Wilde Natur im freien Fall – Zutrittsbeschränkungen für übernutzte Biotopflächen zur Erholung der gefährdeten Fauna und Flora
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 13.7.2022
Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima und Umweltschutz:
Mit Ihrem Schreiben vom 13.7.2022 haben Sie beantragt, dass der Zutritt zu Schutzzonen und wichtigen Rückzugsräumen für die in FFH-Gebieten wildlebenden Arten, z.B. in der Fröttmaninger Heide, Panzerwiese sowie Allacher Heide, durch temporäre Sperrungen eingeschränkt wird. In Abstimmung mit der unteren Naturschutzbehörde (uNB) sollen die verantwortlichen Eigentümer und Naturschutzverbände, wie z.B. der Heideflächenverein, der Bund Naturschutz (BN) und der Landesbund für Vogelschutz (LBV), die Auswahl der erforderlichen Maßnahmen treffen und für deren Umsetzung sowie kontinuierliche Pflege sorgen. Eine informative, empathische Beschilderung und Aufklärungskampagnen rund um das Thema Natura 2000 sollen zusätzlich für Verständnis und nachhaltiger Akzeptanz der Zutrittsbeschränkungen in der Bevölkerung sorgen. Der Erfolg soll turnusmäßig analysiert und die Maßnahmen sollen entsprechend weiterentwickelt bzw. angepasst und zunächst auf 5 Jahre begrenzt werden.
Zur Begründung geben sie unter anderem an, dass Störungen durch „Übernutzung“ der Schutzgebiete zum Rückgang von Feldhasen, Kröten und Feldlerchen führe. Die bisherigen Maßnahmen, wie Besucherlenkung und Leinenpflicht hätten leider nicht den ausreichenden Erfolg erzielen können. Durch Zutrittsbeschränkungen auf sensiblen Teilflächen innerhalb der FFH- bzw. Naturschutzgebiete mit Hilfe von Einzäunungen würde sich zeitgleich der Konflikt zwischen Besuchern wie Hundebesitzern und Wildtieren verringern.
Die im Antrag erwähnten Heideflächen sind Bestandteile von Naturschutzgebieten, die durch entsprechende Verordnungen der Regierung von Oberbayern geschützt sind. Gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) obliegt der Vollzug dieser Rechtsverordnungen der Landeshauptstadt München als unterer Naturschutzbehörde. Die Naturschutzgebietsverordnungen enthalten auch die erforderlichen Bestimmungen zur Regelung der Erholungsnutzungen, wie Wege- und Leinengebote sowie Zonierungen nach Maßgabe des Art. 31 Abs. 1 BayNatSchG. Entsprechend den Landschaftspflege- und Naturparkrichtlinien können Fördermittel für verschiedene Erholungslenkungsmaßnahmen beantragt werden. Im Rahmen ihres Vereinszweckes tragen vorallem auch die Naturschutzverbände zur Umweltbildung bei und können dafür eigenverantwortlich Fördermittel gemäß staatlicher Förderprogramme beantragen und verwenden.
Zu Ihrem Antrag vom 13.7.2022 teilen wir Ihnen, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Folgendes mit:
Der in Ihrem Antrag erwähnte langfristige Rückgang von Wechselkröte, Feldhase oder Feldlerche wird insgesamt gesehen nicht allein und auch nicht vorrangig durch die Erholungsnutzung verursacht, sondern vor allem durch Lebensraumverluste wie Überbauung, Zerschneidung durch Straßen, oder Zerstörung von Landschaftselementen. Eine wichtige Rolle spielen auch Verluste von Habitatqualitäten durch die vorherrschende landwirtschaftliche Bodennutzung. Verluste der Insektenbiomasse und -vielfalt treten jedoch auch in Schutzgebieten auf. Hierfür sind vermutlich die flächenmäßig weit verbreitete Verwendung von Stoffen mit Giftwirkungen auf Insekten in der Landwirtschaft oder Nährstoffeinträge aus der Luft verantwortlich. Die Folgen der stetigen Erwärmung des Klimas auf die Biodiversität sind noch nicht vollständig absehbar. Allerdings ist offensichtlich, dass die Erwärmung aber auch die Veränderung der zeitlichen und mengenmäßigen Niederschlagsverteilung im Jahresverlauf großen Einfluss auf verschiedene Arten haben kann und hat.
Neben den langfristig negativen Bestandstrends treten auch kurzfristige Bestandsänderungen auf. Diese können durch zufällige Ereignisse, wie beispielsweise die zeitweise nasse Witterung im Frühling und Sommer 2022 verursacht oder mit verursacht werden. Dennoch sollen gerade die Schutzgebiete als verbleibende Rückzugsräume für bedrohte Arten dienen und entsprechend entwickelt werden.
Erholungsnutzungen in Schutzgebieten und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Gebiete gehören seit vielen Jahren zu den Themen des Naturschutzes in urbanen Räumen und weit darüber hinaus. Störungen durch Menschen und vor allem mitgeführte Hunde können den Rückgang bestimmter Arten auf Heideflächen und in anderen Lebensräumen beschleunigen. Im Verlauf der Corona-Pandemie war die Erholungsnutzung auch in Schutzgebieten besonders ausgeprägt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Lockdown-Phase hervorzuheben.
Die im Antrag aufgeführten Bereiche von FFH-Gebieten Fröttmaninger Heide, Panzerwiese sowie Allacher Heide sind Bestandteile von Naturschutzgebieten, die durch Verordnungen der Regierung von Oberbayerngeschützt sind. Im Naturschutzgebiet „Allacher Lohe“ und damit auch auf der Allacher Heide ist das Betreten des Schutzgebietes außerhalb von Stra-ßen, Wegen und markierten Pfaden verboten (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Allacher Lohe“ in der Landeshauptstadt München). Im Naturschutzgebiet „Südliche Fröttmaninger Heide“ sind Sperrungen und Betretungsmöglichkeiten in einem Zonenkonzept (§ 4 der Verordnung über das Naturschutzgebiet “Südliche Fröttmaninger Heide“ in der Landeshauptstadt München und im Landkreis München) verankert, das umgesetzt werden kann, wenn die Flächen frei von Kampfmitteln sind. Auf der Panzerwiese ist kein Betretungsverbot geregelt, es herrscht jedoch eine Leinenpflicht für Hunde (§ 4 Abs. 2 Nr. 6 der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Panzerwiese und Hartelholz“ in der Landeshauptstadt München). Insofern sind bereits zeitweise oder dauerhafte Sperrungen im Sinne von Zutrittsbeschränkungen etabliert. Weitere Zutrittsbeschränkungen können gemäß Art 31 BayNatSchG seitens der höheren oder unteren Naturschutzbehörde veranlasst werden, soweit sie fachlich sinnvoll und rechtlich zulässig sind.
Das Themenfeld Erholungsnutzung in Schutzgebieten Münchens wird dar-über hinaus wie folgt berücksichtigt:
Mit Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates vom 19.12.2018 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 13218) wurde die „Biodiversitätsstrategie München“ etabliert, die unter anderem die Handlungsfelder „Umweltbildung“, „Öffentlichkeitsarbeit“ und „Naturverträgliche Erholung“ beinhaltet. Seither wurden mehrere Stadtratsbeschlüsse eingebracht, um die erforderlichen Ressourcen für die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie in der Verwaltung zu schaffen.
Unter anderem wurden hierbei die Erarbeitung von Erholungslenkungskonzepten und Etablierung von Gebietsbetreuungen als vordringlich identifiziert.
Auf der Panzerwiese ist das Baureferat, Hauptabteilung Gartenbau im Rahmen seiner Aufgaben auch mit Erholungslenkung befasst. In der Fröttmaninger Heide und anderen Gebietsteilen des FFH-Gebietes Nr. 7735-371 „Heideflächen und Lohwälder nördlich von München“ ist der Heideflächenverein Münchener Norden e.V. auch auf diesem Gebiet tätig.
Für das FFH-Gebiet Nr. 7734-302 „Allacher Forst und Angerlohe“, zu dem das Naturschutzgebiet Allacher Lohe einschließlich der Flächen der Allacher Heide gehört, wird derzeit mit finanzieller Unterstützung des Bezirks-ausschusses des 23. Stadtbezirkes (Allach-Untermenzing) ein Erholungslenkungskonzept erarbeitet.
Eine Gebietsbetreuung für das FFH-Gebiet „Heideflächen und Lohwälder nördlich von München“ ist seit einigen Jahren unter der Trägerschaft des Heideflächenvereins Münchener Norden e.V. gefördert durch den Bayerischen Naturschutzfonds eingerichtet, zu dem auch die Panzerwiese und die Fröttmaninger Heide gehören. Auf der Panzerwiese gab es zuvor eine von der Landeshauptstadt München finanzierte und von der unteren Naturschutzbehörde betreute Gebietsbetreuung.
Mittlerweile wurde seitens des Referats für Klima- und Umweltschutz eine Gebietsbetreuung für das FFH-Gebiet „Allacher Forst und Angerlohe“ und für die im Stadtgebiet gelegenen Bereiche des FFH-Gebietes Nr. 7734-301 „Gräben und Niedermoorreste im Dachauer Moos“ mit dem Naturschutzgebiet Schwarzhölzl eingerichtet. Weitere, noch nicht abgedeckte Gebiete sollen folgen.
Durch den Beschluss der Vollversammlung des Stadtrates „Schwerpunktsetzung im Referat für Klima- und Umweltschutz - personelle Mehrbedarfe Eckdatenbeschluss Haushalt 2022 ... Beschluss über die Finanzierung ab 2022“ vom 19.1.2022 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 04479) wurden zahlreiche Stellenschaffungen für den Geschäftsbereich Naturschutz und Biodiversität ermöglicht, darunter solche, die den Außendienst des behördlichen Naturschutzes stärken. Diese Stellen werden derzeit eingerichtet und anschließend so schnell wie möglich besetzt.
Auch die Naturschutzverbände haben sich des Themas Erholungsnutzung in den Schutzgebieten angenommen und im Jahr 2021 in Zusammenarbeit mit der Gebietsbetreuung und dem Heideflächenverein erstmals einen „Heidetag“ veranstaltet, bei dem mit Informationsständen und Führungen auf die naturschutzfachlichen Qualitäten und die Gefährdung der verschiedenen Heideflächen in München durch die Erholungsnutzung aufmerksam gemacht wurde. Diese Veranstaltung wird Anfang Mai 2023 wiederholt.
Ihr Antrag „Wilde Natur im freien Fall – Zutrittsbeschränkungen für übernutzte Biotopflächen zur Erholung der gefährdeten Fauna und Flora (Antrag Nr. 20-26/A 02916) vom 13.7.2022 wird im Rahmen der vorstehenden Ausführungen bereits vollzogen.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.