Ist die Verdrängung der Mieter durch den Neubau von Wohnungen in der Wackersberger Straße 37 zu verhindern?
Anfrage Stadträtinnen Anja Berger und Gülseren Demirel (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 12.10.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 12.10.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Ein Mietshaus mit zwölf Wohnungen im Erhaltungssatzungsgebiet Sendling soll durch einen Neubau ersetzt werden. Zwar werden in der Summe mehr Wohnungen entstehen als durch den Abriss verloren gehen – es entsteht jedoch hochpreisiger Wohnraum, bezahlbarer Wohnraum hingegen geht unwiederbringlich verloren. Dies widerspricht dem Ziel von Erhaltungssatzungsgebieten die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten.
Besonders betroffen sind jedoch die Mieter des zum Abbruch vorgesehenen Anwesens. Sie leben in akuter Angst ihre Wohnung und Nachbarschaft zu verlieren und aus der Stadt verdrängt zu werden. Die Stadt hat mit der Zweckentfremdungssatzung und der Erhaltungssatzung Instrumente, um Wohnraumvernichtung und Verdrängung wirksam zu verhindern.“
Die Anfrage konnte nicht innerhalb der geschäftsordnungsgemäßen Frist bis zum 23.11.2018 erledigt werden, da wegen der Komplexität umfassende Abstimmungen erforderlich waren.
Aufgrund eines Büroversehens ist kein Antrag auf Fristverlängerung erfolgt.
Zu Ihrer Anfrage vom 12.10.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wann wurde das Objekt an den jetzigen Investor verkauft?
Frage 2:
Hatte die LH München ein Vorkaufsrecht?
Falls ja: wurde dies durch eine Abwendungserklärung abgewendet?
Antwort:
Hierzu teilt das Kommunalreferat Folgendes mit:
Aus dem Grundbuch ergibt sich, dass jedenfalls seit Mai 1987 kein Eigentümerwechsel an dem gegenständlichen Grundstück stattgefunden hat. Etwaige Eigentümerwechsel vor diesem Zeitpunkt lassen sich aufgrund der erst dann erfolgten Digitalisierung leider nicht ohne weiteres nachvollziehen. Allerdings wurden erst 1987 die ersten Erhaltungssatzungen erlassen, so dass jedenfalls ein Eigentümerwechsel vor 1987 kein Vorkaufsrecht aufgrund einer Erhaltungssatzung ausgelöst hätte.
Ein Verkauf in jüngerer Zeit ist der Vorkaufsrechtsstelle nicht bekannt. Sollte ein solcher stattgefunden haben beziehungsweise anstehen, wird das Kommunalreferat zwangsläufig Kenntnis hiervon erhalten, da die für einen Eigentümerwechsel erforderliche Eintragung im Grundbuch ohne „Negativzeugnis“ der LHM (Bescheinigung, dass ein Vorkaufsrecht nicht besteht oder nicht ausgeübt wird) nicht erfolgen kann.
Das Anwesen Wackersberger Straße 37 liegt im Umgriff der Erhaltungssatzung Sendling, sodass ein Vorkaufsrecht gemäß Paragraph 24 BauGB im Falle des Verkaufs grundsätzlich gegeben wäre. Allerdings bezieht sich dieses nach der derzeit geltenden Verwaltungspraxis lediglich auf Bestandsgebäude.
Das Sozialreferat teilt ergänzend mit, dass lediglich die Eigentümergesellschaft an einen neuen Verfügungsberechtigten veräußert wurde.
Zusammengefasst bestand die Möglichkeit zur Ausübung des Vorkaufsrechts nicht, da ein Verkauf des Anwesens nicht stattgefunden hat.
Frage 3:
Darf die LH München einen Abriss überhaupt genehmigen, wenn das Gebäude nicht akut baufällig ist, noch bewohnt wird und die Mieter mangels Ersatzwohnraum von Obdachlosigkeit bedroht sind?
Antwort:
Selbstverständlich ist es der Landeshauptstadt München ein großes Anliegen, Bestandsgebäude und somit indirekt auch das Preisgefüge der vor Ort gezahlten Miete möglichst stabil zu halten.
Ein Abbruch muss jedoch nach der Zweckentfremdungssatzung (ZeS) und der Erhaltungssatzung genehmigt werden, wenn ausreichend Ersatzwohnraum neu geschaffen wird (Paragraph 7 ZeS). Eine Baufälligkeit ist für eine Genehmigung nicht erforderlich und liegt in der Praxis auch bei kaum einem Anwesen vor, für das ein Abriss beantragt wird.Die zweckentfremdungsrechtliche Genehmigung für den Abbruch hierfür muss erteilt werden, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung des bestehenden Wohnraumes durch ein beachtliches und verlässliches Ersatzwohnraumangebot entfällt, weil dadurch die Wohnraumbilanz insgesamt wieder ausgeglichen wird [Artikel 2 Satz 1 Nr. 2 Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG), Paragraphen 5
Abs. 3 und 7 Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS)]. Dies entspricht dem ständigen Verwaltungsvollzug und der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Eine Verschärfung der Anforderungen und des Vollzuges ist hier leider derzeit nicht möglich.
Die Genehmigung nach der Erhaltungssatzung für einen Abbruch (Rückbau) kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann versagt werden, wenn die Maßnahme geeignet ist, die Gefahr der Verdrängung der vorhandenen Wohnbevölkerung hervorzurufen.
Dies ist bei einem Rückbau jedoch nicht der Fall, wenn angemessener Ersatzwohnraum im Sinne des Paragraphen 172 Abs. 4 Satz 3 Ziffer 1 BauGB geschaffen wird und dadurch sowohl flächenmäßig Ersatz für den abgebrochenen Wohnraum geschaffen als auch der gesetzlich zulässige Standard eingehalten wird. Unter diesen Voraussetzungen kann keine Gefahr für eine Verdrängung der Wohnbevölkerung, insbesondere auch im Hinblick auf den Ausstattungsstandard des neuen Wohnraums, angenommen werden, da dieser auch bei einer Instandsetzung beziehungsweise der Modernisierung des bestehenden Wohnraums hätte genehmigt werden müssen.
Ob sich Mieterinnen/Mieter im Einzelfall den Ersatzwohnraum leisten können, ist in den oben genannten Verfahren leider nicht Prüfungsgegenstand. Ebenso kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich zum Zeitpunkt der Antragstellung noch Mieterinnen/Mieter im Anwesen befinden. Für die Umsetzung beziehungsweise Unterbringung der Mieterinnen/Mieter ist der Eigentümer verantwortlich.
Allerdings bot der Eigentümer in diesem Fall allen Mieterinnen und Mietern des Anwesens ein Rückzugsrecht in den Neubau zu den Konditionen des Altbaus an.
Frage 4:
Entmietungsmaßnahmen, wie das Herausnehmen von tragenden Wänden oder das Nichtreparieren von Wasserschäden, sind geeignet eine Zweckentfremdung herbeizuführen.Greift hier bereits die Zweckentfremdungssatzung oder erst wenn die dadurch herbeigeführte Unbewohnbarkeit beziehungsweise Leerstand entstanden ist?
Antwort:
Vorsätzliche Schädigungen, die den Wohnraum unbewohnbar machen sollen oder unterlassene Reparaturen stellen für sich gesehen noch keine Zweckentfremdung dar. Dies betrifft überwiegend das privatrechtliche Mietverhältnis und kann nur mit den dafür vorgesehenen rechtlichen Schritten angegangen werden. Bei gefahrdrohenden Zuständen ist gegebenenfalls ein bauaufsichtliches Einschreiten möglich.
Entscheidend ist in diesem Fall, dass bei einem beabsichtigten Abbruch, der wie oben ausgeführt zu genehmigen ist, ein zeitlich begrenzter Leerstand im Regelfall berechtigt ist. Gemäß Paragraph 4 Abs. 2 Ziffer 2 ZeS liegt eine Zweckentfremdung nicht vor, wenn Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instand gesetzt oder modernisiert wird oder alsbald veräußert werden soll und deshalb vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht. Die Beurteilung, wie lange ein Leerstand gerechtfertigt ist, hängt vom jeweiligen Bauvorhaben, den Bemühungen des Eigentümer aber auch von der individuellen Mietsituation vor Ort (ggf. laufendes Räumungsverfahren) ab. Die Beurteilung erfolgt immer im Einzelfall.
Frage 5:
Ist die (neue) Beratungshotline der städtischen Mieterberatung für Notfälle auch außerhalb der eingeschränkten Öffnungszeiten erreichbar und kann diese bei offenkundigen Entmietungsmaßnahmen von sich aus tätig werden?
Antwort:
Die städtische Mietberatungsstelle im Amt für Wohnen und Migration ist eine neutrale und kostenlose Serviceeinrichtung der Landeshauptstadt München. Sie ist keine Interessenvertretung. Die Beraterinnen und Berater können ihre Kundinnen und Kunden beraten, aus rechtlichen Gründen aber nicht vertreten. Bürgerinnen und Bürger können sich in der Beratungsstelle zu allen wohnraummietrechtlichen Themen beraten lassen, sofern diese nicht bereits anwaltlich vertreten werden oder Mitglied in einer Interessenvertretung sind. Die Beratungen erfolgen dabei persönlich, telefonisch oder schriftlich.
Aus organisatorischen Gründen werden telefonische Auskünfte über die Beratungshotline 233-40057 nur während der telefonischen Beratungszeiten, das heißt Montag, Dienstag, Mittwoch von 13.30 Uhr bis 15.00 Uhr sowie am Donnerstag von 10.00 Uhr bis 12.00 Uhr erteilt.Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Landeshauptstadt München im Zeitraum von Mitte März 2014 bis 31.12.2015 das Projekt „Mieternotfalltelefon“ des Mietervereins München bezuschusste. Das Mieternotfalltelefon informierte fachkundig in Kürze über die rechtlichen Möglichkeiten beziehungsweise vermittelte die Kontaktdaten der zuständigen Stellen wie zum Beispiel der Lokalbaukommission beziehungsweise der Rechtsantragsstelle im Amtsgericht München (Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung). Trotz intensiver Pressearbeit des Mietervereins München e.V. sank die Nachfrage im Jahr 2015 so stark, dass eine Fortsetzung der Bezuschussung durch die Landeshauptstadt München für das Jahr 2016 nicht mehr beantragt wurde und das Projekt in seiner ursprünglichen Form nicht weiter fortgesetzt wurde.
Grundsätzlich können die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen beziehungsweise Mieterhöhungen aufgrund vorangegangener Modernisierungsmaßnahmen zur Verdrängung der angestammten Mieterschaft führen.
Im Mietrechtsanpassungsgesetz (MietanpG – Inkraftgetreten am 1.1.2019), stellt das „Herausmodernisieren“ eine Pflichtverletzung dar. Es soll Vermieterinnen und Vermietern künftig erschwert werden, die Ankündigung umfangreicher Modernisierungsmaßnahmen gezielt dazu zu nutzen, Mieterinnen und Mieter zur Kündigung zu veranlassen. Zudem stellt das gezielte „Herausmodernisieren“ künftig eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 100.000 Euro geahndet werden kann.
Derzeit ist noch nicht absehbar, ab wann rechtlich gesehen ein „Herausmodernisieren“ gegeben ist. Besonders schwere Fälle werden in die Zuständigkeit der Polizei fallen beziehungsweise den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen.
Das Mietrecht ist ausschließlich dem Privatrecht zuzuordnen. Hier hat die Landeshauptstadt München leider keine Möglichkeit der Einflussnahme. Um so wichtiger ist, dass betroffene Mieterinnen und Mieter kritisch sind und ihre Rechte wahrnehmen.
In diesem Zusammenhang kommt der Arbeit des Mieterbeirates der Landeshauptstadt München große Bedeutung zu. Der Mieterbeirat der Landeshauptstadt München ist ein parteiunabhängiges, städtisches Gremium und Bindeglied zwischen Mieterinnen und Mietern, Politik, Öffentlichkeit und Verwaltung. Der Mietbeirat der Landeshauptstadt München informiert und berät betroffene Mieterinnen und Mieter aufgrund seiner reichhaltigen praktischen Erfahrung, führt jedoch keine Rechtsberatung durch. Ferner finden betroffene Mieterinnen und Mieter Hilfestellung bei der Gründung von Mietergemeinschaften. Unter der Telefonnummer: 233-24334 ist eine Kontaktaufnahme mit dem Mieterbeirat der Landeshauptstadt München möglich.
Ergänzend wird mitgeteilt, dass die städtische Mietberatungsstelle mit den verbliebenen Mietern in Kontakt stand und mehrfach Beratungsangebote machte. Außerdem wandte sich Herr Oberbürgermeister Reiter mit Schreiben vom 13.12.2018 mit einem Vermittlungsversuch an die Eigentümerin, die Sendlinger Bau GmbH. Darin wird appelliert, das ursprüngliche Angebot der Verfügungsberechtigten an die verbliebenen vier Mietparteien nochmals zu unterbreiten, im Neubau Ersatzwohnungen mit ähnlicher Größe und gleichem Mietpreis wie derzeit zu beziehen.
Inzwischen konnte die Eigentümerin bereits mit zwei Mietparteien eine einvernehmliche Lösung finden und erwartet dies in Kürze auch für die derzeit noch verbleibenden beiden Mietparteien.
Insgesamt zeigen die aktuellen Entwicklungen des Münchner Wohnungsmarktes, dass Verschärfungen zum Schutz der angestammten Bevölkerung dringend notwendig sind.
Aus diesem Grund wird das Sozialreferat dem Stadtrat zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen Entwurf zur Änderung der Zweckentfremdungssatzung vorschlagen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei hauptsächlich die Decklung des Mietpreises für den zu erstellenden Ersatzwohnraum und die räumliche Eingrenzung des Ersatzwohnraums.