Durch Baugebote nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 BauGB Bauüberhänge absenken – Grundstücke durch kommunale Wohnungsbaugesellschaften übernehmen
Antrag Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Beppo Brem, Anna Hanusch, Dominik Krause, Clara Nitsche, Angelika Pilz-Strasser, Florian Schönemann, Bernd Schreyer, Christian Smolka und Sibylle Stöhr (Fraktion Die Grünen – Rosa Liste) vom 30.3.2023
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk:
Mit dem o.g. Antrag beauftragen sie das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, den nach dem Baumobilisierungsgesetz neuen Tatbestand des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Baugesetzbuches (BauGB) daraufhin zu überprüfen, ob er geeignet ist, die eklatant gestiegenen Bauüberhänge (2021: 36.557 WE) durch Baugebote zugunsten des Wohnungsbaus zu reduzieren. Dabei sollen für die Baugebote vorrangig Gebiete im Innenbereich der Stadt ausgewählt werden, bei denen die Übernahme der Grundstücke zugunsten der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften – eine Bedingung, wenn der Eigentümer dies verlangt – die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum verbessern kann.
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten.
Zu Ihrem Antrag vom 30.3.2023 teilt Ihnen das Referat für Stadtplanung und Bauordnung Folgendes mit:
Baugebote gem. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB sind ein vom Gesetzgeber vorgesehenes Instrument, um die Bebauung bereits überplanter Grundstücke durchzusetzen. Hierfür müssten sich das betroffene Grundstück oder zumindest die für eine Bebauung relevanten Flächen im Umgriff eines rechtsverbindlichen Bebauungsplans befinden. Außerhalb eines Bebauungsplanumgriffs käme in nach § 34 BauGB zu beurteilenden Ortsteilen grundsätzlich ein Baugebot über § 176 Abs. 2 BauGB in Betracht. Die Stadt könnte unter dieser Maßgabe bei Vorliegen städtebaulicher Gründe und nach pflichtgemäßem Ermessen vom Eigentümer verlangen, dass dieser binnen einer angemessenen Frist sein Grundstück mit einer oder mehreren Wohneinheiten zu bebauen hat, sofern der Bebauungsplan Wohnnutzungen zulässt (ggf. auch neben anderen Nutzungsarten wie im Mischgebiet oder Urbanen Gebiet) und die betroffenen Flächen sich in einem nach § 201a BauGB bestimmten Bereich mit angespanntem Woh-nungsmarkt befinden. Die letztgenannte Voraussetzung ist in München seit dem 16.9.2022 flächendeckend erfüllt.
Die Schwierigkeit dieses Instruments besteht allerdings in den besonderen Voraussetzungen der Abs. 3 ff. Hieran hat sich durch die Neufassung des Tatbestands des § 176 Abs. 1 BauGB auch nichts geändert. Demnach hat die Stadt auch nach aktueller Rechtslage von einem Baugebot abzusehen, wenn die Durchführung des Vorhabens dem Eigentümer aus wirtschaftlichen (Abs. 3 Satz 1) oder familiären Gründen (Abs. 3 Satz 2) nicht zuzumuten ist. Insoweit handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die Stadt hat dann also keinerlei Spielraum.
In der Regel wird daher folgendes abgestufte Vorgehen empfohlen: Zunächst wird der Kontakt zu den Grundstückseigentümern gesucht, um mit diesen Möglichkeiten der Bebauung oder auch der weiteren Entwicklung der Flächen zu erörtern. Es wird versucht, auf konsensualem Weg eine Vereinbarung mit den Eigentümern zu treffen, die bisherige Hindernisse ausräumt und eine zeitnahe Bebauung des Grundstücks sicherstellt. Dabei werden zumeist auch die Gründe für die bisher unterbliebene Realisierung deutlich. Erst wenn dieses kooperative Verfahren scheitert und der Umsetzung keine zwingenden persönlichen oder wirtschaftlichen Gründe entgegenstehen, wird als ultima ratio auch ein hoheitliches Eingreifen, u.U. auch über ein Baugebot, in Betracht gezogen.
Die größten Schwierigkeiten bestehen allerdings im Falle einer vollständigen Verweigerung des Eigentümers. In diesen Fällen müsste die Durchsetzung des Bauvorhabens dann über das Vollstreckungsrecht und am Ende sogar über Enteignungsverfahren betrieben werden. Der Aufwand und die zeitliche Dauer derartiger Verfahren ist enorm. Zudem ist der Ausgang oft ungewiss, weil die Hinderungsgründe auf Seiten der Eigentümer nicht immer von vornherein erkennbar sind oder auch erst später eintreten können.
Die im Antrag verfolgte Übernahme der Grundstücke durch die Gemeinde oder kommunale Wohnungsbaugesellschaften zum Zwecke der Bebau-
ung und damit des Schaffens von neuem Wohnraum ist vom Gesetzgeber grundsätzlich nicht vorgesehen. Die einzige Möglichkeit besteht insoweit im Fall des § 176 Abs. 4 BauGB. Dieser setzt jedoch zwingend eine subjektive wirtschaftliche Unzumutbarkeit in der Person des Eigentümers und in der Folge ein entsprechendes Übernahmeverlangen voraus. Eine hoheitlich verfügte Übernahme ist ausgeschlossen bzw. infolge dinglich gesicherter Rechte nur beim geförderten Wohnungsbau zulässig. Bei diesem sind vertraglich vereinbarte und mit Auflassungsvormerkung gesicherte Ankaufs-rechte der Gemeinde gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB möglich und werden insoweit auch seit längerem praktiziert.
Im Ergebnis kann das Baugebot im Einzelfall ein subsidiäres Instrument zur Realisierung eines Vorhabens sein, für flächendeckende Lösungen oder als Strategie zur Bewältigung der stadtweiten Bauüberhänge in einer größeren Zahl von Fällen (im Antrag werden 9.485 Gebäude mit 36.557 Wohneinheiten genannt) erscheint es aber aufgrund der langwierigen Verfahren, des großen Aufwands und der nur schwer zu widerlegenden Einwendungsmöglichkeiten der Eigentümer auch weiterhin nicht geeignet. Dabei ist vor allem auch zu bedenken, dass sich durch Baugebote die strukturellen Probleme der Bauwirtschaft (Fachkräftemangel, Lieferengpässe, Kostensteigerungen, Nachfragerückgang) sowie die infolge der jüngsten Zinssteigerungen eingeschränkten Finanzierungsmöglichkeiten und damit die eigentlichen Hindernisse für eine zeitnahe Umsetzung von Bauvorhaben nicht überwinden lassen.
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung rät daher davon ab, das Instrument des Baugebots als das Mittel gegen Bauüberhänge in den Vordergrund zu rücken. Das im Antrag angesprochene Baulandmobilisierungsgesetz vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern, da die dort vorgenommenen Anpassungen die Grundkonstruktion des Baugebots
nicht berührt und damit die erläuterten Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung unverändert fortbestehen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.