Die Stimme Schwabings ist für immer verstummt – in einem Nachruf würdigt Oberbürgermeister Dieter Reiter Gisela Dialer-Jonas, die „Schwabinger Gisela“:
„Sie war ein Stachel wider die Biederkeit und Borniertheit der Nachkriegszeit. Jener Zeit, als München sich von den Wunden des Weltkriegs zu erholen begann und langsam aber stetig zur Großstadt heranwuchs. Und sie wurde zu einem Leuchtturm Schwabings, zu einer musikalischen Legende, die man in den fünfziger und sechziger Jahren gesehen und gehört haben musste.
Die 1929 in Moers geborene Gisela Dialer war nach vergeblichen Versuchen als Ausdruckstänzerin oder als Rennfahrerin Fuß zu fassen, Ende der vierziger Jahre auf Umwegen nach München gelangt und drei Jahre lang als Kellnerin und hinterm Tresen des legendären „Mutti Bräu“ tätig. Schon damals fanden die manchmal von ihr gesungenen Chansons und Couplets die Aufmerksamkeit der Gäste und manche dichteten oder komponierten für sie. Eine Studentenkapelle schrieb unter anderem die berühmte „Schwabinger Laterne“, die als nachgebautes, etwas windschiefes Modell später zum Wahrzeichen ihres eigenen Lokals werden sollte, und Sammy Drechsel lud sie ein, in der Lach- und Schießgesellschaft aufzutreten. Nach kaum drei Jahren machte sie sich 1952 selbständig und eröffnete als damals jüngste Wirtin Deutschlands in der Occamstraße 8 ihr eigenes, schon bald berühmtes Lokal „Bei Gisela“, das rasch zu einem beliebten Treffpunkt der wieder heranwachsenden Schwabinger Bohème wurde. Jeden Abend betrat sie die Bühne ihres kleinen Lokals und sang mit dunkler, rauchiger Stimme Chansons.
„Bei Gisela“ war in dieser Zeit der interessanteste Nachtclub der Stadt, in dem sie auch Chansons mit leicht schlüpfrigen Texten sang. Ihr Lokal verfügte schon deshalb über einen unglaubliche Anziehungskraft, da es in den Fünfzigerjahren nicht viele Möglichkeiten gab, in München länger auszugehen. Sie hatte immer ein großes Herz und offenes Ohr für junge Musiker, die ihre Chansons begleiteten und führte ein offenes Haus, in dem internationale Berühmtheiten oder der internationale Jetset ebenso willkommen waren wie die Schwabinger Studenten, Menschen aus der Nachbarschaft, Künstlerkollegen oder auch Persönlichkeiten aus der hohen Politik. Weit über München hinaus bekannt und auch von der Boulevardpresse geliebt wurde sie mit einem Lied von Hugo Wiener, das dieser 1952 für seine Frau Cissi Craner geschrieben hatte: Der „Nowak“ wurde zu ihrem Markenzeichen. Immer wieder kamen neue Strophen hinzu, die sich auf bestimmte Personen der Münchner Szene, auf Ereignisse wie Messen oder Kongresse aber auch auf den ersten Weltraumflug eines Menschen oder die Erfindung der Pille bezogen. Vor allem aber hatten diese immer wieder auch erotische und verruchte Komponenten zum Inhalt, so dass ihr Publikum stets gespannt darauf wartete, wie es der Gisela gelingen würde, den Fängen der Sittenwächter zu entgehen. Es ist heute schwer verständlich, was damals in den fünfziger bis siebziger Jahren als besonders unsittlich angesehen wurde, ja, sogar bis vor den Kadi führte. Ein Richter, auch er Gast bei Gisela, bescheinigte ihr, eine „gebildete Dame mit stark unzüchtigem Charakter“ zu sein. Eine Charakterisierung, die ihr so sehr gefiel, dass sie diese später zum Titel ihre Autobiographie machte. 22 Jahre lang war sie als Wirtin und Sängerin eine Instanz, die personifizierte natürliche Leichtigkeit mit Tiefgang, die Grand Dame mit sonorer, samtig-verruchter Altstimme, mit lässiger Eleganz und natürlich emanzipiert. Als sie 1974 ihr Lokal schloss, trauerten nicht nur viele Stammgäste darüber, dass Schwabing eine wichtige Institution verloren hatte. Gisela Dialer-Jonas eröffnete dann mit ihrem Mann mehrere bürgerliche Lokale in Süddeutschland und kehrte nach dessen Tod wieder nach München zurück, denn, wie sie einmal in einem Interview formulierte: „Von Schwabing kommt man nicht los“.
1986 war es wieder so weit, Gisela Dialer-Jonas konnte eine neue Schwabinger Gisela eröffnen, die in der Herzog-Heinrich-Straße alsbald zu einem beliebten Treffpunkt wurde, in dem alte und neue Freunde wieder zusammenkamen, rauchten, tranken, erzählten und musizierten. 1991 zwang sie eine schwere Erkrankung, das Lokal aufzugeben.
Die letzten Jahre ihres Lebens lebte die Schwabinger Gisela am Viktualienmarkt, in Sichtweite zum Brunnen, der den Münchner Volkssängerinnen und Sängern gewidmet ist. Sie konnte auf ein turbulentes und vielschichtiges Leben zurückblicken, hatte sich Witz, Humor und Feierlaune bewahrt und war zur Verkörperung des Lebensgefühls der fünfziger und sechziger Jahre, zu einer Ikone des jungen, wilden Schwabing geworden.
Von ihr bleiben werden die Einspielungen ihrer Lieder und Chansons, ihre Autobiographie und natürlich der „Nowak“, dem sie und der ihr ein Denkmal gesetzt hat.
Die Stadt München würdigte das Leben und Schaffen der „Schwabinger Gisela“ mit dem Schwabinger Kunstpreis, einer Ausstellung im Valentin-Karlstadt-Musäum sowie mit der Medaille „München leuchtet – den Freunden Münchens“ in Gold. Wir werden ihr stets ein ehrendes Andenken bewahren.“