LKW-Kartell – Hat die Stadt Schadenersatzansprüche?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Johann Altmann, Dr. Josef Assal, Eva Caim, Richard Progl und Mario Schmidbauer (Fraktion Bayernpartei) vom 31.3.2017
Antwort Oberbürgermeister Dieter Reiter:
Auf Ihre Anfrage vom 31.3.2017 nehme ich Bezug.
In Ihrer Anfrage haben Sie folgenden Sachverhalt vorausgeschickt:
„Am 19.7.2016 wurde von der EU-Kommission gegen die LKW-Hersteller MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF wegen des sogenannten Lastwagenkartells ein Busgeldbescheid in Höhe von ungefähr 2,9 Milliarden Euro erlassen. Dabei waren die Kernpunkte Absprachen der Lieferzeiten und Preise in den Jahren 1997 bis 2011 bei Lastkraftwägen über 6 Tonnen. Wie in den Schreiben der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände vom 19.10.2016 und 10.11.2016 dargestellt, ist die größte Schwierigkeit bei der Geltendmachung von Ansprüchen die Verjährung. Dabei ist es wahrscheinlich, dass die Verjährungsfrist für einige Käufe bereits eingetreten ist bzw. bald eintritt, was erst klar ersichtlich wird, wenn die EU-Kommission abschließend ihre Entscheidung bekannt gibt. Als Vorgehen haben der Deutsche Städtetag und andere kommunale Spitzenverbände empfohlen, bis 19.1.2017 Klage einzureichen und von den LKW Herstellern eine Verjährungseinredeverzichtserklärung zu unterzeichnen.“
Zu den im Einzelnen gestellten Fragen kann ich Ihnen Folgendes mitteilen:
Frage 1:
Wie viele Lastkraftwägen über 6 Tonnen hat die LHM in den Jahren 1997 bis 2011 beschafft?
Antwort:
Nach dem derzeitigen Stand der Datenerfassung wurden ausgehend von einem zulässigen Gesamtgewicht von über 6 Tonnen rund 540 LKW in dem von Ihnen genannten Zeitraum von der Stadt beschafft. Nachdem die Beschaffungen zum Teil schon 20 Jahre zurückliegen, ist die Erfassung der kaufmännischen Eckdaten der jeweiligen Beschaffungen schwierig und zeitaufwendig. Zudem ermöglichen die Begriffe „schwere und mittelschwere LKW“: … „weighing between 6 and 16 tonnes („medium trucks“) and trucks weighing more than 16 tonnes („heavy trucks“)“, die in der Bußgeldentscheidung der EU-Kommission verwendet werden, leidernicht in allen Fällen eine eindeutige Zuordnung. So ist offen, ob sich das Gewicht von über 6 Tonnen auf das zulässige Gesamtgewicht, das Eigengewicht oder die Nutzlast bezieht.
Frage 2:
Wie verteilen sich die beschafften Fahrzeuge auf die verschiedenen Hersteller?
Antwort:
Die Stadt hat von drei der in Ihrer Anfrage genannten, kartellbeteiligten Unternehmensgruppen LKW in einer Größenordnung von jeweils rund 30 bis 300 Stück beschafft.
Frage 3:
Hat die LHM bereits Klage gegen die genannten LKW-Hersteller eingereicht? Wenn nein, warum nicht?
Frage 4:
Hat die LHM Verjährungseinredeverzichtserklärungen von den Herstellern bzw. deren Vertriebsunternehmen für die beschafften Fahrzeuge eingeholt? Wenn nein, warum nicht?
Antwort auf Frage 3 und 4:
Vorab ist klarzustellen, dass in den oben zitierten Schreiben der kommunalen Spitzenverbände nicht empfohlen war zur Lösung der Verjährungsproblematik Klage einzureichen und gleichzeitig eine Verjährungseinredeverzichtserklärung mit den Kartellanten abzuschließen. Dies sind alternative Vorgehensweisen. Hierauf war in den Schreiben der kommunalen Spitzenverbände auch hingewiesen worden.
Die Stadt hat noch keine Klagen gegen die einzelnen Hersteller eingereicht. Dies war bis zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht erforderlich. Etwaige Verjährungsrisiken wurden – soweit dies auf der Grundlage der Informationen aus der Presseerklärung der Europäischen Kommission möglich war – gelöst. Nähere Ausführungen hierzu sind aktuell nicht möglich, da die Stadt insoweit zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.
Frage 5:
Was hat die LHM konkret seit Bekanntwerden des Lastwagenkartells unternommen, insbesondere die Rechtsabteilung?
Antwort:
Zunächst wurden von der Vergabestelle 1 diejenigen Beschaffungen ermittelt, die in den Kartellzeitraum (17.1.1997 bis 18.1.2011 bzw. bei MAN bis 20.9.2010) fallen und die notwendigen Daten erhoben und aufbereitet. Nachdem die Rechtsabteilung – abgesehen vom Feuerwehrkartell – keine praktischen Erfahrungen in der Durchsetzung von Kartellschadenersatzansprüchen hat, wurde eine auf Kartellrecht und Kartellschadenersatz spezialisierte Anwaltskanzlei zur Beratung und Unterstützung hinzugezogen. Diese Beauftragung war noch nicht stadtratspflichtig. Die anwaltliche Beratung war erforderlich, da auch die Kartellanten von auf Kartellrecht spezialisierten Großkanzleien vertreten sind. Zudem ist dies auch der erheblichen Tragweite der Bußgeldentscheidung und der Auswirkungen auf die Beschaffungsaktivitäten der Stadt geschuldet.
Frage 6:
Welche weiteren Schritte plant die LHM um Schadensersatzansprüche geltend zu machen?
Antwort:
Die nicht-vertrauliche Fassung der Bußgeldentscheidung wurde erst am 6.4.2017 veröffentlicht und wird von den die Stadt beratenden Anwälten aktuell noch ausgewertet. Sie gibt Auskunft über die kartellbefangenen Produkte, den exakten Kartellzeitraum und die im Detail betroffenen Hersteller. Die weiteren erforderlichen Maßnahmen zur Schadenskompensation werden zeitnah eingeleitet, um eine optimale wirtschaftliche Gesamtlösung zu erreichen. Am 10.5.2017 wird der VPA vorberatend und am 17.5.2017 die Vollversammlung jeweils in nichtöffentlicher Sitzung über das weitere Vorgehen entscheiden.
Frage 7:
Von welcher Schadensersatzsumme kann zum derzeitigen Zeitpunkt ausgegangen werden?
Antwort:
Belastbare Auskünfte zur dem bei der Stadt entstandenen Schaden kann nur eine ökonometrische Schadenschätzung geben. Hierbei handelt es sich um ein statistisches Verfahren zur Ermittlung des Kartellschadens (sog. „multiple Regressionsanalyse“).
Frage 8:
Muss davon ausgegangen werden, dass für beschaffte LKW schon die Verjährungsfrist eingetreten ist? Bei wie vielen Fahrzeugen aus welchen Jahren ist das der Fall? Wie viel Schadensersatz ist der LHM dadurch vermutlich entgangen?
Antwort:
Es ist durchaus möglich, dass für einige Beschaffungen schon die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Vorliegend ist die Verjährungssituation insbesondere durch die Einführung von § 33 Abs. 5 GWB, der die Hemmung der Verjährung von kartelldeliktsrechtlichen Ansprüchen während der Dauer eines kartellbehördlichen Ermittlungsverfahrens und einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren regelt, zum 30.6.2005 und damit im maßgeblichen Kartellzeitraum, sehr komplex. Konkret ist nicht geklärt, ob die in § 33 Abs. 5 GWB geregelte Verjährungshemmung auch für sog. Altfälle – also kartellbetroffene Beschaffungsvorgänge vor dem 30.6.2005 – eingreift. In der Rechtsprechung der Instanzgerichte herrschen insoweit divergierende Auffassungen. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht noch aus. Die Rechtsabteilung hat jedoch in Zusammenarbeit mit der Vergabestelle 1 und der hinzu gezogenen Anwaltskanzlei nach Bekanntwerden der Bußgeldentscheidung der EU-Kommission am 19.7.2016 alle notwendigen und noch möglichen Maßnahmen ergriffen, um die Verjährungsrisiken zu lösen.