„Housing First“ auch in München umsetzen
Antrag Stadtrat Rudolf Schabl (damals Fraktion ÖDP/FW) vom 11.2.2021
Antwort Sozialreferat:
Sie beantragen, dass die Landeshauptstadt München in Zusammenarbeit mit dem Landkreis München und interessierten Umland-Gemeinden im Kampf gegen Obdachlosigkeit das Konzept „Housing First“ umsetzt. Ihr Einverständnis vorausgesetzt, teile ich Ihnen auf diesem Wege zu Ihrem Antrag Folgendes mit.
Die Versorgung wohnungsloser Haushalte mit bedarfsgerechtem Wohnraum ist ein wichtiges sozialpolitisches Ziel der Stadtverwaltung und fest in deren Agenda verankert, wie auch präventive Unterstützungsangebote zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit.
Schon früh mit großen Herausforderungen bei der sozialen Wohnraumversorgung konfrontiert, hat sich in München über die Jahre, im Vergleich mit den anderen großen Großstädten in Deutschland, ein sehr ausdifferenziertes Wohnungslosenhilfesystem etabliert, das sich in der Kooperation mit u. a. den verschiedenen Referaten, den Freien Trägern der Wohnungslosenhilfe und den städtischen Wohnbaugesellschaften ständig weiterentwickelt.
In dieser gewachsenen Struktur finden sich sowohl Impulse durch neue Erkenntnisse der Sozialforschung wie auch „best-practice“ Beispiele aus anderen Metropolen und nicht zuletzt die München spezifischen Bedarfe und Eigenarten wieder.
Insofern haben die maßgeblichen Abteilungen, in erster Linie im Amt für Wohnen und Migration, das Konzept „Housing First“ schon seit längerem im Blick, insbesondere die beiden aus unserer Sicht inhaltlichen Kernelemente des Konzeptes, einen direkten – im Sinne von bedingungslosen – Zugang zu leistbarem Wohnraum, für welchen die betroffenen Personen einen eigenständigen Mietvertrag abschließen, und eine bedarfsorientierte Nachsorge für die betroffenen Haushalte.
Zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des „Housing First“-Ansatzes ist insofern die Auseinandersetzung mit dem Wohnungsmarkt, um den Zugang zu leistbarem Wohnen für den betroffenen Personenkreis zu ermöglichen.
Dem Zusammenhang zwischen Wohnungsmarkt und Wohnungslosigkeit folgend, hat sich im Nachgang zu den beiden Stadtratsanträgen „Entwicklung eines kommunalen Sanierungs- und Wohnungsbauprogrammes für obdachlose Haushalte“ (Antrag Nr.96-02/301988, vom 18.5.2000) sowie zur „Erstellung eines Gesamtplanes zur Sozialen Wohnraumversorgung und Wohnungslosenhilfe“ (Antrag Nr.96-02/302195, vom 6.9.2000) eine Kooperation des Referates für Stadtplanung und Bauordnung, des Kommunalreferates und des Sozialreferates etabliert, mit dem Ziel, für die am Wohnungsmarkt benachteiligten Bürger*innen adäquaten Wohnraum zu schaffen. Insbesondere im Rahmen des Paradigmenwechsels „Wohnen statt Unterbringen“ (Münchner Gesamtplan II. Soziale Wohnraumversorgung - Wohnungslosenhilfe; Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates vom 23.6.2010, Sitzungsvorlage-Nr. 08-14/V 03974) wurden differenzierte Instrumente zu Wohnungsprogrammen für benachteiligte Personen am Wohnungsmarkt und zur Vermeidung und Behebung akuter Wohnungslosigkeit entwickelt.
Zuvorderst ist hier das Förderprogramm EOF-BW (Einkommensorientierte Förderung besondere Wohnformen, ehem. KomPro B) zu nennen, in dessen Rahmen jedes Jahr zuverlässig neuer Wohnraum für akut wohnungslose Haushalte geschaffen wird. In der aktuellen Planung ist eine weitere Dezentralisierung des Wohnraums in verschiedene Objekte vorgesehen, zu Lasten der Errichtung solitärer Objekte mit mehreren Wohneinheiten. Dies im Hinblick darauf, einer weiteren Segregation und damit verbundenen Stigmatisierung einzelner Wohnadressen entgegen zu wirken und eine positive Integration der betroffenen Haushalte in ihr neues Wohnumfeld zu erleichtern. Ein zentraler Baustein, der sich auch im Konzept „Housing First“ wiederfindet.
Mit dem Wohnbauprogramm „Wohnen für Alle“ (WAL) wurde in diesem Kontext ebenfalls erfolgreich weiterer Wohnraum für anerkannte Flüchtlinge und wohnungslose Haushalte geschaffen. Einer weiteren Differenzierung innerhalb der Zielgruppe der wohnungslosen Haushalte trägt die Umsetzung der Konzepte „Sozial betreutes Wohnhaus“ und „Lebensplätze für Frauen“ Rechnung. Hier wird Wohnraum speziell für ältere Wohnungslose bzw. ältere wohnungslose Frauen, sogenannte „Systemwanderer“, geschaffen. Eine Versorgung von Haushalten im Rahmen der Direktversorgung, bei der Haushalte im Zusammenhang mit einer rechtswirksamen Kündigung bzw. Zwangsräumung direkt in Wohnungen aus einem begrenzten Kontingent vermittelt werden können, ohne akut wohnungslos zu werden, und die Erschließung von Wohnraum für akut wohnungslose Haushalte über das Belegrechtsverfahren „Soziales Vermieten leicht gemacht – Sorgen Sie für Schlüsselmomente“ sind weitere wesentliche Bausteine bei der sozialen Wohnraumversorgung der Landeshauptstadt München. In allen genannten Fällen liegt jeweils ein privatrechtliches Mietverhältnis vor. Bedingungen für die betroffenen Haushalte vor der Vermittlung, wie Abstinenz, das Durchlaufen einer Übergangseinrichtung oder das Absolvieren eines Wohntrainings sind bei der Belegung dieser Wohnungen nicht vorgesehen.
Die Haushalte kommen überwiegend aus der ordnungsrechtlichen Unterbringung des akuten Wohnungslosenhilfesystems der Landeshauptstadt München. Dort etablierte Angebote, wie die Erstellung der „Wohnperspektive“ werden kooperativ gemeinsam mit dem Haushalt erarbeitet, sind am Bedarf des Einzelfalles orientiert, zielen auf die Vermittlung adäquaten Wohnraums ab und sind für die Haushalte freiwillig. Insofern ist der „bedingungslose“ Zugang, wie er grundlegend im Konzept „Housing First“ ist, weitgehend eingelöst.
Der zweite wesentliche Baustein des Konzeptes „Housing First“ ist ein begleitendes Unterstützungsangebot für die betroffenen Haushalte, nach Einzug in eine Wohnung mit eigenständigem Mietvertrag. Auch in diesem Bereich hält die Landeshauptstadt München ein vergleichsweise großes und ausdifferenziertes Angebot vor.
Im Rahmen des Paradigmenwechsels Gesamtplan München II: Handlungsprogramm „Wohnen statt Unterbringen“ wurden verschiedene Nachsorge-Konzepte (in freier Trägerschaft: z.B. Unterstütztes Wohnen, in städtischer Trägerschaft: z.B. Sozialpädagogische Integrationsunterstützung Wohnen (SIW) für KomPro B-Objekte) thematisiert und anschließend umgesetzt. Bei der Neuausrichtung der Unterstützung, Begleitung und Nachsorge von wohnungslosen Haushalten (Beschluss des Sozialausschusses vom 27.3.2014, Sitzungsvorlage Nr. 08-14/V14141) wurden die Wohlfahrtsverbände in die Betreuung der Wohnungslosen bei der Hälfte der Bettplätze einbezogen. Es wurde eine Übergangsbegleitung von max. sechs Monaten durch die betreuenden Sozialdienste der städtischen Bezirkssozialarbeit und der freien Träger festgeschrieben. Die Übergangsbegleitung ist seitdem in allen Leistungsbeschreibungen der freien Träger (im Rahmen der Zuschuss-Bescheide) enthalten.
Neben der grundsätzlichen Übergangsbetreuung steht mit der Maßnahme „Unterstütztes Wohnen“ ein weiteres Instrument für die Begleitung ehemals wohnungsloser Haushalte zur Verfügung. Von den im Rahmen des Münchner Gesamtplan II beschlossenen 250 Plätzen für die Angebote im Unterstützten Wohnen werden aktuell 225 Plätze (ein weiterer Ausbau um 21 Plätze erfolgt noch in diesem Jahr) von den Freien Trägern vorgehalten. Die Landeshauptstadt München hat mit sechs freien Trägern der Wohnungslosenhilfe insgesamt 14 Entgeltvereinbarungen abgeschlossen. Die Maßnahmen sind jeweils zielgruppenspezifisch konzipiert und auf mindestens 12 Monate Betreuungszeit ausgelegt. Eine regelhafte Verlängerung ist in den jeweiligen Leistungsbeschreibungen bereits vorgesehen. Eine weitere Verlängerung darüber hinaus liegt als Einzelfallentscheidung im Ermessen der jeweiligen Sachbearbeitung und ist in Rücksprache mit der Fachsteuerung möglich. Insofern wird auch an dieser Stelle einem Baustein von „Housing First“ Rechnung getragen, wonach die Dauer der präventiven Unterstützung den individuellen Bedarfen folgen soll.
Insbesondere das Platzangebot im Bereich der Familien wurde in den letzten beiden Jahren auf inzwischen 39 Plätze ausgeweitet (weitere sieben Plätze werden noch in diesem Jahr mit der Entgeltkommission verhandelt). Dazu kommen 23 Plätze für alleinerziehende Frauen. Die restlichen Plätze entfallen auf alleinstehende Männer (101 Plätze; ein Ausbau um weitere 14 Plätze wird noch in diesem Jahr mit der Entgeltkommission verhandelt) und Frauen (39 Plätze) und den Bereich des Probewohnens (30 Plätze).
An diese individuelle Einzelfallhilfe anschließend finden Haushalte, die auch nach Abschluss einer intensiven Maßnahme des Unterstützten Wohnens noch punktuellen Hilfebedarf haben, Unterstützung bei konkreten Problemstellungen im Rahmen der Präventiven Kurzintervention Wohnen.
Die städtischen Fachkräfte der Sozialen Integrationsunterstützung Wohnen (SIW) versorgen vom Sozialbürgerhaus Nord aus alle EOF-BW-Objekte (ehemals KomPro-B). Mit der SIW bietet die Landeshauptstadt München allen Haushalten, die aus der akuten Wohnungslosigkeit kommend in ein EOF-BW-Objekt ziehen, eine mindestens einjährige Unterstützung beim Übergang in eine Wohnung mit eigenständigem Mietvertrag an. Im Vordergrund stehen hierbei die Einhaltung der mietvertraglichen Verpflichtungen, die Integration in das neue Wohnumfeld und die Anbindung an soziale Strukturen oder Einrichtungen.
Darüber hinaus können die privaten Vermieter*innen im Rahmen des Belegrechtsprogramms „Soziales Vermieten leicht gemacht – Sorgen Sie für Schlüsselmomente“ einen Bedarf an Nachsorge für ihre Mieter*innen bei der SIW anmelden.
Als wichtiges Element des Gesamtkonzepts Maßnahmen zum Erhalt von Mietverhältnissen bietet die Aufsuchende Sozialarbeit (ASA) – Nachsorge Haushalten, deren Wohnungen nach einem Wohnungsnotfall erhalten werden konnten, ein Betreuungsangebot an, um die Ursachen des drohenden Wohnungsverlustes aufzuklären und gemeinsam mit dem Haushalt Strategien zu entwickeln, um einen erneuten Wohnungsnotfall zu vermeiden.
Für Haushalte mit Multiproblemlagen, die die Kapazitäten der ASA übersteigen, steht mit den städtischen Fachkräften der Intensivbetreuung Wohnen (IW) ein weiterer Dienst zur Verfügung, der eine Betreuung gewährleisten kann. Auch bei Haushalten, deren Mietverhältnisse nicht erhalten werden konnten, denen jedoch durch die Direktversorgung unmittelbar neuer Wohnraum angeboten werden konnte, übernimmt die IW die Betreuung und steht darüber hinaus für Wohnungsnotfälle, die ihr durch die Bezirkssozialarbeit aus dem Sozialraum gemeldet werden, zur Verfügung. Eine Verlängerung der Betreuung über die Regelzeit hinaus ist hier ebenfalls möglich.
Wie im Konzept „Housing First“ vorgesehen, sind all diese Maßnahmen freiwillige Angebote an die betroffenen Haushalte und korrespondieren insofern mit der Forderung nach möglichst großer Autonomie der Betroffenen. Eine klare Trennung zwischen Wohnungsverwaltung und Hilfeerbringer*innen entspricht dabei ebenfalls den Grundlagen von „Housing First“ und trägt der Vermeidung von Interessenkonflikten Rechnung. Eine Sanktionsmöglichkeit hinsichtlich des Mietverhältnisses im Rahmen der Betreuung ist insofern ebenfalls ausgeschlossen.
Unserer Einschätzung nach unterscheiden sich die sozialpolitischen Ziele und Maßnahmen, die die Landeshauptstadt München insbesondere in dem Paradigmenwechsel „Wohnen statt Unterbringen“ zum Ausdruck gebracht hat, kaum von „Housing First“. Eine Fortschreibung des Gesamtplanes Wohnen steht aktuell auf der Agenda des Sozialreferates und soll im ersten Quartal 2022 abgeschlossen werden. Darin werden sich meiner Einschätzung nach auch Elemente des Konzepts „Housing First“ wiederfinden. Ungeachtet dessen bleibt die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum die alles entscheidende Grundlage für eine Vermittlung von wohnungslosen Haushalten in Wohnungen mit privatrechtlichen Mietverträgen. Wohnraum zu schaffen und zu erhalten sehe ich, sieht die Landeshauptstadt München deshalb als zentrale Aufgabe. Dabei freue ich mich über Ihre Unterstützung.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.