Nachgefragt: Pro-Erdogan-Demonstrationen in München
Anfrage Stadtrat Karl Richter (BIA) vom 19.7.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 19.7.2016 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanken wir uns.
Inhaltlich teilten Sie Folgendes mit:
„Im Gefolge des gescheiterten Putschversuches in der Türkei kam es in zahlreichen Städten zu Demonstrationen türkischer Bürger bzw. zu Solidaritätsbekundungen für den türkischen Präsidenten Erdogan. Auch in München wurden mindestens zwei Demonstrationen bekannt – eine bereits am Freitagabend, eine weitere am Samstag, beide vor dem türkischen Generalkonsulat in der Menzinger Straße. Eine weitere Versammlung wurde am Samstag von Kurden organisiert. Laut Polizeibericht konnte hierbei eine ‚unmittelbar bevorstehende körperliche Auseinandersetzung der Parteien (...) durch die erhöhte polizeiliche Präsenz noch verhindert werden‘ (Quelle: www.polizei.bayern.de/muenchen/news/presse/aktuell/index.htmt/244907 ; zul. aufgerufen: 19.7.2016, 1.40 Uhr; KR). Der Polizeibericht erwähnt für den Freitag eine ‚Spontanversammlung‘ und macht für die Kundgebungen am Samstag keine näheren Angaben. – Das Münchner Kreisverwaltungsreferat ist im Vorfeld gemeldeter Kundgebungen immer sehr penibel, was Auflagen und die Einhaltung von Fristen angeht. So müssen Versammlungen auf öffentlichem Grund grundsätzlich 72 Stunden vor der Kundgebung gemeldet werden. ln der Regel stellt das KVR dem Veranstalter daraufhin fristgerecht einen Versammlungsbescheid mit detaillierteren Auflagen zu. Dieses Prozedere scheint bei den Kundgebungen im Gefolge des Umsturz- versuches in der Türkei nicht beachtet worden zu sein; schon die 72-Stunden-Frist wurde nicht eingehalten. – Hier stellen sich Fragen.“
Frage 1:
Wer meldete, wenn überhaupt, beim KVR oder bei einer anderen zuständi- gen Dienststelle der LHM die genannten Pro-Erdogan-Demonstrationen in der Nacht von Freitag auf Samstag, 15./16.7., sowie am Samstag an? Wer meldete die Kurden-Versammlung am Samstag an? Wie verlief – da die übliche Fristwahrung nicht möglich war – das Genehmigungsprozedere? Inwieweit wurden ggf. „Sofortversammlungen“ oder „Eilversammlungen“ durchgeführt?
Antwort:
Laut den der Versammlungsbehörde vorliegenden Polizeiberichten fanden in der Nacht vom 15.7.2016 auf den 16.7.2016 von 23.30 bis 3 Uhr sowie am 16.7.2016 von 15.30 bis 20 Uhr Versammlungen vor dem Türkischen Generalkonsulat in der Menzinger Straße 3 statt, die in Verbindung mit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei standen und einen „Pro-Erdogan“-Bezug hatten. In beiden Fällen handelte es sich wegen der Unmittelbarkeit des Anlasses um Spontan- beziehungsweise Eilversammlungen. Am 15.7.2016 fand sich der Versammlungsleiter zu Beginn der Versammlung beim polizeilichen Einsatzleiter ein; am 16.7.2016 wurde die Versammlung im Vorfeld durch den Versammlungsleiter beim Polizeipräsidium München angezeigt. Gemäß den Vorschriften des bayerischen Versammlungsgesetzes entfiel wegen des unmittelbaren Anlasses die 48-Stunden-Anzeigefrist. Eine gesetzliche Genehmigungspflicht ist aufgrund des hohen Verfassungsrangs der Versammlungsfreiheit gesetzlich generell nicht gegeben. Die bezeichneten Versammlungen wurden von der Polizei als zuständige Versammlungsbehörde vor Ort betreut.
Darüber hinaus fand am 16.7.2016 eine Versammlung am Karlsplatz mit dem Thema „Solidarität mit der Demokratischen Autonomie von Rojava und den Demokratischen Kräften Syriens – Freiheit für Öcalan“ statt, die am 13.7.2016 beim KVR angezeigt worden war und am 15.7.2016 per Bescheid bestätigt und reglementiert wurde.
Frage 2:
Warum und auf der Grundlage welcher Vorschriften wurde in den genannten Fällen ggf. vom üblichen Prozedere abgesehen und die Abhaltung von „Spontanversammlungen“ behördenseitig geduldet?
Antwort:
Nach Art. 13 Abs. 4 Bayerisches Versammlungsgesetz entfällt die Anzeigepflicht vollständig für sogenannte Spontanversammlungen. Dabei sind in der Praxis die Grenzen zur Eilversammlung nach Art. 13 Abs. 3 Bayerisches Versammlungsgesetz fließend. Danach können Versammlungen aus einem kurzfristigen Anlass heraus auch entsprechend kurzfristig angezeigt werden.
Frage 3:
Wie oft wurden nicht regulär angemeldete und vom KVR bestätigte „Spontanversammlungen“ in der Vergangenheit, konkret: seit Jahresbeginn 2015 in München durchgeführt und behördenseitig geduldet? Wer waren jeweils die Durchführenden?
Antwort:
Dem Kreisverwaltungsreferat liegen hierzu keine verlässlichen Daten vor, nachdem für Spontanversammlungen wegen ihrer kurzfristigen Entstehung grundsätzlich die Polizei als Versammlungsbehörde vor Ort zuständig ist.
Frage 4:
Wer firmierte bei den Pro-Erdogan-Kundgebungen am Freitagabend und Samstag, 15./16.7.2016, als Veranstalter?
Antwort:
Laut Polizeibericht wurden die Versammlungen vom Verein der „Union der europäisch-türkischen Demokraten“ durchgeführt.
Frage 5:
Welche Voraussetzungen seitens der Veranstalter müssen erfüllt sein, damit Versammlungen in München unter Umgehung des üblichen Anmeldungs- und Bestätigungsprozederes behördenseitig geduldet werden?
Antwort:
Versammlungen stehen unter dem besonderen Schutz des Art. 8 Grundgesetz. Das Recht auf ihre Durchführung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für unsere Rechtsordnung konstituierend. Als Ausfluss dieser Versammlungsfreiheit entfällt eine Erlaubnispflicht, so dass auch keine Versammlungen behördenseitig formaljuristisch geduldet werden müssen.
Die Anzeigemodalitäten sind in Art. 13 Bayerisches Versammlungsgesetz geregelt. Ein Verstoß gegen die Anzeigefrist kann nach Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 Bayerisches Versammlungsgesetz als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.