Kein Tropfen auf den Heißen Stein – 4: „Münchner Schatten“ – Möglichkeiten der Verschattung werden umgesetzt
Antrag Stadtrats-Mitglieder Sonja Haider, Dirk Höpner, Nicola Holtmann und Tobias Ruff (Fraktion ÖDP/München-Liste) vom 21.8.2023
Antwort Christine Kugler, Referentin für Klima- und Umweltschutz:
Mit Ihrem Schreiben vom 21.8.2023 haben Sie Folgendes beantragt:
„Dem Stadtrat werden Verschattungskonzepte nach Wiener Vorbild vorgestellt. Ziel ist es, schnellstmöglich die laut der Klimafunktionskarte besonders heißen Stellen in München mit Schattenspendern auszustatten.“
Zur Begründung haben Sie dazu Folgendes vorgetragen:
„Die Hitzetage werden immer mehr, Schatten ist vielerorts in München rar. Dadurch wird der Aufenthalt im Freien an manchen Sommertagen anstrengend bis unerträglich, vor allem für Kinder und ältere Menschen.
Der ideale Schattenspender ist noch immer der Baum, da dieser auch die Luftqualität verbessert. Leider zeigt die Baumbilanz aber, dass in München immer mehr Bäume gefällt und längst nicht für alle ein Ersatz nachgepflanzt wird.
‚Künstlicher‘ Schatten steht dafür schnell und hoffentlich auch unbürokratisch zur Verfügung und kann kurzfristig für Entlastung sorgen.“
Ihr Einverständnis vorausgesetzt erlaube ich mir, Ihren Antrag als Brief zu beantworten und teile Ihnen auf diesem Wege Folgendes mit:
Die Folgen des Klimawandels werden in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer deutlicher. Für München als städtische Wärmeinsel ist bereits jetzt eine deutliche Zunahme an Sommer- und Hitzetagen zu erkennen. 2023 wurden 79 Sommertage (im Mittel 53 Tage) und 25 heiße Tage (im Mittel 12 Tage) gezählt. Es gab damit im Vergleich zum klimatologischen Mittelwert mehr als doppelt so viele heiße Tage. Zudem zählt das Jahr 2023 mit durchschnittlich 11,6 Grad Celsius zu dem wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen an der Station München-Stadt. Besonders belastend wirkt sich der Temperaturanstieg auf vulnerable Gruppen aus. Durch einen hohen Versiegelungsgrad, dichte Bebauung, geringen Grünflächenanteil und teilweise unzureichende Durchlüftung wird sich dieser Effekt in den nächsten Jahren noch verstärken.
Neben den thermischen Veränderungen sind auch veränderte Niederschlagsmuster im Jahr 2023 zu verzeichnen. Die Monate April, August, November und Dezember waren im Vergleich zum langjährigen Mittel zu nass und die für die Vegetation so entscheidenden Monate Mai bis Mitte/Ende August zu trocken. Diese Veränderungen stellen die Landeshauptstadt München vor neue Herausforderungen.
Als wichtige Planungsgrundlage für die Belange des Stadtklimas und der Klimaanpassung wird die Klimafunktionskarte der Landeshauptstadt München (2014; derzeit in Fortschreibung) verwendet, die Flächen anhand ihrer bioklimatischen Situation klassifiziert. Besonders dicht bebaute innerstädtische Bereiche werden als bioklimatisch ungünstig eingestuft, günstige und sehr günstige Bereiche befinden sich angrenzend an Kaltluftleitbahnen oder am Stadtrand. In Siedlungsbereichen mit ungünstiger oder weniger günstiger bioklimatischen Situation sollte die blau-grüne Infrastruktur prioritär ausgebaut werden. Zudem werden wichtige Kaltluftentstehungsgebiete und Durchlüftungsachsen ausgewiesen, um diese bereits frühzeitig in der Planung zu berücksichtigen und von Bebauung freizuhalten, da diese eine sehr hohe bioklimatische Bedeutung für das Stadtklima aufweisen. Der Erhalt von Durchlüftungsachsen sorgt im Quartier für eine nächtliche Abkühlung und damit für eine angenehme Aufenthaltsqualität.
Aus stadtklimatischer Sicht leisten Bäume aufgrund ihrer Verdunstungs- und Verschattungsleistung den größten Beitrag zur Verbesserung des thermischen Komforts, insbesondere in bioklimatisch ungünstigeren Siedlungsbereichen. Zum einen kühlen sie durch Besonnung überwärmte Räume und zum anderen schaffen sie Retentionsräume für eine natürliche Versickerung. Aus diesem Grund ist vor allem der Erhalt von Großbäumen und die Schaffung von neuen Großbaumstandorten über nicht unterbauten Flächen besonders wichtig. Auch Dach- und Fassadenbegrünungen können sich positiv auf das Stadtklima auswirken. Sonnensegel als Klimaanpassungsmaßnahme können die bioklimatische Situation durch Verschattung lokal verbessern, leisten darüber hinaus aber keinen weiteren Nutzen. Aus diesem Grund sind multifunktionale Begrünungsmaßnahmen zu bevorzugen. Bäume sind eine wichtige Klimaanpassungsmaßnahme und auch im Klimaanpassungskonzept (Sitzungsvorlage 20-26/V 07027 vom 26.10.2022) verankert. Mit Beschluss vom 29.11.2023 (Sitzungsvorlage 20-26/V 10568) wurden 52 Millionen Euro für 3.500 Baumpflanzungen bereitgestellt.
Für die Planung von Verschattungsmaßnahmen und die Baumbilanz ist das Referat für Stadtplanung und Bauordnung und für die Umsetzung im öffentlichen Raum das Baureferat zuständig, die zum oben genannten Antrag wie folgt Stellung nehmen.
Zu o.g. Antrag führt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Abteilung für Baumschutz und Freiflächengestaltung – HAIV/5, aus:
„In der Broschüre ‚Wiener Schatten‘ werden insbesondere Lösungen für Schattenspender im öffentlichen Raum – ohne Bezug zu Bäumen – dargestellt, gewissermaßen als Ergänzung zu den schattenspendenden Bäumen.
Die negative Baumbilanz hat insbesondere zwei Gründe:
- Zum einen bleibt nach der Überbauung eines Grundstücks unter der legalen Ausnutzung des Baurechts nicht genug Raum, um alle erforderlichen Bäume dort pflanzen zu können. In diesen Fällen werden Ausgleichszahlungen gefordert.
- Zum anderen ist es bei Einzelfällungen, die unabhängig von Bauvorhaben z.B. wegen Krankheit oder Bruchgefahr des Baumes beantragt werden, häufig nicht zumutbar und/oder fachlich nicht sinnvoll, eine Ersatzpflanzung anzuordnen. Dies ist z.B. bei zu dicht gepflanzten Bäumen, die sich gegenseitig in ihrer Entwicklung behindern, der Fall.
Der Schlüssel für die Verbesserung der Baumbilanz liegt in der Schaffung zusätzlicher Baumstandorte im öffentlichen Raum. Folgende Stadtratsbeschlüsse schaffen hierfür die Voraussetzungen:
- Im Rahmen der Umsetzung des Klimaanpassungskonzepts (Stadtratsbeschlüsse vom 15.11.2016, Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 06819 und 26.10.2022, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07027) sollen mit der Maßnahme M2-1 ‚Projekte zur Begrünung des öffentlichen Straßenraums durch Neuaufteilung der Flächen‘ identifiziert werden.
- Die Broschüre ‚Freiraumquartierskonzept Innenstadt‘ vom Dezember 2021* (Perspektive München, Integriertes Handlungsraumkonzept Münchner Innenstadt, beauftragt mit Beschluss vom 25.11.2021, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 04343) macht bereits detaillierte Vorschläge zur Schaffung neuer Baumstandorte.
- Die Bereiche, für die weitere Freiraumquartierskonzepte mit entsprechenden Baumneupflanzungen entwickelt werden sollen, sind im Entwurf zum Stadtentwicklungsplan 2040 dargestellt (Perspektive München, Entwurf des Stadtentwicklungsplans STEP 2040 ‚München-Stadt im Gleichgewicht‘, Stadtratsbeschluss vom 28.7.2021, Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03346).
- Auch der Beschluss ‚Baumschutz in der Landeshauptstadt München‘ vom 28.7.2021 (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 03093) enthält den Auftrag, Flächen für neue Baumstandorte zu prüfen, zu definieren und zu entwickeln (s. Ziff. 2.2.g).
Durch das Förderprogramm ‚Grenzbaum‘ (https://stadt.muenchen.de/infos/baumschutzkampagne.html) werden Anreize zur Pflanzung von zusätzlichen Bäumen im privaten Bereich geschaffen. Das Programm ‚Extrabaum‘ wird derzeit ausgearbeitet.“
Zu o.g. Antrag führt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Grünplanung – HAII/5, aus:
Planerische Möglichkeiten und Standorte für Verschattung/Planung von Maßnahmen:
„Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hat sich auf konzeptioneller Ebene in den vergangenen Jahren bereits intensiv mit Maßnahmen zur Klimaanpassung, v.a. in der besonders hitzebelasteten Innenstadt befasst.
Das o.g. ‚Freiraumquartierskonzept Innenstadt‘ wurde am 17.5.2023 von der Vollversammlung des Stadtrates des Landeshauptstadt München beschlossen (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 07388). Es stellt ein Schlüsselprojekt aus dem Konzeptgutachten Freiraum M 2030 dar. Kernthemen des Konzeptes sind neben Aufenthaltsqualität und Erholungsnutzung auch Klimaanpassung, Potentiale der Mobilitätswende, Ortsidentität und Nutzungsvielfalt.
Zentraler Schlüsselfaktor für eine Umsetzung des Freiraumquartierskonzeptes in der Innenstadt ist die integrative Betrachtung von Denkmalpflege, Klimaanpassung und Mobilitätswende. Dass es einer gezielten Auseinandersetzung mit dem Thema Altstadtensemble im Kontext der Klimaanpassung und intensiven Klärungsbedarf unter Einbeziehung aller Beteiligten bedarf, wurde im Rahmen der Projektgruppenarbeit des Freiraumquartierskonzeptes deutlich. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der EU-Förderinitiative REACT-EU das freiraumplanerische Gutachten ‚Integration von klimaresilienten Freiraumstrukturen in die historische Münchner Altstadt‘ beauftragt, das mit der Pressekonferenz am 20.11.2023 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Es untersucht, wie im besonders hitzebelasteten Altstadtensemble vor dem Hintergrund einer autoarmen Altstadt und unter Beachtung der besonderen denkmalpflegerischen Belange eine Anpassung an den Klimawandel erreicht werden kann, um mit individuellen und abgestuften Lösungen eine Bereicherung sowohl für Aufenthaltsqualität und Klimaanpassung als auch für das Stadtbild und das soziokulturelle Erbe zu erreichen.
In diesem Gutachten wird das Leitziel formuliert, dass die Münchner Altstadt, insbesondere das Altstadtensemble, an den Klimawandel und die damit verbundenen, steigenden Temperaturen und Extremwetterereignisse angepasst wird. Eine angenehme und gesunde Nutzung sowie qualitätvoller Aufenthalt für alle Bevölkerungsgruppen ist möglich und soll für künftige Generationen gesichert werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, stehen wie im Gutachten dargestellt, verschiedene Optionen zur Verfügung. Neben der Schaffung langfristiger klimaresilienter Freiraumstrukturen, wie z.B. die Pflanzung von Bäumen kann auch der Einbau künstlicher Beschattungsstrukturen, wie Sonnensegel zu einer hohen bioklimatischen Wirksamkeit führen. Die Maßnahmen sind jeweils mit der Ortsidentität und historischen Bezügen abzustimmen.
Für die Planung der Einzelmaßnahmen sowie deren Umsetzung ist eine Stellungnahme des Baureferates einzuholen.“
Zu o.g. Antrag führt das Baureferat aus:
„Wie im Antrag bereits ausgeführt, ist der ideale Schattenspender der Baum.
Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren jedoch verschiedene technische Maßnahmen zur Verschattung und Kühlung von Fußgängerzonen und anderen Straßenräumen gefordert und in der Presse diskutiert. Dabei wurde auch die Verschattung mit Sonnensegeln, wie beispielsweise in Sevilla, thematisiert.
In südeuropäischen Städten wie Sevilla, mit z. T. bis zu 200 Tagen über 30 Grad im Jahr, hat sich das gesellschaftliche Leben auf die Hitze eingestellt. So öffnen die Läden nur während der kühlen Morgen- und Abendstunden. Die Städte dort haben traditionellerweise enge, sich selbst verschattende Gassen. In einzelnen Straßenabschnitten sind auch Sonnensegel zur Verschattung in den Sommermonaten installiert.
Das Baureferat hat die Realisierbarkeit von Sonnensegeln bzw. temporären baulichen Verschattungseinrichtungen beispielhaft in der Fußgängerzone in der Innenstadt untersucht. Als Ergebnis ist festzustellen, dass alle Varianten technischer, baulicher Verschattungseinrichtungen neben dem Aufwand für die Herstellung von Fundamenten und Konstruktionen auch einen enormen logistischen und personellen Aufwand für die jährliche Errichtung und den Abbau erfordern würden. Damit wäre für die Verschattung von Teilbereichen an den zukünftig regelmäßig zu erwartenden 20 bis 30 Tagen mit über 30 Grad ein nicht angemessener finanzieller Aufwand für die Investition und auch den Unterhalt und Betrieb notwendig. Je nach Lage sind Schattensegel von Fassade zu Fassade aus technischen und rechtlichen Gründen, wegen der erforderlichen Befestigung an den z.T. Hightech-Fassaden privater Gebäude, kaum realisierbar. Das Einbringen von Abspannmasten in regelmäßigen Abständen würde enorme Fundamentierungen erfordern, um die Windlasten der Schattensegel aufnehmen zu können. Platz für die Fundamente an den entsprechenden Stellen wäre in den Fußgängerzonen oder auf Gehbahnen, insbesondere entlang der Fassaden, auch aufgrund der Spartenlage kaum gegeben. Statisch wären die großen Spannweiten in den Hauptbereichen der Fußgängerzone von 17 m bis zu 30 m ungünstig.
Damit kann festgestellt werden, dass die Realisierung von Beschattungsmaßnahmen durch Sonnensegel insbesondere in der Fußgängerzone kaum möglich ist.
Baumpflanzungen stellen das geeignetere, nachhaltige Mittel der Wahl dar. Überall dort, wo technisch im Einzelfall die Fundamentierung einer Verschattungsanlage möglich wäre, kann auch ein Baum gepflanzt werden.
Bäume erfüllen, insbesondere in den hochverdichteten Innenstadtbereichen, neben ihrer gestalterisch prägenden Wirkung in besonderer Weise vielfältige ökologische und klimatische Funktionen: Sie spenden Schatten, wirken kühlend, binden Kohlenstoff und bieten im dichten urbanen Umfeld vielen Tierarten Lebensraum und Nahrung. Durch Verdunstung von bis zu 400 Litern Wasser pro Baum täglich über die Blattoberflächen und durch Verschattung tragen sie aktiv zur Abkühlung bzw. geringen Aufheizung des Stadtklimas bei. Auch zur Förderung der Biodiversität im urbanen Raum und dem damit verbundenen Naturerleben sowie hinsichtlich ihrer positiven gestalterischen Wirkung sind Bäume konkurrenzlos.
Das Baureferat hat anhand einer rein technischen Machbarkeitsstudie die grundsätzlichen Potentiale zur Pflanzung von Bäumen in allen Straßen der Münchner Fußgängerzonen erstellen lassen. Dabei wurde zum einen untersucht, ob genügend Pflanzraum im Untergrund vorhanden ist, oder mit vertretbarem Aufwand, z.B. durch die Verlegung vorhandener Sparten wie Elektroleitungen oder Wasserrohre, ein entsprechender Pflanzraum geschaffen werden kann. Zum anderen wurden Funktionen wie die Zu- und Durchfahrten für Rettung, Müll und Lieferverkehr sowie bestehende Verkaufsstände berücksichtigt. Die Ergebnisse werden dem Stadtrat im zweiten Quartal 2024 vorgelegt. Im nächsten Schritt ist eine vertiefte Untersuchung zur tatsächlichen Realisierbarkeit der Standorte, Aufwand und Kosten notwendig. Die dafür erforderlichen Mittel wurden im Haushaltsverfahren 2023 für 2024 vom Stadtrat bereits zur Verfügung gestellt.
Mit Beschluss des Stadtrates vom 5.12.2023 ‚Baumpflanzungen im öffentlichen Raum gemäß den Vorschlägen aus den Bezirksausschüssen‘ (Sitzungsvorlage Nr. 20-26/V 09855) wurde das Baureferat beauftragt, ca. 3.500 Baumpflanzungen zu realisieren. Die erforderlichen Mittel in Höhe von rund 52 Mio. Euro über das Klimabudget des RKU wurden ebenfalls im Haushaltsverfahren vom Stadtrat beschlossen. Hierbei wird das Baureferat analog Beschlusslage stark versiegelte Straßenzüge und damit besonders hitzebelastete Standorte priorisiert umsetzen.“
Um Kenntnisnahme der vorstehenden Ausführungen wird gebeten. Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit abgeschlossen ist.