Temporäres Wohnen im Kerngebiet?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dr. Wolfgang Heubisch, Dr. Michael Mattar, Gabriele Neff, Thomas Ranft und Wolfgang Zeilnhofer-Rath (Fraktion Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung) vom 13.10.2014
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 13.10.2014 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beant
wortet wird.
Wir bedanken uns zunächst für die gewährte Fristverlängerung.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung verweist stets darauf, dass in Kerngebieten der Wohnungsanteil auf maximal 30 % der ausgewiesenen Flächen beschränkt ist. In der Ver gangenheit wäre in einigen Fällen aus städtebaulicher Sicht ein höherer Wohnanteil wün- schenswert gewesen. Zudem kommt es immer wieder vor, dass Investoren in Kerngebieten in München gerne eine höhere Wohnquote verwirklichen wollen, da Nachfrage nach Wohnungen besteht und sich die Vermarktung für Büro bzw. Gewerbe nicht immer leicht gestaltet.
Auf der anderen Seite haben wir in München das Problem, dass Wohnraum durch temporäre Vermietungen zweckentfremdet wird. Die Möglichkeit, Boardinghäuser in Kerngebieten unter zubringen, ist
grundsätzlich gegeben. Es stellt sich die Frage, ob auch andere rein temporäre Wohnnutzungen, die einem Boardinghaus vergleichbar wären, in Kerngebieten erlaubt werden können.“
Frage 1:
Welche Voraussetzungen müssen temporäre Wohnnutzungen in Kern- gebieten erfüllen, damit sie unter den Anteil der gewerblichen Nutzung fielen?
Antwort:
Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur (§ 7 Abs.1 Baunutzungsverordnung - BauNVO). Wohnnutzung ist nur im Umfang des § 7 Abs. 1 Ziffer 6 BauNVO (Woh nungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen) und § 7 Abs. 1 Ziffer 7 BauNVO (sonstige Wohnungen nach Maßgabe der Festsetzungen des Bebauungsplanes)zulässig. Ausnahmsweise können weitere Wohnungen zugelassen werden (§ 7 Abs. 3 Ziffer 2 BauNVO).
§ 7 Abs. 4 BauNVO ermöglicht verbindliche Festsetzungen zum Umfang der Wohnnutzung, sofern „besondere städtebauliche Gründe“ vorliegen. Diese Vorschriften gestatten keine unbeschränkte Festsetzung von Wohnungen. Erlaubt sind vielmehr nur solche Festsetzungen, bei denen die allgemeine Zweckbestimmung eines Kerngebietes gewahrt bleibt. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung nutzt konsequent die Möglichkeit, in Kerngebieten Wohnanteile in dem Umfang festzusetzen oder zuzulassen, dass einerseits Wohnen in größtmöglichem Um fang erfolgen kann, ohne andererseits den Gebietscharakter eines Kerngebietes in Frage zu stellen. Der jeweils festgelegte oder mögliche Wohnanteil ist jedoch abhängig von Lage, Zuschnitt und ggf. Immissionsbelastung des jeweiligen Kerngebietes.
Der Begriff „temporäre Wohnnutzung“ ist rechtlich nicht definiert und mehrdeutig. So versteht man z.B. im Baurecht unter einer temporären Nutzung in der Regel eine zeitlich begrenzte Zwischennutzung bis zur Aufnahme einer endgültigen, eigentlich vorgesehenen Nutzung.
Vorliegend bedeutet die Bezugnahme auf ein Boardinghaus, dass kein dauerhaftes Wohnen gemeint ist, sondern temporäre Mietverhältnisse für jeweils kurze Zeiträume.
Für Boardinghaus-Nutzungen gibt es keine feste Definition.
Je nach Betriebsbeschreibung geht es um Wohnen oder um eine beher- bergungsähnliche gewerbliche Unterbringung.
Als Wohnnutzung bezeichnet die Rechtsprechung eine „auf Dauer ange- legte Häuslichkeit“, während bei der gewerblichen Unterbringung der kurzfristige Aufenthalt z. B. von Messearbeiterinnen und Messearbeitern, Medizintouristinnen und Medizintouristen, der projektbezogene Aufenthalt externer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zur Begründung eines Lebensmit
telpunkts führt. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind
die Umstände des Einzelfalls, also die konkrete Ausgestaltung des Vor- habens, beschrieben durch die Antragsunterlagen, insbesondere das Nutzungskonzept sowie der nach den baulichen Voraussetzungen mögliche Betrieb.
Für gewerblich betriebene Boardinghäuser ist kennzeichnend, dass neben möblierten Appartements oder Zimmern Serviceangebote bestehen,
die dem Gast, der seinen Lebensmittelpunkt an einem anderen Ort hat,während des Aufenthalts notwendige Infrastruktur bietet (z. B. Empfang, Zimmerservice, Wäscherei o. ä.).
Mit Ausnahme dieser beherbergungsähnlich betriebenen Boardingshäuser sieht das Referat für Stadtplanung und Bauordnung über die Festsetzungs- möglichkeiten des § 7 BauNVO hinaus keine Möglichkeit, über den fest gesetzten Geschossflächenanteil für Wohnen eine weitere – auch temporäre – Wohnnutzung zu generieren.
Frage 2:
Bestünde die Möglichkeit, dass beispielsweise dabei auch Eigentums- wohnungen (Teileigentum) für rein temporäre Wohnnutzungen, z.B. Ferienwohnungen, angeboten werden?
Wenn ja: Entstehen dadurch zusätzliche oder andere Anforderungen an das Bauvorhaben?
Antwort:
Planungs- und bauordnungsrechtlich ist es ohne Belang, ob Wohnungen als Miet- oder Eigentumswohnungen errichtet werden; ebenso wenig spielt die künftige Rechtsform der Wohnungen (Eigentum oder Teileigentum) eine Rolle. Für gewerblich betriebene Boardinghäuser ist eine Aufteilung in Wohnungseigentum nicht möglich.
Der Begriff des Wohnens ist durch „eine auf Dauer angelegte Häuslich- keit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungs- kreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts“ gekennzeichnet, also für die Bildung des Lebensmittelpunkts. Ferienwohnungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht; deren prägendes Merkmal ist der zeitweilige Aufenthalt für Erholungszwecke bzw. die Nutzung der Wohnung durch einen wechselnden Personenkreis. Ferienwohnungen sind deshalb
nicht gleichzusetzen mit dem Begriff „Wohnnutzung“, wie er den §§ 2 ff BauNVO, also auch für ein Kerngebiet zu Grunde gelegt wird.
Ferienwohnungen sind aber auch nicht der Kategorie einer „Nichtwohn- nutzung“ zuzuordnen; sie sind auch keine Beherbergungsbetriebe. In der BauNVO wird nämlich die allgemeine Wohn nutzung und die
Ferienwohnnutzung als städtebaulich relevante eigenständige Nutzungsart neben der Nutzungsart „Beherbergungsbetrieb“ aufgeführt. Die damit vorgegebene Unterscheidung verbietet es, den Begriff der Beherbergung so weit zu fassen, dass er auch die mietweise Überlassung von selbständigen Wohnungen, und sei es auch nur zu Ferienzwecken, einschließt. Ferienwohnungen unterliegen demnach dem Geschoss-flächenanteil eines Kerngebietes für Wohnen und können nicht einer „gewerblichen Nutzung“ im Sinne des § 7 BauNVO gleichgesetzt werden.
Bauordnungsrechtlich ist der Begriff der Ferienwohnung nicht definiert; eine Ferienwohnung ist aber grundsätzlich eine Wohnung im Sinne des Art. 46 Bayerische Bauordnung (BayBO). Im Sinne der BayBO kommt es darauf an, dass das jeweilige Gebäude bzw. die jeweilige Wohnung für die tatsächlich ausgeübte Nutzung genehmigt ist.