„Nazis in der Kurve – Rechtsradikale bei 1860“
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Gülseren Demirel, Jutta Koller und Dominik Krause (Bündnis 90/Die Grünen/Rosa Liste) vom 19.5.2015
Antwort Kreisverwaltungsreferent Dr. Wilfried Blume-Beyerle:
Ihre Anfrage vom 19.5.2015 wurde im Auftrag von Herrn Oberbürgermeister Dieter Reiter in Federführung dem Kreisverwaltungsreferat zur Beantwortung zugeleitet.
Für die gewährte Terminverlängerung bedanken wir uns.
Ihrer Anfrage schicken Sie folgenden Sachverhalt voraus:
„Bereits seit Jahren ist bekannt, dass sich zu Spielen von 1860 regelmäßig Neonazis im Fußballstadion – sowohl der Allianz-Arena, als auch dem Grün- walder Stadion – einfinden.
Erfreulicherweise gibt es, besonders aus den Reihen der Fans selbst, en- gagierten Gegenprotest. Leider wird diese Zivilcourage jedoch nach wie vor durch das Innenministerium kriminalisiert und als ‚Linksextremismus’ zum Problem erklärt und die Aktivitäten der Neonazis selbst bagatellisiert. So führt das Ministerium das engagierte Auftreten der ‚Löwenfans ge- gen Rechts’ bei einem Spiel im Jahr 2013 auf der Website ‚Bayern gegen Linksextremismus’ (https://www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern. de/wissen/linksextremismus-in-bayern).
Spätestens seit dem Auffliegen des NSU kann und darf es nicht sein, dass das Auftreten von Neonazis bagatellisiert oder sogar noch als antifaschisti- scher Protest kriminalisiert wird.
Dass das Neonazi-Problem bei 1860 nach wie vor präsent ist, zeigt sich daran, dass es allein in diesem Jahr mehrere dokumentierte Vorfälle mit einem solchen Hintergrund gab. So griffen Nazis – nach Augenzeugenbe- richten aus dem Umfeld der ‚Brigade Giesing’ – zusammen mit einem ver- urteilten Rechtsterroristen am Rande einer der Bagida-Kundgebungen An- fang des Jahres Gegendemonstrierende an. Von einer U-Bahn-Fahrt nach einem Löwen-Spiel in der Allianz-Arena berichtet die Presse von Gesängen wie ‚SS, SA, Germania’, lautstarken Beleidigungen wie ‚dreckige Juden’ oder von Gewaltandrohungen gegenüber einer dunkelhäutigen Frau (http://www.huffingtonpost.de/christoph-asche/neonazis-ubahn-fuss- ball_b_6742450.html) .“Zu den im Einzelnen gestellten Fragen teilen wir Ihnen Folgendes mit:
Frage 1:
Wie groß wird das Potential gewaltbereiter, rechter 60-er Fans einge- schätzt? Gibt es nach Einschätzung der Polizei als auch des Kreisverwal- tungsreferats eine Zunahme in den letzten Monaten? Besteht ein Aus- tausch mit den Fan-Organisationen, die sich gegen neonazistische Aktivitäten engagieren?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
Aus dem Fankreis des TSV München von 1860 sind dem Polizeipräsidium München 22 Personen bekannt, zu denen sowohl Erkenntnisse aus dem Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität Rechts als auch Erkenntnisse zu Gewaltdelikten (z.B. Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung) vorliegen. Bei den begangenen Straftaten der 22 Personen in den letzten zehn Jahren konnte jedoch kein Fußballbezug hergestellt werden.
Der Polizei wurde auch nach intensiven Aufklärungsmaßnahmen keine Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch diesen Personenkreis bekannt. Weder vom Fanprojekt noch von Angehörigen kritischer Fanszenen wurden der Polizei trotz mehrfacher Nachfrage strafbare Handlungen sowohl während als auch nach den Spielen mitgeteilt.
Einschätzung der Polizei über eine Zunahme in den letzten Monaten
Eine Zunahme in den letzten Monaten ist hier nicht bekannt geworden.
Fan-Organisationen, die sich gegen neonazistische Aktivitäten enga-
gieren
In München existiert eine Fan-Organisation ‚Löwen-Fans gegen Rechts’ (http://www.loewen-fans-gegenrechts.com). Ein Austausch erfolgt nur im Rahmen der üblichen Gespräche zwischen Polizei und Fanorganisationen.“
Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Das Potenzial ist wahrnehmbarer, strukturierter und greifbarer durch die Benennung der Gruppen und deren Umfeld (‚Brigade Giesing’)“ „Es besteht Austausch zwischen den Verantwortlichen des Vereines (Sicherheitsbeauftragter, Fanbeauftragter) sowie dem Fanprojekt München, den ‚Löwenfans gg. Rechts’ und der ‚Fachstelle Rechtsextremismus’ bei der Landeshauptstadt München.“Antwort des Kreisverwaltungsreferates:
Aus den dem KVR zugänglichen Informationsquellen ist eine Zunahme der gewaltbereiten rechtsorientierten Fußballanhänger nicht ersichtlich.
Frage 2:
Wie viele rechtsaffine Hooligans gibt es bei 1860?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Der Ausdruck ‚rechtsaffine Hooligans’ ist kein feststehender Begriff des Definitionssystems ‚Politisch motivierte Kriminalität’. Eine zahlenmäßige Recherche in diesem Bereich ist somit nicht möglich. Im Übrigen wird auf die Ziffer 1 verwiesen.
Zu bemerken ist, dass die sogenannten ‚Hooligans’ durch ihr Outfit, insbesondere durch Kurzhaarschnitt oder Glatze, oftmals mit der rechtsextremistischen Szene gleichgesetzt werden. Eine Überschneidung ist nicht ausgeschlossen, dennoch nicht die Regel.“
Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Der Begriff ‚Hooligan’ ist in unserer Arbeitswelt nicht präsent. Die Zahl von rechtsaffinen und rechtsoffenen Fans/Jugendlichen ist nicht zu benennen sondern stets wahrnehmbar/vertreten und anwesend, aber nicht konkret zu erfassen/zählbar (Spieltag und Veranstaltungen im Kontext Fußball).“
Frage 3:
Welche organisierten, rechten Vernetzungen im Umfeld der 60-er Fans – wie beispielsweise die Brigade Giesing – sind bekannt? Sowohl aktuell als auch in den letzten 10 Jahren.
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Im Staatsschutzbereich ist lediglich die ‚Brigade Giasing’ (auch Brigade Giesing) bekannt, der auch Personen mit Erkenntnissen aus dem Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität Rechts angehören.
Die ‚Brigade Giasing’ entwickelte sich aus den Outsidern Munich und besteht weiterhin aus diesem Personenkreis. Die Personen werden überwiegend der Kategorie B und C zugeordnet.Obwohl die ‚Brigade Giasing’ als gewaltorientiert anzusehen ist, gab es bisher keine größeren gruppendynamischen Zwischenfälle. Konkret wurde in der vergangenen Saison 2014/2015 kein Gewaltdelikt unter geschlossenem Auftreten der ‚Brigade Giasing’ polizeilich bekannt. Allerdings zeigte sich die Brigade an Spieltagen immer wieder offensiv in der Nähe der gegnerischen Gleichgesinnten, um zu provozieren bzw. die körperliche Auseinandersetzung mit dem Gegenüber zu suchen. Gewaltstraftaten konnten hierbei insbesondere durch polizeiliche Fantrennungsmaßnahmen verhindert werden.
Des Weiteren waren rechtsmotivierte Straftaten durch die Gruppenmitglieder im Rahmen von Fußballbegegnungen des TSV München von 1860 bislang nicht zu verzeichnen.“
Antwort des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (auch hinsichtlich der Fragen 1 und 2):
„Die Antwort zu den Fragen 1 mit 3 fassen wir zusammen. Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz ist bekannt, dass sich unter den Fans des TSV 1860 München einzelne Rechtsextremisten befinden. Dazu gehören auch in der Öffentlichkeit bekannte Vertreter der bayerischen rechtsextremistischen Szene, insbesondere aus der neonazistischen Szene Münchens. Im Rahmen der Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen war bislang aber nicht festzustellen, dass es Gruppierungen innerhalb der Fanszene gibt, die extremistische Ziele verfolgen.
Eine beabsichtigte ‚Unterwanderung’ der Fanszene des TSV 1860 München oder anderer bayerischer Vereine durch Rechtsextremisten konnte nicht festgestellt werden. Es handelt sich um einzelne Rechtsextremisten, für die bislang insoweit das Interesse am Fußball im Vordergrund stehen dürfte (siehe Landtagsdrucksache 17/4852, dort Antwort zu Frage 5.2).“
Anmerkung des Kreisverwaltungsreferates:
Auf den Abdruck des Textes der oben genannten Landtagsdrucksache wurde verzichtet, da dieser nahezu wortgleich mit der Antwort des Landesamtes für Verfassungsschutz ist.
Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Außer der ‚Brigade Giesing’ (Block 132) ist dem Fanprojekt München zu weiteren Gruppen nichts bekannt. Zu bemerken sind jedoch vereinzelte, lose nicht als Fangruppe auftretende Neo-Nazi-Aktivisten die sich als 1860-Fans am Spieltag und auf Veranstaltungen präsentieren.“Frage 4:
Wie sehen die Netzaktivitäten dieser Fans, vor allem auf Facebook, nach Kenntnissen der Polizei aus?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Bei den aktuell und in der Vergangenheit durchgeführten Internetrecherchen im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Personenkreis konnte festgestellt werden, dass
- eine öffentliche Kommunikation von Veranstaltungen wie z.B. Stammtische oder der Besuch von Fußballspielen, in der Regel nicht stattfindet.
-sich die Personen im Internet überwiegend konspirativ verhalten. Facebookprofile sind in den meisten Fällen nicht einsehbar.
Bei Feststellung strafrechtlich relevanter Einträge im Internet werden unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet.“
Frage 5 a:
Gibt es Kontakte oder sogar Überschneidungen mit Mitgliedern der „Oldschool Society“ (OSS)?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Erkenntnisse über eine Überschneidung mit Mitgliedern der ‚Brigade Giasing’ und der ‚Oldschool Society’ sind hier nicht bekannt.“
Antwort des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz:
„Dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz liegen keine Erkenntnisse zu Überschneidungen zwischen der Fanszene des Fußballvereins 1860 und Angehörigen der Gruppe Oldschool Society vor.“
Frage 5 b:
Welche Beteiligung bayerischer Hooligans gibt es bei „HoGeSa“?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Im Oktober 2014 haben zehn Mitglieder der ‚Brigade Giasing’ an einer HoGeSa-Demonstration in Köln teilgenommen. Von diesen zehn Personen waren zu sechs Erkenntnisse aus dem Bereich Rechtsextremismus vorhanden.Diese Personen waren als Teilnehmer bei der Demonstration anwesend. Details, die darauf hindeuten, dass sie an Straftaten beteiligt waren, liegen hier nicht vor.
Darüber hinaus ist in Bezug auf Bayern vom Polizeipräsidium München keine Aussage möglich.“
Antwort des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz:
„Hooligans unterliegen als solches nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (Art. 3 BayVSG). Die Gruppierung Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) erreichte aber durch die mediale Aufmerksamkeit für die Demonstration
am 26.10.2014 in Köln einen breiten Bekanntheitsgrad.
Somit kann auch davon ausgegangen werden, dass die zweite Demonstration am 15.11.2014 in Hannover bereits im Vorfeld auch der rechtsextremistischen Szene in Bayern bekannt war. Dennoch war die Mobilisierung in der rechtsextremistischen Szene gering. Dies dürfte auch daran gelegen haben, dass am 15.11.2014 zeitgleich eine Demonstration der bayerischen Szene in Wunsiedel stattfand. So beteiligten sich an den HoGeSa-Demonstrationen in Köln und Hannover nur vereinzelte Extremisten aus Bayern, beispielsweise NPD-Mitglieder oder Mitglieder der Partei Die Freiheit sowie Einzelpersonen aus dem Spektrum der „Freien Nationalisten“ (siehe Landtagsdrucksache 17/4852, dort Antwort zu Frage 1.3). Zur Anzahl bayerischer Teilnehmer an der Kundgebung der HoGeSa am 26.10.2014 in Köln gibt im Übrigen die Landtagsdrucksache 17/4924 bei der Antwort zur Frage 1 Auskunft.“
Anmerkung des Kreisverwaltungsreferates:
Auf den Abdruck des Textes der Landtagsdrucksache 17/4852 vom
9.2.2015 wurde verzichtet, da dieser nahezu wortgleich mit der Antwort des Landesamtes für Verfassungsschutz ist.
Auszug aus der Landtagsdrucksache 17/4924 vom 6.3.2015:
„1. Wie viele Personen aus Bayern haben nach Kenntnis der bayerischen Sicherheitsbehörden an der Demonstration teilgenommen und welchen Gruppen oder Organisationen sind diese Teilnehmer zuzuordnen (bitte aufschlüsseln nach Anzahl, Ort, Zugehörigkeit zu bestimmter Szene wie Rocker, Fanszene, Rechtsextreme, Zugehörigkeit zu konkreten Gruppen, ggf. Eintrag in Datei ‚Gewalttäter Sport’)?
Nach bisherigem Erkenntnisstand der bayerischen Polizei nahmen zwölf namentlich bekannte Personen an der Demonstration teil:“Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Die Teilnahme beschränkt sich unserer Sicht nach auf einen kleinen und überschaubaren Teil gewaltsuchender Fußballfans.“
Frage 6:
Wie versucht die Polizei gewaltbereite rechte Fans bei An- und Abreise von Straftaten abzuhalten und somit die Sicherheit anderer Fans, aber auch un- beteiligter Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Die Polizei ergreift im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen insbesondere Aufklärungsmaßnahmen, Gefährderansprachen, eine lageangepasste offene oder verdeckte Begleitung auch bereits während der An- und Abfahrten durch entsprechende Polizeikräfte sowie eine Videoüberwachung.
Diese Maßnahmen dienen schließlich dem Schutz Unbeteiligter, wobei dies sowohl andere Fans als auch unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger sein können. Darüber hinaus werden die rechtlichen Möglichkeiten eines Betretungsverbotes geprüft.“
Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Leider besteht nach wie vor das Hauptaugenmerk der Polizei (Einsatzleitung, SKB, FKB) in der aufwendigen Begleitung und Beobachtung von Ultra-Gruppierungen am Spieltag. Weiterhin lässt sich festhalten, dass Einzelpersonen öffentlich rassistische, fremdenfeindliche und diskriminierende Äußerungen von sich geben können, die leider viel zu oft ungeahndet bzw.ohne Reaktionen geschehen können und somit toleriert werden. Dies fällt besonders die letzten 1,5 Jahre deutlich auf.“
Frage 7:
Welche polizeilichen Kräfte werden speziell zur Bearbeitung des Problem- felds rechtsextreme/rechtsaffine Hooligans bei 1860 eingesetzt?
Antwort: Antwort des Polizeipräsidiums München:
„Die politisch motivierte Kriminalität fällt im Bereich des PP München in den Zuständigkeitsbereich des Kriminalfachdezernats 4 für Staatsschutz. Sämtliche politisch motivierte Kriminalität, auch ohne Fußballbezug, wird von diesem Kriminalfachdezernat 4 für Staatsschutz bekämpft. Fußballspezifische Erkenntnisse werden von den szenekundigen Beamten gewonnen und gezielt genutzt bzw. gesteuert. Des Weiteren werden die im Fußball- einsatz eingesetzten Beamten dahingehend sensibilisiert. Insgesamt erfolgt eine enge Zusammenarbeit aller polizeilichen Akteure.“
Stellungnahme des AWO-Fanprojekts München:
„Aus unserer Sicht ist die Thematik/Problematik im Arbeitsfeld der SKB’s verankert und wird minimal abgedeckt. Zu besonderen Spieltagen ist gelegentlich der Staatsschutz anwesend.“
Ich darf Sie um Kenntnisnahme dieser Ausführungen bitten und gehe davon aus, dass die Angelegenheit damit erledigt ist.