Evaluierungszusage für die Sendlinger Straße nach einem Jahr Verkehrsversuch (Fußgängerzone) „ernst nehmen“ und konsequent vorbereiten
Antrag Stadträte Richard Quaas, Georg Schlagbauer und Thomas Schmidt (CSU-Fraktion) vom 13.5.2016
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (I) Elisabeth Merk:
Leider konnte die Bearbeitung Ihres Antrages aufgrund der damit verbundenen verwaltungsinternen Abstimmungen nicht fristgerecht erfolgen. Dies bitte ich zu entschuldigen.
Mit Ihrem o.g. Antrag vom 13.5.2016 fordern Sie Erhebungen zu Durchschnittsmieten, zur aktuellen soziodemographischen Situation, die Erstellung einer Kennzahl für Wohnqualität und Lebensgefühl, die Erhebung aktueller Emissionswerte vor Ort sowie Zählungen des aktuellen Durchgangsverkehrs und der Parksituation.
Der Antrag ergänzt damit den Beschluss „Sendlinger Straße – Verkehrsversuch“ (Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 04380) vom 13.4.2016, mit dem das Referat für Stadtplanung und Bauordnung mit Antragspunkt 4 bereits beauftragt wurde, das im Vortrag der Referentin unter 3.3 beschriebene Erhebungskonzept zugunsten der Evaluation des Verkehrsversuchs umzusetzen.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teilen wir Ihnen daher in Form eines Schreibens zu Ihrem Antrag vom 13.5.2016 Folgendes mit:
Im o.g. Antrag wird eine umfangreiche Bestandsaufnahme des betroffenen Straßenabschnitts und der gesamten Umgebung des Hackenviertels gefordert, insbesondere hinsichtlich der derzeitigen Durchschnittsmieten und der soziodemographischen Situation. Darüber hinaus soll zur Ermittlung einer „Kennzahl für die Wohnqualität und das Lebensgefühl“ eine Umfrage durchgeführt werden.
Das dem Beschluss des Ausschusses für Stadtplanung und Bauordnung vom 13.4.2016 zur Durchführung des Verkehrsversuches Sendlinger Straße (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 04380) zugrundeliegende Erhebungskonzept sieht unter anderem auch systematische Ortsbegehungen vor, um qualitative Aspekte der Auswirkungen des Verkehrsversuchs eruieren zu können. Neben einer schriftlichen Befragung der Gewerbetreibenden ist vorgesehen, die Reaktion der betroffenen Bürgerinnen und Bürger vor Ort durch eine Analyse von telefonisch und schriftlich eingehenden Rückmeldungen zu erfassen. Für die Umsetzung des Erhebungskonzeptes sind Projektkosten in Höhe von 20.000 Euro beziffert worden, die aus der „Nahmobilitätspauschale“ des Baureferates finanziert werden.
Ihr Antrag vom 13.5.2016 geht hinsichtlich der Evaluierung bei betroffenen Bürgerinnen und Bürgern über das im Stadtratsbeschluss vom 13.4.2016 vorgesehene Erhebungskonzept zur Evaluierung des Verkehrsversuches hinaus, da auch für diesen Kreis der Betroffenen eine Umfrage gefordert wird, um eine gebietsspezifische Kennzahl für die Wohnqualität und das Lebensgefühl zu generieren.
Im Einzelnen können wir Ihnen Folgendes mitteilen:
Mietpreisentwicklung
Im 4. Hinweis/Ergänzung zum o.g. Beschluss wird ausführlich dargelegt, warum die Entwicklung auf dem innerstädtischen Immobilienmarkt kein geeignetes Kriterium für die Bewertung des Verkehrsversuches darstellt:
Aus fachlicher Sicht wird dazu vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung bestätigt, dass hinsichtlich der Mietpreisentwicklung sowohl bei gewerblichen als auch bei Wohnungsmieten in der Altstadt eine Dynamik zu beobachten ist, die jedoch aus folgenden Gründen unabhängig von dem aktuellen Vorschlag des Verkehrsversuches in der Sendlinger Straße betrachtet werden muss:
Die Sendlinger Straße befindet sich in zentraler Lage in der Münchner City und stellt bereits heute eine sehr begehrte Geschäftslage dar. Sie ist außerordentlich gut über den ÖPNV angebunden. Die begrenzten Flächen in den wirtschaftlich überaus erfolgreichen Haupteinkaufslagen in der Kaufingerstraße/Neuhauser Straße erhöhen den Druck auf die angrenzenden gut erreichbaren Lagen, wie z.B. die Sendlinger Straße, was sich auch hier in steigenden Mieten äußert. Dieser Trend geht mit dem zu beobachtenden Strukturwandel im Handel (Konzentrationsprozesse, zunehmender Filialisierungsgrad, zunehmende online-Handel-Anteile etc.) und der typischen Dynamik einer wachsenden Stadt einher. Er wird sich auch ohne Umgestaltung der Sendlinger Straße zur Fußgängerzone weiter fortsetzen.
Eine repräsentative und verlässliche Erhebung möglicher „Eingangswerte“ von Mietpreisen in der Sendlinger Straße und entsprechenden Werten nach Ablauf der Versuchsfrist von einem Jahr ist faktisch und methodisch nicht möglich, da die Erhebung auf freiwillige Angaben von Vermieterinnen und Vermietern angewiesen ist. Aus Datenschutzgründen kann auch auf mögliche Daten des Mietspiegels München nicht zurückgegriffen werden. Darüber hinaus könnte auch aus möglichen weiteren Mietpreissteigerungen kein Rückschluss auf den erfolgreichen Ausgang des Verkehrsversuchs gezogen werden. Der geplante Zeitraum des Verkehrsversuches von nur einem Jahr lässt kaum verlässliche und repräsentative Rückschlüsse auf die Ursachen der tatsächlichen Preisentwicklung zu, zumal für die Einordnung der Preisentwicklung in einen größeren zeitlichen Kontext die entsprechenden Daten der Vorgängerjahre für diese parzellenscharfe Ebene aus den oben genannten Gründen nicht greifbar sind.
Die Bewertung des Verkehrsversuchs auf der Basis der Entwicklung der Durchschnittsmieten ist daher aus fachlicher Sicht letztlich nicht umsetzbar.
Aktuelle soziodemografische Struktur im Gebiet (Datenstand 31.12.2014)
Die soziodemografische Struktur stellt sich wie folgt dar:
- Im Gebiet, das unmittelbar vom Verkehrsversuch Sendlinger Straße betroffen ist (4 Baublöcke beiderseits der Sendlinger Straße) leben 988 Einwohnerinnen und Einwohner in 721 Wohneinheiten. Die durchschnittliche Haushaltsgröße ist mit 1,37 Personen/Haushalt sehr niedrig (Landeshauptstadt München: 1,94 Personen/Haushalt). Im erweiterten Umgriff des Hackenviertels südlich der Linie Herzogspitalstraße, Altheimer Eck, Färbergraben leben 1.828 Personen in 1388 Wohnungen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße liegt hier bei 1,32 Personen und auch ansonsten ergibt sich eine zum engeren Umgriff vergleichbare soziodemografische Struktur.
- Die durchschnittliche Wohnfläche beträgt 64 m² je Wohnung. Die Wohnfläche pro Kopf erreicht mit 47 m² einen deutlich überdurchschnittlichen Wert (Landeshauptstadt München: 39 m²).
- Im Gebiet leben nur 50 Haushalte mit Kindern; dementsprechend gering ist mit 6,7 Prozent der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre an der Gebietsbevölkerung (Landeshauptstadt München: 14,3 Prozent).
- Auch der Anteil der alten Menschen über 74 Jahre fällt mit 5,7 Prozent vergleichsweise niedrig aus (Landeshauptstadt München 8,2 Prozent).
- Die durchschnittliche Wohndauer der deutschen Bevölkerung an ihrer aktuellen Adresse beträgt 10,4 Jahre. Dies ist ein niedrigerer Wert als im Durchschnitt der Gesamtstadt (Landeshauptstadt München: 12,8 Jahre) und ein Zeichen von Umbruch und Fluktuation im untersuchten Gebiet. Auch der Anteil der deutschen Bevölkerung, die länger als 10 Jahre im Gebiet lebt, fällt mit 33,5 Prozent entsprechend niedriger aus (Landeshauptstadt München 40,9 Prozent).
- Die jährliche Kaufkraft der Gebietsbevölkerung übertrifft mit 39.600 Euro pro Person den Münchner Durchschnitt um mehr als ein Drittel (Landeshauptstadt München: 28.900 Euro pro Person). Dementsprechend gering ist mit 10,7 Prozent auch der Anteil der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro monatlich (Landeshauptstadt München: 16,5 Prozent).
- Der Ausländeranteil übertrifft mit 34,1 Prozent den gesamtstädtischen Durchschnitt deutlich (Landeshauptstadt München: 26,0 Prozent). Auch die ausländische Bevölkerung lebt erst seit Kurzem oder nur relativ kurze Zeit in diesem Innenstadtbereich, denn die mittlere Wohndauer unterschreitet mit 4,86 Jahren die mittlere Wohndauer dieser Bevölkerungsgruppe in der Gesamtstadt deutlich (Landeshauptstadt München: 6,9 Jahre).
- Die Wiedervermietungsmieten im Stadtbezirksteil, dem das Untersuchungsgebiet angehört, liegen bereits heute um 15 Prozent über den Durchschnittswerten bei Wiedervermietungen in der Innenstadt (Gebiet innerhalb des Mittleren Rings).
- Die Wanderungsmotivuntersuchung des Referates für Stadtplanung und Bauordnung aus dem Jahr 2011 ergab gerade auch eine hohe Attraktivität der Innenstadtviertel für einkommensstarke Haushalte, die insbesondere aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland nach München zugezogen.
Methodische Überlegungen zu einer möglichen Befragung der Bevölkerung
Eine Ex-ante-Untersuchung der individuellen, haushaltsbezogenen Lebensbedingungen und des Meinungsbildes der Bevölkerung durch eine Befragung ist nicht mehr möglich, da der Verkehrsversuch bereits am 1.7.2016 begonnen hat. Projektmittel zur Durchführung einer Befragung stehen ohnehin frühestens im kommenden Jahr zur Verfügung. Angesichts der fehlenden Referenzwerte aus einer Ex-ante-Untersuchung wären damit kausale Deutungen der Ergebnisse einer Ex-post-Erhebung methodisch zweifelhaft einzuschätzen. Die im CSU-Antrag intendierten Begriffe Wohnqualität und Lebensgefühl haben mehrere Dimensionen, die per Befragung erfasst werden könnten: z.B. Wohnungsversorgung, Nahversorgung, Erreichbarkeitsaspekte, Nachbarschaft, Wohnumfeld, Freizeitverhalten, alters- und gruppenspezifische Besonderheiten. In der Forschung findet sich „der“ anerkannte Qualitätsindex/Lebensgefühlindex nicht. Es gibt bezüglich der Auswirkungen der Einrichtung von Fußgängerzonen einige mögliche Referenzstudien in anderen Städten (z.B. Maria-Hilfer Straße, Wien; shared space-Ansätze in Amsterdam). Die Rahmenbedingungen sind jedoch jeweils gänzlich verschieden zur lokalen Situation in der und um dieSendlinger Straße. Auch wäre die Passanten- und Kundenzufriedenheit im Bereich der Sendlinger Straße konsequenterweise zu erheben, wenn die Auswirkungen der Maßnahme in der Sendlinger Straße zur Gänze betrachtet werden sollen. Die Kosten für eine mögliche schriftliche Befragung der betroffenen Gebietsbevölkerung des engeren Umkreises des Verkehrsversuchs Sendlinger Straße können einschließlich einer Befragung von Passantinnen und Passanten nach überschlägiger Abschätzung mit zirka 30.000 Euro angegeben werden. Damit ist folgendes Fazit zu ziehen:
Im Gebiet leben vorwiegend einkommensstarke Ein- und Zweipersonenhaushalte, darunter zu einem Drittel ausländische Personen. Die vorhandene soziodemografische Struktur sowie die recherchierten Wohnverhältnisse lassen nach den Erfahrungen aus diversen Befragungen der Bürgerinnen und Bürger durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung sehr hohe Zufriedenheitswerte bei der Bevölkerung mit ihrer Wohnung, ihrem Stadtviertel und der Stadt München insgesamt erwarten. Insgesamt erscheint eine aufwändige Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner sowie Passantinnen und Passanten des vom Verkehrsversuch betroffenen Bereichs nicht zweckmäßig, da keine validen Ergebnisse zu erwarten sind und auch unverhältnismäßig, da mit Kosten von zirka 30.000 Euro zu rechnen ist.
Hinzu kommt, dass die Sicht der Passantinnen und Passanten sowie Kundinnen und Kunden im Gebiet bereits im Rahmen einer mündlichen Passantenbefragung erfasst werden soll. Diese wurde im Rahmen des Auftrags zur Koordinierung, Evaluierung und Dokumentation des Verkehrsversuchs sowie Begleitung der Öffentlichkeitsarbeit bereits als optionale Leistung ausgeschrieben und wird voraussichtlich noch im Herbst 2016 durchgeführt werden.
Erhebung aktueller Emissionswerte vor Ort
Zur Beurteilung der Luftqualität zum Schutze der menschlichen Gesundheit sind die Grenzwerte der 39. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (39. BImSchV) heranzuziehen. Dort ist für Feinstaub (PM10) für den Jahresmittelwert ein Grenzwert von 40 µg/m³ und für den Tagesmittelwert ein Grenzwert von 50 µg/m³ (bei 35 zulässigen Überschreitungen im Kalenderjahr) festgelegt. Für Dieselruß, der im Feinstaub enthalten ist, existiert kein Grenzwert. Bei den o.a. Grenzwerten wird nicht nach der Nutzung der angrenzenden Flächen unterschieden.Zuständig für die Erfassung der Luftschadstoffbelastung ist in Bayern das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU). Dieses führt im Rahmen des bayernweiten Messnetzes LÜB (Lufthygienischen Landesüberwachungssystem Bayern) in München derzeit an fünf kontinuierlich registrierenden Stationen Messungen der Konzentrationen von Feinstaub (nur vier Stationen) und weiterer relevanter Luftschadstoffe in der für die Beurteilung gemäß der 39. BImSchV erforderlichen Datenqualität durch. Diese Messstationen befinden sich in Johanneskirchen, an der Landshuter Allee, an der Lothstraße, am Stachus und in Allach. Die Messergebnisse werden aktuell im Internet veröffentlicht unter http://www.lfu.bayern.de/luft/lueb/index.htm.
Bei Messungen sind die vom Gesetzgeber vorgegebenen Zeitbezüge bei der Grenzwertfestsetzung, also Tagesmittelwert, Jahresmittelwert und zulässige Überschreitungshäufigkeiten im Bezugszeitraum Jahr, besonders zu beachten. Dies bedeutet, dass für aussagekräftige Ergebnisse und Bewertungen die Luftschadstoffkonzentrationen kontinuierlich und mit hoher zeitlicher Auflösung über einen langen Zeitraum hin (mindestens ein Jahr) erfasst werden müssen. Aus den in der 39. BImSchV konkret formulierten Anforderungen an die Messungen resultieren erhebliche messtechnische Ansprüche, die mit hohen Kosten verbunden sind.
Aus Messungen über kürzere Zeiträume, also zum Beispiel über ein oder zwei Wochen, können aufgrund der durch die unterschiedlichen meteorologischen Bedingungen beeinflussten Messwerte keine repräsentativen Ergebnisse, die mit den o.a. Grenzwerten beurteilt werden können, erzielt werden.
An der Messstation Stachus, die an der Sonnenstraße auf Höhe der Einmündung Schwanthalerstraße situiert ist, werden seit dem Jahr 2007 die o.a. Grenzwerte für Feinstaub mit einer Ausnahme (Tagesmittelwertkriterium im Jahr 2010) eingehalten. Im Vergleich zum Stachus ist im Hackenviertel aufgrund der erheblich geringeren Verkehrsbelastung von einer entsprechend niedrigeren Feinstaubbelastung auszugehen. Es ist demnach zu erwarten, dass dort die Grenzwerte für Feinstaub eingehalten werden.
Mit Einzelmessungen oder Messungen über kürzere Zeiträume lassen sich mithin keine repräsentativen Ergebnisse erzielen. Die o.g. kontinuierlichen Messungen mit hoher zeitlicher Auflösung über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr sind im Rahmen des Verkehrs nicht leistbar. Zudem liegt die Zuständigkeit für die Erfassung der Luftschadstoffbelastung in Bayern beim Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU). Von einer Erhebung aktueller Emissionswerte im Hackenviertel im Rahmen des Verkehrsversuchs Sendlinger Straße wird daher abgesehen.
Zählungen des aktuellen Durchfahrtsverkehrs und der Parksituation
Eine Vorher-/Nachher-Erhebung des Verkehrs an ausgewählten Zählstellen sowie der Parksituation im gesamten Hackenviertel ist bereits Teil des o.g. Erhebungskonzeptes. Die Daten der entsprechenden Vorher-Erhebungen liegen vor. Die Nachher-Erhebungen sollen im Herbst/Winter 2016/17 erfolgen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.