Umsetzung des neuen Prostitutionsgesetzes ab 2016 in München
Antrag Stadtrats-Mitglieder Bettina Messinger, Cumali Naz, Helmut Schmid, Julia Schönfeld-Knor, Christian Vorländer und Beatrix Zurek (SPD-Fraktion) vom 9.4.2015
Antwort Kreisverwaltungsreferentin Dr. Hanna Sammüller-Gradl:
Mit Schreiben vom 9.4.2015 wurde, vor dem Hintergrund des damals bevorstehenden Inkrafttretens des Prostituiertenschutzgesetzes (Prost-SchG), die Kooperation der Stadtverwaltung München bei der Umsetzung des neuen ProstSchG mit allen wichtigen Akteur*innen beantragt, um für die Betroffenen über eine Anmeldung sowie Gesundheits- und Zuverlässigkeitsprüfungen hinaus, auch ein umfassendes Beratungsangebot für gesundheitliche oder soziale Fragen anzubieten oder zumindest zu koordinieren.
Außerdem wurde beantragt, vor der Umsetzung die Münchner Polizei und auch die Beratungsstellen wie Mimikry, Solwodi und Jadwiga umfassend einzubinden und ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten. Es solle ein Rahmen geschaffen werden, in dem geschultes Personal auch mit prekären Situationen bis hin zu Fällen der Zwangsprostitution umgehen kann. Zuletzt wurde beantragt anzufragen, ob eine Fortführung des Bundesmodellprojekts wie zum Beispiel „DIWA“ (Der individuelle Weg zur Alternative) in Berlin mit einer Beratung und Angeboten zum Ausstieg aus der Prostitution auch in München möglich ist.
Begründet wurde der Antrag damit, dass das neue ProstSchG Anzeige- und Erlaubnispflichten für Prostituierte sowie Zuverlässigkeitsprüfungen beinhalte. Bei einer Anlaufstelle sollten aber auch gesundheitliche und soziale Beratungen angeboten oder zumindest unbürokratisch vermittelt werden. Verschiedene Aspekte der Prostitution würden gravierende negative Folgen bei den Prostituierten beinhalten. Dadurch, dass viele in der Prostitution Tätige häufig ihren Wohnsitz und die Arbeitsstätte wechseln, könne ein einheitliches behördliches Angebot aus (gesetzlich vorgeschriebener) Melde- und Prüfstelle sowie optionaler Beratung sinnvoll sein. Auch das höhere Schutzbedürfnis von Prostituierten und Sicherheitserfordernisse sollten dabei Berücksichtigung finden. Hierzu bedürfe es entsprechend geschulter Mitarbeiter*innen. Hinsichtlich des Modellprojekts „DIWA“, welches in Berlin durchgeführt wurde, wurde ausgeführt, dass eine Weiterentwicklung dessen zwar nicht geplant sei, jedoch gegebenenfalls neue Standorte geprüft werden. Deshalb wurde angeregt, dass die Landeshauptstadt München Kontakt zum Bundesfamilienministerium aufnimmt. Ein ähnliches Angebot – mit einer zusätzlichen finanziellen Ausstattung aus Projektmitteln – sei auch in München sehr sinnvoll. Über die-ses Ausstiegsprojekt könnte in der Folge bei der gesetzlichen Melde- und Prüfpflicht informiert werden.
Ursprünglich wurde der Antrag Nr. 14-20/A 00876 „Umsetzung des neuen Prostitutionsgesetzes ab 2016 in München“ im Rahmen der Sitzungsvorlage 14-20/V 07366 (als Anlage beigefügt) im Kreisverwaltungsausschuss vom 13.12.2016 eingebracht. Der Antrag blieb nach dem damaligem Referentenantrag (Nr. 3) als aufgegriffen. Die Beantwortung des Antrages war zuletzt im Zusammenhang mit der Aktualisierung der SperrbezirksVO vorgesehen. Dieser Beschluss musste jedoch infolge von Problemen mit ausreichenden Ausgleichsflächen für die SperrbezirksVO zurückgestellt werden. Die Beantwortung Ihres Antrages ist daher noch immer offen. Die Anregungen aus dem Antrag wurden bei der Neueinrichtung der Prostitutions-Anmeldeberatung bereits weitgehend umgesetzt. Eine (separate) Beantwortung bzw. Behandlung in einem Beschluss erscheint daher meines Erachtens inhaltlich überholt.
Entsprechend Ihres Einverständnisses erlaube ich mir Ihren Antrag nun als Brief zu beantworten:
Das am 1.7.2017 in Kraft getretene Prostitutionsschutzgesetz (ProstSchG) enthält weitreichende Regelungen zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen. Zu unterscheiden ist dieses Gesetz vom Prostitutionsgesetz (ProstG). Das ProstG gilt bereits seit dem 1.1.2002 und regelt die Rechtsverhältnisse der in der Prostitution Tätigen. Ziel war es, deren Rechtsposition zu stärken. Der Zugang zum sozialen Sicherungssystem sollte ermöglicht und die Arbeitsbedingungen in der Prostitution verbessert werden.
Zur weiteren Verbesserung der Situation der im Bereich der Prostitution tätigen Menschen, hat die Bundesregierung am 25.5.2016 ein Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen vorgelegt. Dieses Gesetz verfolgt das Ziel, den Zugang zur Sozialversicherung für diese Personen zu erleichtern, die Begleitkriminalität im Umfeld der Prostitution zurückzudrängen, die gesundheitliche Gefährdung von hier Tätigen abzubauen und den Ausstieg aus der Prostitution zu erleichtern.
Zu den Kernelementen des Gesetzes zählen insbesondere die Einführung der Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten und die Anmeldepflicht für in der Prostitution Tätige. Das ProstSchG wurde am 7.7.2016 durch den Deutschen Bundestag beschlossen, am 23.9.2016 passierte es den Deutschen Bundesrat, bevor es dann am 1.7.2017 in Kraft trat.Neben den oben genannten Kernelementen enthält das ProstSchG zusätzliche wichtige Regelungen. Diese umfassen die Einführung einer Kondompflicht, die Einführung von Überwachungsbefugnissen, Kontroll- und Betretungsrechten der zuständigen Behörden sowie Bußgeldvorschriften und Regelungen zur Stärkung des Zugangs von in der Prostitution Tätigen zu Unterstützungs- und Beratungsangeboten. In diesem Rahmen ist die Anmeldepflicht dieser Personen mit einem vertraulichen Informations- und Beratungsgespräch verbunden. Zudem sind die Anmeldenden im Vorfeld der Anmeldung dazu verpflichtet, eine gesundheitliche Beratung wahrzunehmen.
In Bayern wurde der Vollzug des ProstSchG auf die Kreisverwaltungsbehörden und teilweise auf die Gesundheitsämter übertragen. Die Umsetzung des gesetzlichen Auftrags liegt in München zum wesentlichen Teil in der Zuständigkeit des Kreisverwaltungsreferates. Für die gesundheitliche Beratung, welche Voraussetzung für die Erteilung der Anmeldebescheinigung ist, ist das Gesundheitsreferat zuständig. Am 3.7.2017 hat das Kreisverwaltungsreferat München mit der Durchführung des Anmeldeverfahrens begonnen.
Die in Ihrem Stadtratsantrag angesprochenen Beteiligungen der genannten Akteur*innen sowie sonstiger Maßnahmen wurden durch das Kreisverwaltungsreferat bereits im Rahmen der Vorbereitungen auf den Vollzug des ProstSchG ab Januar 2017 erfüllt. So wurde im Vorfeld der Gesetzesumsetzung eine Projektgruppe mit Expert*innen gebildet. Diese Projektgruppe setzte sich unter anderem aus den Arbeitsgruppen „Anmeldeverfahren“ und „Überwachung von Prostitutionsstätten“ zusammen. In den Arbeitsgruppen waren Mitarbeiter*innen des Stadtjugendamtes, des Gesundheitsreferates, des Polizeipräsidiums München, des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales und der Fachberatungsstellen Mimikry/ Marikas, Jadwiga sowie Solwodi eingebunden. In den Arbeitsgruppen wurden Konzepte, Leitfäden und Schulungen entwickelt, die dem derzeit tätigen Personal den sensibilisierten und kompetenten Umgang mit den in der Prostitution tätigen Menschen ermöglichen sollen. Bei den entwickelten Schulungen wurde ein besonderes Augenmerk auf das Beratungsgespräch gelegt, das gleichzeitig Kernpunkt aber auch Herausforderung des Normzwecks des ProstSchG darstellt.
Ziel ist es die Beratung adressatengerecht auszugestalten. Diese soll in einem sensiblen und vertrauensvollen Rahmen stattfinden, welche jedoch ebenfalls von Bestimmtheit und Überzeugungskraft geprägt sein soll, um der Intention des ProstSchG vollumfänglich gerecht zu werden. Im Verlaufdes Beratungsgespräches soll das Ausmaß an Beratungsbedarf erkannt und bewertet werden. Ebenso soll festgestellt werden, ob ein Hilfe- und Unterstützungsbedarf vorliegt oder angezeigt ist. Darüber hinaus werden die Beratenden fachlich darin geschult, abzuwägen, ob und welche Maßnahmen zum Schutz und zum Wohl der in der Prostitution tätigen Personen erforderlich sind. Auch müssen diese in die Lage versetzt werden, entscheiden zu können, ob die Anmeldebescheinigung erteilt werden kann oder ob die Ausstellung zum Schutz der Person verweigert wird und stattdessen Schutzmaßnahmen eingeleitet werden.
In der Landeshauptstadt München haben sich bisher mit Stand Juli 2023 rund 7.000 in der Prostitution Tätige angemeldet oder eine Verlängerung der bereits ausgestellten Anmeldebescheinigung beantragt. Der Anteil der in der Prostitution tätigen Personen mit Migrationshintergrund liegt bei rund 84%. Der überwiegende Teil dieser Migrant*innen stammt aus Südosteuropa, insbesondere aus Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Der Anteil der männlichen in der Prostitution Tätigen, liegt bei unter 1%.
Aufgrund der Tatsache, dass annähernd jede*r Vorsprechende*r mit Migrationshintergrund nicht über die notwendigen Deutschkenntnisse verfügt, um das Informations- und Beratungsgespräch umfassend zu verstehen, ist es wichtig die Inhalte in der Muttersprache zu übermitteln.
Überdies liegt bei der Beratung der Fokus auch auf dem Erkennen von Anzeichen für Fremdbestimmung oder anderweitigen Zwangslagen. Diese Anzeichen können sich zum einen über das Erscheinungsbild und das Verhalten der anmeldenden Person aber vor allem auch über den muttersprachlichen Austausch zeigen.
Aus diesem Grund hält das Kreisverwaltungsreferat einen eigenen Dolmetschendendienst für diese wichtige Sprachmittlung vor. Zur Erhöhung der Vertrauensbildung zwischen den Mitarbeiter*innen des Kreisverwaltungsreferates und den weit überwiegend weiblich vorsprechenden Personen, wird die Sprachmittlung ausschließlich durch Dolmetscherinnen vorgenommen. Diesen ist es möglich, aus den Gesprächen ansonsten nicht wahrnehmbare Hinweise herauszuhören sowie die Verhältnisse im Herkunftsland richtig einzuschätzen. Im Jahr 2022 fanden im Durchschnitt monatlich 72 Beratungsgespräche mit Sprachmittlung (mittels Dolmetschendendienst, eigenen Sprachkompetenzen sowie fremdsprachigen Mitarbeiter*innen der Fachberatungsstellen) statt.Durch das geschulte und sensibilisierte Vorgehen der Mitarbeiter*innen des Kreisverwaltungsreferates bei der Anmeldung konnten bislang 21 Fälle identifiziert werden, bei denen konkrete Anhaltspunkte bezüglich einer Zwangsprostitution bestanden. In diesen Fällen wurden die Polizei (Kommissariat 35) und die Fachberatungsstellen Jadwiga und Solwodi unverzüglich informiert und für das weitere Vorgehen eingebunden. Zusätzlich wurden dem Kreisverwaltungsreferat bislang ca. weitere 300 Fälle bekannt, bei denen Hinweise, jedoch keine konkreten Anhaltspunkte hinsichtlich einer Fremdbestimmung vorlagen. Diese Fälle wurden an das Kommissariat 35 zur weiteren Überprüfung der Sachlage und an die Fachberatungsstellen, für deren aufsuchende Arbeit bzw. zur Kontaktherstellung mit den betroffenen Personen in den Bordellen, weitergeleitet.
Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen Fortführung des Bundesmodellprojektes „Diwa“ (Projekt zur Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution), können wir Ihnen Folgendes mitteilen:
Das Projekt war auf vier Jahr, bis 2015 angelegt. Die Münchener Fachberatungsstellen, insbesondere Jadwiga, Mimikry und Solwodi, haben sich ebenfalls auf die Ausstiegsarbeit bei den in der Prostitution tätigen Personen spezialisiert, die auf sehr hohem Sachverstand fußt. Insbesondere die Fachberatungsstelle Jadwiga wird grundsätzlich zu prekären Beratungssituationen, zu Verdachtsfällen auf Zwangsprostitution und Menschenhandel sowie bei 18-jährigen Anmeldenden hinzugezogen. In diesen Fällen sowie bei routinemäßiger Vermittlung der Anmeldenden an die Fachberatungsstellen, werden dort konkrete Alternativen zur Prostitution aufgezeigt und Ausstiegsangebote sowie Lösungsansätze für schwierige Lebenssituationen, insbesondere auch solchen im Herkunftsland, unterbreitet. Zu den Hilfsangeboten zählen z.B. die Bereitstellung von Schutzwohnungen, die Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche und auch die Vermittlung zu Hilfsorganisationen im Heimatland.
Abschließend bitte ich die zeitlich verzögerte Beantwortung Ihres Antrages zu entschuldigen und hoffe, dass die hierdurch erlangten und hier dargelegten umfassenden Erkenntnisse zu der Thematik Ihrem Antrag vollumfänglich entsprechen.
Um Kenntnisnahme von den vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Wir gehen davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.
Die Anlage kann abgerufen werden unter https://risi.muenchen.de/risi/antrag/detail/3641414#ergebnisse