Schriftliche Anfrage mit der Bitte, diese bis zur Befassung des Stadtrates mit der MVV-Tarifreform zu beantworten Besteht kein Bedarf mehr, den Verkehr in München zu entzerren?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Dr. Wolfgang Heubisch, Dr. Michael Mattar, Gabriele Neff, Thomas Ranft und Wolfgang Zeilnhofer (Fraktion FDP – HUT) vom 17.7.2018
Antwort Bürgermeister Josef Schmid, Leiter des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
In Ihrer Anfrage vom 18.7.2018 führen Sie als Begründung aus:
„Mit der MVV-Tarifreform sollen künftig die öffentlichen Verkehrsmittel in München in den stark belasteten Morgenstunden nicht mehr entlastet werden.
Die Preisdifferenz zwischen normalen Monatskarten und 9 Uhr-Ticket sowie die Sperrzeit der Seniorenkarte soll entfallen. Bislang war es attraktiv die IsarCard9Uhr zu wählen. Der Rabatt lag für alle, die darauf verzichteten zwischen 6 Uhr und 9 Uhr zu fahren und die weniger belasteten Zeiten zu nutzen, bei 19,50 Euro (ca. 25%).
Dies ändert sich jetzt radikal: die Differenz zwischen der Monatskarte ohne zeitliche Begrenzung in der M-Zone (4-Ringe/Innenraum) und der IsarCard9Uhr liegt nunmehr bei 4 Euro (nur 6,7%). Wer soll dann in Zukunft noch die 9 Uhr-Monatskarte wählen? Sowohl MVV als auch MVG erklärten bislang dem Stadtrat stets, dass in den Morgenstunden zusätzliche Angebote (z. B. Taktverdichtungen) nicht mehr möglich sind. Zudem stellen die Kapazitäten in den Umsteigebahnhöfen Engpässe dar, die nicht kurzfristig verändert werden können. Wir brauchen in München dringend eine Entzerrung der überlasteten Morgenstunden.“
Die in Ihrer Anfrage gestellten Fragen können anhand der Stellungnahmen der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV) und der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH (MVG) wie folgt beantwortet werden:
Vorbemerkung der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH:
„Die aktuell beschlossene MVV-Tarifreform hat der MVV zusammen mit seinen Gesellschaftern, den Verbundverkehrsunternehmen, externen Beratern und Fahrgastverbänden in den vergangenen drei Jahren in intensiver Beratung erarbeitet. Die neue Tarifstruktur wurde als Teil eines Kompromisspakets von der Landeshauptstadt München, den acht Verbundlandkreisen, dem Freistaat Bayern und den im MVV tätigen Verkehrsunternehmen beschlossen.Ausgangspunkt der Überlegungen zur Reform war die seit Jahrzehnten nachhaltig von verschiedensten Seiten vorgebrachte Kritik, dass der MVV-Tarif zu kompliziert sei und dadurch eine Vielzahl von potentiellen Fahrgästen von der Nutzung des ÖPNV abgehalten werde. Die Komplexität ist angesichts der Vielzahl an Ticketarten mit diversen unterschiedlichen Raumeinteilungen (Ringe, Zonen, Räume, München XXL) schnell dargestellt. Dementsprechend war es die vordringliche Aufgabenstellung der Reform, den ‚Tarifdschungel‘ stark zu vereinfachen und damit die ÖPNV-Zugangshürde ‚Tarif‘ zu senken. Letztendlich sind wir alle als Bewohner eines sehr stark prosperierenden Raumes auf eine gut funktionierende Mobilität angewiesen und ein einfacher Tarif für öffentliche Verkehrsmittel ist ein wichtiger Baustein hierfür.
Mit dieser Vereinheitlichung und Vereinfachung geht ebenso einher, dass es beim Preisvergleich ‚heute‘ und ‚künftig‘ immer auch Gewinner und Verlierer gibt. Uns ist natürlich bewusst, dass diese Darstellung nicht für alle Nutzer immer befriedigend ist. Eine Reform dieser Größenordnung erzielt leider neben einer Vielzahl von preislich positiven Effekten auch immer einige Nachteile, zumindest wenn das Postulat einer hinreichenden Ergiebigkeit aufrechterhalten werden muss. Grundsätzlich überwiegen aber die Vorteile der Tarifstrukturreform deutlich.
Bisher hatte die IsarCard9Uhr gegenüber der IsarCard für 4 Ringe einen Rabatt von ca. 25%, gegenüber der IsarCard für 3 Ringe von 10,5% und einen Mehrpreis gegenüber der IsarCard für 2 Ringe. In Zukunft können alle Münchner die IC9Uhr mit einem Rabatt von ca. 7 Prozent nutzen. Der MVV bekennt sich klar zu einem Zeitkartenangebot für die Nebenverkehrszeit, denn wie beschrieben ist die Kapazitätsgrenze im Berufsverkehr heute bereits in vielen Fällen erreicht. Dennoch soll ein solches Angebot für die Verkehrsunternehmen auch auskömmlich gestaltet sein. Die Interpretation, die IsarCard9Uhr sei ausgehend vom neuen Preis der IsarCard Zone M für 59,90 Euro zu gering rabattiert, ist dahingehend zu bewerten, dass die IsarCard mit der Reform sehr preisgünstig geworden ist und dieser Preisnachlass aber nicht auf alle Angebote in gleicher Weise gewährt werden konnte.
Aus diesem Grund war der Rabatt in der bisherigen Höhe nicht mehr aufrecht zu erhalten, denn bisher kostet die IsarCard9Uhr für den Innenraum 59,60 Euro im Monat, künftig soll sie 55,90 Euro für die neue Zone M kosten, d.h. 3,70 Euro weniger als bisher. Eine weitere Absenkung des Preises für die IsarCard9Uhr (an dem z.B. auch der Preis für das Seniorenticket hängt), hätte weitere Ausgleichsleistungen der öffentlichen Hand im Millionenbereich erforderlich gemacht.“
Das Referat für Arbeit und Wirtschaft war in die Abstimmungen zur Tarifstrukturreform intensiv eingebunden und schließt sich den obigen Ausführungen an. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Gesamtpaket handelt, das zum einen das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung zahlreicher Kundenwünsche an eine solche Reform und des Ziels einer deutlichen Attraktivitätssteigerung und Vereinfachung ist. Zum anderen wurde es mit einer Vielzahl von Beteiligten lange verhandelt. Zum jetzigen Zeitpunkt noch weitere Änderungsvorschläge einzubringen, würde die Umsetzung des Vorhabens insgesamt unmöglich machen. Nach einer Evaluierungsphase sollen die Erfahrungen jedoch bewertet werden und dann können ggf. auch notwendige Anpassungen diskutiert werden.
Frage 1:
Trifft es weiterhin zu, dass zwischen 6 Uhr und 9 Uhr zusätzliche Angebote insbesondere bei U- und S-Bahn nicht mehr möglich sind?
Antwort:
Ohne weitere Modernisierungsmaßnahmen der bestehenden Infrastruktur und Investitionen in einen weiteren Ausbau, ist eine – über die aktuellen Planungen hinausgehende – zusätzliche Ausweitung des Fahrplanangebots bei der U-Bahn zwischen 6 Uhr und 9 Uhr nicht mehr möglich.
Anmerkung des Referats für Arbeit und Wirtschaft:
Es ist davon auszugehen, dass die Situation bei der S-Bahn vergleichbar ist; aufgrund der gewünschten Beantwortungsfrist konnte jedoch keine separate Stellungnahme der S-Bahn eingeholt werden.
Frage 2:
Warum will man mit der MVV-Tarifreform künftig den überlasteten morgendlichen öffentlichen Nahverkehr nicht mehr entlasten?
Antwort der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH und der Münchner Verkehrsgesellschaft mbH:
Trotz der Abnahme des IsarCard9Uhr-Rabatts ist, wie oben beschrieben, weiterhin von einer Lenkungswirkung auszugehen.
Frage 3:
Wie hoch waren 2017 die Verkaufszahlen für Monats- und Jahreskarten für 2, 3 und 4 Ringe (ohne zeitliche Begrenzung) im Verhältnis zu 9 Uhr-Monats- und Jahreskarten(Innenraum)?
Antwort der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH:
Verkaufszahlen 2017 im Innenraum:
-IsarCard Monat und Abo für 2, 3, 4 Ringe ca. 2.894.000 Stück (Monatskarten)
-IsarCard9Uhr Monat und Abo ca. 267.000 Stück (Monatskarten)
Damit liegt der Anteil der IsarCard9Uhr bei den Zeitkarten bei ca. 8,5 Prozent; die IsarCard9Uhr hat damit im heutigen MVV-Tarifsystem eine eher untergeordnete Bedeutung.
Frage 4:
Mit welchen Verkaufszahlen der 9Uhr-Tickets (Innenraum) rechnet der MVV in Zukunft, wenn der Preisunterschied marginal bei nur noch 4 Euro im Monat im Verhältnis zum neuen M-Zonen-Ticket liegt?
Antwort der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH:
Die IsarCard9Uhr hat in Zukunft einen geringeren Rabatt gegenüber der IsarCard als heute, stellt dafür aber auch für die bisherigen 2-Ringe Kunden ein rabattiertes Angebot dar (s.o.). Aus diesem Grund rechnet der MVV mit stabilen, nur leicht zurückgehenden Verkaufszahlen in der Zone M. Die verkehrssteuernde Wirkung bliebe somit weitgehend erhalten.
Frage 5:
Wie schätzt die Stadt und der MVV ein Angebot für eine kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs zwischen 5 Uhr und 6 Uhr ein?
Antwort der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH:
Eine kostenlose Nutzung des ÖPNV zwischen 5-6 Uhr ist aus Sicht des MVV wenig zielführend, da diese Maßnahme nur geringe Verlagerungseffekte zu Gunsten der HVZ bewirken würde. Aus Sicht der Pendler hätte diese Freifahrt für die Mehrheit der Fahrgäste, nämlich diejenigen die täglich hin- und zurückfahren, auch kaum finanzielle Vorteile; da sie für die Rückfahrt beim konventionellen Tarif ebenfalls Zeitkarten mit nur einem geringen Preisnachlass (Preisunterschied IsarCard zu IsarCard9Uhr) erwerben müssten, wobei dieses Fahrtprofil auch heute mit der IC9Uhr zum gleichem Preis möglich wäre.
Ich hoffe, dass Ihre Anfrage damit als geschäftsordnungsgemäß erledigt betrachtet werden kann.