Energieversorgung auf dem Prüfstand I: Sachstandsabfrage – Mit Wind und Beton dem Klimawandel begegnen!
Anfrage Stadträte Hans-Peter Mehling und Manuel Pretzl (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 12.10.2022
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 12.10.2022 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung im Benehmen mit dem Referat für Klima- und Umweltschutz wie folgt beantwortet wird. Einer mit Schreiben vom 5.4.2023 beantragten Fristverlängerung bis zum 30.6.2023 wurde zugestimmt.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Im Dezember 2019 hat die CSU-Fraktion, gemeinsam mit der Fraktion der Grünen/RL den Antrag Nr. 14-20/A 06314 ‚Mit Wind und Beton dem Klima- wandel begegnen!‘ gestellt. Damals wurde darum gebeten, ‚gemeinsam mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sowie den Stadtwerken die Möglichkeit und Vorteilhaftigkeit von Tiefensonden zur Wärme- und Kälteversorgung über Bauteilaktivierung von Wohneinheiten analog dem Bespiel MGG22 in Wien‘ zu prüfen und ‚ein Pilotprojekt im Neubau in München zur Umsetzung‘ zu entwickeln. In diesem Pilotprojekt sollte ‚auch wie in Wien überschüssiger Strom aus Wind- und Solarenergie im Beton gespeichert‘ werden.
Die Antwort auf diesen Antrag war ernüchternd, denn die GWG stellte klar, dass es sich bei der Bauteilaktivierung um eine sehr kostenintensive Technik handelte und es an der Wirtschaftlichkeit mangele. Weitere zahlreiche Argumente gegen eine solche Wärmeversorgung konnten gefunden werden.
Die GEWOFAG hingegen erklärte, dass bereits ein Pilotprojekt mit einem in 2016 fertiggestellten Gebäude durchgeführt werde. Die Ergebnisse sollten in 2021 vorliegen.
Die Stadtwerke München (SWM) stellten in ihrer damaligen Antwort heraus, dass es Restriktionen für das Einbringen von Erdwärmesonden aufgrund von Bohrtiefenbegrenzung bis zur Oberkante der tertiären Ablagerungen gibt, eine Speicherung von Wärme/Kälte aber grundsätzlich möglich wäre. Auch hier wurde über ein Forschungsprojekt (Grundwassermanagement) berichtet, an dem Geo.KW der TUM unter Teilnahme der SWM arbeiten.“
Frage 1:
Wurde der Stadtrat bereits über die Ergebnisse des Modellprojekts der GEWOFAG in Kenntnis gesetzt?
Antwort:
Der Stadtrat wurde über die Ergebnisse des Modellprojektes bislang noch nicht in Kenntnis gesetzt. Für eine belastbare Evaluierung war die mehrjährige Erfassung verschiedener Prüfkriterien seitens der GEWOFAG erforderlich. Die entsprechende Auswertung hierzu ist der nachstehenden Erläuterung zu entnehmen.
Frage 2:
Wenn nicht, welche Erkenntnisse brachten die Ergebnisse?
Antwort:
Die GEWOFAG hat im Rahmen des Modellprojektes „Wohnen im Viertel“ 14 Wohneinheiten in der Saherrstraße 6 in 80689 München errichtet. Das Gebäude wurde im 1. Quartal 2016 fertiggestellt.
Bei diesem Gebäude wurden eine Fußbodenheizung sowie eine Bauteiltemperierung zu Forschungszwecken parallel eingebaut. Hierdurch konnten die Auswirkungen der beiden unterschiedlichen Raumübergabesysteme auf den Energieverbrauch und den Nutzer*innenkomfort über drei Heizperioden untersucht werden.
Die Bauteilaktivierung konnte aufgrund einer fehlenden raumweisen Regelbarkeit und differenzierbaren Einstellmöglichkeiten pro Mieteinheit nicht für die alleinige Beheizung genutzt werden. Gemäß Verweis auf die Heizkostenverordnung wurde ein maximaler Deckungsanteil von 50% für die Bauteilaktivierung vorgegeben.
Für die Untersuchungen wurden folgende Betriebsweisen und über dynamische Simulationen ermittelte Regelparameter festgelegt:
1. Jahr (2017): Parallelbetrieb: Bauteiltemperierung 30%/Fußbodenheizung 70%
2. Jahr (2018): Erhöhter Anteil Bauteilaktivierung Bauteiltemperierung 50% /Fußbodenheizung 50%
3. Jahr (2019): alleiniger Betrieb Fußbodenheizung
Während des Untersuchungszeitraums wurden die Energieverbräuche, der thermische Komfort in ausgewählten Wohnungen und die Nutzerzufriedenheit für die jeweilige Betriebsweise ermittelt.Energieverbräuche:
Die angestrebten Anteile des Wärmeverbrauchs der Bauteilaktivierung wurden bezogen auf das Gesamtgebäude deutlich unterschritten, für die beiden detaillierter untersuchten Musterwohnungen teilweise überschritten. Ursache hierfür dürfte das sehr heterogene Nutzer*innenverhalten im Gebäude sein.
Die beiden Musterwohnungen wurden sehr energiebewusst temperiert, was zu einem Minderverbrauch im Jahr 2019 gegenüber den Vorjahren führte, da hier die gewünschte Raumtemperatur mit der Fußbodenheizung für die Nutzer*innen freier einstellbar war. Die Heizwärmeverbräuche des Gesamtgebäude unterscheiden sich in den drei untersuchten Betriebsjahren hingegen nicht wesentlich. Die Differenzen sind kleiner als die Untersicherheiten bei der Witterungsbereinigung und sind daher zu vernachlässigen.
Thermischer Komfort:
Der thermische Komfort wurde von den meisten Befragten als sehr gut bewertet. Insgesamt konnte bei der Abfrage des thermischen Komforts keine Veränderung der Bewertung über die drei Befragungsjahre festgestellt werden. Die Temperatur des Fußbodens wurde von allen Bewohner*innen als sehr angenehm empfunden. Bei der Decke wurde keine Wärmeabstrahlung bemerkt. Auch wurden über die drei Jahre der Befragung keine unterschiedlichen Empfindungen bzgl. der Fußboden- und Deckentemperaturen geäußert.
Bedingt durch den guten Dämmstandard und den sich daraus ergebenden geringen Wärmebedarf sind nur geringe Übertemperaturen an den flächigen Heizsystemen erforderlich. Diese liegen häufig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, sodass insbesondere die Bauteilaktivierung nicht als komfortverbessernd oder verschlechternd wahrgenommen wird.
Prinzipiell wurde die Trägheit der Flächenheizung von allen Bewohner*innen erkannt. Diese Trägheit, welche keine schnelle Temperaturänderung zulässt, wurde aber im Allgemeinen nicht als störend empfunden. Auch bei Wetterumschwüngen wurde die Reaktion der Heizung nicht negativ bemerkt.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Bauteilaktivierung von Seiten der Bewohner*innen gut angenommen wurde und gegenüber einer herkömmlichen Fußbodenheizung einen ähnlich gleichen Komfort bietet.Die Technologie der Bauteilaktivierung ist im Wohnungsbau noch nicht gebräuchlich. Das Pilotprojekt hat aufgezeigt, dass sich das System der Fußbodenheizung für die Benutzer*innen flexibler steuern lässt.
Bei Wärmeerzeugern mit schwankender Effizienz oder Verfügbarkeit (z.B. Wärmepumpe mit möglichst regenerativem Strombezug) könnte eine Bauteilaktivierung in Verbindung mit der Gebäudespeichermasse und einer entsprechenden Regelung helfen, den Heizlastverlauf entsprechend der Verfügbarkeit und Effizienz der Erzeugungsseite zu optimieren.
Frage 3:
Liegen die Forschungsergebnisse zum Grundwassermanagement in München vor?
Antwort:
Ja, die Forschungsergebnisse aus dem Projekt Geo.KW liegen vor und werden im Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) auf verschiedenen Ebenen genutzt und fließen aktuell in die kommunale Wärmeplanung ein. Zur Integration der Potenzialanalysen der thermischen Grundwassernutzung in die kommunale Wärmeplanung wurde vom RKU ein Forschungs- und Entwicklungsvertrag an den Lehrstuhl für Hydrogeologie vergeben, dessen Bearbeitung in Kürze abgeschlossen ist. Hiermit stehen die Potenzialberechnungen für die thermische Grundwassernutzung stadtweit auf Flurstück- und Baublockbasis zur Verfügung, um die dezentrale Wärmeversorgung mittels Grundwasserwärmepumpen oder (kalter) Nahwärme in der kommunalen Wärmeplanung berücksichtigen zu können. In der Regel besitzt das Münchner Stadtgebiet ein großes Potenzial für die thermische Nutzung des Grundwassers, z.B. über Grundwasserwärmepumpen.
Frage 4:
Gibt es Erkenntnisse, die den Einsatz von Tiefensonden zur Wärme- und Kälteversorgung über Bauteilaktivierung doch sinnvoll erscheinen lassen?
Antwort:
Der Einsatz von Erdwärmesonden ist im Stadtgebiet auf Grund der sehr geringen Bohrtiefenbegrenzung nach Aussage des Referates für Klima- und Umweltschutz (RKU) nur sehr eingeschränkt möglich. Die wasserwirtschaftlichen Anforderungen an Erdwärmesonden sind im Leitfaden „Erdwärmesonden in Bayern“ dargestellt. Dort wir der hier greifende Schutz tieferer Grundwasserstockwerke geregelt. Der besondere Schutz des Tiefengrundwassers ist zusätzlich im Landtagsbeschluss vom 1.7.1994 und im Landesentwicklungsprogramm (LEP) für Bayern vom 8.8.2006 verankert.Grundsätzlich gilt, dass stockwerkstrennende Schichten nicht zu durchbohren sind. In München wird die erste stockwerkstrennende Schicht üblicherweise mit dem Übergang von den quartären Kiesen zu den wasserstauenden tertiären Schichten definiert und bildet daher die Bohrtiefenbegrenzung. Diese Schichtgrenze liegt im Stadtgebiet im Median in nur ca. 15m Tiefe und erreicht Maximalwerte von lediglich 30m im Münchner Süden. Bohrungen für Erdwärmesonden sind in derartig geringen Tiefen nicht wirtschaftlich.
Erdwärmesonden werden üblicherweise für eine Tiefe von 100m und tiefer ausgebaut. Laut Bohrunternehmen ist die Umsetzung von Erdwärmesonden erst ab eine Bohrtiefe von 60m wirtschaftlich. Diese wasserwirtschaftliche Beschränkung gilt als das größte Hemmnis für die Nutzung von Erdwärmesonden in München.
Thermische Bauteilaktivierung:
Wenn ein Gebäude aus statischen Gründen z.B. Bohrpfähle benötigt, können diese thermisch aktiviert werden (sog. Energiepfähle). Dies gilt auch für Bodenplatten, wie dies z.B. auch am Hauptbahnhof Wien erfolgte. Die Praxis zeigt im Allgemeinen, dass allein aus den bautechnischen Anforderungen heraus (Tiefe und Anzahl der Pfähle bzw. Fläche der Bodenplatte) meist nur ein Bruchteil des Wärme- und Kältebedarfs abgedeckt werden kann. Zusätzliche Erdwärmesonden unterliegen, wie oben erläutert, allerdings den Limitierungen durch die Genehmigungsvorgaben, sprich der Bohrtiefenbegrenzung.
Frage 5:
Erscheint der Einsatz dieser Technik aufgrund der hohen Energiekosten für Erdgas, Öl etc. mittlerweile als wirtschaftlich?
Antwort:
Solange die Tiefenlage der Quartär-/Tertiär-Grenze zur Definition der Bohrtiefenbegrenzung herangezogen wird, ist der Einsatz von Erdwärmesonden in München nach Aussage des Referates für Klima- und Umweltschutz (RKU) nicht wirtschaftlich.
Frage 6:
Die Beantwortung des damaligen Antrags griff den Vorschlag, ein Pilotprojekt durchzuführen auf. Wurde die Durchführung des Projekts angegangen?
Antwort:
Aus Sicht der GWG ist zum derzeitigen Zeitpunkt kein Pilotprojekt sinnvoll zu initiieren. Aktuell befindet sich die GWG München in einem im Austausch mit dem Baureferat und dem Referat für Klima- und Umweltschutz über mögliche technische Umsetzungen.
Danach wäre zu klären, ob die technischen Rahmenbedingungen flächendeckend im Stadtgebiet für eine Tiefenbohrung vorhanden sind und sich daraus ein Pilotprojekt sinnvoll ableiten lässt. Dies ist nur sinnvoll, wenn aus einem Pilotprojekt allgemeingültige Rückschlüsse gezogen werden können.
Frage 7:
Wenn nein, welche Gründe sprechen dagegen?
Antwort:
Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen.