Niedrige Impfquoten in München bei Hepatitis B und Humanen Papillomviren (HPV) – Abhilfe schaffen! I
Antrag Stadtrat Professor Dr. Hans Theiss (Stadtratsfraktion der CSU mit FREIE WÄHLER) vom 21.7.2023
Antwort Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek:
Sie beantragen: „Die Landeshauptstadt München (LHM) wird aufgefordert, eine wissenschaftliche Studie durchzuführen, zu begleiten oder in Auftrag zu geben, die auf möglichst breiter Datengrundlage und wissenschaftlich repräsentativ klärt, warum die Impfquoten bei Hepatitis B und HPV in München so gering sind. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden genutzt, um die Impfquote in Zukunft zu erhöhen.“
Ihr Einverständnis vorausgesetzt erlaube ich mir, Ihren Antrag vom 21.7.2023 als Brief zu beantworten und teile Ihnen auf diesem Wege Folgendes mit:
Vor einer Vielzahl früher schwer oder tödlich verlaufender Krankheiten kann heutzutage durch Impfungen zuverlässig geschützt werden. Eine Impfpflicht existiert – mit Ausnahme der Impflichten für Soldat*innen nach dem Soldatengesetz – in Deutschland derzeit nicht. Vielmehr steht es grundsätzlich jedem frei, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund werden jährlich Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) veröffentlicht. Der Impfkalender 2023 der STIKO umfasst für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene Schutzimpfungen gegen Rotaviren, Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b, Poliomyelitis, Hepatitis B, Pneumokokken, Meningokokken C, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, HPV – Humane Papillomviren, Herpes Zoster, Influenza sowie COVID-19. Trotz der wissenschaftlich belegten Schutzwirkung von Impfungen sind in Deutschland – wie in ganz Europa – Impflücken zu verzeichnen. Während mangels eines zentralen Impfregisters in Deutschland hinsichtlich der Impfquoten erhebliche Unschärfen bestehen, liegt in Bezug auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung jedoch bereits eine Vielzahl deutscher und EU-weiter Studien vor. Diese untersuchen sowohl innere Faktoren (z.B. Vergesslichkeit, religiöse Motive) wie auch äußere Faktoren (z.B. Zugangsschwierigkeiten), welche die jeweilige individuelle Impfentscheidung beeinflussen. Lediglich die aktuellsten sollen nachfolgend skizziert werden:Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), „Infektionsschutz-Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen“ 2022:
Ziel der alle zwei Jahre durchgeführten Untersuchung der BZgA ist es u.a., Impfhindernisse und mögliche Vorbehalte gegenüber Impfungen im Kindesalter zu identifizieren. Denn gerade der Wissensstand und insbesondere die Einstellung der Eltern zum Thema Impfungen im Kindesalter sind wichtige Einflussfaktoren auf das Impfverhalten. Der aktuellen BZgA-Studie zufolge sind die Gründe dafür, dass Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen, vielfältig. Ein Drittel der befragten Eltern (36%) gab an, dass sie ihr Kind schon einmal nicht haben impfen lassen, weil es zum Impftermin einen Infekt hatte oder es ihm nicht so gut ging. Weitere Hindernisse bezogen sich auf eine eher skeptische Haltung gegenüber dem Impfen: Jeweils 11% der befragten Eltern gaben an, dass sie ihr Kind nicht haben impfen lassen, weil sie die entsprechende Impfung für unnötig hielten oder weil sie befürchteten, die Impfung könne ihr Kind körperlich zu stark belasten. Jeweils 8% hatten Angst vor Nebenwirkungen oder vor bleibenden Impfschäden. Jeweils 7% der befragten Eltern gaben an, ihr Arzt beziehungsweise ihre Ärztin hätte ihnen von der Impfung abgeraten oder sie hätten im Alltagstrubel nicht mehr an anstehende Impfungen gedacht. 4% gaben als Impfhindernis an, dass es ihnen aus zeitlichen beziehungsweise organisatorischen Gründen nicht möglich war, zur Ärztin oder zum Arzt zu gehen. Bei 1% der Befragten hatte die Hebamme von einer Impfung abgeraten. Zudem ergab die Studie, dass die Einschätzung der Eltern zur Notwendigkeit eines Impfschutzes je nach betroffener Impfung stark variiert. Während laut der BZgA-Studie fast alle befragten Eltern angaben, dass ihr Kind auf jeden Fall gegen Tetanus (97%), Masern (97%), Kinderlähmung (96%), Röteln (93%), Mumps (92%) und Diphtherie (90%) geimpft werden sollte, waren nur etwa drei Viertel der Eltern der Ansicht, ihr Kind sollte auf jeden Fall gegen Hepatitis B (78%) geimpft werden. Eine Impfung gegen HPV sahen sogar nur 70% der Eltern als notwendig an.
European Commission, „State of Vaccine Confidence in the EU“ 2022: Thema des Berichts ist das Vertrauen in die Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen und in das Gesundheitssystem („vaccine confidence“). Es wird das generelle Vertrauen der Allgemeinbevölkerung in Impfstoffe, gemessen an der wahrgenommenen Impfstoffsicherheit und -wirksamkeit, Wichtigkeit und an der Vereinbarkeit von Impfstoffen mit der Religion in allen EU-Mitgliedstaaten bewertet. Ein hohes Vertrauen der Bevölkerung in Impfprogramme sei notwendig, um hohe Impfraten konstant zu halten. Die regelmäßig aktualisierte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland 83,9% (EU-Schnitt: 78,4) der Bevölkerung Impfungen fürsicher, 89,6% (EU-Schnitt: 78,4) sie für wirksam hielten, und 83,5% meinten, Impfungen seien wichtig (EU-Schnitt: 78,4). 86,2% (EU-Schnitt: 78,4) hielten sie mit ihrem Glauben für vereinbar. Auch, wenn diese Zahlen im EU-Vergleich relativ hoch sind, so zeigen sie, wie wichtig anhaltende Aufklärung, Information und ärztliche Beratung sind.
Bundesministerium für Gesundheit, Systematische Bestandanalyse im Förderschwerpunkt Entwicklung, Erprobung und Evaluation digitaler Medien für die Förderung des Impfens am Beispiel von HPV 2021 „DigiMed-HPV“: Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten „Systematischen Bestandanalyse im Förderschwerpunkt Entwicklung, Erprobung und Evaluation digitaler Medien für die Förderung des Impfens am Beispiel von HPV“ wurden u.a. Jugendliche, Eltern sowie Ärztinnen und Ärzte zu Impferfahrungen bzw. -hürden befragt. Die im August 2021 publizierten Ergebnisse der Studie kommen zu dem Schluss, dass der Impfimpuls überwiegend durch Ärztinnen und Ärzte erfolge, deren Empfehlung im Großteil der Fälle angenommen wird. Eine besondere Rolle in der HPV-Impfung komme damit den niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten zu, die für den überwiegenden Teil der HPV-Impfungen verantwortlich seien. Die U- und J-Untersuchungen stellen damit relevante und frühe Anlässe zur Aufklärung der Eltern dar. Allerdings sei das Wissen zu HPV und der HPV-Impfung insgesamt gering. Im Hinblick auf die adressierten Zielgruppen zeigte die systematische Bestandsaufnahme, dass ein Großteil der bisherigen Aktivitäten auf die Allgemeinbevölkerung ausgerichtet ist. Eine zielgruppenspezifische Ansprache sei im Verhältnis seltener erfolgt. Verbesserungspotenzial zeige sich vor allem im Hinblick auf eine zielgruppenspezifische Ansprache (z.B. der Zielgruppe Jungen/ Männer), der Eltern, sowie weiterer Multiplikatoren.
Robert Koch Institut, Interventionsstudie zur Steigerung der HPV- Impfquoten in Deutschland InveST HPV 2023 - 2026:
Die Studienverantwortlichen gehen – in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der oben angesprochenen Studien – davon aus, dass ein relevanter Faktor bei der Impfentscheidung die Arzt-Patienten-Kommunikation darstellt, um die Bedenken von vor allem unsicheren oder impfkritischen Eltern zu adressieren. Die Kommunikation werde bei der HPV-Impfung als besonders herausfordernd eingeschätzt, da häufig geringes Vorwissen bestehe und die Aufklärung zu einer Infektion, die über sexuelle Kontakte übertragen wird, Scham auslösen könne. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die bis 2026 laufende Studie mit den Hürden für den Einsatz von Erinnerungssystemen und mit angepassten bzw. innovativen Ansätzen zur Schulung von Ärzten und Ärztinnen sowie medizinischem Fachpersonal.Zudem wird eine repräsentative Umfrage unter Eltern zu Wissen und Vorbehalten zur HPV-Impfung geplant.
In Zusammenschau der hier skizzierten sowie einer Vielzahl weiterer Studien lässt sich somit konstatieren, dass es bereits hinreichende nationale wie internationale Publikationen mit Aussagen zu Impfmotivation und Impfhindernissen gibt. Darüber hinaus stellt das Robert Koch-Institut (RKI) zwischenzeitlich mit „VacMap“ eine Plattform zur Verfügung, mit deren Hilfe die Ergebnisse der Impfsurveillance der Kassenärztlichen Vereinigung öffentlich zugänglich gemacht werden können.
Das VacMap-Dashboard gibt ein räumlich und zeitlich umfassendes Bild der Inanspruchnahme von Routineimpfungen, die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen werden. Es wird damit ermöglicht, die Umsetzung der Impfempfehlungen zu evaluieren sowie Impflücken in einzelnen Regionen, Altersgruppen und Indikationsgruppen zu erkennen. Auch dieses Instrument unterstützt dabei, Maßnahmen zur Erhöhung der Impfquote zielgerichtet zu planen.
Es ist nach Einschätzung des Gesundheitsreferates, welches sich auch im regelmäßigen Austausch mit den für dieses Gebiet relevanten Akteure*innen in München befindet, nicht zu erwarten, dass eine weitere lokale Studie zu einem diesbezüglich neuem, ergänzenden Erkenntnisgewinn führt. Überzeugt von der Wichtigkeit und Wirksamkeit eines vollständigen Impfschutzes auf Basis der jeweils aktuellen StIKo-Empfehlungen, verfolgt mein Haus die gesellschaftlichen Entwicklungen und die aktuelle Studienlage jedoch sehr aufmerksam, um die hieraus resultierenden und für München geeignet erscheinenden Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.