Das Münchner Stadtmuseum, die Städtische Galerie im Lenbachhaus und der Historische Verein von Oberbayern sind Herausgeber einer soeben erschienenen Publikation über den Münchner Hofmaler Johann Georg Edlinger (1741 bis 1819), der zu seiner Zeit einer der gefragtesten Porträtisten der bayerischen Landeshauptstadt war und im Lauf von gut zwei Jahrzehnten Dutzende von Personen aus allen Ständen − vom Kurfürsten bis zum Bettler − konterfeite.
Edlinger, der für kurze Zeit die Wiener Kunstakademie besucht und sich dann vorrangig autodidaktisch weitergebildet hatte, entwickelte seine Bildkunst stilistisch in der Umbruchzeit zwischen spätem Rokoko und beginnendem Biedermeier. Anfangs noch am Münchner Hofmaler George Desmarée orientiert, fokussierte er sein künstlerisches Interesse immer mehr auf die Gesichter seiner Kunden. Dabei spielten für ihn weder Herkunft und Stand der Dargestellten eine Rolle, noch war er gewillt, sich dem schönheitlichen Empfinden nach 1800 anzupassen. Wie Johann Georg von Dillis auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei, so strebte Edlinger bei der Porträtmalerei größtmöglichen Naturalismus an. Nicht immer war dies zur Zufriedenheit seiner Kunden. Es ist nachvollziehbar, dass Edlingers kompromissloser Realismus so manchen Auftraggeber und auch viele Betrachter seiner Werke irritierte. Wir aber können uns heute glücklich schätzen, schuf er doch eine einzigartige Porträtgalerie der Münchner Stadtgesellschaft um 1800. Keine andere Stadt kann einen vergleichbar umfangreichen Porträtbestand ihrer Einwohnerschaft aus präfotografischer Zeit vorweisen, der Menschen aller sozialen Schichten ähnlich präzise abbildet. Als sich das adelige Publikum von Edlinger abzuwenden begann, wurde der als „Jakobiner“ berüchtigte Münchner Buchhändler und Verleger Johann Baptist Strobl (1748 bis 1805) dessen wichtigster Auftraggeber. Strobl, eine von pädagogischem Eifer getriebene schwierige, aber äußerst facettenreiche Persönlichkeit, besaß eine mehrere hundert Bilder umfassende private Bildergalerie, in der überwiegend von Edlinger gemalte Porträts hingen. War schon allein die Tatsache, dass sich ein Buchhändler – also ein Angehöriger des Handwerkerstandes – eine Privatgalerie anlegte und damit eine bisher höfische Gepflogenheit übernahm, ungewöhnlich, so war es noch viel mehr deren inhaltliches Konzept, denn Strobls Gemäldesammlung enthielt „Portraite baierischer größtentheils noch lebender Staatsmänner, Gelehrten, Künstler, merkwürdiger Bürger und Landmänner“. Da Strobls Sympathien für die Französische Revolution bekannt waren, lag ein Zusammenhang zwischen den dort zahlreich vertretenen Porträts „kleiner Leute“ und dessen revolutionärer Gesinnung auf der Hand. Strobls Bildergalerie war der Versuch, Menschen ohne Rücksicht auf Standesunterschiede vorzustellen. Sie war die bildgewordene Übersetzung des französisch-revolutionären Begriffs „égalité“. Edlingers ausschließlich auf die Persönlichkeit der Darzustellenden fokussierte Personendarstellungen waren dafür ideal.
Die soeben erschienene Publikation zeichnet nicht nur den facettenreichen Lebensweg eines eigenwilligen Münchner Künstlers nach und diskutiert dessen Rezeptionsgeschichte, sondern sie stellt erstmals auch sein umfangreiches Schaffen in hochwertigen Farbabbildungen vor. Da sich ein Großteil der derzeit bekannten, mehr als 250 Gemälde von der Hand Edlingers in Privatbesitz befindet oder auch verschollen ist und immer wieder bisher unbekannte Bilder im Kunsthandel auftauchen, ist es nicht möglich, ein abschließendes Werkverzeichnis zu erstellen. Stattdessen wurde ein Katalog der Edlinger-Bestände in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und im Münchner Stadtmuseum erarbeitet, die gemeinsam rund 90 Edlinger-Porträts besitzen. Des Weiteren enthält die Publikation ein Verzeichnis sämtlicher nach Porträts von Edlinger gefertigten Grafiken, die sich großteils in der Grafik-Sammlung des Historischen Vereins von Oberbayern befindet.
Buchinfo: Brigitte Huber: Johann Georg Edlinger. Porträts ohne Schmeichelei, Hirmer Verlag, München 2021. Neuerscheinung, herausgegeben vom Münchner Stadtmuseum, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und dem Historischem Verein von Oberbayern.
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