21.10.2015). Andererseits hat die SWM bereits Wertberichtigungen und Zuführungen zu Rückstellungen angekündigt, die in ihrer Höhe jedoch erst am Jahresende, auch in Abstimmung mit dem Wirtschaftsprüfer, aktuell berechnet werden können.“
Die Stadtkämmerei stellt dazu ergänzend fest:
Für die Gewinnabführung der SWM GmbH an den städtischen Haushalt hatte das RAW an die Stadtkämmerei für den Entwurf des Haushaltes den Wert von 214 Mio. Euro gemeldet. Eine Korrektur dieser Meldung an die Stadtkämmerei erfolgte durch das RAW bis heute nicht.
In dem vom RAW erwähnten Bericht über den SWM-Konzern vom 07.09. (der die Stadtkämmerei, wie das RAW zurecht schreibt, Mitte September erreichte) wird das Ergebnis der SWM GmbH mit keinem Wort erwähnt. Dieses Ergebnis ist aber das Maß für die Gewinnabführung an die LHM.
Vielmehr konnte erst aus dem Bericht zum Leistungscontrolling, der in der Stadtkämmerei erst Ende Oktober / Anfang November vorlag, mit der aktualisierten Hochrechnung zum 30.6.2015 eine vermutlich geringere Gewinnabführung entnommen werden.
Die Stadtkämmerei hat jedoch aufgrund der Erkenntnisse z. B. aus der Aufsichtsratssitzung vom 8.10.2015 nicht mehr damit gerechnet, dass der vom RAW gemeldete Betrag erreicht werden kann, sondern vielmehr mit einem eventuellen völligen Wegfall der Gewinnabführung zu rechnen ist.
Frage 1.3:
Wann erlangte der Oberbürgermeister, gleichzeitig der Vorsitzende des Aufsichtsrats der SWM, hiervon und den damit verbundenen Auswirkun- gen auf den städtischen Haushalt Kenntnis?
Diese Frage wird unter 4.2. beantwortet.
Frage 1.4:
Warum wurden höhere Haushaltsansätze der Referate incl. mehr Personal erst jetzt gemeldet?
Diese Frage wird unter 4.1. beantwortet.
2. zur Baukostenerhöhung der Schulbauoffensive:Frage 2.1:
Welches ist, aufgrund der Widersprüchlichkeit der kursierenden Baukosten, die Berechnungsgrundlage, auf welche sich die Kostenaussage des Ober- bürgermeisters („fast 9 Mrd. Euro“) stützt?
Antwort:
Zitat Oberbürgermeister Reiter aus der Pressemitteilung vom 15.10.2015: „Wir werden bis zum Jahr 2030 fast 9 Mrd. Euro für Schulbauten ausgeben.“
Die genannten knapp 9 Mrd. Euro setzen sich aus folgenden Positionen zusammen:
- Kosten aller im MlP, Investitionsliste 1 enthaltenen laufenden Schulbaumaßnahmen bis einschließlich 2021 ff. rd. 1,1 Mrd. €
- Finanzrahmen für das geplante 1. Bauprogramm 2015 (AA-Priorität) rd. 1,5 Mrd. €
- Finanzrahmen für das geplante 2. Bauprogramm 2016 (AA-Priorität) rd. 1,5 Mrd. €
- Finanzrahmen für die weiteren geplante Bauprogramme der AA-Prioritäten rd. 3,0 Mrd. €
- Finanzrahmen für den Bildungscampus Freiham rd. 0,3 Mrd. €
- Finanzrahmen für weiten geplanten 32 Standorte der A-Priorität rd. 1,5 Mrd. €
Summe: rd. 8,9 Mrd. €
Alle Schulbaumaßnahmen mit derzeit 114 Standorten der AA-Priorität erfordern damit nach einer ersten groben Einschätzung einen Finanzbedarf von 6,0 Mrd. Euro. Die Differenz zu den 4,5Mrd. Euro ist darauf zurück- zuführen, dass nun für eine Vielzahl der angedachten Maßnahmen Machbarkeitsstudien vorliegen, die zeigen, dass am Standort zusätzliche bauliche Maßnahmen erforderlich sind. Darüber hinaus ist bei allen Projekten, entsprechend der sehr frühen Planungsphase ein Risikoaufschlag von 25 % (Standortrisiken, Risiken der Bausubstanz, Baupreissteigerungen, etc.) eingerechnet, der in den 4,5 Mrd. Euro nicht enthalten war.
Frage 2.2:
Wann war diese Kostensteigerung (Februar 2014: 1,8 Mrd. Euro, Septem- ber 2015: 4,5 Mrd. Euro, Oktober 2015: 9 Mrd. Euro) dem Referat für Bil- dung und Sport bekannt?
Das Referat für Bildung und Sport teilt zu dieser Frage mit:Die 4,5 Mrd. Euro beruhen auf einer grob überschlägigen Schätzung des RBS zum möglichen Finanzvolumen ohne konkrete Projektplanung und ohne pauschalen Aufschlag für Risiken und Unvorhergesehenes und stellte den Sachstand vor Abschluss der Arbeiten der Task Force AG Schulbauoffensive dar.
Die Stadtkämmerei stellt dazu ergänzend fest:
Der rechnerische Gesamtbetrag für alle laufenden und geplanten Schulbauaktivitäten wurde anlässlich der Erstellung des MIP-Entwurfs 2015 – 2019 sowie der Bekanntgabe der „Großen Vorhaben in kommenden Jahren“ für die Behandlung in der Vollversammlung am 21.10.2015 erstellt. Die kompletten Daten lagen erst Ende September vor. Die entsprechenden Unterlagen wurden ca. 10 Tage vor der Vollversammlung an die Referate verteilt. In der Bekanntgabe der Großen Vorhaben war die bei Ziffer 2.1 dargestellte Berechnung enthalten. Eine umfassende Einbindung und Abstimmung des RBS im Vorfeld konnte aufgrund des sehr engen Zeitfensters nicht erfolgen.
Die Differenz zwischen den vom RBS genannten 4,5 Mrd. Euro und der vom Oberbürgermeister benannten Summe von 8,9 Mrd. Euro ergibt sich also daraus, dass der Oberbürgermeister zum einen alle derzeit vorstellbaren Schulbaumaßnahmen (neben den AA-Prioritäten auch auch die A-Prioritäten und die anderen schon im MIP aufgeführten weiteren Schulbaumaßnahmen) meinte und zum anderen daraus, dass die Kostenschätzung der AA-Prioritäten Anfang Oktober aktualisiert und um einen Risikoaufschlag erhöht wurde.
Frage 2.3:
Wann hat das Referat für Bildung und Sport die Kämmerei davon unterrich- tet, um so eine zeitnahe Einarbeitung in den Haushaltsentwurf sicher zu stellen?
Im Haushaltsentwurf 2016, der für die Vollversammlung am 21.10.2015 vorgesehen war, sind nur die Mittelbedarfe für die laufenden Schulbaumaßnahmen zum Stand Juli enthalten. Für das ursprünglich in der Vollversammlung im Dezember 2015 vorgesehene 1. Schulbauprogramm 2015 sowie für erste Projektentwicklungsarbeiten für das 2. Schulbauprogramm 2016 sind im Haushaltsentwurf noch keine Ansätze vorhanden.
Allerdings wurde bereits in der Vollversammlung am 29.07.2015 im Zusammenhang mit der Vorschau auf die kommenden Schulbauprogramme diePauschale für vorlaufende Planungskosten auf 6,5 Mio. Euro im Jahr 2016 erhöht.
Die von der Stadtkämmerei aufgestellte Übersicht der Kosten aller Schulbaumaßnahmen führte nicht zu einer Verschlechterung im Haushaltsentwurf 2016.
Frage 2.4:
Wann erlangte der Oberbürgermeister hiervon und den damit verbunde- nen Auswirkungen auf den städtischen Haushalt Kenntnis? Diese Frage wird unter 4.2. beantwortet.
3. zur Erhöhung der Personalkosten:
Frage 3.1:
Wann war die Steigerung der Personalkosten („noch einmal mehr als 100 Millionen Euro“) dem Personal- und Organisationsreferat bekannt?
Frage 3.2:
Wann hat das Personal- und Organisationsreferat die Kämmerei davon unterrichtet, um so eine zeitnahe Einarbeitung in den Haushaltsent- wurf sicher zu stellen?
Das Personal- und Organisationsreferat teilt zu diesen Fragen mit:
„Zu 3.1:
Entsprechend der engen Terminschiene bei der Kalkulation der Personalauszahlungen hat das POR
- mit dem Stichtag 31.07.2015 eine technische Stellenplankopie erstellt - am 14.08.2015 die technische Datensammlung (alle vorhandenen Stellen inkl. zugehörender Personen) abgeschlossen
- bis zum 19.08.2015 die Systemeinstellungen überprüft und alle Planungsunterlagen für die Referate erstellt
-am 20.08.2015 den Referaten das System zur Erstellung der Referatskostenpläne zur Verfügung gestellt und die Planungsunterlagen übersandt
- die Referate bis zum 11.09.2015 bei den Planungsaktivitäten unterstützt bis zum 27.09.2015 die Planungen der Referate technisch und inhaltlich überprüft und aufbereitet
- am 28.09.2015 die Planwerte mit der Stadtkämmerei abgestimmt
bis zum 05.10.15 notwendige Korrekturen in die Planung eingearbeitet - am 06.10.2015 die Planwerte in das MKRw übergeben.-Parallel zum Planungsgeschäft die Unterlagen für die Präsentation im Stadtrat erstellt
- am 09.10.2015 die Planung im Stadtratsseminar vorgestellt.
Zu 3.2:
Entsprechend der aufgezeigten Vorgehensweise wurde der Stadtkämmerei am 28.09.2015 in einem Gespräch das Kalkulationsergebnis vorgestellt.“
Frage 3.3:
Wann erlangte der Oberbürgermeister hiervon und den damit verbunde- nen Auswirkungen auf den städtischen Haushalt Kenntnis? Diese Frage wird unter 4.2. beantwortet.
4. zur Erhöhung der Budgetansätze der Referate (allgemein):
Frage 4.1:
Wann gingen die erhöhten Budgetmeldungen der anderen Referate bei der Kämmerei ein?
Die Meldungen der Referate über Sachkosten gingen bei der Stadtkämmerei bis zum 18.09. ein, die Meldung über Personalkosten bis zum 28.09. Danach hat die Stadtkämmerei die Meldungen überprüft und ggf. Rückfragen bei den Referaten vorgenommen, bevor aus den Meldungen Anfang Oktober eine Gesamtübersicht erstellt wurde.
Frage 4.2:
Wann erlangte der Oberbürgermeister hiervon und den damit verbunde- nen Auswirkungen auf den städtischen Haushalt Kenntnis?
Wie aus den Einzelantworten ersichtlich, gingen die Informationen zu den angesprochenen Fragen fast zeitgleich Ende September / Anfang Oktober bei der Stadtkämmerei ein.
Zudem gab es zu diesem Zeitpunkt noch weitere, in der Anfrage nicht angesprochene Verschlechterungen für die Finanzlage der Landeshauptstadt München: so wurden in vertraulichen Gesprächen mit großen Gewerbesteuerzahlern Ende September gegenüber der Stadtkämmerei geringere Zahlungen für das Jahr 2016 angekündigt und zusätzlich ergab sich durch Meldungen für den Nachtragshaushalt 2015 ein deutlich höherer Abfluss an Finanzmitteln für das laufende Jahr, wodurch sich der prognostizierte Anfangsbestand für das Jahr 2016 erheblich verminderte.Ich habe den Oberbürgermeister am 08.10. über alle diese einzelnen Faktoren informiert und ihm dargestellt, wie erheblich sich dadurch die finanzielle Gesamtsituation verändert und dass der mit Stand Juli 2015 erarbeitete Haushaltsentwurf grundlegend überarbeitet werden muss, um dem Stadtrat keine irreführende Information als Grundlage für die Haushaltsdiskussion zu geben. Daher habe ich dem Oberbürgermeister empfohlen, die Haushaltseinbringung vom Oktober in den November zu verschieben, um dann eine aktualisierte Fassung des Haushaltsentwurfes vorlegen zu können, die am 19.11. in den Stadtrat eingebracht wird.