Demonstrationsabbruch bei Volksverhetzung?
Antrag Stadträte Marian Offman und Richard Quaas (CSU-Fraktion) vom 12.4.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Mit Ihrem Schreiben vom 12.4.2016 haben Sie initiativ für Ihre Fraktion o.g. Antrag gestellt. Für die gewährte Fristverlängerung bedanken wir uns.
Sie beantragen einen Stadtratsbeschluss mit dem Ziel, dass die Stadtverwaltung die Möglichkeiten der Erzwingung eines Abbruchs von Demonstrationen wegen der Verbreitung von volksverhetzenden Parolen überprüft. Insbesondere sei dabei zu überprüfen, ob bereits im Genehmigungsverfahren durch das Kreisverwaltungsreferat ein erzwungener Abbruch wegen der Verbreitung von Volksverhetzungsparolen festgelegt werden könne.
Zur Begründung gaben Sie an:
„Ein Pegida-Sprecher hatte bei einer Kundgebung am Ostermontag behauptet: ‚Das größte Konzentrationslager der westlichen Hemisphäre steht wo? Nicht in Deutschland. Nein, es steht in Israel. Die scheinbar haben sehr gut gelernt!‘ Ein anderer Sprecher hatte anlässlich einer Pegida-Veranstaltung letztes Jahr ausgeführt, dass die Juden im Nahen Osten die Flucht muslimischer Menschen nach Mitteleuropa organisierten, weil sie dort die Asylindustrie betrieben und – namentlich genannt – damit auch die Rothschild – Dynastie profitierte. Beide in der Öffentlichkeit artikulierten Behauptungen stellen unseres Erachtens den Tatbestand der Volksverhet- zung nach § 130 Strafgesetzbuch dar und sind strafrechtlich zu ahnden. Wenn mit Kenntnis von Kundgebungsleitern oder durch sie selbst mög- licherweise Straftaten begangen werden, so kann die Kundgebung u.E. nicht fortgesetzt werden.
In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten wurden Millionen von Menschen bestialisch ermordet. Dem Staat Israel in antisemitischer Absicht das gleiche zu unterstellen, ist nach aktueller Auslegung Volksverhet- zung deshalb prüft auch die Staatsanwaltschaft.
Oftmals folgen den massiven verbalen Attacken gerade von ‚Führungsfiguren‘ rechtspopulistischer oder rechtsradikaler Organisationen Gewalttaten an unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern. Dieses im Vorfeld zu verhindern könnte durch den sofortigen erzwungenen Abbruch solche Veranstaltungen möglicherweise unterstützt werden.“
Das Kreisverwaltungsreferat ist als Kreisverwaltungsbehörde für die Anordnung von Beschränkungen oder Verboten für Versammlungen nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz zuständig. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft damit eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich. Zu Ihrem Antrag vom 12.4.2016 teilen wir Ihnen aber Folgendes mit:
Das Bayerische Versammlungsgesetz (BayVersG) regelt in Art. 15 die verschiedenen Möglichkeiten, Versammlungen zu beschränken. Diese sind die Beschränkung (im engeren Sinn), das Verbot und die Auflösung. Beschränkungen können vor und nach Versammlungsbeginn erlassen werden. Ein Verbot ist nur vor Versammlungsbeginn, eine Auflösung erst nach Versammlungsbeginn anzuordnen. Der von Ihnen genannte „Abbruch“ wäre als Auflösung einzuordnen.
Ein vorsorgliches Verbot der Versammlung ist eine Ultima-ratio-Maßnahme, die nur dann in Betracht kommt, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die die Gefahr begründen, dass die Sicherheit und Ordnung durch die Versammlung zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses unmittelbar gefährdet ist und nicht im Rahmen der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch mildere Mittel abgewendet werden kann. Dabei setzt das Verbot ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit sowie die vorige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel voraus, damit die Grundrechtsverwirklichung der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ermöglicht werden kann. Bei der Gefahr des Begehens von Straftaten durch Einzelne kommt als milderes Mittel der Ausschluss der jeweiligen Versammlungsteilnehmerin/des jeweiligen Versammlungsteilnehmers (Art. 15 Abs. 5 BayVersG) in Betracht. Eine nachträgliche Auflösung wäre immer das mildere Mittel im Vergleich zum vorsorglichen Verbot, weil so den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die keine Straftaten begehen, die Chance einer Grundrechtsausübung nicht von vornherein genommen wird (vgl. „Brokdorf-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, Az.: 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81). Ein vorsorgliches Verbot der gesamten Demonstration wäre nur dann möglich, wenn die Gefahrenprognose, die das Kreisverwaltungsreferat für jede einzelne Versammlung anstellen muss, ergäbe, dass die konkrete Versammlung ein volksverhetzerisches Gesamtgepräge haben wird. Bei der Befürchtung, dass Einzelne den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen, muss zunächst gegen diese vorgegangen werden. Bei der von Ihnen in Bezug genommenen Versammlung konnte einsolches „volksverhetzerisches Gesamtgepräge“ vom Kreisverwaltungsreferat nicht prognostiziert werden.
Auch nach Beginn der Versammlung sind Maßnahmen nach dem BayVersG nur in den Grenzen des Art. 15 BayVersG möglich. Es obliegt dann der Polizei als Versammlungsbehörde, während der laufenden Versammlung im Lichte der Versammlungsfreiheit sowie im Rahmen der Verhältnismäßigkeit abgestufte Maßnahmen zu treffen. Ggf. regen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Veranstaltungs- und Versammlungsbüros des Kreisverwaltungsreferats entsprechende Maßnahmen an. Eine Auflösung der Versammlung wegen volksverhetzender Parolen kommt jedenfalls auch nur als Ultima-ratio-Maßnahme in Betracht, wenn sich das Gesamtgepräge der Versammlung als volksverhetzerisch darstellt. Ein derartiges Gesamtgepräge wurde von der Polizei bei den bislang durchgeführten Pegida-Versammlungen nicht angenommen, weswegen es nicht zu einem „Abbruch“ kam.
Die Äußerungen einzelner Personen im Rahmen von Pegida-Versammlungen wurden von den Strafverfolgungsbehörden bislang folgendermaßen bewertet:
Im Hinblick auf die von Ihnen erwähnten Äußerungen eines Pegida-Sprechers bei der Kundgebung am Ostermontag hat die Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, da die Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 130 StGB nicht vorgelegen hätten. Bezüglich der von Ihnen geschilderten Äußerungen zur Flucht muslimischer Menschen liegt nach den uns vorliegenden Informationen keine Anzeige vor.
Die Staatsanwaltschaft prüft nach unserer Kenntnis derzeit noch zwei Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen zwei Versammlungsteilnehmer von Pegida-Versammlungen (Versammlungen vom März 2016 und August 2016). Eine weitere Anzeige wegen Volksverhetzung gegen einen Versammlungsteilnehmer einer Pegida-Versammlung führte zu einer Verurteilung wegen Beleidigung (Versammlung vom November 2015). Zwei weitere Ermittlungsverfahren gegen zwei Teilnehmer von Pegida-Versammlungen wegen Volksverhetzung wurden eingestellt (Versammlungen vom Januar 2015 und vom Oktober 2015).
Diese einzelnen Sachverhalte bei verschiedenen Versammlungen rechtfertigen noch keine Einstufung einer konkreten Versammlung als insgesamt „volksverhetzerisch“.Sollten Sie bei einer Versammlung Kenntnis von strafrechtlich relevanten Äußerungen erlangen, bitten wir Sie, sogleich vor Ort Kontakt mit der Polizei aufzunehmen, damit eine effektive Strafverfolgung ermöglicht werden kann. Die zuständigen Versammlungsbehörden tauschen alle relevanten Erkenntnisse zum Versammlungsgeschehen aus. Sie unterziehen diese einer Bewertung, um die Erforderlichkeit von Maßnahmen nach Art. 15 Bay-VersG vor oder nach Versammlungsbeginn feststellen zu können.
Ich versichere Ihnen, dass das Kreisverwaltungsreferat alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpft, um zu verhindern, dass das verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsrecht dazu missbraucht wird, um in seinem Rahmen volksverhetzende Aussagen zu treffen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.