Ausübung von Vorkaufsrechten ohne beihilferechtliche und steuerrechtliche Würdigung
Antrag Stadtrats-Mitglieder Professor Dr. Jörg Hoffmann, Gabriele Neff, Richard Progl und Fritz Roth (FDP BAYERNPARTEI Stadtratsfraktion) vom 22.10.2021
Antwort Kommunalreferentin Kristina Frank:
Zunächst möchte ich mich für die gewährte Fristverlängerung bedanken. In Ihrem Antrag beauftragten Sie die Verwaltung, dem Stadtrat darzustellen, wie rechtliche Vorgaben bei der Ausübung von Vorkaufsrechten umgesetzt werden.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, beantworten wir die von Ihnen gestellten Fragen wie folgt:
Frage 1:
Welche beihilferechtlichen und steuerrechtlichen Vorgaben werden regelmäßig im Zuge der Ausübung bzw. Vorbereitung von Vorkaufsrechten überprüft, in welchen Fällen und aus welchen Gründen wird darauf verzichtet?“
Antwort:
Hierzu teilt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung (PLAN) Folgendes mit:
„Sollen Ankäufe der städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Erhaltungssatzungsgebieten mittels einer Stammkapitalerhöhung durch die Landeshauptstadt München finanziert werden, ist für jede Kapitalerhöhung im Vorfeld sicherzustellen, dass diese Zuwendung beihilferechtskonform ist.
Rechtsgrundlage für die Prüfung der beihilferechtlichen Zulässigkeit ist grundsätzlich Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen und Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigen. Die Gewährung staatlicher Beihilfen ist damit grundsätzlich verboten. In jedem Ankaufsfall wird folglich überprüft, ob eine unzulässige Beihilfe vorliegt.“
Die Stadtkämmerei (SKA) ergänzt hierzu:„Im Zuge der Prüfung der Ausübung von Vorkaufsrechten (VKR) erfolgt immer eine umsatzsteuerrechtliche Überprüfung. Dabei werden die Vorgaben von § 1 Abs. 1a UStG (Geschäftsveräußerung im Ganzen), § 4 Nr. 9a UStG (Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen), § 9 Abs. 2 und Abs. 3 UStG (Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze im Sinne § 4 Nr. 9a UStG), § 15a Abs. 8 UStG (Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei einer steuerbefreiten Veräußerung von Wirtschaftsgütern), § 15a Abs. 10 UStG (Übergang der Verpflichtung zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs auf den Erwerber bei einer Geschäftsveräußerung im Ganzen), § 13b Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 UStG (Übergang der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger bei umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen) und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UStG (Vorsteuerabzug) geprüft.
Vor der Ausübung von Vorkaufsrechten für die LHM wird keine Überprüfung von ertragsteuerrechtlichen Vorgaben vorgenommen, da dies nicht erforderlich ist. Denn die LHM ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG lediglich mit ihren Betrieben gewerblicher Art ertragsteuerpflichtig. Hierbei handelt es sich gemäß § 4 Abs. 1 KStG nur um Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der LHM wirtschaftlich herausheben. Die Vorgaben in §§ 24 und 25 BauGB sowie Art. 39 BayNatSchG, unter denen VKR zugunsten der LHM ausge-übt werden, können jedoch für die erworbenen Grundstücke faktisch zu keiner wirtschaftlichen Verwendung im Sinne von § 4 Abs. 1 KStG führen. Insoweit ist es auszuschließen, dass durch die Ausübung eines VKR für die LHM die ertragsteuerlichen Belange der LHM berührt sind.“
Frage 2:
In welchen Fällen ist ein Private-Investor-Test obligatorisch, in welchen Fällen wird ein solcher durchgeführt, wann und aus welchen Gründen wird darauf verzichtet? Wie wird verfahren, wenn ein Private-Investor-Test negativ ausfällt bzw. ausfallen könnte?
Antwort:
Das PLAN äußert sich hierzu wie folgt:
„In jedem Ankaufsfall wird, wie oben dargelegt, zunächst auf Tatbestandsebene überprüft, ob eine unzulässige Beihilfe vorliegt. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob eine Begünstigung des Unternehmens durch die Zuwendung vorliegt. Eine Begünstigung im Sinne des Art. 107 Abs. 1AEUV ist jede wirtschaftliche Vergünstigung, die ein Unternehmer unter normalen Marktbedingungen, d.h. ohne Eingreifen des Staates, nicht erhalten könnte. Um festzustellen, ob die Beteiligung der öffentlichen Hand am Kapital eines Unternehmens eine staatliche Beihilfe darstellt, wird der sog. Private-Investor-Test angewendet. Bei dem Private-Investor-Test wird sodann überprüft, ob die Kapitalmaßnahme eine marktübliche Rendite erwarten lässt, so dass ein mit der LHM vergleichbarer oder fiktiver privater Investor bereit gewesen wäre, dieselbe Finanzierungsmaßnahme durchzuführen. Ob Unternehmen durch eine finanzielle Zuwendung der LHM eine ökonomisch irrationale, Art. 107 Abs. 1 AEUV zuwider laufende Besserstellung im Wettbewerb erfahren, hängt letztlich von der unter Berücksichtigung der konkreten Marktbedingungen zu beantwortenden Frage ab, ob die jeweilige Zuwendung eine finanzwirtschaftlich vertretbare Rendite verspricht oder nicht. Ausschlaggebend ist also ein angemessener Gegenwert für die Landeshauptstadt München. Dieser liegt vor, wenn durch die Stammkapitalerhöhung der Unternehmenswert entsprechend gesteigert werden kann. Von einer Unternehmenswertsteigerung kann ausgegangen werden, wenn die zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung angenommene Rendite als auskömmlich angesehen werden kann, wobei bei der Frage nach der Auskömmlichkeit alle den Unternehmenswert beeinflussenden Faktoren berücksichtigt werden, wie beispielsweise zu antizipierende Wertsteigerungen vor dem Hintergrund der zu erwartenden Entwicklung auf dem Münchner Immobilienmarkt.
In den bisher ausgeübten Vorkaufsrechtsfällen wurde über die Bareinlage systematisch sicher gestellt, dass die Eigenkapitalrendite nach dem Vollständigen Finanzplan (VoFi), also entsprechend der klassischen Investitionsentscheidungsparameter, nicht kleiner als Null werden kann, da die Bareinlage immer so hoch angesetzt werden soll, dass die jeweilige Wohnungsbaugesellschaft keinen Verzehr liquider Mittel verzeichnen muss.
Die prognostizierte kaufmännische Eigenkapitalrendite des Ankaufsobjekts wird im Rahmen der Vorkaufsrechtsfälle gesondert durch die Wohnungsbaugesellschaft berechnet. Dabei werden über die Ein- und Auszahlungen hinaus auch die Abschreibungen berücksichtigt. In diesen Fällen werden die Berechnungsmethodik und Annahmen überprüft, um festzustellen, ob eine ausreichende Unternehmenswertsteigerung angenommen werden
kann. So nahmen die Gesellschaften in der Vergangenheit beispielsweise teilweise vereinfachend an, dass nach dem Ankauf ein vollständiger Mieterwechsel stattfindet, was in der Realität so nicht passieren würde, die Rendite aber rechnerisch verschlechtert. Weiter werden in den Immobilienwert zum Ende des Betrachtungszeitraumes keine Wertsteigerungen derObjekte eingerechnet, was im Münchner Raum die Gegebenheiten nicht korrekt abbildet und von einem privaten Dritten in einer vergleichbaren Ausgangslage dagegen beim Kauf sicherlich antizipiert würde. Weiter wird vor allem auch die Einschätzung des städtischen Bewertungsamtes berücksichtigt, welches seitens der Gesellschafterin Landeshauptstadt München die solideste Einschätzung einer Investition treffen kann.
Sofern der Private-Investor-Test negativ ausfällt, gibt es die Möglichkeit einer weiteren Prüfung im Sinne des Art. 107 ff. AEUV. Hierbei ist unter anderem zu prüfen, ob die Kapitalzuführung die Voraussetzungen für eine Freistellung von der Notifizierungspflicht gemäß dem DAWI-Freistellungsbeschluss (Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem oder sozialem Interesse) erfüllt.“
Frage 3:
Welche Vorgaben bezüglich der Gewinnerzielungsabsicht enthalten die Satzungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften und wie werden diese (auch beeinflusst durch Stadtratsentscheidungen) in der Praxis eingehalten?
Antwort:
Das PLAN äußert sich hierzu wie folgt:
„Derzeit liegen die Unternehmensrenditen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und GEWOFAG in der Bandbreite vergleichbarer Wohnungsunternehmen aus dem privaten und öffentlichen Bereich, allerdings im unteren Bereich. Die geringeren Unternehmensrenditen im Vergleich zu anderen Unternehmen der Privatwirtschaft sind vor dem Hintergrund der Erfüllung des öffentlichen Auftrags zur Schaffung und Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums nachvollziehbar. Eine konkrete Gewinnerzielungsabsicht ist aktuell in den Satzungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften nicht mehr vorgesehen. Die jeweilige Geschäftsführung ist jedoch gemäß § 1 Nr. 1 der Geschäftsordnung der Geschäftsführung dazu verpflichtet, die Interessen der Gesellschaft zu wahren und zu fördern.
Gemäß Artikel 95 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern sind die Gesellschaften verpflichtet, sparsam und wirtschaftlich zu handeln. Die Erwirtschaftung eines Jahresüberschusses wird daher jährlich in den strategischen Zielen der Wohnungsbaugesellschaften festgeschrieben und vom Stadtrat jedes Jahr beschlossen (zuletzt Sitzungsvorlagen Nr. 20-26/V 03491). Bis zum Jahr 2030 verzichtet die Landeshauptstadt München auf jährliche Gewinnausschüttungen, um die Gewinne in den Gesellschaf-ten zu belassen und für den Wohnungsneubau einzusetzen (aktuelle Beschlussfassung des Stadtrates am 19.2.2022, Sitzungsvorlagen Nr. 20-26/V 00673).
Die Wohnungsunternehmen planen ihre Jahresergebnisse und deren Verwendung im Rahmen der 5-jährigen Wirtschaftsplanung, die in den jeweiligen Aufsichtsratsgremien beschlossen werden. Die jährlichen Gewinne und Investitionen werden in der Jahresabschlussprüfung vom Jahresabschlussprüfer testiert und dem Aufsichtsrat zur Behandlung vorgelegt. Dem Stadtrat wird über den Jahresabschluss und die Wirtschaftsplanung der Wohnungsunternehmen in den Beschüssen „Beteiligungssteuerung, Ziele und Berichte“ jährlich im Juli und im Oktober in der Vollversammlung berichtet (zuletzt Sitzungsvorlagen Nr. 20-26/V 03491 und
20-26/V 04276).“
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.