Inklusive öffentliche Räume nicht nur in Freiham berücksichtigen, sondern standardmäßig auch bei aktuellen/künftigen Bauleitplanverfahren und beim Umbau wichtiger Plätze
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Anna Hanusch, Sabine Nallinger und Oswald Utz (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 18.4.2018
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Sie haben am 18.4.2018 den Antrag Nr. 14-20/A 03986 „Inklusive öffentliche Räume nicht nur in Freiham berücksichtigen, sondern standardmäßig auch bei aktuellen/künftigen Bauleitplanverfahren und beim Umbau wichtiger Plätze.“ gestellt, der wie folgt lautet:
„Die Ziele und Leitlinien für den öffentlichen Raum im inklusiven Stadtteil Freiham (Broschüre Freiham – ein inklusiver Stadtteil) einschließlich der öffentlichen Wege und Straßen sind bei allen künftigen Bauleitplanverfahren als festes Planungsinstrument zu berücksichtigen. Soweit möglich, sollen diese Ziele auch noch bei der Planung und baulichen Umsetzung öffentlicher Räume bereits gesatzter B-Pläne berücksichtigt werden, falls dies verfahrenstechnisch möglich ist.
Auch bei aufwendigen Umbaumaßnahmen bereits existierender Straßen und Plätze (z. B. Sendlinger-Tor-Platz, Siegestor, Hanns-Seidl-Platz, Truderinger Straße, …) sollen diese inklusiven Ziele und Leitlinien berücksichtigt werden.“
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt, weil es sich hierbei um eine regelmäßige und wiederkehrende Aufgabe in der Verwaltungstätigkeit der Landeshauptstadt München im Rahmen des Bauleitplanverfahrens und der Bearbeitung der einzelnen Verfahrensschritte handelt.
Zu Ihrem Antrag vom 18.4.2018 teilen wir Ihnen Folgendes mit:
Eine gute Nutzbarkeit für möglichst vielfältige Bevölkerungsgruppen ist eine erstrebenswerte städtebauliche Qualität einer urbanen, heterogenen und lebendigen Stadt. Sie ist Ziel der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt.Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung setzt sich auf allen Ebenen der Planung für Themen der Inklusion ein.
In dem von Ihnen erwähnten Projekt Freiham – ein inklusiver Stadtteil wurden Ansätze inklusiver Stadtentwicklung entwickelt. Aus diesen ergibt sich, dass ein Stadtteil in seiner Gesamtheit inklusiv wird, wenn mit den unterschiedlichen Herausforderungen einer inklusiven Lebensführung wie Erreichbarkeit und Zugänglichkeit, Verschiedenheit und Vielfalt, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sowie Begegnung und Vernetzung bestmöglich für alle umgegangen wird. Voraussetzung hierfür ist ein städtebauliches Entwicklungskonzept, das inklusive Gesichtspunkte auf den Ebenen des Stadtteiles, des Quartiers und der kleinteiligen Nachbarschaft verfolgt. Nutzungsmischung, qualitätvoller öffentlicher Raum sowie umfassende Infrastrukturausstattung stellen zentrale Merkmale inklusiver Stadtplanung dar. Planungsaspekte in diesem Zusammenhang sind:
-Ausrichtung des städtebaulichen Grundkonzeptes (Stadtteilebene) auf eine selbstbestimmte Lebensführung und Ermöglichung einer umfassenden Teilhabe an der Stadtgesellschaft, etwa durch Ausrichtung der Gebäude, gemeinschaftlich orientierte Wohntypologien, Quartiere als überschaubare Einheiten und vertraute Sozialräume mit Einrichtungen und Freiflächen, die die Begegnung im Alltag fördern
-Angebot barrierefreier Mobilität und guter Orientierung durch klar erkennbare Stadträume und Strukturen mit gut ablesbaren Raumfolgen und Verbindungen
-Nutzungsmischung für große Vielfalt an nahegelegenen Angeboten und für belebte öffentliche Freiräume, die zur Förderung des gesellschaftlichen Lebens beitragen
-Zugehörigkeitsgefühl als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe durch Quartiere mit qualitätvoller, eigenständiger Gestaltung und durch Orte gesellschaftlichen Lebens für eine soziale Teilhabe für Menschen mit Behinderung im öffentlichen Raum und in öffentlichen Einrichtungen -Planung der Nutzungen und deren Lage im Quartier zur sinnvollen Zuordnung von Angeboten und Nutzungen und zur Stärkung von Orten gesellschaftlichen Lebens
Die Planung eines inklusiven Stadtteils ist eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe, die maßgeschneiderte Ansätze und Lösungen für jeden Stadtteil erfordert. Inklusion ist ein planerisches Querschnittsthema, für das eine fachübergreifende Arbeitsweise in den verschiedenen Planungsschritten nötig ist.Im Zusammenhang der Planung inklusiver Stadtteile begrüßt die Gleichstellungsstelle für Frauen die Bestrebungen des Referates für Stadtplanung und Bauordnung, Inklusion umfassend und frühzeitig in einen gesamtheitlichen Planungsansatz im Sinne einer Nutzbarkeit für alle zu integrieren. Weiterhin betont die Gleichstellungsstelle für Frauen die Notwendigkeit, auch die spezifischen Bedarfe von Frauen und Mädchen mit Behinderung im Planungsprozess zu berücksichtigen und empfiehlt, dazu auch den Facharbeitskreis Frauen des Behindertenbeirates einzubeziehen.
I. Möglichkeiten bei Wettbewerben
Am Beginn einer Planung steht häufig ein städtebaulicher und landschaftsplanerischer Wettbewerb, in dem die Eckdaten über die Art und das Maß der Bebauung eines Gebietes entwickelt werden. Es wird über die Lage und Verteilungen von Straßen und Gebäuden entschieden, ohne jedoch Aussagen über die detaillierte Gestaltung von öffentlichen Räumen und Gebäuden zu treffen. Die Entscheidungen fallen hier auf einer hohen Abstraktionsebene. Es wird noch keine Planungsebene, Planungstiefe und Detailschärfe erreicht, die sich mit Fragen der Inklusion im öffentlichen Raum im Allgemeinen bzw. dem Thema der Barrierefreiheit im Speziellen auseinandersetzt.
Um Inklusion bereits frühzeitig im Planungsprozess als Querschnittsthema zu verankern, prüft das Referat für Stadtplanung und Bauordnung jedoch stets, welche wesentlichen Inklusionsaspekte bereits in die Auslobung der Wettbewerbe einzubringen sind. Wegen der Einzelheiten darf auf den Beschluss des Sozialausschusses vom 22.6.2017 (Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 08726) verwiesen werden.
II. Möglichkeiten im Bauleitplanverfahren
In den Bauleitplanverfahren des Referates für Stadtplanung und Bauordnung stellt das Thema Inklusion gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 3 Baugesetzbuch (BauGB) einen zu berücksichtigenden Belang in der Bauleitplanung dar. Hierbei bietet es sich an, Fragen der Inklusion im Zusammenhang mit den Planungszielen (z. B. bei der Forderung an die Planung nach „Nutzbarkeit für alle“, unabhängig von Geschlecht, Alter, motorischen und sensorischen Einschränkungen) zu behandeln.
Bei Festsetzungen im Bebauungsplan ist die Kommune jedoch an den abschließenden Festsetzungskatalog des § 9 Abs. 1 Nr. 1-26 BauGB gebunden. Dort sind keine direkten Festsetzungen enthalten, die es ermöglichen, einzelne bauliche Anlagen, zum Beispiel in Hinsicht auf eine barrierefreie Ausführung, zu reglementieren. Die Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Straßenraum oder auf öffentlichen Plätzen ist Sache der Ausführungsplanung der Kommune. Inklusionsaspekte können jedoch als Leitgedanke auf die Planung in ihrer Gesamtheit Einfluss nehmen, dies erfolgt auch regelmäßig. Ferner bestehen eine ganze Reihe von Regelungsmöglichkeiten, bei denen dieser Aspekt i.S.d. § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB zu berücksichtigen ist. In diesen Fällen erfolgt die „Festsetzung“ der Inklusion also mittelbar. Für öffentliche Räume ist beispielhaft aus dem Katalog des § 9 BauGB erwähnen:
Nr. 4 (Spiel-, Freizeit- und Erholungsflächen),
Nr. 5 (Flächen für den Gemeinbedarf sowie für Sport- und Spielanlagen), Nr. 11 (Verkehrsflächen),
Nr. 15 (Grünflächen, Parkanlagen, Sport- und Spielplätze u.a.), Nr. 22 (Kinderspielplätze, Freizeiteinrichtungen u.a.).
In all diesen Bereichen (und natürlich auch anderen) sollen die besonderen Bedürfnisse bestimmter Personengruppen nach Möglichkeit bereits in den Prozess der Bebauungsplanung einfließen, also nicht erst im Genehmigungsverfahren, bei der Bauausführung oder gar erst bei späteren Nachrüstungsmaßnahmen. Dies erfolgt auch regelmäßig.
Bei der Gestaltung von Freiflächen ist es des Weiteren gängige Praxis, in der verbindlichen Bauleitplanung mittels eines Freiflächenrahmenplanes barrierefreie Freianlagen festzuschreiben, deren Umsetzung über einen städtebaulichen Vertrag oder über Beratungsgremien gesichert werden.
III. Möglichkeiten bei der Planung und baulichen Umsetzung öffentlicher Räume
Für die Ausführungsplanung und Umsetzung von Inklusion im öffentlichen Raum ist die Objektplanung zuständig. Das Baureferat führt zu den in Ihrem Antrag vom 18.4.2018 auch genannten „aufwendigen Umbaumaßnahmen bereits existierender Straßen und Plätze“ anlässlich der Beschlussfassung des Sozialausschusses vom 22.6.2017 zur „Einbeziehung des Behindertenbeirats bei städtischen Wettbewerben“ (Sitzungsvorlagen Nr. 14-20/V 08726) wie folgt aus:
„Seit vielen Jahren findet bei allen Baumaßnahmen des Baureferates eine intensive Zusammenarbeit mit dem städtischen Beraterkreis ‚Barrierefreies Planen und Bauen‘ unter Beteiligung des Behindertenbeirates bzw. der Beratungsstelle der Bayerischen Architektenkammer statt. Auch bei Wettbewerben und ähnlichen Verfahren sind die Anforderungen an dieBarrierefreiheit stets fester Bestandteil der Aufgabenstellung. Grundlage jedes Verfahrens ist die DIN 18024 Teil 1 ‚Straßen, Plätze Wege, öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen sowie Spielplätze‘ und die DIN 18040 Teil 1 ‚Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Öffentlich zugängliche Gebäude‘, die im Auslobungstext fixiert sind. Bisher werden Berater für die Aspekte der Barrierefreiheit und Inklusion zugezogen in Abhängigkeit von der Planungstiefe der Wettbewerbsverfahren, also je nachdem, ob der Detaillierungsgrad ermöglicht, sich mit Fragen der Barrierefreiheit intensiver auseinanderzusetzen. Aktuelles Beispiel hierfür ist das VOF-Verfahren zum Stadtmuseum, bei dem an der Prüfung der Lösungsvorschläge eine externe Expertin für Inklusion beteiligt war.
Im Wettbewerb für den Schulcampus Freiham wurde der Behindertenbeirat bei der Erstellung des Auslobungstextes zur Beratung hinzugezogen. Gerne schlägt das Baureferat vor, dieses Verfahren zum Regelfall zu machen. Das Baureferat wird künftig bei Wettbewerben und ähnlichen Verfahren eine Vertretung des Behindertenbeirates oder eine entsprechende sachverständige Beratung bei der Verfahrensvorbereitung hinzuziehen und an der Prüfung der Wettbewerbsbeiträge beteiligen.“
Die vorgenannten Ausführungen sind analog auch auf den hier behandelten Antrag Nr. 14-20/A 03986 zu beziehen.
Fazit
Das Thema der Inklusion ist weiter zu fassen als die Aspekte Barrierefreiheit und Platzgestaltung, wie die Vielfalt der Ebenen zeigt, auf denen im Stadtteil Freiham Inklusion gedacht wurde. Die Sicherung der Umsetzung beziehungsweise der baulichen Realisierung inklusiver Elemente kann zu großen Teilen aber nicht im Bebauungsplan festgesetzt, sondern nur mittelbar berücksichtigt werden. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung integriert jedoch weitest möglich Aspekte der Inklusion im gesetzlichen Rahmen auf allen Ebenen der Planung, so dass Inklusion auf vielfältige Weise in die Planung der gebauten Umgebung einfließen kann. Insbesondere auch die Durchmischung der Nutzungen in den Stadtquartieren im Sinne einer nachhaltigen, gemischten Stadt der kurzen Wege sowie die Entwicklung von mehr Urbanität in den Neubaugebieten kann die Umsetzung der auf S. 2 dargestellten inklusiven Planungsaspekte fördern. Eine alleinige Übernahme der für Freiham aufgestellten Ziele und Leitlinien mit dem Ziel, diese standardmäßig in jedem Planungsbereich umzusetzen, würde aus Sicht des Referates für Stadtplanung und Bauordnung zu kurz greifen, da Art beziehungsweise Umfang inklusiver Ziele stark von den Rahmenbedingungen des einzelnen Planungsgebietes abhängen und anhand der jeweiligen Planungsaufgaben zu formulieren sind. Zum Zeitpunktder Bauleitplanung ist in aller Regel noch keine Bauplanung der zukünftigen baulichen Anlagen im Plangebiet vorhanden, so dass eine Festlegung hier noch nicht möglich ist.
Mit dem Ziel mehr inklusiver Stadtviertel wendet das Referat für Stadtplanung und Bauordnung in den Verfahren regelmäßig die oben erläuterten Möglichkeiten an, um so Inklusion frühzeitig und in referatsübergreifender Zusammenarbeit in einen gesamtheitlichen Planungsansatz im Sinn einer „Nutzbarkeit für alle“ zu integrieren. Bei neuen Bebauungsplanverfahren wird auch betrachtet, in welchem Umfang in den städtebaulichen Planungen entsprechende Maßnahmen nach dem Leitfaden „Freiham – ein inklusiver Stadtteil“ möglich sind.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.