Sofortige Verbesserung der schulischen Situation von Kindern und Jugendlichen in Beherbergungsbetrieben
Antrag Stadtrats-Mitglieder Anne Hübner, Christian Köning, Barbara Likus, Christian Müller, Lena Odell (SPD/Volt-Fraktion) und Dr. Hannah Gerstenkorn, Nimet Gökmenoglu, Marion Lüttig, Clara Nitsche, Sebastian Weisenburger (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 1.2.2021
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
Sie beantragen, dass das Sozialreferat gemeinsam mit dem Referat für Bildung und Sport (RBS) eine Planung erstellt, wie die schulische Situation von Kindern in Beherbergungsbetrieben und Unterkünften – insbesondere unter den Bedingungen der Pandemie, aber auch darüber hinaus – umgehend verbessert werden kann.
Zu Ihrem Antrag vom 1.2.2021 teilen wir Ihnen mit, dass Ihrem Anliegen bereits durch laufende und geplante Maßnahmen entsprochen wurde und wird.
Ich teile Ihre Sorge um die Bildungssituation der Kinder und Jugendlichen, die mit ihren Familien im Wohnungslosensystem und in den Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind. Das Pandemiegeschehen stellt eine große Belastung für diese Familien dar, die sich einen beengten Wohnraum teilen müssen und oft auf intensive Betreuung in allen Lebenslagen angewiesen sind. Es ist zu befürchten, dass insbesondere die Bildungsarmut in dieser Bevölkerungsgruppe weiter zunimmt, da durch die monatelangen pandemiebedingten Einschränkungen weniger ausgleichende Unterstützungsangebote vorgehalten werden konnten, als es notwendig und ohne Pandemiegeschehen üblich ist.
Das Sozialreferat verfügt über einen guten Überblick über den Status quo und die vordringlichsten Bedarfe der Kinder und Jugendlichen. Unsere Erkenntnisse beruhen auf diversen Abfragen zur schulischen und persönlichen Situation der Kinder und Jugendlichen in den Unterkünften (Statistik zu Besuch von Regeleinrichtungen und Inanspruchnahme von Kontingentplätzen, Betreuungssituation, Versorgungssituation mit Endgeräten, Nachhilfe etc.), die wir in den vergangenen Monaten durchgeführt haben.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass von Seiten des Sozialreferates, des Referates für Bildung und Sport und der Sozialdienste vor Ort in den Unterkünften große Bemühungen unternommen wurden, um unter Pandemiebedingungen flexibel und angemessen auf die Belange derFamilien einzugehen und so viele Angebote wie möglich vor Ort aufrechtzuerhalten.
Wo sich Defizite oder weitergehende Unterstützungsbedarfe gezeigt haben, hat das Amt für Wohnen und Migration entsprechende Handlungsempfehlungen an die Erziehungsdienste ausgesprochen, die es diesen erleichtern sollen, ihre Angebote aufrechtzuerhalten bzw. zu priorisieren.
Im Juni 2021 fand ein erster Fachaustausch für die Erziehungsdienste der Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe statt. Ziel dieser Maßnahme ist die Etablierung von dauerhaften Kommunikationsstrukturen, die es ermöglichen, sich zu bewährten Arbeitsweisen, Unterstützungsangeboten und aktuellen Herausforderungen – sowohl während der Pandemie als auch in den Jahren danach – auszutauschen und voneinander zu lernen. Dieser Fachaustausch soll von nun an regelmäßig stattfinden. Eventuelle strukturelle Defizite oder Schnittstellenproblematiken können dadurch schnell erkannt werden und ggf. gemeinsam mit dem Referat für Bildung und Sport angegangen werden.
Ich werde im Folgenden auf einige bereits umgesetzte Maßnahmen eingehen, aber auch darstellen, welche längerfristigen Planungen angelegt sind.
Vorab möchte ich in diesem Zusammenhang auf meine Antwort vom 31.5.2021 auf die Anfrage Nr. 20-26/F 00214 von der Fraktion ÖDP/FW vom 9.3.2021 „Initiative Kinderschutz im Jugendamt: Kinder und Jugendliche brauchen auch während der Pandemie Hilfe und Schutz“ hinweisen. Dort sind u. a. niederschwellige Angebote für Münchner Kinder und Jugendliche beschrieben, um Belastungssituationen während der Pandemie entgegenzuwirken. Auch diese Angebote stehen den Kindern und Jugendlichen im Wohnungslosensystem und im Flüchtlingsbereich selbstredend zur Verfügung.
Betreuung im Bereich der Beherbergungsbetriebe, den Notquartieren, Flexi-Heimen und Clearinghäusern sowie den Flüchtlingsunterkünften
Die Kolleg*innen der Erziehungsdienste, der Bezirkssozialarbeit im Amt für Wohnen und Migration, der Sozialdienste der freien Träger sowie der Asylsozialbetreuung haben seit Beginn der Pandemie ihr Möglichstes getan, um den Kindern und Jugendlichen unter Einhaltung der Hygienevorschriften und Abstandsregeln zur Seite zu stehen und sie zu unterstützen. Die Angebote wurden flexibel, je nach Pandemiegeschehen, immer wieder angepasst. Dabei lag der Schwerpunkt zwar auf der Aufrechterhaltung der Teilnahme der Kinder und Jugendlichen am Distanzunterricht, doch v. a. zuLockdown-Zeiten ging es vorrangig darum, mit den Kindern und Jugendlichen überhaupt in Verbindung zu bleiben und die Eltern zu ermutigen, zum Wohle ihrer Kinder eine feste Tagesstruktur aufrechtzuerhalten.
Die Erzieher*innen waren – je nach Inzidenzwert – für die Kinder und Jugendlichen entweder in Präsenz oder per Telefon/E-Mail/Messenger-Dienste erreichbar. Da in der zweiten und dritten Welle der Coronapandemie auch viele Unterkünfte betroffen waren und teilweise unter Quarantäne standen, konnte während dieser Zeiten die Betreuung – zum Schutz der Mitarbeitenden und um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern – nur telefonisch bzw. elektronisch stattfinden.
Wenn Gruppenangebote aufgrund hoher Inzidenzwerte nicht stattfinden konnten, so wurden von den Erzieher*innen Einzeltermine oder feste Kleingruppentermine eingerichtet, teilweise unter Einbeziehung von Ehrenamtlichen.
In vielen Fällen nahmen die Erzieher*innen eine Brückenfunktion zwischen Kindern, Jugendlichen und Schule wahr. Sie druckten Unterrichtsmaterialien und Wochenpläne für die Kinder aus und unterstützten diese bei der Erledigung der Arbeitsaufträge. Von Seiten des Amtes für Wohnen und Migration wurde empfohlen, einen sog. „pädagogischen PC“ mit Drucker dauerhaft für die Unterstützung anzuschaffen.
Weiterhin bemühten sich die Erziehungs- und Sozialdienste in den Unterkünften sehr, für die Kinder und Jugendlichen Plätze in der Notbetreuung in Kitas und Schulen zu organisieren.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich es als großen Vorteil ansehe, dass unsere Erziehungsdienste vor Ort in den Familieneinrichtungen etabliert sind und bewährte Hilfsstrukturen vorhanden sind, die beispielsweise Kindern und Jugendlichen außerhalb des Wohnungslosen- und Flüchtlingssystems nicht zur Verfügung stehen.
Die o. g. Abfragen ergaben, dass es für relativ viele Kinder aus Wohnungslosenunterkünften keine Plätze in Krippen, Kindergärten und Horten gibt. Dadurch ist eine optimale Förderung der Kinder und die Vorbereitung der Kinder auf das Schulsystem nicht sichergestellt. Das Amt für Wohnen und Migration wird zu diesem Thema mit dem RBS im Austausch bleiben, um längerfristig zu erreichen, dass für alle Kinder aus Unterkünften auch Plätze in Regeleinrichtungen zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang wird auch versucht, mehr Kontingentplätze für diese Kinder bereitzustellen.
Versorgung mit Endgeräten
Die digitale Ausstattung der untergebrachten Familien zu Beginn der Pandemie ist im Einzelnen nicht bekannt. Es ist jedoch zu vermuten, dass den Kindern und Jugendlichen in vielen Fällen kein eigenes Endgerät für die schulischen Belange zur Verfügung stand. Aus diesem Grund wurden von Anfang an alle Bemühungen darauf gerichtet, hier eine rasche Versorgung zu erreichen.
Von Seiten des Referates für Bildung und Sport wurde uns mitgeteilt, dass zwischenzeitlich insgesamt mehr als 16.000 Tablets vergeben wurden und dadurch bedürftige Schüler*innen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen unterstützt werden konnten. Dabei handelt es sich um Leihgeräte.
Darüber hinaus wurden den Eltern in 2020 vom Sozialreferat über die Freiwilligen Leistungen finanzielle Mittel für die Anschaffung von digitalen Endgeräten zur Verfügung gestellt. Insgesamt kam es hier zu 849 Zuschuss- auszahlungen in Höhe von jeweils 250 Euro für Laptops.
Seit Anfang diesen Jahres erfolgt die Versorgung der Kinder und Jugendlichen bis 25 Jahren aus gesetzlichen Leistungen (SGB II, SBB XII, AsylBLG); pro Gerät stehen rund 350 Euro zur Verfügung. Bei der Antragstellung sind Bezirkssozialarbeit, Sozialdienst und Erziehungsdienst behilflich.
Wir gehen davon aus, dass der Bedarf an digitalen Endgeräten im Wohnungslosensystem und im Flüchtlingsbereich weitgehend gedeckt ist.
Versorgung mit Internet/WLAN
Das Thema „fehlende WLAN-Versorgung“ im Wohnungslosensystem ist erkannt und in Bearbeitung. Hier wird auf den Stadtratsantrag Nr. 20-26/A 01280 vom 31.3.2021 von der SPD/Volt-Fraktion und der Fraktion Die Grünen – Rosa Liste „Bildungsgerechtigkeit in der Pandemie: Kein Kind darf verloren gehen“ verwiesen, mit dessen Beantwortung das IT-Referat beauftragt wurde.
Ein Großteil der Familienunterkünfte ist bereits mit WLAN ausgestattet. In manchen Einrichtungen haben sich die Bewohner*innen um einen
WLAN-Anschluss gekümmert und in einigen Objekten ist die Ausstattung mit WLAN in Planung. Außerdem verfügen die meisten Zimmer in den Familienunterkünften über einen Telefonanschluss, sodass sich die Bewohner*innen mittels eines Vertrags bei einem Provider ihrer Wahl selbst mit Internet (Kabel oder WLAN) versorgen können.
Digitale Kompetenzen
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Familien in den Unterkünften bereits über ausreichende digitale Kompetenzen verfügen, um ihre Kinder im Distanzunterricht so zu begleiten, dass sie den Anschluss nicht verlieren. Das führt dazu, dass sie entsprechende Unterstützung und Begleitung von Seiten der Erzieher*innen und Sozialdienste benötigen. Aus diesem Grund hat das Amt für Wohnen und Migration die Handlungsempfehlung ausgesprochen, sich langfristig über Fortbildungen in Medienkompetenz auf diese Situation einzustellen. Darüber hinaus sollen bei Bedarf jedoch auch PC-Kenntnisse und Medienkompetenz auf Seiten der Eltern und Kinder mit Hilfe von Ehrenamtlichen aufgebaut werden.
Unterstützungsangebote durch die städtischen BildungsLokale
Von Seiten des Referates für Bildung und Sport wurde uns mitgeteilt, dass die BildungsLokale mit den Einrichtungen zusammenarbeiten und die Eltern zum Anforderungsprofil des hiesigen Schulsystems (selbständiges Lernen, Beteiligung, Eigeninitiative) beraten sowie zu außerschulischen Unterstützungsangeboten informieren und schulen.
Ferner bieten die BildungsLokale in ihren Räumlichkeiten eigenständige Computernutzung und einen Kopierservice an. Sie unterstützen bei der Beantragung von Endgeräten, klären bezüglich Mobilfunk- und Internetverträgen auf und waren bei der Übersetzung von Verträgen in Leichte Sprache beteiligt. Darüber hinaus schulen sie zu Medienkompetenz an Handys und PCs.
Was die Freizeitgestaltung, Bewegungsangebote, Sport und Spiel anbelangt, so unterstützen die BildungsLokale entsprechende Angebote in den Quartieren, in denen sie verortet sind.
Staatliches Förderprogramm (Juni 2021 bis Sommer 2022)
Vom staatlichen Schulamt in der Landeshauptstadt München wurde uns auf Anfrage folgender Beitrag übermittelt:
„Zum Ausgleich von pandemiebedingten Nachteilen für Schüler*innen hat der bayerische Ministerrat ein umfangreiches Förderprogramm unter dem Titel ‚gemeinsam.Brücken.bauen‘ beschlossen. Die Maßnahmen sollen bereits nach den Pfingstferien starten. Das Förderprogramm basiert auf den zwei wesentlichen Säulen Lernförderung und Sozialkompetenzförderung und setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Maßnahmen zur individuellen Förderung im Regelunterricht, Brückenkurse außerhalb des Unterrichts, Tutorenprogramme sowie Ferienkurse. Das Programm wird in drei Phasen durchgeführt:Phase 1: in der Zeit nach den Pfingstferien bis zu den Sommerferien Phase 2: Sommerferien
Phase 3: Schuljahr 21/22
Für das Förderkonzept werden Haushaltsmittel in Höhe von 40 Millionen Euro veranschlagt.“
Von diesem Programm werden auch die Kinder und Jugendlichen aus
Unterkünften, die eine allgemeinbildende Schule besuchen, profitieren. Die Sozial- und Erziehungsdienste werden explizit auf dieses Programm hingewiesen, damit sie mit den Familien und den Schulen eine Teilnahme der Kinder und Jugendlichen an den Programmbausteinen ihrer jeweiligen Schule in den Sommerferien und danach besprechen und sich anmelden können.
Weiterhin wurden alle Sozialdienste und die BSA beim Amt für Wohnen und Migration wiederholt auf die Möglichkeit der sogenannten BUT-Leistungen (Bildungspaket) für die Kinder und Jugendlichen in den Unterkünften hingewiesen. Die Sozialdienste sollen die Eltern über die Antragsmöglichkeit informieren und bei der Antragstellung dieser Leistungen für Lernförderung, Nachhilfe, Leistungen für den Schulbedarf etc. unterstützen.
Das Sozialreferat plant weiterhin, Mittel aus einer aktuellen Großspende eines privaten Spenders für die Kinder und Jugendlichen in Wohnungslosenunterkünften bereitzustellen. Bei der Mittelverwendung wird der Schwerpunkt ebenfalls auf Bildung und Nachhilfe, jedoch auch auf Gemeinschaftsaktionen und Förderung im kulturellen, sportlichen und musischen Bereich liegen. Das entsprechende Konzept wird eine Maßnahmenplanung bis zum Ende des Jahres 2022 vorsehen. Dabei wird auch auf die Einhaltung von Geschlechtergerechtigkeit bei der Mittelvergabe in den einzelnen Projekten und Angeboten zu achten sein; ein entsprechendes Controlling wird stattfinden.
Zur Verwendung der Großspende wurde dem Stadtrat am 22.7.2021 eine Beschlussvorlage zur Entscheidung vorgelegt (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03839).
Bei allen Bemühungen und der Wichtigkeit des Themas „schulische Situation“ auch für das Sozialreferat muss ich darauf hinweisen, dass die Zuständigkeit dafür bei den zuständigen Behörden liegt und die Bezirkssozialarbeit und die Sozialdienste bei allem Engagement keinen Bildungs-auftrag erfüllen können und daher letztlich auf die schulischen Rahmenbedingungen nur begrenzt Einfluss nehmen können. Der Aufgabenbereich des Erziehungsdienstes in den Unterkünften orientiert sich an den Zielen Förderung der Erziehungskompetenz und Eigenverantwortung der Eltern, Entlastung der Familien mit Kindern und Vermittlung in Regeleinrichtungen.
Seit den Pfingstferien besuchen die Schüler*innen nun wieder den Präsenzunterricht an ihren jeweiligen Schulen. Ich hoffe, dass es auch im neuen Schuljahr so bleiben kann. Für den Betreuungs- und Erziehungsdienst in den Einrichtungen im Wohnungslosensystem und in den Flüchtlingsunterkünften heißt dies ebenfalls, dass zunehmend Normalität einkehrt und die Unterstützungsleistungen wieder voll greifen können.
Ich hoffe, auf Ihr Anliegen hinreichend eingegangen zu sein. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.