Meinungsfreiheit und „Bekämpfung des Terrorismus“
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 22.2.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 22.2.2018 zur Beantwortung überlassen. Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Die weitere Eskalation des Angriffskriegs der Türkei gegen Nordsyrien – aktuell nach Pressemeldungen sogar mit Einsatz von Chemiewaffen – haben bei vielen demokratisch engagierten Menschen insbesondere vielen Menschen kurdischer Herkunft große Empörung ausgelöst. Laut Grundgesetz sind Angriffskriege geächtet, wer sie vorbereitet oder durchführt ist zu bestrafen. Die Hauptopfer und das erklärte Ziel dieser grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Aktion des Nato-Partners Türkei tragen die Menschen im Kanton Afrin und die dort tätigen Selbstverteidigungskräfte YPG und YPJ. Genau mit diesen Kräften und der militärischen Unterstützung der ‚westlichen Allianz‘ wurden u.a. die Städte Kobane und Raqqa von den Terror-Banden des IS befreit. Daher nimmt es nicht wunder, dass viele engagierte Kurdinnen und Kurden sich auf Demonstrationen mit diesen Kräften solidarisieren und deren Symbole zeigen wollen.
Auch ist es legitim sich für die Aufhebung eines Vereinsverbots – hier der PKK – einzusetzen. Dies gilt auch für die Forderung nach Freilassung eines oder mehrerer politischer Gefangener – wie bei Denis Yücel und A. Öcalan. Durch briefliche ‚Weisung‘ des amtierenden Bundesinnenministers wurde nun das Zeigen einer ganzen Reihe von Fahnen, Flaggen, Transparenten, Handzetteln oder sonstigen Gegenständen mit dem Schriftzug YPG, YPJ, PYD mit dem Hinweis untersagt, dass hier ein ‚Bezug zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)‘ erkennbar sei.“
Zur umfassenden Beantwortung Ihrer Fragen habe ich auch das Polizeipräsidium München um Stellungnahme gebeten. Zusammenfassend beant-
worte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Welche rechtliche Bindungskraft hat der genannte Brief des Bundesinnenministers für das Münchner Kreisverwaltungsreferat als zuständiger Ordnungsbehörde?
Frage 2:
Handelt es sich bei dem Brief des Bundesinnenministers tatsächlich um eine Weisung oder um eine bloße Empfehlung?
Antwort zu Frage 1 und 2:
Mit Verfügung vom 22. November 1993 (Az.: IS 1-619314/27) hat der Bundesminister des Innern die Tätigkeit der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) einschließlich deren Teilorganisation „Nationale Befreiungsfront Kurdistans“ (ERNK) im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten. Das Verbot ist bestandskräftig.
Vom Verbot ist auch die öffentliche Verwendung von durch die PKK genutzter Kennzeichen umfasst. Mit Schreiben vom 2.3.2017 und nochmals vom 29.1.2018 hat das Bundesministerium des Innern zum Ausdruck gebracht, dass das Zeigen des Bildnisses von Abdullah Öcalan regelmäßig als Verwenden eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung – hier der PKK – im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG anzusehen sei. Die Annahme, dass Öcalan in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund seiner herausgehobenen Stellung selbst die PKK verkörpert und eine besondere Symbolfigur ist, die neben dem „klassischen“ Symbol der PKK (fünfzackiger Stern mit Hammer und Sichel, umrandet mit dem Schriftzug der PKK) als Sinnbild für die Ziele der Vereinigung steht, sei auch heute noch gerechtfertigt. Ferner seien auch die Organisationen PYD, YPG und YPJ unbeschadet ihrer scheinbaren organisatorischen Selbständigkeit grundsätzlich dem Einflussbereich der PKK zuzuordnen.
Das Kreisverwaltungsreferat ist als Sicherheitsbehörde zuständig für den Vollzug des bayerischen Versammlungsgesetzes. Im Rahmen des Art. 15 BayVersG hat die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung einer Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung umfasst auch die Gesamtheit und Unverletzlichkeit der Rechtsordnung. Droht die Begehung von Straftaten, also die Verletzung der Rechtsordnung, droht auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Beim Zeigen von den im BMI Rundschreiben genannten Flaggen und Kennzeichen kann es zur Verwirklichung des Straftatbestandes nach § 20 VereinsG kommen. Um dies zu verhindern, kann die Behörde im Einzelfall eine entsprechende Beschränkung im Versammlungsbescheid in Erwägung ziehen.Die Sicherheitsbehörde, der die endgültige Entscheidung obliegt, hat also die Hinweise des BMI aus dem Rundschreiben bei ihrer Entscheidung im Vollzug des Versammlungsrechts zu berücksichtigen und zu würdigen. Eine Weisung stellt das Schreiben nicht dar.
Im Übrigen wird auf die Bundestags-Drucksache 18/12025 vom 21.4.2017 hingewiesen.
Frage 3:
Wie definiert das KVR einen „Bezug zur Arbeiterpartei Kurdistans“ und wenn ja aufgrund welcher Hinweise und Umstände?
Antwort:
Die versammlungsrechtlichen Bescheide im Themenzusammenhang „Afrin“ weisen regelmäßig folgenden Tenor auf: „Das öffentliche Zeigen oder Verteilen von Fahnen, Flaggen,Transparenten, Handzetteln oder sonstigen Gegenständen mit dem Schriftzug YPG, YPJ, PYD wird untersagt, wenn durch das Hinzutreten weiterer Umstände ein Bezug zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) erkennbar wird. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn zusätzlich Kundgebungsmittel mit dem Abbild Öcalans gezeigt werden oder wenn zusätzlich PKK verherrlichende Texte oder Lieder skandiert werden.“
Nach Ansicht der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferates ist das Zeigen oder Verteilen von entweder ausschließlich Öcalan-Portraits oder ausschließlich Fahnen mit dem Schriftzug YPG, YPJ und PYD versammlungsrechtlich unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, auch wenn die Staatsanwaltschaft München I und die Münchner Polizei unabhängig vom Vorliegen „weiterer Umstände“ das Zeigen der entsprechenden Fahnen strafrechtlich ausnahmslos zur Anzeige bringen. Namentlich bei einer Mahnwache, die ohne Zusammenhang zu PKK-nahen Aktivitäten allein die persönliche Situation des Gefangenen Öcalan zum Gegenstand der öffentlichen Meinungsbildung machen will, wäre es nicht in jedem Fall verboten, Bilder seiner Person zu zeigen. Bei einem gleichzeitigen Verwenden von Kundgebungsmitteln mit dem Schriftzug YPG, YPJ und PYD muss aber davon ausgegangen werden, dass es nicht allein um die persönliche Situation des Gefangenen Öcalan geht.
„Weitere Umstände“ lassen daher beispielsweise den unzulässigen PKK-Bezug dann erkennen, wenn die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zusätzlich zu den Fahnen mit der Aufschrift YPG, YPJ, PYDKundgebungsmittel mit dem Abbild Öcalans zeigen oder zusätzlich PKK verherrlichende Texte oder Lieder skandieren.
Zur Beurteilung, ob das Zeigen der gegenständlichen Symbole eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des Versammlungsgesetzes darstellt, ist maßgeblich auf den Kontext der Verwendung dieser Symbole und den Anlass und das Ziel der Versammlung abzustellen. Entscheidend sind stets die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls.
Frage 4:
In welcher Weise wird dieser bundesministerielle Brief durch den Freistaat bzw. durch das Polizeipräsidium München umgesetzt?
Antwort:
Die Staatsanwaltschaft München I vertritt aktuell die Auffassung, dass das Zeigen von Abbildungen des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan sowie von Symbolen der PYD, YPG und YPJ auf angezeigten Versammlungen stets den Anfangsverdacht eines Vergehens gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG darstellt. Dementsprechend wurden von der Polizei bei den von Ihnen thematisierten Versammlungen Strafanzeigen erstellt. Die Strafverfahren sind weiterhin anhängig und noch nicht abgeschlossen.
Frage 5:
Wie viele Verfahren hat die staatliche Bayerische Polizei wegen angeblicher Verstöße gegen die erteilten Auflagen eingeleitet?
Antwort:
Seit der Neubewertung des BMI wurden bis einschließlich 7.3.2018 im Bereich des Polizeipräsidiums München im Zusammenhang mit dem Zeigen von Öcalan-Abbildern bzw. PYD, YPG, und YPJ-Symbolik im Versammlungsgeschehen 21 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das VereinsG in Tateinheit mit dem BayVersG eingeleitet.
Frage 6:
Ist das Vorgehen der Bayerischen Polizei mit dem Münchner KVR abgestimmt?
Antwort:
Die derzeitige Auffassung der Polizei sowie der Staatsanwaltschaft München I ist der Versammlungsbehörde des Kreisverwaltungsreferats bekannt. Die Sicherheitsbehörden stimmen sich im Rahmen der Auslegung des Vereinsverbots bereits eng ab. Auch wird aktuelle Rechtsprechung, vgl. zuletzt BayVGH, Beschluss vom 16.2.2018, Az.: 10 CS 18.405, ausgewertet und berücksichtigt.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.