In welchem Ausmaß wird die Zweckentfremdung von Wohnraum genehmigt?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Marie Burneleit, Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 28.10.2020
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 28.10.2020 führen Sie Folgendes aus:
„Fälle wie die Türkenstraße 52/54 zeigen, dass Immobilienspekulanten versuchen, mit verschiedenen Tricks die Erstellung von Wohnraum hinauszuzögern, um einen möglichst hohen Gewinn über die steigenden Bodenwerte einzustreichen. Gewinne, die auf Kosten der Allgemeinheit eingefahren werden, während Wohnraum vorenthalten oder leer stehen gelassen wird. Solche Fälle sind nicht zu dulden und müssen entschlossen bekämpft werden.
Um das Ausmaß der Problematik erkennen zu können, benötigt es eine Datengrundlage zur Anwendung der Zweckentfremdungssatzung.“
Zu Ihrer Anfrage vom 28.10.2020 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Der Beantwortung der einzelnen Fragen werden zunächst folgende generelle Informationen vorangestellt:
Für Wohnraum, der dem allgemeinen Wohnungsmarkt durch eine Zweckentfremdung entzogen wird, ist grundsätzlich stets die Leistung entsprechender Kompensationsmaßnahmen erforderlich.
Nach den einschlägigen Bestimmungen der Satzung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) kann eine Zweckentfremdungs-
genehmigung erteilt werden, wenn dem Interesse an der Erhaltung des Wohnraums entweder
-durch Schaffung von Ersatzwohnraum oder
-durch die Leistung einer Ausgleichszahlung
Rechnung getragen wird (§ 5 Abs. 3 ZeS).
Sobald gegenüber dem Sozialreferat glaubhaft nachgewiesen ist, dass entsprechende Ausgleichsmaßnahmen für eine Zweckentfremdung geleistet werden und auch die übrigen Voraussetzungen für eine Genehmigung vorliegen, hat das Sozialreferat keinen rechtlichen Spielraum, um eine solche zu verweigern (sogenannte Ermessensreduzierung auf Null).Das Sozialreferat legt dem Stadtrat jährlich eine ausführliche statistische Zusammenfassung zum Vollzug des Zweckentfremdungsrechts vor.
Die entsprechenden Sitzungsvorlagen sind im Ratsinformationssystem abrufbar.
Zuletzt erfolgte eine solche Bekanntgabe mit entsprechenden Angaben für das Jahr 2019 in der Sitzung des Sozialausschusses am 9.7.2020 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 00374).
Zudem wird inhaltlich auf den regelmäßig vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung herausgegebenen „Bericht zur Wohnungssituation in München“ verwiesen.
Nachfolgend werden Ihre Fragen beantwortet.
Frage 1:
In wie vielen Fällen wurden nach § 4 der Zweckentfremdungssatzung (ZeS) von der Stadt München jeweils in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) Anträge auf Erteilung von Zweckentfremdung genehmigt?
Antwort:
Die angefragten Informationen sind in nachfolgender Übersicht dargestellt.
Frage 2:
Für wie viel Wohnraum (in m²) wurde nach § 4 der ZeS von der Stadt München in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) Anträge auf eine Erteilung von Zweckentfremdung genehmigt?
Antwort:
Die angefragten Informationen sind in der unten stehenden Übersicht dargestellt.
Frage 3:
Wie viele Abbruchgenehmigungen wurden Wohnraum in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) erteilt. Wie viel Wohneinheiten und wie viel Wohnfläche waren dabei jeweils betroffen? Handelt es sich dabei jeweils um Mietwohnungen oder Eigentumswohnungen?
Antwort:
Ob es sich bei den jeweils betroffenen Wohneinheiten um Miet- oder Eigentumswohnraum handelt, wurde nicht erfasst. Die in der Zweckentfremdungssatzung enthaltene Verpflichtung, dass vermieteter Wohnraum nur durch Mietwohnraum zu ersetzen ist, gilt erst seit dem 1.1.2020. Von den Abbrüchen waren ganz überwiegend Ein- und Zweifamilienhäuser betroffen. Im Vergleich dazu wurden Mehrfamilienhäuser in einem deutlich untergeordneten Umfang abgebrochen.
Frage 4:
Aus welchen Gründen wurde eine Abbruchgenehmigung in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) erteilt? Wie viele Wohneinheiten und wie viel Wohnfläche wurden jeweils bei Genehmigungen gegen Erstellung von Ersatzwohnraum neu errichtet? Handelte es sich dabei jeweils um Mietwohnungen oder um Eigentumswohnungen?
Antwort:
Wie eingangs ausgeführt ist für eine Genehmigung einer Zweckentfremdung von Wohnraum (hier: Abbruch) die Leistung von Kompensationsmaßnahmen notwendig.
Den erteilten Abbruchgenehmigungen lag stets eine solche Kompensation zugrunde.
Aus welchen Gründen indes Wohnraum abgebrochen werden soll, entzieht sich der Kenntnis des Sozialreferats und ist im Übrigen nicht Teil der Prüfung im entsprechenden Verwaltungsverfahren.
Ob es sich um Miet- oder um Eigentumswohnraum handelte, kann mangels zweckentfremdungsrechtlicher Relevanz (analog den Ausführungen zu Frage 3) nicht benannt werden.
Nachstehende Übersicht stellt dar, wie viele Wohneinheiten mit wie viel Wohnfläche im Rahmen einer Genehmigung gegen die Errichtung von Ersatzwohnraum insgesamt erstellt wurden.
Frage 5:
Wie hoch waren die jährlichen Ausgleichszahlungen zur Genehmigung von Zweckentfremdung in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen)?
Antwort:
Die Kompensation von zweckentfremdeten Wohnraum durch die Leistung einer Ausgleichszahlung ist grundsätzlich nachrangig zu einer Kompensation durch Schaffung von Ersatzwohnraum. Die Vereinnahmung von Geldbeträgen als Ausgleichsmaßnahme für eine Zweckentfremdung ist nicht Ziel des Sozialreferats.
Klar bevorzugt wird der Ausgleich der Wohnraumbilanz durch entsprechenden Ersatzwohnraum.
Die Ausgleichszahlungen teilen sich auf in
-einmalige Ausgleichszahlungen (für den dauerhaften Verlust des jeweiligen Wohnraums) und in
-laufende Ausgleichszahlungen (für den vorübergehenden Verlust des Wohnraums, z.B. im Falle einer von vornherein zeitlich befristeten Zweckentfremdung).
Die Ausgleichszahlungen werden zweckgebunden für die Schaffung neuen Wohnraumes verwendet.
Die Angaben in nachstehender Übersicht beziehen sich auf die Gesamtsummen aller jeweils geleisteter Ausgleichszahlungen.
Frage 6:
Wie teilen sich die Gesamtzahl der Abbruchgenehmigungen der letzten zehn Jahre auf die 25 Stadtbezirke auf?
Antwort:
Entsprechende genaue Angaben hierzu sind für das Sozialreferat nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand ermittelbar.
Mit der Einführung des gemeinsam vom Sozialreferat und dem IT-Referat entwickelten Fachverfahrens „BeZweck“ zur digitalen Abbildung und Bearbeitung von Fällen Anfang 2020 (E-Akte) wird künftig eine deutlich bessere Auswertung möglich sein. Momentan wird in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Amt eine neue Statistik entwickelt. Diese Auswertungsmöglichkeit steht aktuell noch nicht zur Verfügung.
Generell lässt sich jedoch feststellen, dass der Abbruch von Wohnraum vergleichsweise mehr in den zur Innenstadt ferneren Stadtbezirken – mit im Vergleich nicht so dichter Bebauung – vorgenommen wird.
Frage 7:
In wie vielen Fällen war der Zeitraum zwischen der Abbruchgenehmigung von Wohnraum und der Fertigstellung des Ersatzwohnraumes in den letz- ten zehn Jahren länger als zehn Jahre, wie im Beispiel der Türkenstraße 52/54? Welche Gründe waren dabei in der Regel ausschlaggebend?
Antwort:
In den Genehmigungsbescheiden des Sozialreferats ist stets eine konkrete angemessene Frist zur zeitnahen Erstellung des jeweiligen Ersatzwohnraumes enthalten.
Angaben darüber, wie lange jeweils die Erstellung des Ersatzwohnraumes gedauert hat, werden nicht statistisch erfasst. Dementsprechend werden auch die jeweiligen Gründe für eine etwaige Verzögerung nicht erfasst. Das Sozialreferat prüft jedoch in jedem Einzelfall im Rahmen der Auflagenkontrollen die Einhaltung der Fristen für die Erstellung des Ersatzwohnraums.
Der in der Anfrage geschilderte Fall stellt eine absolute Ausnahme dar.
Für Verzögerungen bei der Erstellung von Ersatzwohnraum kann es verschiedene Gründe geben, auf die das Sozialreferat keinen Einfluss hat. Anzuführen sind hier beispielsweise Streitigkeiten in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse, Schwierigkeiten in der Bauphase oder Mieter*innen, die gerichtlich gegen die*den jeweilige*n Eigentümer*in vorgehen.
Frage 8:
In wie vielen Fällen wurde eine Genehmigung zur Zweckentfremdung gemäß § 9 der ZeS befristet, bedingt oder unter Auflagen in den letzten Jah- ren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) jeweils erteilt?
Antwort:
Hierzu wird auf die Antwort zur Frage 1 verwiesen.
Jede Zweckentfremdungsgenehmigung wird – je nach den Erfordernissen des individuellen Sachverhalts – mit einer oder mit mehreren Nebenbestimmung(en) versehen.
Als Nebenbestimmungen kommen eine Bedingung, eine Befristung oder eine Auflage in Betracht. Nebenbestimmungen haben den Zweck, Genehmigungshindernisse auszuräumen, die Zweckentfremdung so gering wie möglich zu halten oder den im Einzelfall vorliegenden Interessenausgleich rechtlich zu sichern.
Ein Beispiel für eine Nebenbestimmung in einer Genehmigung ist die Maßgabe, dass ein konkret definierter Ersatzwohnraum binnen eines konkret definierten Zeitraumes errichtet werden muss.
Frage 9:
In wie vielen Fällen würde nach §13 Absatz 3 der ZeS eine Instandsetzung von Wohnraum in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zah- len) angeordnet?
Antwort:
Für Wohnraum, der ohne einen sachlichen Grund leer steht und durch die* den Eigentümer*in nicht sobald als möglich wieder einer Wohnnutzung zugeführt wird, kann das Sozialreferat eine Wiederbelegung zu Wohnzwecken anordnen. Der*dem Eigentümer*in wird dann aufgegeben, ihr*ihm zumutbare geeignete Maßnahmen zu unternehmen, die geeignet sind, eine möglichst zeitnahe Aufnahme einer Wohnnutzung herbeizuführen.
Derartige Anordnungen werden unabhängig davon getroffen, ob der Wohnraum zunächst aufgrund seines Zustandes instand gesetzt werden muss oder nicht.
Allerdings wird im Rahmen der Fristsetzung berücksichtigt, in welchem Zeitraum die gegebenenfalls notwendige Wiederherstellung der Bewohnbarkeit erfolgen kann.Die Angaben in nachstehender Übersicht beziehen sich auf die Gesamtzahl der erlassenen Anordnungen zur Wiederbelegung des Wohnraums.
Frage 10:
In wie vielen Fällen wurden nach §14 der ZeS in den letzten Jahren (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen) Ordnungswidrigkeiten bezüglich der Zweckentfremdung von Wohnraum mit Geldbußen geahndet und wie hoch sind die jeweiligen Gesamtsummen?
Antwort:
Die entsprechenden Angaben sind in nachstehender Übersicht dargestellt.
Frage 11:
Wie lange ist die Bearbeitungsdauer für Anträge auf Erteilung einer Zweckentfremdung im Durchschnitt? Wie oft wurde die Frist von 12 Monaten gemäß § 5 Absatz 5 der ZeS in den letzten Jahren überschritten (2010 bis 2019; jeweils jährliche Zahlen)
Antwort:
Die in der Frage genannte Vorschrift des § 5 Abs. 5 ZeS bezieht sich auf die sogenannte Genehmigungsfiktion.
Wird über einen Antrag nach Vorliegen aller Unterlagen nicht binnen 12 Monaten entschieden, so gilt die Zweckenfremdungsgenehmigung als erteilt (und zwar automatisch und unabhängig davon, ob der Antrag inhaltlich genehmigungsfähig wäre oder nicht).
Im Zeitraum von 2010 bis 2019 kam es zu keinem einzigen solchen Fall.
Die genauen Bearbeitungsdauern der jeweiligen Antragsverfahren werden nicht erfasst.
Im Sinne einer gebotenen möglichst zügigen Durchführung der Verwaltungsverfahren ist das Sozialreferat jedoch selbstverständlich bestrebt, die Bearbeitungsdauer jedes einzelnen Verfahrens stets so kurz wie möglich zu gestalten.
Allerdings sind viele Faktoren, die sich auf die Dauer der Bearbeitung auswirken können, durch das Sozialreferat nicht beeinflussbar.
So können beispielsweise fehlende notwendige Unterlagen, noch ausstehende andere Genehmigungen (wie etwa eine Baugenehmigung) oder
aber auch eine verzögerte Mitwirkung der Antragsteller*innen in einem Verfahren eine Entscheidung über einen Genehmigungsantrag zeitlich beeinflussen.
Abschließend versichere ich Ihnen, dass die Landeshauptstadt München und ich auch weiterhin unser Möglichstes unternehmen werden, um den Erhalt bezahlbaren Wohnraums in München zu gewährleisten.