Münchner Gehwegplatte – umweltfreundliche Alternativen prüfen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann, Hans-Peter Mehling, Tobias Ruff und Rudolf Schabl (Fraktion ÖDP/FW) vom 30.3.2021
Antwort Baureferentin Rosemarie Hingerl:
Sie fordern in Ihrem Antrag das Baureferat auf zu prüfen, ob an geeigneten Orten im Münchner Stadtgebiet statt der Münchner Gehwegplatte aus Beton ein umweltfreundlicherer Bodenbelag aus Klinker oder Ziegel eingesetzt werden kann. Dabei ist auf eine möglichst lange Haltbarkeit und die Barrierefreiheit zu achten.
Nach § 60 Abs. 9 GeschO dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit i. S. von Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO und § 22 GeschO, deren Erledigung dem Oberbürgermeister obliegt. Eine beschlussmäßige Behandlung der Angelegenheit im Stadtrat ist daher rechtlich nicht möglich.
Zu Ihrem Antrag vom 30.3.2021 teilt das Baureferat aber Folgendes mit:
Die Klimafreundlichkeit/Umweltrelevanz von Verkehrsflächenbefestigungen hängt von verschiedenen Faktoren, wie z.B. dem Transportweg von den Produktionsanlagen zur Baustelle, den Einbauverfahren (z.B. Baumaschineneinsatz, erforderliche Zusatzbaustoffe etc.), den klimarelevanten Umweltauswirkungen des Produktionsprozesses sowie von der Langlebigkeit/ Dauerhaftigkeit der verwendeten Bauprodukte bzw. den gewünschten Nutzungseigenschaften (z.B. Festigkeit, Witterungsbeständigkeit, Rutschfestigkeit), ab.
Aufgrund ortsnaher Produktionsanlagen sowie gleicher Einbaubedingungen sind die klimarelevanten Auswirkungen des Transportweges sowie der Einbauverfahren für Bauprodukte aus Beton und Klinker/Ziegel zu vernachlässigen. Daher werden nachfolgend nur der Produktionsprozess und die Dauerhaftigkeit/Langlebigkeit der Bauprodukte betrachtet.
Produktionsprozess:
Umweltdaten zu Bauprodukten können u.a. über die Datenbank „ÖKO-BAUDAT“ des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) (https://www.oekobaudat.de/) abgerufen werden. Hierin sind Ökobilanzda-tensätze enthalten, anhand derer u.a. die Klimafreundlichkeit eines Baustoffes, einer Baustoffgruppe oder auch eines firmen- oder branchenspezifischen Bauprodukts abgeleitet werden können.
Die klimarelevanten Umweltauswirkungen (z.B. Energiebedarf nicht erneuerbarer Energieträger, Globales Erwärmungspotential etc.) bei der Herstellung von Bauprodukten aus Beton, Klinker und Ziegel sind im Wesentlichen von Brennstoffemissionen (Verbrauch nicht erneuerbarer Primärenergie fossiler Energieträger) und Prozessemissionen bei der Rohstoffbereitstellung (z.B. Zementherstellung, Wassereinsatz, Kiesabbau, Sandabbau, Ton-/ Lehmabbau etc.) bzw. der Produktveredelung (Mischen, Brennen, Trocknen, Lagern etc.) abhängig.
Bei Bauprodukten aus Beton werden die klimarelevanten Umweltaus-
wirkungen (CO2-Ausstoß) hauptsächlich durch die Bereitstellung des Zuschlagstoffs Zement verursacht. Bei der Zementherstellung sind ca. 1/3 des CO2-Ausstoßes auf Brennstoffemissionen und ca. 2/3 auf Prozessemissionen (Kalzinierung des Kalksteins zu Branntkalk, einer Vorstufe des Zementklinkers) zurückzuführen. Pflaster/Platten aus Betonstein bestehen i.d.R. aus einer Kernbetonschicht variabler Dicke mit geringerem Zementanteil und einer hochwertigen verschleißfesten Vorsatzschicht (i.d.R. ca. 2cm) mit höherem Zementgehalt. Bei der Münchner Gehwegplatte liegt der Zementgehalt der gesamten Platte bei ca. 18 M.-%.
Bei Bauprodukten in Klinker-/Ziegelqualität werden die klimarelevanten Umweltauswirkungen hingegen im Wesentlichen durch Emissionen beim Brennprozess des gesamten Bauprodukts verursacht.
Anhand der in „Ökobaudat“ veröffentlichten Umweltdaten sind nachfolgend der Energieverbrauch nicht erneuerbarer Primärenergieträger sowie das Globale Treibhauspotential beispielhaft für Platten/Pflastersteine aus Beton, Klinker und Ziegel bezogen auf 1m² Fläche dargestellt.
Für die „Münchner Gehwegplatte“ liegen in der „Ökobaudat“-Datenbank des BMI keine eigenen Datensätze vor, jedoch sind die dort aufgeführten EPD-Daten (Environmental-Product-Declaration) eines Betonpflastersteins mit Vorsatzschicht aus Edelsplitt übertragbar.
Auch für Pflastersteine/Platten aus Klinker/Ziegel liegen keine produktscharfen Datensätze vor. In Abstimmung mit dem Referat für Klima- und Umweltschutz wurden daher hilfsweise die branchenspezifischen EPD-Daten für Vormauerziegel, Pflasterziegel und Riemchen herangezogen, in denen Bauprodukte in Klinker-/Ziegelqualität als Branchenmix enthalten sind.
(Quelle: https://www.oekobaudat.de/no_cache/datenbank/suche.html) siehe: 1. Mineralische Baustoffe, 1.3 Steine und Elemente, 1.302 Ziegel (EPD Daten zu Vormauerziegel, Pflasterziegel und Riemchen - Bauen mit Backstein Zweischalige Wand Marketing e.V.) und 1.305 Betonfertigteile und Betonwaren, (EPD-Daten zu Betonpflasterstein mit Edelsplittvorsatz - Kronimus AG)
Die Auswertung zeigt, dass der klimarelevante Energieverbrauch (nicht erneuerbare Primärenergie) für die Herstellung von Pflastersteinen/Platten aus Klinker/Ziegel ungefähr um den Faktor 3,8 und das Globale Erwärmungspotential GWP (Treibhauspotential) ungefähr um den Faktor 1,5 höher ist als für die Herstellung von Pflastersteinen/Platten aus Beton.
Nachhaltigkeit/Dauerhaftigkeit
Für die Nachhaltigkeit/Dauerhaftigkeit von Bauprodukten im Straßenbau sind insbesondere mechanisch-physikalische Eigenschaften wie Festigkeit, Verwitterungsbeständigkeit und Abriebbeständigkeit der Oberflächen relevant. Zudem sollten die Bauprodukte nach ihrer Nutzungszeit weitestgehend recyclebar sein.
Grundsätzlich können Pflastersteine/Platten aus Beton wie auch aus Klinker nach Ende ihrer Nutzungszeit uneingeschränkt der Kreislaufwirtschaft zugeführt werden und für den erneuten Einsatz im Straßenbau, im Garten- und Landschaftsbau oder auch für die Betonproduktion wiederverwendet werden.
Im städtischen Umfeld sind die Flächenbefestigungen auf öffentlichen Verkehrsflächen dauerhaft extrem hohen Belastungen, insbesondere durchmechanische (z.B. Verkehrslasten, Aufgrabungen) und physikalische (z.B. Witterungsbedingungen) Einflüsse, ausgesetzt.
Aufgrund dieser Rahmenbedingungen wird die „Münchner Gehwegplatte“ aus Beton bereits seit vielen Jahren mit einer Vorsatzschicht aus sehr abriebfesten Gesteinskörnungen hergestellt. Dadurch wird eine sehr hohe Qualität hinsichtlich Festigkeit, Witterungsbeständigkeit und Dauerhaftigkeit der Oberflächeneigenschaften (Abriebbeständigkeit, Rutschsicherheit) erreicht.
Pflastersteine/Platten in Klinkerqualität weisen ebenfalls eine hohe Festigkeit und Verwitterungsbeständigkeit auf.
Bauprodukte in Ziegelqualität sind aufgrund ihrer geringeren Dichte und Festigkeit, ihrer höheren Wasseraufnahme und geringeren Verwitterungsbeständigkeit nicht für den Einsatz als Straßenbaustoff im kontinentaleuropäischen Klimabereich geeignet.
Die für die Klinkerqualität erforderlichen hohen Brenntemperaturen führen jedoch erfahrungsgemäß zu einer geringeren Dauerhaftigkeit der Oberflächeneigenschaften wie z.B. Rutschfestigkeit und Abriebbeständigkeit, die aus Verkehrssicherheitsgründen zwingend erforderlich sind. Dadurch müssen bei Klinkerbelägen früher und häufiger Erhaltungs- und/oder Erneuerungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit durchgeführt werden. Aufgrund des dadurch entstehenden Mehrverbrauchs an Ressourcen und Rohstoffen sind Klinkerplatten unter Betriebsgesichtspunkten als etwas weniger „nachhaltig“ als die „Münchner Gehwegplatten“ aus Beton einzustufen.
Um die Umweltbelastung durch die energieintensive Herstellung industriell gefertigter Gehwegbeläge zu reduzieren, legt das Baureferat bei temporären Aufgrabungen (z.B. zur Spartenverlegung) grundsätzlich ein besonderes Augenmerk auf einen schonenden Ausbau und Wiedereinbau des Materials, um eine möglichst häufige Wiederverwendung der Bauprodukte im Sinne der Nachhaltigkeit sicherzustellen.
Je nach Nutzungsintensität der Flächen ist von einer durchschnittlichen Lebensdauer der industriell hergestellten Bauprodukte (Betonstein und Klinker) für Flächenbefestigungen im öffentlichen Raum von 20 bis 40 Jahren auszugehen. Durch die intensive Beanspruchung der Bodenbeläge verändern sich über diesen Zeitraum die wesentlichen Gebrauchseigenschaften (z.B. Rutschfestigkeit, Stabilität, Geradheit der Kanten etc.) so stark, dass i.d.R. eine Erneuerung der gesamten Flächenbefestigung notwendig wird.Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Platten/Pflastersteine aus Klinker oder Ziegel keine umweltfreundlichere Alternative zur „Münchner Gehwegplatte“ aus Beton darstellen.
Klimafreundlichere Bauprodukte aus regionalem, sehr langlebigem Naturstein (z.B. Granit) werden häufig in gestalterisch herausragenden Flächen (z.B. Neugestaltung St.-Pauls-Platz) verwendet. Aufgrund der hohen Kosten von Bauprodukten aus Naturstein ist jedoch eine standardmäßige Verwendung solcher Produkte als Alternative zu industriell hergestellten Bauprodukten in Gehwegen für die Stadt München wirtschaftlich nicht darstellbar.
Das Referat für Klima- und Umweltschutz hat dieses Antwortschreiben mitgezeichnet.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass der Antrag damit abschließend behandelt ist.
a Es wurden die in „Ökobaudat“ enthaltenen EPD-Daten für jeweils 1 cm Kernschichtdicke und 2 cm Vorsatzschichtdicke auf die Standardplattendicke einer Münchner Gehwegplatte von 6,5 cm (4,5 cm Kern, 2 cm Vorsatz) umgerechnet.
b Es wurden die in „Ökobaudat“ enthaltenen EPD-Daten für 1t Klinker (Rohdichte 2,0 t/m3) auf eine Standardplattendicke für Klinkerplatten in Gehwegen von 7 cm umgerechnet.