Situation der amtlichen Lebensmittelkontrollen in München
Anfrage Stadträtin Brigitte Wolf (Die Linke) vom 20.1.2020
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
In Ihrer Anfrage vom 20.1.2020 bitten Sie um Information über die Situation der amtlichen Lebensmittelkontrollen in München.
Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„Der Verein foodwatch e.V., der sich mit den Rechten von Verbrauchern und der Qualität von Lebensmitteln auseinandersetzt, hat im vergangenen Jahr 2019 eine bundesweit angelegte Befragung durchgeführt, in der es um den aktuellen Stand der Lebensmittelüberwachung in Deutschland geht. Das Ergebnis der Studie ist vor kurzem vorgestellt worden und offen- bart ein erschreckendes Bild. Fast alle Behörden, die für die Kontrolle von Lebensmitteln zuständig sind, sind eklatant unterbesetzt mit dem Ergebnis, dass deutschlandweit etwa jede dritte vorgeschriebene Betriebskontrolle ausfällt, weil es in den Ämtern an Personal fehlt. München hat bei der Befragung von foodwatch e.V. angegeben, dass die vorgeschriebene Kontrollfrequenz nicht eingehalten wird und es zum 1.9.2019 4.075 Kontrollrückstände gab. Dabei sind regelmäßige Kontrollen eine wichtige Voraussetzung für hygienische und sichere Lebensmittel in Restaurants, Kantinen oder im Supermarkt.“
Ihre Anfrage hat mir Herr Oberbürgermeister Dieter Reiter zur unmittelbaren Beantwortung übergeben; im Einzelnen beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Frage 1:
Wie viele der vorgeschriebenen Plankontrollen haben jährlich 2010 bis 2019 stattgefunden? (Bitte nach den jeweiligen Jahren aufschlüsseln.)
Antwort:
Bei den Kontrollen der Münchner Lebensmittelüberwachung wird unterschieden nach planmäßigen Routinekontrollen (Plankontrollen) und außerplanmäßigen (anlassbezogenen) Kontrollen. Plankontrollen werden regelmäßig, risikobasiert und mit angemessener Häufigkeit in den Betrieben des Stadtgebietes durchgeführt. Dabei dient die sog. Risikobewertung von Betrieben als Instrument zur Bewertung des individuellen betriebsbezogenen Risikos, nach dem sich die Frequenz der Plankontrollen zu richten hat.Ein Betrieb ist bei jeder Plankontrolle bezüglich seines betrieblichen Risikos neu zu bewerten. Die Risikobewertung eines Betriebes bestimmt sich nach dem Risiko der jeweiligen Betriebsart sowie aus Bewertungspunkten zu Vertriebsgebiet, Verhalten des Unternehmers, Eigenkontrollen und Hygiene. Je nach Einstufung unterliegen die Betriebe in der Regel einem Kontrollintervall zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Bei jeder neuen Risikobewertung kann sich die Kontrollfrequenz des Betriebes ändern.
In der Zeit von 2010 bis 2019 haben jährlich folgende Plankontrollen stattgefunden
Frage 2:
Wie viele Stellen waren für Lebensmittelkontrolleurinnen und -kontrolleure in den Jahren 2010 bis 2019 im Soll-Stellenplan vorgesehen und wie viele waren im IST besetzt? (Bitte nach den jeweiligen Jahren aufschlüsseln.)
Antwort:Die Stellenbemessung der Lebensmittelüberwachung steht in Zusammenhang mit der Zahl der durchzuführenden Kontrollen und Tätigkeiten. Nachdem die Grundlagen für die Berechnung der Risikobewertung im Jahr 2009 landesweit neu gestaltet wurden, ergab sich eine Verlängerung der Kontrollintervalle bei Plankontrollen und damit eine geringere Anzahl an durchzuführenden Kontrollen. Mittelfristig ergab sich daraus zunächst auch eine Reduzierung der rechnerisch erforderlichen Stellenanzahl.
Da sich die Aufgabenstellung der Lebensmittelüberwachung jedoch in den letzten Jahren wieder kontinuierlich verändert und zudem ein ständiger Anstieg bei anlassbezogenen Kontrollen und amtlichen Probeentnahmen festzustellen ist, wurden in den Jahren 2018 und 2019 zusätzliche Stellen für die Lebensmittelüberwachung beantragt und teilweise bewilligt. Es ist geplant, auch im Jahr 2020 weitere Stellen für die Lebensmittelüberwachung im Stadtrat vorzutragen.
Frage 3:
Wie viele Betriebe musste eine Lebensmittelkontrolleurin/ein Lebensmittelkontrolleur im Durchschnitt in den Jahren 2010 bis 2019 jeweils kontrollieren?
Antwort:
Frage 4:
Konnten in den Jahren 2010 bis 2019 die Kontrollfrequenzen für die im Zuständigkeitsbereich der Stadt München befindlichen Betriebe, gemäß den Vorgaben der AVV RÜb, eingehalten werden?
Antwort:
Die Kontrollfrequenzen der Plankontrollen im Zuständigkeitsbereich der Stadt München konnten in den Jahren 2010 bis 2019 nicht immer termingerecht eingehalten werden. Die Durchführung der Plankontrollen wird durch die Zahl der zur Verfügung stehenden personellen Kapazitäten beeinflusst und steht in Abhängigkeit zur Zahl der anlassbezogenen Kontrollen, die grundsätzlich vorrangig durchzuführen sind, sowie zur Zahl der zu entnehmenden Proben.
Die Zahl der anlassbezogenen Kontrollen kann nicht geplant werden, diese Kontrollen sind zusätzlich und vorrangig durchzuführen. Im Jahr 2019 wurden insgesamt 7.063 anlassbezogene Kontrollen durchgeführt. Dabei war insbesondere bei den Kontrollen zur Rückrufüberwachung im Rahmen des EU-Schnellwarnsystems ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen (2019/3.019 Kontrollen, 2018/2.671 Kontrollen, 2017/1.799 Kontrollen).
Auch bei den amtlichen Probeentnahmen ist seit 2017 ein Anstieg zu verzeichnen (2016/3.480 Proben, 2017/3.962 Proben, 2018/4.333 und 2019/4.186 Proben).
Frage 5:
Wie haben sich die Kontrollfrequenzen in den Jahren 2010 bis 2019 entwickelt?
Antwort:
Die Häufigkeit von planmäßigen Betriebskontrollen, die Kontrollfrequenz, hängt von der Risikobewertung des jeweiligen Betriebes ab. Betriebe, die der Kontrolle durch die Lebensmittelüberwachung unterliegen, haben in der Regel eine Kontrollfrequenz zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Die Grundlagen für die Berechnung der Risikobewertung wurden zuletzt Anfang 2009 landesweit neu gestaltet, wodurch sich eine Verlängerung der Kontrollintervalle ergab. Da die Neubewertung der Betriebe grundsätzlich im Rahmen der Plankontrollen erfolgt, wirkten sich die geänderten Kontrollintervalle erst mit einer zeitlichen Verzögerung auf die Zahl der durchschnittlichen jährlichen Plankontrollen aus.Ein Betrieb ist bei jeder Plankontrolle bezüglich seines betrieblichen Risikos neu zu bewerten. Bei jeder neuen Risikobewertung kann sich daher die Kontrollfrequenz des Betriebes ändern.
Frage 6:
Wenn Frage 3 mit nein beantwortet wird, bei wie vielen und welchen Betrieben (bei datenschutzrechtlichen Problemen bitte zumindest die Branche) sind die Kontrolleure im Verzug (bitte aufgeschlüsselt nach Risikokategorie, Risikoklasse und Jahr)?
Antwort:
Es wird davon ausgegangen, dass hier Bezug auf Frage 4 und nicht Frage 3 genommen wird.
Aktuell sind 3.830 Plankontrollen nicht fristgerecht durchgeführt worden. Für die Bearbeitung der noch ausstehenden Plankontrollen wurden Festlegungen getroffen, nach denen die Kontrollen zu priorisieren sind (z.B. über-örtlich tätige Betriebe, Auffälligkeiten, Zeitraum seit der letzten Kontrolle).
Eine genaue Aufschlüsselung nach Branche, Risikokategorie, Risikoklasse und Jahr ist mit den zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten nicht leistbar, da jeder Betrieb einzeln betrachtet werden müsste und dies die personellen Kapazitäten der Lebensmittelüberwachung zusätzlich enorm belasten würde.
Frage 7:
Ist die finanzielle und personelle Ausstattung der Lebensmittelüberwachung an den Zielen des Verbraucherschutzes ausgerichtet?
Antwort:
Um den Zielen des Verbraucherschutzes gerecht zu werden, wird regelmä-ßig überprüft, ob die vorhandenen personellen Kapazitäten noch den Erfordernissen entsprechen.
Aufgrund geänderter Aufgaben und steigender Fallzahlen wurden für den Bereich der Lebensmittelüberwachung 2018 und 2019 zusätzliche Stellen im Stadtrat beantragt. Aufgrund der haushaltspolitischen Situation war der Mehrbedarf an Stellen jedoch nicht bedarfsgerecht zu realisieren.Die Besetzung der genehmigten Stellen kann in der Regel nur über Nachwuchskräfte erfolgen, die zunächst eine 2-jährige Ausbildung durchlaufen müssen, bevor sie bei der Lebensmittelüberwachung praktisch eingearbeitet und sodann produktiv eingesetzt werden können. Eine Verstärkung des Kontrollpersonals ist daher von der Feststellung des Bedarfs, der Bewilligung durch den Stadtrat, des Einstellungsverfahrens bis zur Vollendung der Ausbildung der Nachwuchskräfte nur sehr zeitverzögert zu realisieren.
Um kurzfristigen Personalengpässen durch Fluktuationen entgegenwirken zu können, wurden zusätzlich drei sogenannte „Pool-Stellen“ eingerichtet, die zwar nicht auf die Stellenkapazität angerechnet, aber jederzeit besetzt werden können. Aufgrund mehrerer Personalabgänge sind diese Stellen derzeit wieder zu besetzen.
Frage 8:
Werden Kontrollergebnisse veröffentlicht beziehungsweise ist es geplant sie künftig zu veröffentlichen?
Antwort:
Bereits im Jahr 2012 hatte die Lebensmittelüberwachung der Stadt München Kontrollergebnisse auf der Webseite des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) veröffentlicht. Im Jahr 2013 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) der Stadt München diese Veröffentlichungen in drei Fällen untersagt. Die Rechtsgrundlage für die Veröffentlichungen hatte laut VGH Mängel (§ 40 Absatz 1a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches – LFGB). Danach wurden die Veröffentlichungen in ganz Bayern über Jahre hinweg ausgesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 2018 zur Verfassungsmäßigkeit des § 40 Absatz 1a LFGB zudem Änderungen an der Rechtsvorschrift gefordert.
Nach Umsetzung der Änderungen zum 30.4.2019 durch den Bundesgesetzgeber wurden die Veröffentlichungen im Mai 2019 bayernweit wieder aufgenommen, auch von der Lebensmittelüberwachung in München. Um die Veröffentlichung zu verhindern, können die betroffenen Betriebe in einem verbindlich durchzuführenden Verwaltungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht München einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO beantragen.
Bei einer Veröffentlichung von Kontrollergebnissen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, das in seinem oben genannten Urteil sehr hohe Anforderungen gestellt hat.Zitat aus dem Urteil:
„Neben der Bußgelderwartung muss der Verstoß von nicht nur unerheblichem Ausmaß sein. Dem kommt für die verfassungskonforme Anwendung der Regelung entscheidende Bedeutung zu. Der unbestimmte Rechts-
begriff des ‚nicht nur unerheblichen Ausmaßes‘ ist durch die zuständigen Behörden, im Klagefall auch durch die Verwaltungsgerichte, anhand von quantitativen und qualitativen Kriterien zu konkretisieren. Dabei können nur solche Verstöße als erheblich gelten, die von hinreichendem Gewicht sind, um für die betroffenen Unternehmen potenziell gravierende Folgen zu rechtfertigen.
So geht etwa die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme davon aus, ein nicht nur unerhebliches Ausmaß sei dann anzunehmen, wenn es sich um einen Verstoß mit besonders nachteiligen Folgen für den einzelnen Verbraucher handele oder eine Vielzahl von Verbrauchern betroffen sei.“
Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurden von der Stadt München bisher 11 Betriebe auf der aktuellen Webseite des Bayer. Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit veröffentlicht.
Frage 9:
Wie beurteilt die Verwaltung die Kontrollrückstände bei der Lebensmittelüberwachung?
Antwort:
Ein ausreichender Verbraucherschutz, insbesondere die regelmäßige, fristgerechte Kontrolle von Lebensmittelbetrieben, kann nur geleistet werden, wenn hierfür ausreichende personelle Kapazitäten zur Verfügung stehen. Stehen diese Kapazitäten nicht zur Verfügung, besteht in der Folge die Gefahr von negativen Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbrauchersowie ein zunehmendes Risiko bzgl. des Auftretens von unerwünschten Lebensmittelereignissen.
Können Kontrollen längere Zeit nicht fristgerecht durchgeführt werden, steigt durch den größeren Abstand zwischen den einzelnen Kontrollen erfahrungsgemäß auch die Zahl von gravierenden Beanstandungen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Lebensmittelüberwachung neben den Plankontrollen noch weitere Aufgaben zu erfüllen hat, insbesonderedie zu priorisierenden anlassbezogenen Kontrollen (z.B. Rückrufüberwachung aus dem EU-Schnellwarnsystem, Verbraucherbeschwerden, Nachkontrollen) sowie Probeentnahmen. Dazu kommt ein erheblicher zeitlicher Aufwand für die Dokumentation von Kontrollen und in Zusammenhang mit der Bearbeitung von Verfahren und Maßnahmen.
Frage 10:
Welche Maßnahmen sind geplant um wieder eine verlässliche Kontrolle durchzuführen, d.h. Abbau der Kontrollrückstände und die Einhaltung der vorgeschriebenen Kontrollfrequenz?
Antwort:
Wie bereits ausgeführt, ist eine fristgemäße Bearbeitung aller Kontrollen durch die Lebensmittelüberwachung nur mit einer ausreichenden personellen Ausstattung zu erreichen. Im Rahmen der haushaltspolitischen Möglichkeiten werden hier alle Maßnahmen ergriffen, um die personellen Kapazitäten aufzustocken (siehe auch Antwort zu Frage 7).
Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass diese Angelegenheit damit erledigt ist.