Tagelöhner im Bahnhofsviertel – Verharmlosen Polizei und KVR die Situation?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 13.9.2016
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Ihre Anfrage vom 13.9.2016 wurde im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Reiter in Federführung dem Kreisverwaltungsreferat zur Beantwortung zugeleitet.
Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„Seit einigen Jahren hat sich im Südlichen Bahnhofsviertel, speziell an der Kreuzung Landwehr-/Goethestraße ein Treffpunkt von Tagelöhnern etabliert. Die Anzahl der Arbeiter ist seitdem stetig gewachsen, oft ist auf den Gehwegen kein Durchkommen mehr und die Eingänge und Notausgänge der ansässigen Geschäfte und Büros werden komplett blockiert. Trotz vielfacher Beschwerden und Bitten um Hilfe der Geschäftsleute bei Polizei und Kreisverwaltungsreferat hat sich die Situation nicht gebessert. Gerade weibliche Mitarbeiterinnen fühlen sich von den dicht gedrängten Männergruppen oft belästigt und geängstigt. Unsere Fraktion hat vertraulich erfahren, dass bereits eine Mitarbeiterin eines ansässigen Gewerbebetriebs gekündigt hat, weil sie sich an bzw. unmittelbar vor ihrem Arbeitsplatz nicht mehr sicher gefühlt hat. Geschäftsleute, die öffentlich auf die Situation aufmerksam gemacht haben, wurden bedroht und in sozialen Medien aufs Übelste beschimpft. Die Polizei beschönigt die Situation, Geschäftsleute fühlen sich nicht ernst genommen.“
Nachdem dem Kreisverwaltungsreferat zwischenzeitlich die beim Polizeipräsidium München sowie beim Sozialreferat angeforderten Stellungnahmen vorliegen, können wir Ihnen zu den im Einzelnen gestellten Fragen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie stellt sich die aktuelle Situation im Südlichen Bahnhofsviertel aus der Sicht des KVR und des Polizeipräsidiums dar? Ist dem KVR und der Polizei bekannt, dass die Situation für die Mitarbeiter vor Ort so schlimm ist, dass es bereits zu Kündigungen kam?
Antwort:
Nach Erkenntnissen des Kreisverwaltungsreferates etablierte sich die Straßenkreuzung Landwehrstraße/Goethestraße ab Mitte 2008 als Sammelpunkt für Arbeitssuchende. Dies stand höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung um Bulgarien und Rumänien 2007.
Im Kreuzungsbereich halten sich laut Beobachtungen der Polizei abhängig von Tageszeit und Witterung bis zu ca. 25 Personen (überwiegend mit bulgarischer Staatsbürgerschaft) auf und warten auf potentielle Arbeitgeber, wobei an einzelnen Tagen auch keinerlei Personen mehr feststellbar sind. Laut Polizei liegt der Schwerpunkt der Anwesenheit in den Morgen- und Vormittagsstunden. Ab Mittag sinkt die Anzahl anwesender Personen regelmäßig unter 10 ab. In der Arbeitswoche vom 21.11. bis 25.11.2016 hat die Referatsleitung des KVR selbst täglich morgens zwischen 7.30 und 9 Uhr stichprobenartig die Situation vor Ort beobachtet. In dieser Zeit waren dort höchstens 10 Arbeitssuchende auf der Straßenseite vor der Isbank anzutreffen. Diese Beobachtungen zeigen, dass sich die Situation vor Ort – unter anderem auch durch die Eröffnung der Beratungsstelle bzw. des offenen Cafés (vgl. Frage 3) für südosteuropäische Arbeitssuchende in der Sonnenstraße 12 – leicht entspannt hat.
Das Polizeipräsidium München führt zur Situation vor Ort ergänzend folgendes aus:
„Durch die genannte Personengruppe kam es in der Vergangenheit vereinzelt zu Ordnungs- und Sicherheitsstörungen wie
- Behinderung von Passanten bei Benutzung des Gehwegs
- Verschmutzung an den Stehorten (Kaffeebecher, Zigarettenreste etc.)
Die frühere Beschäftigung eines privaten Sicherheitsdienstes im Auftrag mehrerer ortsansässiger Gewerbetreibender wurde bislang nicht wieder aufgenommen. Lediglich die (türkische) „Isbank“ beschäftigt noch einen eigenen Sicherheitsdienst, der sich allerdings grundsätzlich nur im Vorraum der Bank aufhält. Unabhängig von der oben geschilderten Lage ist auch eine Anwesenheit von osteuropäischen Bettlern im Gesamtbereich südliches Bahnhofsviertel feststellbar. Diese werden durch Betrachter teilweise fälschlicherweise der o.g. Gruppe zugeordnet.“Weder das Kreisverwaltungsreferat noch das Polizeipräsidium München haben Informationen darüber, dass es aufgrund der Situation im Bereich der Straßenkreuzung Landwehr-/Goethestraße zu Kündigungen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umliegender Geschäftsbetriebe oder Unternehmen gekommen sein soll.
Frage 2:
Wie hat sich die Anzahl der Beschwerden und Klagen in den letzten Jahren entwickelt?
Antwort:
Die Geschäftsführer der im Bereich der Straßenkreuzung Landwehr-/ Goethestraße ansässigen Theatergemeinde, der Isbank, der Ziraatbank, des Hotels Mirabell und Anliegende sowie Anwohnerinnen und Anwohner haben sich Mitte 2008 verstärkt mit Beschwerden an das Kreisverwaltungsreferat gewandt. Insbesondere wurden Behinderungen für Kundinnen/Kunden sowie für Fußgängerinnen/Fußgänger und das Blockieren der Hauseingänge und Durchgänge sowie das Sitzen auf den Fensterbänken (Theatergemeinde und Isbank) durch die im Kreuzungsbereich Landwehr-/ Goethestraße wartenden Arbeitsuchenden beklagt. Die beim Kreisverwaltungsreferat eingehenden Beschwerden über die Situation vor Ort sind jedoch seit geraumer Zeit rückläufig. Dies bestätigt auch das Polizeipräsidium München, da bei der Polizeiinspektion 14 jährlich nur noch ca. ein bis zwei Anzeigen eingehen. Dies ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass sich viele Anwohnerinnen und Anwohner sowie Anliegende und ansässige Gewerbetreibende im direkten Gespräch an die Polizeibeamtinnen/ Polizeibeamten der Polizeiinspektion 14 vor Ort wenden. Andererseits wurde durch die stetige Aufklärung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer durch das Kreisverwaltungsreferat und die Polizei möglicherweise auch Verständnis für die derzeitige Sach- und Rechtslage, die keine Handhabe zu einem Einschreiten zulässt, geschaffen. Die Geschäftsführung der Theatergemeinde und der Isbank stehen jedoch im aktuellen Kontakt mit dem Kreisverwaltungsreferat.
Frage 3:
Was wird derzeit unternommen und welche Maßnahmen können zusätzlich ergriffen werden, um die Situation zu entschärfen?
Antwort des Kreisverwaltungsreferates:
Die Nutzung der Gehwegflächen zum Stehen und Reden – auch in größeren Gruppen – kann nicht untersagt werden, sondern entspricht demstraßenrechtlichen Gemeingebrauch. Geschäftsschädigende Behinderungen konnten bei Begehungen des KVR oder der Polizei nicht festgestellt werden.
Die sich sammelnden Personen treten als Einzelpersonen auf und machen bedarfsweise Platz für Passanten. Bislang kam es aus der Ansammlung heraus zu keinen Straftaten oder Verkehrsbehinderungen, die ein sicherheitsrechtliches Einschreiten erfordern würden.
Darüber hinaus wird anlassbezogen von Seiten der Ausländerbehörde geprüft, ob bei den Betroffenen die Voraussetzungen für eine Freizügigkeit weiterhin vorliegen. Die zuständigen Sicherheitsbehörden werden die Situation im Bereich Landwehrstraße/Goethestraße weiterhin im Auge behalten. Falls Personen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen, die eine Wiederholung befürchten lassen, kann das KVR den Erlass von Aufenthaltsverboten und ausländerrechtlichen Maßnahmen prüfen.
Die Einschätzungen des Kreisverwaltungsreferats decken sich mit denen des Polizeipräsidiums München:
„Im relevanten Bereich ist kein signifikant höheres Aufkommen an polizeilich festgestellten konkreten Störungen oder Rechtsverstößen erkennbar. Die polizeiliche Überwachung erfolgt durch die örtlich zuständige Polizeiinspektion 14. Dabei werden lageangepasst nachfolgende Maßnahmen ergriffen:
- Verstärkte Präsenz im Rahmen der Streifendienste
- regelmäßiger Kontakt zu den anliegenden Gewerbetreibenden u. Institutionen durch Kontaktbereichsbeamte
Im Falle von Sicherheitsstörungen/Rechtsverstößen:
- ggf. Personenkontrollen, sofern rechtlich zulässig
- ggf. Platzverweise, sofern rechtlich zulässig
- Überprüfung bzw. Meldung sozialversicherungs-/arbeitsrechtlicher Hintergründe bei entsprechenden Feststellungen
- Verfolgung sonstiger Ordnungswidrigkeiten/Straftaten“
Antwort des Sozialreferates:
„Im Oktober 2015 wurde die Anlaufstelle Sonnenstraße (AWO-Beratungscafe) in Betrieb genommen, die bereits kurz nach der Eröffnung, dank der aufsuchenden Arbeit der Mitarbeiter, einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat und von ca. 60 bis 100 Hilfesuchenden am Tag aufgesucht wird. Die Anlaufstelle Sonnenstraße dient als Aufenthaltsmöglichkeit und vereint ein umfangreiches Unterstützungsangebot für die osteuropäischen Tageöhner und Tagelöhnerinnen. Die Besucherinnen und Besucher erhalten dort Informationen in den Beratungssprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Rumänisch und Bulgarisch.
Das Themenspektrum erstreckt sich dabei von Arbeitssuche, Arbeitsrecht, Bildung, Integration über Gesundheit und Soziales. Damit trägt es zur Entspannung der Situation im Südlichen Bahnhofsviertel bei, kann aber nicht komplett verhindern, dass arbeitssuchende Osteuropäer, die über Netzwerke gut bekannte Anbahnungszone an der Goethestraße/ Landwehrstraße aufsuchen. Da das Angebot des Beratungscafes jetzt etabliert und bekannt ist, erfolgt die aufsuchende Arbeit der Mitarbeiter nur noch in größeren Abständen.
Die ganzjährig geöffnete Beratungsstelle Schiller 25 dient in der Winterperiode als Anlaufstelle im Rahmen des Münchner Kälteschutzprogramms. In den wärmeren Jahreszeiten liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit in der aufsuchenden Arbeit/Streetwork. Zur Zielgruppe gehören auch obdachlose Zuwanderinnen und Zuwanderer aus EU-Ländern sowie Personen, die das vorhandene System der Wohnungslosenhilfe nicht nutzen wollen bzw. können.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beratungsstelle sind in den Sommermonaten im gesamten Münchener Stadtgebiet tätig und suchen auch regelmäßig das Südliche Bahnhofsviertel auf. Die sich dort aufhaltenden Menschen erhalten Beratung und werden auf die bestehenden Hilfsangebote hingewiesen. Es ist davon auszugehen, dass die Beratungs- und Hilfsangebote den Zuwanderinnen und Zuwanderern aus Osteuropa bekannt und zugängig sind. Da Streetwork bzw. aufsuchende Sozialarbeit eine beratende und unterstützende Funktion hat und die bestehenden Angebote genutzt und bekannt sind, ist aus Sicht des Sozialreferates die Situation im Südlichen Bahnhofsviertel mit weiteren sozialpädagogischen Angeboten nicht zu lösen. Ein zusätzlicher Einsatz von Streetwork erscheint deswegen nicht angezeigt.“
Frage 4:
Werden die Tagelöhner sowie deren „Arbeitgeber“ gewerberechtlich überprüft und gegebenenfalls zur Rechenschaft gezogen?
Antwort:
Die Überwachung und Feststellung illegaler Beschäftigung von Arbeitnehmern unterliegt grundsätzlich der Zuständigkeit des Hauptzollamtes München, Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Nach den polizeilichen Erkenntnissen werden die in Rede stehenden Arbeitsuchenden fast ausschließlich in Wirtschaftsbereichen beschäftigt, die der Sofortmeldepflicht durch den Arbeitgeber bei der Datenstelle derRentenversicherung unterliegen. Die Kontroll-, Verfolgungs- und Ahndungsmaßnahmen des Zolls richten sich daher nicht gegen die Arbeitsuchenden vor Ort, sondern mit Blick auf die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers gegen verbotene Beschäftigungsverhältnisse direkt am Arbeitsplatz.
Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.