Zwangsräumung eines 72-jährigen Mieters nach 30 Jahren Mietzeit durch die GWG?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Brigitte Wolf (Die Linke) vom 9.12.2019
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 9.12.2019 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie aus, dass ein 72-jähriger Mieter wegen eines zu groß gewachsenen Baumes nach 30 Jahren Mietzeit im Februar 2019 zwangsgeräumt worden sei, ohne über eine Anschlussunterbringung zu verfügen. Mit dem Verlust der Wohnung seien der Tochter des Betroffenen zufolge alle Grundsicherungsleistungen eingestellt worden, wodurch auch die Krankenversicherung entfiel. Inzwischen sei der Betroffene verstorben.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nähere Auskünfte oder Richtigstellungen von getroffenen Annahmen in diesem Fall aus Datenschutzgründen leider nicht möglich sind.
Frage 1:
Was war der genaue Anlass für die Zwangsräumung aus der Gabelsbergerstraße? Ist es richtig, dass in diesem Fall keine Mietschulden vorlagen?
Antwort:
Auslöser für die Rechtsstreitigkeiten mit dem Mieter war ein Ahornbaum auf dem Balkon des Mieters. Der Baum ragte weit über das Hausdach hinaus und stellte eine Gefahr für die übrigen Mieterinnen und Mieter sowie Passanten dar. Die Wurzeln des Baumes beschädigten im Übrigen bereits massiv den Boden des Balkons. Aus diesem Grund forderte die GWG den Mieter im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht mehrfach zur Beseitigung des auf dem Balkon angepflanzten Großbaumes auf.
Da eine Einwilligung zur Weitergabe der Daten nicht vorliegt, können aus Gründen des Datenschutzes zum weiteren Hergang keine Auskünfte erteilt werden.
Nachfolgend wird jedoch die generelle Praxis der GWG beschrieben: Bei Beschädigungen der Bausubstanz durch die Mieterschaft oder bei von der Nutzung der Mietsache ausgehenden Gefahren werden die betreffenden Mieter oder Mieterinnen mehrfach zur Beseitigung aufgefordert.Eine Kündigung des Mietverhältnisses erfolgt nur, wenn Mieterinnen oder Mieter sich dauerhaft weigern, die Gefahr zu beseitigen. Eine Zwangsräumung folgt nie automatisch nach einer Kündigung. Vielmehr erfolgt eine Zwangsräumung, die beim Vorliegen weiterer Gründe beantragt wird, ausschließlich durch Beschluss des zuständigen Gerichtes, ggfs. auch eines Berufungsgerichtes. Wenn gesundheitliche Einschränkungen der Mieterschaft vorliegen, werden diese berücksichtigt, so z.B. indem ein gerichtlich bestellter Arzt bestätigt, ob und wie ein Gerichtsvollzieher eine eventuelle Räumung durchführen kann. Erforderlichenfalls werden Sozialarbeiter und/ oder Ärzte im Verlauf hinzugezogen. Zudem wird regelmäßig die Fachstelle zur Vermeidung von Obdachlosigkeit der Landeshauptstadt München in ein solches Verfahren einbezogen.
Diese Vorgehensweise wurde auch in diesem Fall eingehalten.
Frage 2:
Ist es korrekt, dass frühere Räumungstermine wegen ärztlicher Atteste über eine bestehende Herzerkrankung nicht vollzogen wurden? In diesen Attesten wird dringend vor psychischen und körperlichen Belastungen gewarnt, da diese lebensbedrohliche Folgen haben könnten.
Antwort:
Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Weitergehende Auskünfte können aus Datenschutzgründen nicht erteilt werden.
Frage 3:
Wie kann es sein, dass sich niemand bei der GWG darum kümmerte, ob eine Anschlussunterbringung gesichert ist? Schließlich war es Winter und der Mieter schwer krank und kein junger Mann mehr.
Antwort:
Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Zum konkreten Sachverhalt können aus Datenschutzgründen keine Angaben gemacht werden. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind jedoch immer bestrebt, Zwangsräumungen zu vermeiden und arbeiten daher eng mit den Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit des Sozialreferates (FAST) zusammen. Vor allen nicht vermeidbaren Räumungen wird zudem die Bezirkssozialarbeit informiert. Zusätzlich wird die FAST über den Gerichtsvollzieher von der Festsetzung des Räumungstermins informiert.
Frage 4:
Wurde die zuständige Bezirkssozialarbeit rechtzeitig von der bevorstehenden Zwangsräumung informiert und einbezogen?
Antwort:
Siehe Antwort zu Frage 3.
Bei Räumungsterminen sind grundsätzlich Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen der Aufsuchenden Sozialarbeit (ASA) vor Ort, so dass von Zwangsräumung betroffene Personen bei Bedarf im Rahmen des städtischen Unterkunftssystems untergebracht werden können.
Frage 5:
Ist es rechtlich zulässig, dass bei Wohnungsverlust auf einmal keine Sozialbehörde mehr für die Grundsicherung im Alter zuständig ist? Wie kann es vorkommen, dass eine Behörde die Zahlungen einstellt ohne den Fall der neu zuständigen Behörde zu melden?
Antwort:
Nach Verlust einer Wohnung muss zunächst abgeklärt werden, ob die/der Betroffene obdachlos wird oder ob sie/er z.B. zunächst bei Bekannten unterkommen kann. Besteht Obdachlosigkeit, wird in München das Amt für Wohnen und Migration für die Leistungsgewährung zuständig. Besteht bis auf weiteres eine sonstige Wohnmöglichkeit bei einer/einem Bekannten, wird das Sozialbürgerhaus zuständig, in dem die Wohnung der/des Bekannten liegt.
Ist nicht bekannt, ob sich die/der Betroffene in München aufhält, weil trotz Nachfragen keine entsprechenden Angaben gemacht werden, müssen die Leistungen wegen fehlender Mitwirkung entzogen werden.
Frage 6:
Warum wurde das eingelagerte Hab und Gut Mitte Juni 2019 versteigert und der Rest „entsorgt“, obwohl der 72-Jährige mehrmals mitteilte, dass er schwer herzkrank war, und obwohl er Anfang Juni 2019 mitteilte, dass er zum 1. Juni eine neue Wohnung in Oberhaching beziehen werde.
Antwort:
Aus Datenschutzgründen können zum vorliegenden Einzelfall oder zur Richtigkeit der in der Frage getroffenen Annahmen keine Angaben gemacht werden.
Allgemein lässt sich ausführen:
Nach § 885 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sichert der zuständige Gerichtsvollzieher/die zuständige Gerichtsvollzieherin im Rahmen der Zwangsräumung die persönliche Habe des Betroffenen. Sie wird dem Schuldner oder, wenn dieser abwesend ist, einem Bevollmächtigten des Schuldners, einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familiebeschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner übergeben oder zur Verfügung gestellt.
Ist weder die von der Zwangsräumung betroffene Person noch eine der anderen berechtigten Personen anwesend, wird die persönliche Habe gemäß § 885 Abs. 3 ZPO für die Dauer eines Monats eingelagert und kann durch den Zwangsgeräumten/die Zwangsgeräumte ausgelöst werden. Nach Ablauf der Einlagerungsfrist werden die eingelagerten Gegenstände versteigert oder entsorgt, wenn sie nicht vorher ausgelöst wurden. Ein eventueller Erlös aus der Versteigerung wird zugunsten des Gläubigers hinterlegt. Bewegliche Sachen, an deren Aufbewahrung offensichtlich kein Interesse besteht, sollen unverzüglich vernichtet werden.
Liegen Nachweise über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor, können die Kosten für eine Einlagerung im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII übernommen werden.
Frage 7:
Warum wurde der schwer herzkranke Mann am 26.2.2019 bei der Barmer Ersatzkasse abgemeldet? Wer hat das veranlasst? Warum kümmerte sich niemand darum, dass er wieder irgendwo angemeldet wurde? Schließlich musste er regelmäßig lebensnotwendige Medikamente einnehmen?
Antwort:
Aus Datenschutzgründen können zum vorliegenden Einzelfall oder zur Richtigkeit der in der Frage getroffenen Annahmen keine Angaben gemacht werden.
Allgemein lässt sich ausführen:
Krankenhilfe nach § 48 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII – in Form einer Versorgung nach § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ist keine Krankenversicherung, sondern unmittelbar mit dem Bezug von laufenden Leistungen nach dem SGB XII verbunden. Werden die laufenden Leistungen entzogen, z.B. wegen fehlender Mitwirkung, endet automatisch auch die Krankenversorgung.
Generell gilt: Wer weder einen festen Wohnsitz hat, noch eine Rente bezieht, kann trotzdem krankenversichert sein, z.B. nach dem Bezug von Arbeitslosengeld II. Der entsprechende Beitrag wird bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Bedarf berücksichtigt. Besteht keine Krankenversicherung, werden die Kosten für ambulante und stationäre Behandlungen wie oben dargestellt von der Landeshauptstadt München übernommen.
Abschließend verweisen wir auf § 78 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch, nachdem Dritte, denen Sozialdaten übermittelt worden sind, diese nur zu dem Zweck verarbeiten dürfen, zu dem sie ihnen übermittelt worden sind.