Solidarität mit Gaggenau
Antrag Stadträte Fritz Schmude und Andre Wächter (Liberal-Konservative Reformer) vom 13.3.2017
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Mit Ihrem Schreiben vom 13.3.2017 haben Sie den o.g. Antrag gestellt.
Sie beantragen Folgendes:
„1. Der Stadtrat der Landeshauptstadt München spricht der Stadtverwaltung und der Stadtspitze der Stadt Gaggenau seine Solidarität aus und verurteilt entschiedenst alle gegen sie ergangenen Gewaltaufrufe und Drohungen.
2. Der Stadtrat unterstützt auch in München alle zuständigen Behörden weiterhin darin, politische Veranstaltungen von ausländischen Politikern unter Sicherheitsaspekten kritisch zu prüfen und gegebenenfalls zu untersagen. Es wird auch weiterhin keine Sicherheitsrabatte für Auftritte von Politkern geben.“
Zur Begründung geben Sie an:
„Konkret versuchen derzeit zahlreiche türkische Politiker, innerhalb Deutschlands Stimmung für die Verfassungsänderung am 16. April zu machen, die dem Präsidenten eine nahezu unbeschränkte Machtfülle, insbesondere über die bis dato unabhängige Justiz, einräumen soll. Die bisher stattgefundenen Werbeveranstaltungen zu diesem Thema waren nicht nur wegen ihres wenig demokratischen Inhalts, sondern auch wegen ihrer aufgeheizten, in Europa so nicht üblichen Stimmung stets ein Ärgernis für Wohnbevölkerung und Polizei der betroffenen Bundesländer. Für weitere Massenveranstaltungen dieser Art lässt sich nicht viel Gutes erwarten. In Gaggenau gab es nach der Absage durch die Stadt sogar Morddrohungen und eine Bombendrohung. Die Stadt Gaggenau darf in dieser Situation nicht allein gelassen werden.“
Der Stadtrat hat in der Vollversammlung vom 15.3.2017 Ihrem Antrag keine Dringlichkeit zuerkannt. Mittlerweile ist das Referendum zur Verfassungsänderung in der Türkei abgeschlossen und die Angelegenheit daher im Wesentlichen erledigt; insbesondere ist das Bekunden der Solidarität mit der Stadtverwaltung und der Stadtspitze der Stadt Gaggenau durch den Stadtrat der Landeshauptstadt München nicht mehr sinnvoll. Ich erlaube mir aber, in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister Ihnen zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragestellungen auf diesem Wege Folgendes mitzuteilen:
Politische Veranstaltungen unter Teilnahme von ausländischen Politikern können als Versammlung oder Veranstaltung eingeordnet werden. Bei der in Gaggenau abgesagten Veranstaltung dürfte es sich nach Ansicht des Kreisverwaltungsreferates um eine Versammlung gehandelt haben, weil sie auf Mitwirkungen an der politischen Willensbildung gerichtet war.
1. Mögliche Maßnahmen bei Versammlungen
Nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz (BayVersG) ist eine Versammlung eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Nicht erfasst vom Versammlungsbegriff sind Zusammenkünfte rein gesellschaftlicher Art. Entscheidend ist der Zweck der Veranstaltung, bestimmte Angelegenheiten gemeinsam zu erörtern, zu beraten oder kundzugeben. Wegen des besonderen Schutzes des Versammlungsrechts ist im Zweifel von einer Versammlung auszugehen.
Sobald es sich um eine Versammlung handelt, hat die Veranstalterin bzw. der Veranstalter dieser Versammlung das Recht, Ort, Art, Zeitpunkt und Inhalt der Versammlung frei zu wählen (sog. Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters). Zu diesem Selbstbestimmungsrecht zählt auch grundsätzlich das Recht zur Auswahl der Redner. Wie sich dieses Selbstbestimmungsrecht auswirkt, wenn die Rednerin bzw. der Redner ein ausländisches Staatsoberhaupt oder Regierungsmitglied ist, das die Rede zum Wahlkampf nutzt, ist rechtlich, trotz vorliegender einzelner (auch höchstrichterlicher) Urteile, nicht abschließend geklärt.
In einem Fall, in dem eine Rede des türkischen Präsidenten Erdogan bei einer Versammlung mittels Liveübertragung eingeblendet werden sollte, er also physisch nicht anwesend gewesen wäre, hat das OVG Münster (Beschluss vom 29.7.2016, Az. 15 B 876/16) ausgeführt, dass das Versammlungsrecht nicht darauf gerichtet sei, ausländischen Regierungsmitgliedern oder Staatsoberhäuptern durch Liveübertragungen eine Plattform für politische Stellungnahmen zu bieten. Der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung zugunsten einer weitreichenden Versammlungsfreiheit liege die Erwägung zugrunde, dass deren Ausübung seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers in einem freiheitlichen Staatswesen gelte. Indem der Demonstrant seine Freiheit in physischer Präsenz, in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischen-schaltung von Medien kundtue, entfalte er auch seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. In ihrer idealtypischen Ausformung seien Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen. Die Rechtsposition des Veranstalters sei insoweit eingeschränkt, als die Möglichkeit ausländischer Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder zur Abgabe politischer Stellungnahmen im Bundesgebiet nach der Regelungssystematik des Grundgesetzes nicht grundrechtlich fundiert sei. Es sei Sache des Bundes zu entscheiden, ob und unter welchen Rahmenbedingungen sich ausländische Staatsoberhäupter oder Regierungsmitglieder auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im öffentlichen Raum durch amtliche Äußerungen politisch betätigen dürfen. Diese Entscheidung liege nicht beim Veranstalter.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für die konkrete Versammlung ausgeführt, das OVG habe die Grundrechte des Antragstellers nicht verkannt (Beschluss vom 30.7.2016, Az. 1 BvQ 29/16).
Die genaue Systematik, der eine derartige Einschränkung der Versammlungsfreiheit des Veranstalters folgt, ist rechtlich jedoch nicht geklärt. Des Weiteren ist die Auswirkung der Konzentration der Entscheidung des OVG Münster auf eine physische Anwesenheit des ausländischen Repräsentanten nicht ohne Kritik in der Literatur geblieben.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum (persönlichen) Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim in Oberhausen äußerte sich nicht zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters, weil dieser nicht geklagt hatte (Beschluss vom 8.3.2017, Az. 2 BvR 483/17). Das Bundesverfassungsgericht führte in diesem Beschluss aus, dass türkische Repräsentanten in ihrer amtlichen Funktion keinen Anspruch auf Einreise zum Wahlkampf in das Bundesgebiet hätten. Hierzu bedürfe es der ausdrücklichen oder konkludenten Zustimmung der Bundesregierung.
Unabhängig von der insoweit vom Bund zu treffenden Entscheidung über eine Einreise von ausländischen Repräsentanten sieht das Kreisverwaltungsreferat seine Aufgabe in der Gewährleistung von Grundrechten (insbesondere der Versammlungsfreiheit) unter Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Einschränkungsmöglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung bei öffentlichen Versammlungen regelt das BayVersG. Die Öffentlichkeit einer Versammlung bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfasst. Öffentlich sind Versammlungen dann,wenn der Zutritt nicht durch die Einladung, die Ankündigung oder in sonstiger Weise auf einen individuell bezeichneten Personenkreis beschränkt, sondern grundsätzlich jedermann gestattet ist. Einladungen nur an einen bestimmten Personenkreis führen zur Nichtöffentlichkeit der Versammlung. Dementsprechend sind Mitgliederversammlungen von Parteien und Gewerkschaften keine öffentlichen Versammlungen. Die nichtöffentliche Parteiversammlung verliert diese Eigenschaft auch dann nicht, wenn am Eingang eine Kontrolle der Mitgliedsausweise nicht stattfindet.
Steht fest, dass es sich um eine öffentliche Versammlung handelt, muss weiter unterschieden werden zwischen einer Versammlung unter freiem Himmel und einer Versammlung in geschlossenen Räumen. Versammlungen unter freiem Himmel unterliegen stärkeren Einschränkungen als Versammlungen in geschlossenen Räumen, weil diese Versammlungen besondere Gefahren für Rechtsgüter Dritter und die Allgemeinheit schaffen können.
Handelt es sich um eine Versammlung unter freiem Himmel, kann die Behörde nach Art. 15 BayVersG einschreiten. Dies käme z. B. in Betracht, wenn durch die Redebeiträge eine aufgeheizte Stimmung entsteht und insofern eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Befürchteten Protestkundgebungen von politischen Gegnern muss durch adäquaten Polizeieinsatz begegnet werden. Gründe polizeilichen Notstandes liegen in der Regel nicht vor.
Im Rahmen einer Versammlung in geschlossenen Räumen ist ein Verbot bzw. eine Einschränkung dagegen nur in extremen Ausnahmefällen möglich. So kann gem. Art. 12 Abs. 1 Ziffer 4 BayVersG die zuständige Behörde die Durchführung einer Versammlung in geschlossenen Räumen vor Beginn der Versammlung beschränken oder verbieten, wenn Tatsachen festgestellt worden sind, aus denen sich ergibt, dass der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
Nach Beginn der Versammlung kann gem. Art. 12 Abs. 2 S. 1 Ziffer 4 Bay-VersG die zuständige Behörde die Versammlung unter Angabe des Grundes beschränken oder auflösen, wenn durch den Verlauf der Versammlung gegen Strafgesetze verstoßen wird, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben, oder wenn in der Versammlung zu solchen Straftaten aufgefordert oder angereizt wird und der Leiter dies nicht unverzüglich unterbindet.Zu denken wäre hier insbesondere an § 90a StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole). Dies wäre in der vorliegenden Konstellation zum Beispiel in Betracht gekommen, wenn der Veranstalter oder sein Anhang die Äußerungen der türkischen Regierungsvertreter („Nazi-Vergleich“) ausdrücklich gebilligt und gutgeheißen hätte. Zu beachten ist, dass Art. 12 Abs. 2 S. 2 BayVersG ausdrücklich die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme regelt, indem er fordert, dass die Auflösung nur zulässig ist, wenn andere Maßnahmen der zuständigen Behörde, insbesondere eine Unterbrechung, nicht ausreichen.
2. Mögliche Maßnahmen bei Veranstaltungen
Sofern es sich bei den Veranstaltungen von türkischen Politikern in geschlossenen Räumen um keine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechtes handelt, können Maßnahmen nach den Vorschriften des LStVG in Betracht kommen, wobei vorausgesetzt wird, dass die baurechtlichen Vorgaben der VStättV sowie die Regelungen der Verordnung zur Verhütung von Bränden grundsätzlich eingehalten werden. Sollte die Veranstaltung in nicht der VStättV entsprechenden Räumen mit mehr als 200 Personen stattfinden, ist dies der zuständigen Bauaufsicht, der Lokalbaukommission, anzuzeigen (§ 47 VStättV).
Da es sich bei Auftritten türkischer Politiker zur Wahlwerbung um keine öffentlichen oder sonstigen Vergnügungen im Sinne des Art. 19 LStVG gehandelt hätte, wären Maßnahmen nach dieser Vorschrift nicht zulässig gewesen.
Jedoch hätte es sich um Menschenansammlungen im Sinne des Art. 23 LStVG gehandelt. Diese Norm ermächtigt zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Sittlichkeit, ungestörte Religionsausübung, Eigentum oder Besitz zum Erlass von Verordnungen oder Anordnungen für den Einzelfall. Sollten sich Gefahren für diesen Schutzbereich ergeben, ist zunächst zu prüfen, ob und welche Maßnahmen geeignet sind, die Gefahren beispielsweise aufgrund mangelnder Rettungswege oder Zugangskontrollen zu beseitigen (Auflagen). Erst wenn alle Auflagenmöglichkeiten keinen Erfolg versprechen und noch ein weiterer Regelungsbedarf besteht, ist auch eine Untersagung der Menschenansammlung in Form der Wahlkampfveranstaltung möglich.
Art. 23 LStVG schützt nicht die Unversehrtheit der Rechtsordnung als solche. Sofern rechtswidrige Taten, wie beispielsweise Verunglimpfungen oder Beleidigungen zu befürchten sind, können gegen die Verwirklichung dieser Taten keine Maßnahmen vorab nach Art. 23 LStVG erlassen werden.Ggf. müsste hier auf den Auffangtatbestand des Art. 7 LStVG zurückgegriffen werden. Nach Art. 7 LStVG kann die Behörde zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten einschreiten.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.