Neuer Modellversuch zur Durchsetzung von Verkehrsbeschränkungen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Gerhard Mayer, Bettina Messinger, Cumali Naz, Helmut Schmid, Julia Schönfeld-Knor, Dr. Constanze Söllner-Schaar und Christian Vorländer (SPD-Fraktion) vom 4.5.2018
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist.
Sie beantragen beim Kreisverwaltungsreferat „die Einführung eines Modellversuchs zur Kennzeichenerfassung von Kraftfahrzeugen im Rahmen des datenschutzrechtlich Zulässigen zu prüfen. Mit einem solchen Modellversuch sollen an einzeln ausgewählten problematischen Stellen Verkehrsbeschränkungen besser durchgesetzt, aber auch die Sicherheit von Fußgänger/innen und Radfahrer/innen gewährleistet werden. (…) Getestet werden könnte so ein Modellversuch beispielsweise an Durchfahrtssperren in der Trappentreustraße und im Pasinger Zentrum.“
Das Kreisverwaltungsreferat als Straßenverkehrsbehörde trifft Maßnahmen auf öffentlichem Verkehrsgrund nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung. Der Vollzug der Straßenverkehrsordnung ist eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt.
Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist rechtlich nicht möglich.
Ich erlaube mir daher, Ihren Antrag in Abstimmung mit dem Oberbürgermeister auf dem Schriftwege zu beantworten.
Für die gewährte Fristverlängerung bedanke ich mich.
Die Überwachung des fließenden Verkehrs obliegt prinzipiell der Polizei. Wir haben das Polizeipräsidium München in einem ähnlich gelagerten Fall (Durchfahrtssperre, Linienbusse frei) um eine Stellungnahme zum Einsatz einer digitalen Kennzeichenerfassung gebeten. Von dort wurde uns Folgendes mitgeteilt:
„Grundsätzlich bestehen keinerlei Einwände von Seiten des Polizeipräsidiums München gegen die Installation einer stationären technischen Anlage zur Überwachung eines Durchfahrtsverbotes.Wir geben jedoch zu bedenken, dass dies nicht den Vorgaben der Verkehrs- überwachungsrichtlinien (herausgegeben durch das StMI am 12.5.2006, IC4-3618.2-31) entspricht. Die Verkehrsüberwachung durch die Polizei dient dazu, die Verkehrsteilnehmer zu verkehrsgerechtem und besonnenem Verhalten zu veranlassen. Ihre Maßnahmen sollen insbesondere dazu beitragen, Verkehrsunfälle zu verhindern oder Unfallfolgen zu mindern. Eines der Hauptziele beim Einsatz von technischen Verkehrsüberwachungsanlagen ist die Bekämpfung der Hauptunfallursachen, wie beispielsweise nicht angepasste Geschwindigkeit.
Dies dürfte im hier vorliegenden Fall jedoch nicht als gegeben anzusehen sein.“
Das für die Überwachung des fließenden Verkehrs grundsätzlich zuständige Polizeipräsidium München hat demnach keine Einwände, befürwortet die Installation einer technischen Überwachungsanlage jedoch – im Hinblick auf die Vorgaben in den Überwachungsrichtlinien durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration – nicht.
Für die kommunale Verkehrsüberwachung der Stadt München gelten ebenfalls die Vorgaben der Verkehrsüberwachungsrichtlinien.
Unabhängig davon bestehen hinsichtlich der praktischen Umsetzung Bedenken mit der Vereinbarkeit einer solchen Überwachung mit den derzeit in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorgaben des Datenschutzes:
Rechtlich gesehen ist der Scannvorgang einer Kennzeichenerfassung mit den Bildaufnahmen vergleichbar, wie sie im Rahmen von Geschwindigkeitskontrollen angefertigt werden.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt für die Anfertigung der Bildaufnahme einen einfachen Tatverdacht:
„Ausreichend sei ein einfacher Tatverdacht. Mit dem festgestellten Messverfahren sei sichergestellt, dass zur Identifikation geeignete Bildaufnahmen nur dann angefertigt würden, wenn zuvor durch das Messgerät eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit festgestellt worden sei.“ (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10).
„Einfacher Tatverdacht“ bedeutet, dass grundsätzlich nicht jeder Verkehrsteilnehmer erfasst werden darf, sondern nur derjenige, der gegen die Verkehrsregeln verstößt.Demnach müsste es technisch sichergestellt sein, dass die von dem Überwachungssystem erkannten KFZ-Zeichen der zur Durchfahrt berechtigten Verkehrsteilnehmer, nach deren Erkennung, sofort gelöscht werden bzw. gar nicht gespeichert werden.
Sofern das technisch nicht möglich ist, müssten die berechtigten Verkehrsteilnehmer eine Einwilligung in die Verarbeitung der Daten abgeben, weil gerade gegen sie kein einfacher Tatverdacht besteht.
Diese Vorgabe ist bei einer Sperrbeschilderung, die keine Ausnahmen vorsieht, eingehalten, da alle Fahrzeuge, welche die Durchfahrtssperre missachten, einen Verkehrsverstoß begehen. Insofern wird die Aufnahme bei dieser Verkehrsregelung tatsächlich nur bei Verstößen ausgelöst.
Bei den in Ihrem Antrag angesprochenen Sperren in Pasing und in der Trappentreustraße gelten zahlreiche Ausnahmen von den Durchfahrtssperren. Am Pasinger Marienplatz sind Linienbusse der MVG, Taxen, Anlieger sowie Lieferverkehr von dem Durchfahrtsverbot ausgenommen.
Von der Durchfahrtssperre in der Trappentreustraße sind Linienverkehr, Schulbusse und Taxen ausgenommen.
Ein Speichern der KFZ-Zeichen darf nur dann ausgelöst werden, wenn die Kamera ein „unbekanntes KFZ-Zeichen“ erkennt. Insofern bestünde, der Rspr. des BVerfG entsprechend, ein einfacher Tatverdacht.
Dafür müssten im Vorfeld der Installation alle KFZ-Zeichen der zur Durchfahrt berechtigten Straßenverkehrsteilnehmer in das System eingegeben und abgespeichert werden, damit deren Bildaufnahmen unterbleiben. Bereits für diese Speicherung wäre eine Einwilligung erforderlich.
Die Erfüllung dieser Vorgabe ist aufgrund der Vielzahl von möglichen Berechtigten praktisch nicht umsetzbar.
Es müssten die Kennzeichen aller berechtigten Fahrzeuge im System hinterlegt sein, um erkannt zu werden.
Dies ist weder bei den Linienbussen der MVG möglich, deren Linienwege neben eigenen Fahrzeugen mitunter auch von externen Firmen bedient werden und unter Umständen kurzfristig disponiert oder Ersatzfahrzeuge eingesetzt werden müssen, noch ist dies für den Münchner Taxiverkehr umsetzbar. Neben den ca. 3.400 Münchner Taxen sind auch alle
auswärtigen Taxen zur Durchfahrt berechtigt.
Der nicht eingrenzbare Personen- bzw. Fahrzeugkreis von „Anliegern“ und „Lieferverkehr“ steht einer technischen Umsetzung ebenfalls entgegen.Diese Einschätzung deckt sich mit einer aktuellen Entscheidung des Bundesrates. Dieser hat am 14.12.2018 im Rahmen der Diskussion zur Überwachung von Dieselfahrverboten die Einführung automatischer Kennzeichenerfassung abgelehnt. Begründet wurde dies damit, dass es unverhältnismäßig sei, weil sämtliche Fahrer und Fahrzeuge unabhängig davon erfasst würden, ob sie sich rechtmäßig oder rechtswidrig in bestimmten Verkehrszonen bewegen.
Ich bitte, von den Ausführungen Kenntnis zu nehmen, und gehe davon aus, dass Ihr Antrag damit geschäftsordnungsgemäß behandelt ist.