Akzeptanz und Hilfsbereitschaft nicht gefährden! Kann sich München einen Sonderweg in der Abschiebepraxis leisten?
Anfrage Stadträte Michael Kuffer und Manuel Pretzl (CSU-Fraktion) vom 14.2.2017
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
In Ihrer Anfrage vom 14.02.2017 führen Sie Folgendes aus:
„Der Presse war zu entnehmen, dass der Kreisverwaltungsreferent einen Münchner Sonderweg in der Abschiebepraxis mehr oder weniger offen bestätigt und für München nur minimale Abschiebungszahlen eingeräumt hat.
Die konsequente Anwendung geltenden Rechts bei den Abschiebungen ist auf Dauer unabdingbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung Akzeptanz und Hilfsbereitschaft der Menschen. Die effektive Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufenthaltsbeendigung bei abgelehnten Asylbewerbern ist aber gerade auch unter den Gesichtspunkten der Sicherheit und der Terrorabwehr zu sehen.
Bei alledem wäre es gefährlich, wenn München hier tatsächlich einen Sonderweg für sich beanspruchen würde.
Es darf nicht sein, dass die mühsam erzielten Kompromisse zwischen Bund und Ländern zum Thema Abschiebungen gerade in München durch eine laxe Abschiebepraxis ‚ausgebremst‘ werden.“
Zu Ihrer Anfrage vom 14.02.2017 nimmt das Kreisverwaltungsreferat wie folgt Stellung und darf Folgendes vorausschicken:
Der Landeshauptstadt München wurden in den vergangenen Jahren überwiegend Menschen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten zugewiesen und damit Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive (z. B. aus Irak, Syrien, Eritrea, Somalia, Afghanistan).
In München leben derzeit rd. 14.000 Geflüchtete, denen vom BAMF ein Schutzstatus verliehen wurde (anerkannte Asylberechtigte, Flüchtlinge nach der Genfer Konvention und Menschen mit Abschiebungsschutz).
Hinzu kommen im Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde München mehr als 6.000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber, deren Verfahren vor dem BAMF noch nicht abgeschlossen ist und bei denen schon aus diesem Grund keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist.Die Ausländerbehörde München handelt seit jeher nach Recht und Gesetz. Dazu gehört die Aufenthaltsbeendigung, aber auch die Prüfung von Bleiberechten für gut integrierte Asylbewerber nach negativem Abschluss des Asylverfahrens. Viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben in den vergangenen Jahren bereits während des laufenden Asylverfahrens gearbeitet, deutsch gelernt und keine Straftaten begangen. Auf der Basis der Vorschriften des Aufenthaltsrechts haben viele gut integrierte abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber ein Bleiberecht erworben. Zum rechtmäßigen Vollzug gehören Einzelfallprüfungen und die Ausübung des gesetzlich eingeräumten Ermessens. Hierauf hat in Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern kürzlich ausdrücklich der bayerische Innenminister hingewiesen.
Zu den einzelnen Fragen folgende Stellungnahme:
Frage 1:
Wie viele vollziehbar ausreisepflichtige Personen halten sich derzeit im Zuständigkeitsbereich des KVR auf? Wie hat sich die Zahl in den Jahren 2014 bis heute entwickelt?
Antwort:
Im Zuständigkeitsbereich des KVR hielten sich zum Stand 31.01.2017 1.560 vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer mit einer Duldung auf. Nur etwas mehr als ein Viertel davon, nämlich rund 420 waren vollziehbar ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit einer Duldung, welche in München ihr Asylverfahren durchlaufen haben. Zum selben Zeitpunkt im Jahr 2014 betrug die Zahl der Duldungsinhaberinnen und Duldungsinhaber 1.337, 2015 waren es 1.512, 2016 sank die Zahl wieder auf 1.374. Für die Vergangenheit kann nicht mehr unterschieden werden, wie viele von ihnen abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber waren.
Bei rund 40 ausreisepflichtigen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern läuft derzeit die in der sog. „Grenzübertrittsbescheinigung“ festgelegte Frist zur freiwilligen Ausreise, die abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach den Vorgaben der EU-Rückführungs-Richtlinie zu gewähren ist. Wenn die Betroffenen nicht freiwillig ausreisen, werden nötigenfalls Zwangsmaßnahmen eingeleitet.
Die weitaus überwiegende Anzahl der ausreisepflichtigen Asylbewerberinnen und Asylbewerber in München ist in der Vergangenheit „freiwillig“ und mit Unterstützung des Büros für Rückkehrhilfen ausgereist, welches bekanntlich aus Mitteln der EU, des Bundes und des Landes finanziertwird und nach dem aktuellen 15-Punkte-Paket der Beschlüsse von Bund und Ländern ausgeweitet werden soll. 2016 sind allein 662 Personen mit Unterstützung des Büros für Rückkehrhilfe in ihr Herkunftsland ausgereist; die Ausländerbehörde hat 213 freiwillige Ausreisen von abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern registriert.
Frage 2:
Bei wie vielen dieser Personen sieht das KVR derzeit Abschiebungshindernisse? Wie gliedert sich diese Zahl nach einzelnen Hinderungsgründen auf? Wie haben sich die Zahlen in den Jahren 2014 bis heute entwickelt?
Antwort:
Tatsächliche oder rechtliche Abschiebungshindernisse gibt es bei allen vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern mit einer Duldung. Die einzelnen Hinderungsgründe (fehlende Ausreisepapiere, schwere Erkrankungen, familiäre Bindungen) sind vielfältig und werden statistisch nicht erfasst.
Frage 3:
Welche Maßstäbe legt das KVR an die Zuerkennung von Abschiebungshindernissen an? Gibt es hier einen Münchner Sonderweg?
Antwort:
Das KVR hält sich an Recht und Gesetz. Es gibt keinen „Münchner Sonderweg“. In den vergangenen Jahren wurden der Landeshauptstadt München überwiegend Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive zugewiesen. Die allermeisten der in München lebenden Geflüchteten haben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder von den Gerichten einen Schutzstatus zuerkannt bekommen, auf der Grundlage des Aufenthaltsgesetzes ein Bleiberecht bekommen oder sie sind noch im Asylverfahren, so dass eine zwangsweise Rückführung zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin ausscheidet.
Im Übrigen reist in München ein großer Teil der Rückkehrpflichtigen freiwillig und ggf. mit Unterstützung des Büros für Rückkehrhilfe aus (s. o. Ziffer 1).
Frage 4:
Wie wird sichergestellt, dass Duldungen auf absolute Ausnahme-/Härtefälle beschränkt bleiben?
Antwort:
Die Duldungsgründe sind gesetzlich im § 60 a AufenthG geregelt und nicht auf „absolute Ausnahme-/Härtefälle“ beschränkt.
Frage 5:
Sieht der Kreisverwaltungsreferent im Bereich der Stadtverwaltung Verbesserungspotential, um die Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer/Asylbewerber, insbesondere den Vollzug von Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, effektiv durchzusetzen und zu beschleunigen?
Antwort:
Das KVR hat bereits in der Vergangenheit alle Vorkehrungen getroffen, den Vollzug von Entscheidungen des BAMF effektiv durchzusetzen und zu beschleunigen. Hierzu gehört in erster Linie eine ausreichende Personalausstattung und kompetentes, erfahrenes Personal. Hierfür hat der Stadtrat im Bereich Asyl zuletzt mit Beschluss vom 29.07.2015 gesorgt, wobei es allerdings nicht nur um die Umsetzung von ablehnenden Entscheidungen des BAMF geht, sondern auch um die Bearbeitung von Angelegenheiten im laufenden Asylverfahren und die effektive Umsetzung von Entscheidungen.
Auf Ausreise- und Abschiebungshindernisse wie fehlende Nationalpässe oder Passersatzpapiere hat das KVR ebenso wie andere kommunale Ausländerbehörden kaum Einflussmöglichkeiten. Die Passersatzpapierbeschaffung wird von der Regierung von Oberbayern betrieben und die mangelnde Rückübernahmebereitschaft von einigen Herkunftsstaaten ist derzeit Gegenstand intensiver Verhandlungen der Bundesregierung.
Frage 6:
Wie stellt das Kreisverwaltungsreferat sicher, dass im Jahr 2017 den gestiegenen Entscheidungszahlen des BAMF auch eine im gleichen Maße gesteigerte Anzahl erfolgreicher Rückführungen gegenübersteht?
Antwort:
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Entscheidungszahlen des BAMF auf die Anzahl der rückzuführenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber auswirkt, da München in den letzten Jahren (auch 2015/2016) überwiegend Asylbewerberinnen und Asylbewerber zugewiesen wurden, die vom BAMF einen Schutzstatus bekommen haben, z. B. Menschen aus dem Irak, Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan.
Von der Gesamtzahl der Entscheidungen des BAMF kann daher nicht auf einen entsprechenden Zuwachs an zurückzuführenden, abgelehnten Asyl-bewerberinnen und Asylbewerbern geschlossen werden. Auch hängt die Durchsetzung der Ausreisepflicht – wie oben erwähnt – oftmals von Faktoren ab, die vom KVR nicht beeinflusst werden können.
Frage 7:
Welche Maßnahmen ergreift der Kreisverwaltungsreferent, um dem 15-Punkte-Paket aus der Bund-Länder-Einigung zum Abschiebungsrecht möglichst effektiv und zügig zur Durchsetzung zu verhelfen?
Antwort:
Das angekündigte Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht liegt lediglich im Entwurf vor. Seine Auswirkungen auf die Münchner Situation lassen sich noch nicht vorhersagen.
Beschlossen wurde u. a. die Rückführung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive aus der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE). Für die in den EAE lebenden Asylbewerberinnen und Asylbewerber sind aber jetzt schon die Zentralen Ausländerbehörden der Bezirksregierungen zuständig.
Verabredet wurde außerdem die Einrichtung von Bundesausreisezentren sowie eines Gemeinsamen Zentrums von Bund und Ländern zur Unterstützung der Rückkehr.
Aufgrund der „besonderen Beanspruchung der Ausländerbehörden der Länder“ will die Bundesregierung die Länder bei Rückführungsaufgaben durch Personal des Bundes künftig unterstützen.
Wie dies alles im Einzelnen aussehen wird, ist noch völlig offen.