Bricht der Infektionsschutz in München zusammen?
Anfrage Stadträtin Brigitte Wolf (Die Linke) vom 5.1.2015
Antwort Joachim Lorenz, Referent für Gesundheit und Umwelt:
Ihrer Anfrage legen Sie folgenden Sachverhalt zu Grunde:
„Der Infektionsschutz in München gehört zu den gesetzlich geregelten Pflichtaufgaben der Stadt und ist ein wichtiger Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge. Der Infektionsschutz dokumentiert nicht nur die regelmäßigen Grippewellen, sondern ist vor allem wesentlich zur Vorbeugung und Bekämpfung aller Krankheitsbilder, die zu Epidemien führen können, sei es die Vogel- bzw. Schweinegrippe, Masern, Noroviren, Aids, Ebola, ...
Um so Besorgnis erregender ist es, dass innerhalb nur eines Jahres sieben von elf Ärztinnen und Ärzten das Sachgebiet Infektionsschutz der gleichnamigen Abteilung verlassen haben bzw. bis Ende des ersten Quartals 2015 verlassen werden. Bereits seit längerer Zeit konnten Arztstellen des Sachgebietes Tuberkulose der Abteilung Infektionsschutz nicht nach besetzt werden. Damit ist nicht nur ein gravierender Verlust an Fachkenntnissen verbunden, auch die Arbeitsfähigkeit der ganzen Abteilung ist gefährdet.“
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage zur Beantwortung zugeleitet. Die darin aufgeworfenen Fragen beantworte ich wie folgt:
Frage 1:
Wie gewährleistet die Stadt aktuell den Infektionsschutz mit den geringen ärztlichen Restkapazitäten?
Antwort:
In der gesamten Abteilung Infektionsschutz des RGU sind die insgesamt 20 Arztstellen (19,5 VZÄ = Vollzeitäquivalente) aktuell mit 13 Ärztinnen und Ärzten mit 11,2 Vollzeitäquivalenten besetzt. Derzeit sind auf Grund einer stadtinternen Versetzung, einer Ruhestandsversetzung, eines Erziehungsurlaubs und vier Kündigungen zusätzlich zu einer schon länger unbesetzten Stelle insgesamt gut 8 VZÄ unbesetzt, zwei weitere Kündigungen werden zum 1.4. bzw. 1.7.2015 wirksam. Die nicht besetzten Stellen werden aktuell durch Zuschaltung ärztlicher Kapazität aus anderen Organisationseinheiten der Abteilungen Infektionsschutz und ärztliche Gutachten sowie durch Stundenaufstockung einer bereitsbeschäftigten ärztlichen Mitarbeiterin teilweise ausgeglichen. Zwei vakante Stellen wurden bereits in Teilzeit nachbesetzt, eine zum 1.2.2015, eine weitere zum 1.10.2015. Die anderen 7 Stellen befinden sich im Ausschreibungsverfahren, es gibt Interessenten für die Tätigkeit. Die Stelle eines Lungenfacharztes konnte trotz mehrerer Ausschreibungsverfahren und Gewährung einer Marktzulage seit fast zwei Jahren nicht besetzt werden. Hier wird in Zusammenarbeit mit dem POR durch Vergabe
der Suche an eine Vermittlungsfirma weiterhin alles unternommen, um einen entsprechend qualifizierten Arzt für das Sachgebiet Tuberkulose zu akquirieren.
Der Infektionsschutz war mit den vorhandenen ärztlichen Kapazitäten im RGU und Priorisierung der Aufgabenbereiche bisher zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.
Frage 2:
Welche Vorkehrungen werden getroffen, um bei dem jederzeit möglichen Ausbruch von Epidemien handlungsfähig zu bleiben?
Antwort:
In der Abteilung Infektionsschutz ist auch der Stab für besondere Lagen angesiedelt, zu dessen Aufgabe die Erarbeitung und Umsetzung von Ablaufplänen bei außergewöhnlichen Situationen (z.B. pandemische Influenza, Ebola, Pocken usw.) gehört. Einfache Ausbrüche können mit der jetzigen Personalbesetzung im zuständigen Sachgebiet bzw. der Abteilung bearbeitet werden. Bei bedrohlichen Ausbrüchen werden, wie auch bei anderen außergewöhnlichen Ereignissen (z.B. Riegelungsimpfung wegen Masern in der Bayernkaserne 2014), personelle Kapazitäten aus allen Gesundheitsabteilungen des RGU zusammen gezogen.
Frage 3:
Wenn zwei Drittel der Beschäftigten ein Sachgebiet einer Abteilung in so kurzer Frist verlassen, liegt dies häufig auch an Missständen in der betreffenden Organisationseinheit selbst. Gibt es Hinweise auf solche abteilungsspezifischen Gründe, z.B. aus der Great-Place-To-Work- Befragung? Oder von den Ausscheidenden selbst?
Antwort:
Im Sachgebiet Infektionsschutz der gleichnamigen Abteilung sind derzeit 31 Stellen mit 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit 23 VZÄ besetzt, davon 7 im ärztlichen Bereich. 5 Stellen im ärztlichen Bereich sind derzeit unbesetzt, 2 Stellen werden im Laufe des Jahres 2015 zusätzlich frei, 2 Stellen wurden mit 1,2 VZÄ bereits wieder vergeben.Im Jahr 2014 hatte die Abteilung Infektionsschutz eine massive
Arbeitsverdichtung zu verkraften, mitbedingt durch den Ebola-
Ausbruch in Westafrika und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Infektionsschutz in München sowie den Masernausbruch in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in der Bayernkaserne mit der daraus folgenden groß angelegten Riegelungsimpfung. Es ist nicht auszuschließen, dass das die Kündigungen begünstigt hat.
Mit jeder ausscheidenden Ärztin hat die Abteilungsleitung Gespräche geführt, in denen auch die Gründe für die Kündigung offen und vertrauensvoll kommuniziert wurden. Es handelte sich zum über-
wiegenden Teil um die Verwirklichung von Lebensperspektiven
wie eine Tätigkeit in der Praxis, Vorbereitung eines Auslandsaufenthalts, Antritt einer längeren Weiterbildung. In einem Fall wurde Unzufriedenheit mit dem bestehenden Arbeitsplatz als Hauptgrund angegeben.
Der Great-Place-to-Work Prozess wird intensiv bearbeitet mit einem besonderen Fokus auf die Abteilung IFS. Unabhängig davon wurden bereits Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen in der Abteilung eingeleitet (siehe Frage 4).
Frage 4:
Welche Maßnahmen werden getroffen, um möglichst umgehend wieder eine leistungsfähige Abteilung bzw. Sachgebiet Infektionsschutz zu erhalten?
Antwort:
Die bisherige Leistungserbringung der Abteilung Infektionsschutz hinsichtlich des Schutzes der Bevölkerung (Kernaufgabe) war zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt. Priorisierungen und damit Abstriche im Bereich der Infektionssurveillance, also der Datenakquise und Übermittlung, waren allerdings notwendig, um dies zu gewährleisten. Da momentan alle Kompensationsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung
der Kernaufgabenerledigung ausgeschöpft sind, womit künftig
außergewöhnliche Situationen nur durch externe Zuschaltungen
zu bewältigen wären, kommt der Personal-Nachbesetzung die ent- scheidende Bedeutung zu. Alle Nachbesetzungsverfahren wurden
umgehend nach Bekanntwerden der Kündigungen bzw. Versetzung
angestoßen. Zudem wurden, wie oben bereits erwähnt, Ärztinnen und Ärzte aus anderen Abteilungen bzw. Sachgebieten vorübergehend abgeordnet. Parallel dazu finden kontinuierlich Gespräche zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Führungskräften, teilweise auchunter Einbindung der örtlichen Personalvertretung, zu Maßnahmen der Prozessoptimierung statt. Für das Jahr 2015 ist eine durch das POR begleitete Organisationsentwicklungsmaßnahme eingeleitet, die neben der Reduzierung der Leitungsspanne im Bereich der operativen Führung auch eine Umorganisation der Zusammenarbeit zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Bereichen prüfen soll. Das RGU verspricht sich durch Prozessoptimierungen und strukturelle Veränderungen (Bündelung von Aufgaben in Sachgebieten) eine Effizienzsteigerung und damit eine Entlastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Zusätzlich sollen gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen in
den kommenden Jahren im Einklang mit den Ergebnissen der
Organisationsentwicklung die Leistungsfähigkeit der Abteilung dauerhaft mit gewährleisten.