Ordnungsgelder während der Corona-Pandemie
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Stefan Jagel, Thomas Lechner und Brigitte Wolf (DIE LINKE. / Die PARTEI Stadtratsfraktion) vom 4.2.2021
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle:
Herr Oberbürgermeister Reiter hat mir Ihre Anfrage vom 4.2.2021 zur Beantwortung überlassen.
Inhaltlich teilen Sie Folgendes mit:
„Im Rahmen der Corona-Pandemie können bei Verstößen gegen Auflagen Ordnungsgelder verhängt werden. Diese sollten effektiv genutzt werden, um die Pandemie möglichst erfolgreich einzudämmen. Wir bitten daher den Oberbürgermeister, folgende Fragen zu beantworten:
1. Wie viel Ordnungsgelder wurden vom kommunalen Außendienst verhängt? Wie hoch waren diese insgesamt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
2. Wie viele Ordnungsgelder wurden von der Polizei im Stadtgebiet München seit Oktober 2020 verhängt? Wie hoch waren diese insgesamt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
3. Wofür wurden die eingenommenen Bußgelder verwendet? Werden diese Einnahmen auch für Bereiche außerhalb des Kreisverwaltungsreferates verwendet?
4. Wie viele Anträge auf Stundung der Ordnungsgelder wurden gestellt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
5. Wie viele der Ordnungsgelder wurden gestundet? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.“
Nachdem Ihre Anfrage den im Ordnungswidrigkeitengesetz nicht definierten Begriff „Ordnungsgelder“ verwendet, erlaube ich mir zur Vermeidung von Missverständnissen, der Beantwortung Ihrer Fragen einen Abriss über die Ausgestaltung des Bußgeldverfahrens voranzustellen. Ihre Fragen geben ferner Anlass, die aktuelle Gesamtsituation bzgl. der anhängigen und abgeschlossenen Verfahren innerhalb der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferates vorzutragen.
Ablauf und Inhalt des Bußgeldverfahrens:
Ordnungswidrigkeiten sind Gesetzesverstöße, die der Gesetzgeber als nicht so erheblich ansieht, dass sie durch strafgerichtliche Geld- oder Frei-heitsstrafe geahndet werden müssten. Insofern können Ordnungswidrigkeiten durch eine Verwaltungsbehörde mit einer Geldbuße belegt werden.
Ausgangspunkt eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist, dass die zuständige Verwaltungsbehörde oder die Polizei einen bestimmten Sachverhalt überprüft und dabei feststellt, dass ein ordnungswidriges Verhalten vorliegt. Die einzelnen Ordnungswidrigkeiten sind in Spezialgesetzen geregelt. Im Rahmen der Corona-Pandemie sind die bußgeldbewehrten Verhaltensweisen insbesondere in den sog. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen (BayIfSMV) festgelegt.
Mit der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften der BayIfSMV sind in München die Verwaltungsbehörden, in Teilbereichen einschließlich des Kommunalen Außendienstes (KAD), sowie die Polizei betraut. Bei Feststellung eines Fehlverhaltens ist im ersten Schritt die Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen, da die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde liegt. Nach dem dadurch zum Ausdruck kommenden Opportunitätsprinzip ist die Verfolgungsbehörde – grundsätzlich anders als die Polizei und Staatsanwaltschaft im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – berechtigt, von der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit abzusehen, wenn sachliche Gesichtspunkte, wie z.B. geringe Schuld oder fehlendes öffentliches Interesse, dies rechtfertigen.
Für Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, die sich im Bagatellbereich abspielen, sieht das Ordnungswidrigkeitenverfahren als milderes Mittel zum Bußgeldbescheid die sogenannte Verwarnung vor. Ziel der Verwarnung ist eine einfache und kostengünstige Erledigung des Verfahrens. Die Verwarnung ist mit oder ohne Verwarnungsgeld jedoch nur mit Einverständnis des Betroffenen möglich. Ferner ist die Verwarnung nur dann wirksam, wenn der Betroffene das Verwarnungsgeld entweder sofort zahlt oder innerhalb einer Frist, die eine Woche betragen soll, bei der hierfür bezeichneten Stelle oder bei der Post zur Überweisung an diese Stelle einzahlt. Eine solche Frist soll bewilligt werden, wenn der Betroffene das Verwarnungsgeld nicht sofort zahlen kann oder wenn es höher ist als zehn Euro.
Befugt zu verwarnen ist zum einen die zuständige Verwaltungsbehörde einschließlich ihrer Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, zum anderen die Polizei, wenn sie Ordnungswidrigkeiten im ersten Zugriff verfolgt.Der Bußgeldbescheid ist die eigentliche Entscheidungsform des Ordnungswidrigkeitenrechts. Der Betroffene kann gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegen. Die Verwaltungsbehörde prüft sodann die Zulässigkeit des Einspruchs hinsichtlich Form, Frist und Befugnis. Erachtet die Behörde den Einspruch für zulässig, prüft sie im nächsten Schritt, ob sie den Bußgeldbescheid aufrechterhält oder Gründe für seine Rücknahme bestehen. Wird im Rahmen des Einspruchsverfahrens der Tatvorwurf nach Ansicht der Verwaltungsbehörde nicht entkräftet, leitet sie die Akten über die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Amtsgericht zu. Das Amtsgericht legt anschließend eine konkrete Geldbuße fest, stellt das Verfahren ein oder spricht den Betroffenen frei.
Unter bestimmten Voraussetzungen ist gegen die Entscheidung des Amtsgerichts die Einlegung einer Rechtsbeschwerde möglich. Erst wenn der Bußgeldbescheid nach Ablauf des Verfahrens rechtskräftig geworden ist, besteht ein vollstreckbarer Anspruch der Behörde auf Zahlung gegen den Betroffenen.
Aktuelle Situation bzgl. der anhängigen und abgeschlossenen Verfahren innerhalb der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferates:
Seit Beginn der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie im März 2020 wurden der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferates rund 25.000 Ordnungswidrigkeitenanzeigen zugeleitet. Seit Januar 2021 kommen derzeit wöchentlich ca. 1.000 weitere Anzeigen dazu. Von den genannten 25.000 Verfahren sind aktuell ca. 16.000 in Bearbeitung. Das Bußgeldaufkommen im Zusammenhang mit Ahndungen von Corona-Verstößen beläuft sich derzeit auf ca. knapp unter zwei Millionen Euro. Ferner hat sich die Zahl der Einsprüche gegen die Bußgeldbescheide seit Beginn der Corona-Pandemie auf in Summe fast 1.400 Fälle verdoppelt.
Die Bearbeitung aller Corona-Fälle übersteigt deutlich die personelle Leistungsfähigkeit der Bußgeldstelle des Kreisverwaltungsreferates, die derzeit mit 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgestattet ist. Die vollständige Bearbeitung aller Corona-Verfahren würde sich ohne Personalzuschaltung voraussichtlich bis weit ins Jahr 2022 ziehen.
In Zeiten der Corona-Pandemie ist eine zeitnahe Ahndung der Verfehlungen gleichwohl dringend erforderlich. Die gesetzlichen Vorgaben der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen würden ohne Ahndung nicht die gleiche Wirkung zeigen. Die Akzeptanz in der Gesellschaft zur Einhaltung der Beschränkungen wäre ohne ein zeitnahes Bußgeldverfahrennach der Tat deutlich verringert. Nur aufgrund einer konsequenten und sehr zeitnahen Ahndung kann gewährleistet werden, dass die „Strafe der Tat auf dem Fuß“ folgt und die erlassenen Bußgelder ihre präventiven Wirkungen entfalten und eine Verhaltensänderung bewirken können.
Frage 1:
Wie viel Ordnungsgelder wurden vom kommunalen Außendienst verhängt? Wie hoch waren diese insgesamt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
Antwort:
Der KAD verhängt keine Verwarnungen mit Verwarnungsgeld. Er bringt lediglich Verstöße gegen die Vorgaben der BayIfSMV zur Anzeige und spricht ggf. Verwarnungen ohne Verwarnungsgeld aus. Seit Beginn der Corona-Pandemie bis einschließlich Januar 2021 wurden von den Mitarbeiter*innen des Kommunalen Außendienstes 1.566 coronabedingte Ordnungswidrigkeitenanzeigen aufgenommen.
Innerhalb der Bußgeldstelle kann statistisch nicht danach unterschieden werden, welche Bußgeldeinnahmen aufgrund von Anzeigen des KAD generiert wurden.
Frage 2:
Wie viele Ordnungsgelder wurden von der Polizei im Stadtgebiet München seit Oktober 2020 verhängt? Wie hoch waren diese insgesamt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
Antwort:
Mit Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 3.2.2020, Az.: C2-1112-1-1 ermächtigte das Staatsministerium die Polizeivollzugsbeamten der Landespolizei sowie die Polizeivollzugsbeamten der Bereitschaftspolizei zur Erteilung von Verwarnungen mit oder ohne Verwarnungsgeld, soweit es sich um Ordnungswidrigkeiten handelt, für die zuständige Verwaltungsbehörde die Kreisverwaltungsbehörden oder Gemeinden sind. Diese Ermächtigung umfasst damit grundsätzlich unter anderem auch Verstöße gegen die BayIfSMV, soweit die entsprechenden Ordnungswidrigkeiten eine Ahndung im Verwarnungsverfahren zulassen.
Die Polizei ahndet im Verwarnungsverfahren nur geringfügige Verstöße gegen die Maskenpflicht gem. der BayIfSMV. Ein geringfügiger Verstoß liegt etwa dann vor, wenn Mund und Nase trotz einer entsprechenden Maskenpflicht durch die Mund-Nasen-Bedeckung nicht komplett bedeckt sind und mithin ein Fall der Falschanwendung vorliegt. Die Höhe des Verwarnungs-geldes beträgt in diesen Fällen in der Regel 55 Euro. Alle anderen Verstöße gegen die in der BayIfSMV geregelten Verhaltenspflichten, insbesondere solche der „Maskenverweigerer“, werden seitens der Polizei im klassischen Bußgeldverfahren zur Anzeige gebracht.
Die Polizei teilte uns bzgl. der konkreten Zahlen mit Bezug auf die Verwarnungsgelder Folgendes mit:
Analog zum KAD kann innerhalb der Bußgeldstelle statistisch nicht danach unterschieden werden, welche Bußgeldeinnahmen aufgrund von Anzeigen der Polizei generiert wurden. Die ausgewiesene Gesamtsumme aller eingenommenen Bußgelder unterscheidet nicht nach dem Personenkreis der Anzeigeerstatter.
Frage 3:
Wofür wurden die eingenommenen Bußgelder verwendet? Werden diese Einnahmen auch für Bereiche außerhalb des Kreisverwaltungsreferates verwendet?
Antwort:
Die zu dieser Frage eingebundene Stadtkämmerei teilte uns dazu mit: Es handelt sich bei den Corona-Bußgeldern nicht um zweckgebundene Einnahmen. Daher fließen diese Gelder gemäß dem Gesamtdeckungsprinzip in den städtischen Gesamthaushalt.
Frage 4:
Wie viele Anträge auf Stundung der Ordnungsgelder wurden gestellt? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
Antwort:
Im Rahmen der Verhängung von Verwarnungen mit Verwarnungsgeld sind Stundungen nicht vorgesehen. Das Verwarnungsgeld muss seitens des Betroffenen in voller Höhe beglichen werden, ansonsten gilt das Angebot der Verwarnung als nicht angenommen, so dass das Verfahren ins reguläre Bußgeldverfahren überwechselt.
Hinsichtlich der im Rahmen der Verhängung von Bußgeldern durchaus möglichen Stundung kann die Bußgeldstelle keine Auskunft über die Anzahl der Anträge bzw. über die Anzahl der tatsächlich vereinbarten Zahlungserleichterungen erteilen. Es existiert diesbezüglich keine Statistik.
Frage 5:
Wie viele der Ordnungsgelder wurden gestundet? Bitte nach Monaten aufschlüsseln.
Antwort:
Siehe hierzu die Antwort zu der Frage 4.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.