München baut Barrieren ab II: Modellversuch für Menschen mit Hilfsrädern in der Fußgängerzone
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Mona Fuchs, Dr. Hannah Gerstenkorn, Sofie Langmeier, Gudrun Lux, Florian Schönemann, Christian Smolka, Sibylle Stöhr (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) und Kathrin Abele, Simone Burger, Nikolaus Gradl, Roland Hefter, Barbara Likus, Christian Müller, Dr. Julia Schmitt-Thiel, Andreas Schuster, Felix Sproll (SPD/ Volt-Fraktion) vom 17.2.2022
Antwort Mobilitätsreferent Georg Dunkel:
Ich komme auf Ihren im Betreff genannten Antrag zurück und bitte vorab die verzögerte Bearbeitung zu entschuldigen.
In Ihrem Antrag fordern Sie das MOR auf, „in den Fußgängerzonen einen Modellversuch durchzuführen, in dem Menschen in Besitz eines Behindertenausweises oder einer Berechtigung zur Nutzung eines Behindertenparkplatzes die Fußgängerzonen mit Hilfsmitteln auf Rädern einfahren dürfen. Insbesondere soll die Einfahrt ermöglicht werden für:
- Hilfsmittel mit drei oder vier Rädern zur eigenen Nutzung (z.B. Dreiräder)
- Hilfsmittel mit Rädern zur Verwendung Dritter zum Transport (z.B. Rikschas oder Rollstuhlfahrrad).“
Nach § 60 Abs. 9 Geschäftsordnung (GeschO) dürfen sich Anträge ehrenamtlicher Stadtratsmitglieder nur auf Gegenstände beziehen, für deren Erledigung der Stadtrat zuständig ist. Der Inhalt Ihres Antrages betrifft jedoch eine laufende Angelegenheit, deren Besorgung nach Art.37 Abs.1 Gemeindeordnung (GO) und §22 GeschO dem Oberbürgermeister obliegt, weshalb eine beschlussmäßige Behandlung im Stadtrat rechtlich nicht möglich ist.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir Ihren Antrag auf dem Schriftweg zu beantworten.
Zunächst möchten wir auf die rechtlichen Möglichkeiten nach §24 Abs.2 StVO hinweisen, wonach eine Einfahrt in Fußgängerzonen für mobilitätseingeschränkte Personen mit motorisierten Krankenfahrstühlen (bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von maximal 15 km/h, maximal 110 cm Breite, zulässige Gesamtmasse maximal 500 Kg) in Schrittgeschwindigkeit generell bereits heute möglich ist.Im Zuge Ihres Antrags hat das Mobilitätsreferat geprüft, ob die Fußgängerzonen für darüber hinausgehende Mobilitätshilfen (Dreiräder, Rikschas, Rollstuhlfahrräder) frei gegeben werden können.
1. Generelle Freigabe mit Beschilderung
Voraussetzung für eine generelle Freigabe der Fußgängerzonen für die Nutzung der im Antrag genannten Fahrzeuge als Mobilitätshilfen durch mobilitätseingeschränkte Personen ist eine rechtskonforme Beschilderungsmöglichkeit. Der Katalog, der in der Straßenverkehrsordnung abgebildeten Verkehrszeichen ist abschließend. Für die im Antrag vorgesehenen Fahrzeuge gibt es derzeit kein Verkehrszeichen, womit eine klare und verständliche Beschilderung im Sinne der beantragten Regelung möglich wäre. Bei Verwendung von bereits bestehenden Sinnbildern, z.B. Sinnbild „Radverkehr“, würde dies auch andere – nicht gewünschte – Verkehrsteilnehmer*innen berechtigen die Fußgängerzonen zu befahren. Eine weitere Kombination im Hinblick auf notwendige Mobilitätseinschränkungen lässt sich darüber hinaus ebenfalls nicht darstellen und wäre auch im Hinblick auf die aktuellen Beschilderungen mit der Frage für Radverkehr und Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten für Verkehrsteilnehmer*innen nicht verständlich.
Aus diesem Grund ist, unabhängig von etwaigen Risiken für die Verkehrssicherheit, derzeit keine generelle Freigabe der Fußgängerzonen für derartige Hilfsräder möglich.
2. Einzelfallbezogene Ausnahmegenehmigungen für mobilitätseingeschränkte Personen
Bei Vorliegen einzelfallbezogener Gründe kann die Gehwegnutzung durch grundsätzlich nicht hierfür vorgesehene Fahrzeuge seitens des Mobilitätsreferates genehmigt werden (§46 StVO). Anfang 2023 wurden hierzu in Absprache mit dem Behindertenbeirat, Facharbeitskreis Mobilität, Rahmenbedingungen für einen Pilotversuch erarbeitet. Auf Antrag sollen Personen mit Gehbehinderungen Genehmigungen zum Befahren der Geh- und/oder Radwege erteilt werden, wenn die StVO für ihre jeweilige Mobilitätshilfe eigentlich die Benutzung der Fahrbahn vorschreibt. Zielgruppe sind dabei Nutzer*innen von Elektromobilen, die über die Definition von Krankenfahrstühlen (Ausführungen zur Definition von Krankenfahrstühlen siehe oben) hinausgehen. Das Antragsverfahren kann auch genutzt werden, um mobilitätseingeschränkten Bürger*innen die Einfahrt in die Fußgängerzonen mit einem drei- oder vierrädrigen Hilfsrad zu ermöglichen.Diese Genehmigungen können aus rechtlichen Gründen nur personengebunden (bzw. fahrzeuggebunden) in Bescheidform erteilt werden. Das Mobilitätsreferat erhofft sich durch das Pilotprojekt vertiefte Erkenntnisse über den Bedarf zur Nutzung von Gehbahnen (hierzu zählen auch Fußgängerzonen) mit Mobilitätshilfen.
Zudem bleibt die Anzahl der Einzelgenehmigungen stets kontrollierbar. Die Ausnahmegenehmigungen sind nur für Inhaber*innen eines Behindertenausweises mit Merkzeichen „G“ oder „aG“ vorgesehen, sodass auch einer unerwünschten Nutzung der Fußgängerzone durch Radfahrer*innen vorgebeugt wird. Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit können so besser abgeschätzt und potentielle Gefahren berücksichtigt werden. Das Antragsverfahren soll bewusst niederschwellig und unkompliziert gehalten werden. Auf Verwaltungsgebühren wird dabei – im Rahmen des rechtlich zulässigen - verzichtet.
Dem Mobilitätsreferat ist es ein Anliegen, die Erreichbarkeit von Fußgängerbereichen für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten stetig zu verbessern.
Dem Themenbereich Inklusion, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe wird im Rahmen der Mobilitätsstrategie 2035 daher eine bedeutende Rolle zugedacht. Derzeit wird bereits an der Teilstrategie „Inklusion Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe“ gearbeitet.
Neben der Möglichkeit von Einzelausnahmegenehmigungen setzt das Mobilitätsreferat bereits weitere konkrete in der noch in Erarbeitung befindlichen Teilstrategie vorgesehenen Teilmaßnahmen mit dem Ziel der Feinerschließung der Altstadt um:
1. Forschungsprojekt MoveRegioM – „Mobilitätsverbund Region München“
Im Forschungsprojekt MoveRegioM – „Mobilitätsverbund Region München“ – gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), bildet die Altstadt Münchens eine wesentliche Raumkategorie ab. Insgesamt werden in MoveRegioM verschiedene Bausteine erarbeitet, deren Bündelung ein konkretes Mobilitätskonzept darstellen mit dem Ziel, ein zukunftsweisendes, integriertes, multimodales und nachhaltiges Mobilitätsangebot für die Stadt und die Region München gewährleisten sollen (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 00430).Zur Förderung einer „Altstadt für alle“ soll das Projekt MoveRegioM neben der Erarbeitung eines (Park-)Raumkonzeptes den Rahmen bieten, innerhalb des Altstadtrings ein Konzept für die Erschließungssysteme zu entwickeln, welches den Kfz-Verkehr soweit wie möglich reduziert, aber gleichzeitig eine attraktive Erreichbarkeit für alle Bürger*innen sowie den für die Prosperität notwendigen Wirtschaftsverkehr beibehält. Für die nötige kleinteilige Anbindung der Altstadt werden derzeit von der MVG gemeinsam mit dem Mobilitätsreferat innovative Lösungen für den öffentlichen Verkehr entwickelt, die alle Mobilitätsbedürfnisse von Anwohner*innen und Besucher*innen in der Altstadt erfüllen. Hierzu fand bereits ein Marktforschungsprozess mit unterschiedlichen Akteursgruppen (u.a. mit Personen mit Mobilitäts- und Sinneseinschränkungen) statt. Zudem wurde ein Workshop mit dem Senioren- und Behindertenbeirat abgehalten. Auf Basis der Ergebnisse aus Marktforschung und Workshop werden derzeit drei Piloten (u.a. Gefäßgröße, Bedienformen) herausgearbeitet, welche voraussichtlich im 1. Halbjahr 2024 innerhalb des Altstadtrings getestet werden sollen. Hierbei ist auch ein Testlauf in den Fußgängerzonen angedacht. Die Analyse der Straßenzüge und Prüfungen für mögliche Strecken und Haltepunkte laufen parallel. Nach der Pilotierung und anschließender Evaluation ist eine langfristige Umsetzung der geprüften Lösungen für die Feinerschließung geplant. Die Umsetzungsvorbereitungen werden somit voraussichtlich im 2. Halbjahr 2024 beginnen.
Für den Herbst 2023 ist ein weiterer Workshop mit dem Senioren- und Behindertenbeirat datiert, in welchem die favorisierten Lösungen und der mögliche Testlauf diskutiert werden. Außerdem werden neben dem Mobilitätsreferat weitere relevante Referate in die Planungen miteinbezogen (u.a. Baureferat, Referat für Stadtplanung und Bauordnung).
2. Verleihstation von E-Mobilen nach dem Vorbild Olympiapark und Tierpark in der Altstadt
Auf Grundlage der Stadtratsanträge „Inklusion konkret und konsequent umsetzen – erfolgreiches städtisches Elektromobil-Leihsystem in die Kernstadt bringen“, Antrag Nr. 20-26/A 01896 vom 15.9.2021, und München baut Barrieren ab IV: Weitere Standorte für Elektromobilverleih, Antrag Nr. 20-26/A 02412 vom 17.2.2022, wurde im Austausch mit beteiligten Referaten im Oktober eine weitere Verleihstation von sog. E-Mobilen, nach Vorbild Olympiapark und Tierpark, am Marienhof, in unmittelbarer Nähe des Neuen Rathauses, eingerichtet. Die E-Mobile erfüllen dabei die rechtlichen Anforderungen an einen Krankenfahrstuhl und können genehmigungsfrei im Fußgängerbereich genutzt werden (nähere Ausführungen zu §24 StVO siehe oben).Die Elektromobile dienen der Verbesserung der Inklusion im Fußverkehr und können als wichtiges Transportmittel für mobilitätseingeschränkte Personen angesehen werden. Zudem leistet eine weitere Verleihstation einen wichtigen Beitrag für einen inklusiven Fußverkehr in der Landeshauptstadt:
- Mit Hilfe der Bereitstellung eines städtischen Elektromobil Leihsystems soll es mobilitätseingeschränkten Personen ermöglicht werden, ihren urbanen Erreichbarkeitsradius zu vergrößern.
- Erhöhung der Zugänglichkeit des Bereiches der Altstadt insbes. für vulnerable Bevölkerungsgruppen
- Für vulnerable Bevölkerungsgruppen werden alternative Fortbewegungsmittel im Bereich der Shared Economy ausgebaut.
Das Mobilitätsreferat setzt alle oben gezeigten Teilmaßnahmen stets in enger Zusammenarbeit mit dem Behindertenbeirat, Facharbeitskreis Mobilität, um.
Darüber hinaus handelt das Überwachungspersonal der Kommunalen Verkehrsüberwachung und der Polizei bei Kontrollen des Befahrens von Fußgängerzonen nach dem Opportunitätsprinzip, sodass etwaige besondere Umstände, wie z.B. die offenkundige Notwendigkeit der Nutzung von als Hilfsmittel eingesetzten Fahrzeugen durch mobilitätseingeschränkte Personen, berücksichtigt werden können. Da bei den Kontrollen jeweils die Umstände im Einzelfall geprüft werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass in jedem Fall von der Beanstandung von verkehrswidrigem Verhalten abgesehen wird.
Zudem ist die Landeshauptstadt München dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) verpflichtet und bekennt sich zu dieser Querschnittsaufgabe. Viele Inklusionsmaßnahmen wurden durch das Mobilitätsreferat bereits umgesetzt, weiterer Verbesserungsbedarf wird fortlaufend evaluiert und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten auf den Weg gebracht.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.