Die Haushaltsrede von Oberbürgermeister Dieter Reiter in der heutigen Vollversammlung des Stadtrats zur Einbringung des städtischen Haushalts 2016 hat folgenden Wortlaut:
„Es stimmt schon, der Haushalt war diesmal kein Selbstläufer. Aber, wie ich es Ihnen ja in der letzten Vollversammlung angekündigt habe, auch für 2016 liegt Ihnen wieder rechtzeitig vor dem Jahresende ein Haushalt vor, der nicht nur in der nüchternen Sprache des Kämmerers schlicht ,genehmigungsfähig‘ ist, sondern auch sonst durchaus Bemerkenswertes zu bieten hat:
–wieder einmal Rekordeinnahmen, nicht nur bei der Gewerbesteuer, –wieder einmal einen soliden Überschuss aus der laufenden Verwaltungstätigkeit,
–wieder einmal eine Investitionssumme, die bundesweit ihresgleichen sucht – sehen Sie nur mal in das MIP – und
–wieder einmal eine ordentliche Schuldentilgung und damit weiterhin die niedrigste pro-Kopf-Verschuldung,
schließlich
–wieder einmal keine Neuverschuldung.
Nur damit Sie das nicht gleich missverstehen: Ich will damit nicht sagen, dass alles in Butter ist. Ich will damit auch nicht sagen, dass wir uns in Zukunft nicht anstrengen müssen.
Ich muss aber angesichts dieser Eckdaten schon einmal betonen, dass all die vielen Abgesänge, die bereits auf den Haushalt gesungen wurden, weit überzogen waren.
Was wurde da nicht alles gesagt! ,Löcher‘ in ,Milliardenhöhe‘ sollten da im Haushalt ,klaffen‘‚ Von einer ,Schieflage‘ des Haushalts war genauso die Rede wie von einer veritablen ,Finanzkrise‘.
Ich hatte teilweise beim Lesen mancher Kommentierungen und Äußerungen schon den Eindruck, das ganze öffentliche Leben unserer Stadt bricht zusammen.
Aber ich sage Ihnen: Das ist nicht der Fall.
Die städtischen Finanzen sind derzeit durchaus in vernünftiger Verfassung – und auch bei genauestem Hinsehen habe ich keinen Pleitegeier kreisen sehen. Das ist wohl das Privileg des Blickes durch die Oppositionsbrille. Nein, meine Damen und Herren, München steht nach wie vor gut da. Erst vor kurzem wurde das aktuelle Städteranking des Hamburger Weltwirtschaftsinstitutes veröffentlicht, in dem München unter den 30 größten Städten Deutschlands in punkto Zukunftsfähigkeit (!) Platz 1 erreichte. Übrigens zum allerersten Mal bei diesem Ranking – das nur am Rande... und unkommentiert...
Die erst kürzlich erschienenen Umfrageergebnisse der von der Landeshauptstadt München in Auftrag gegebenen Umfrage des Instituts für Marktforschung zeigten höchste Zufriedenheit in wichtigen Bereichen unserer Stadt.
Die Zufriedenheitswerte beim ÖPNV, der Gesundheits- und Krankenhausversorgung, den sozialen Einrichtungen und Leistungen, der städtischen Wirtschafts- und Umweltpolitik sind hoch. Ebenso fiel die Zufriedenheit mit der Bürgerfreundlichkeit der Stadtverwaltung hoch aus.
Damit könnten wir insgesamt – bei allem Verständnis für notwendige Oppositionsarbeit – vielleicht nicht stolz, aber doch wenigstens ein bisschen zufrieden sein!
–Zufrieden damit, dass wir eine Schulbauoffensive aufgelegt haben, die europaweit ihresgleichen sucht.
–Zufrieden damit, dass wir ein mehrere hundert Millionen Euro schweres Wohnungsbauprogramm beschlossen haben – mehr als ganze Bundes-
länder für den Wohnungsbau ausgeben.
–Zufrieden damit, dass wir meist mit großer Mehrheit bereit sind, viel Geld in unseren öffentlichen Nahverkehr zu investieren.
–Zufrieden damit, dass wir uns einen milliardenschweren Sozialetat leisten können, damit bei uns das Wohl der Menschen nicht ausschließlich vom Geldbeutel abhängt.
–Zufrieden damit, dass unsere Wirtschaft floriert, die Arbeitsmarktlage hervorragend ist, die Menschen eines der besten Kulturangebote nutzen können .
–Und: Die Stimmung in unserer Stadt so positiv, friedlich, tolerant und weltoffen ist – und das aufgrund breitester politischer Basis für eine solche Politik in diesem Haus.
Ich finde, wir könnten damit schon ein kleines bisschen zufrieden sein. Und ich will Sie heute dafür gern ein wenig loben, wenn es andere schon nicht tun!
Ja, und ich will mich persönlich auch bedanken für die meist sehr konstruktiv geführten und sachorientierten Debatten in diesem Haus – danke, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber: Natürlich kommt jetzt ein ,Aber‘: Wer gedacht (oder gehofft) hat, ich höre jetzt auf, den muss ich enttäuschen.
Vor einem halben Jahr durfte ich die 1,5-millionste Münchnerin begrüßen. Das war nicht nur für das Mädchen und ihre Eltern ein besonderer Moment, sondern auch für mich – menschlich, aber vor allem politisch. Ist doch dieses Baby der lebendige Beweis für den Erfolg unserer Stadt, der aber gleichzeitig auch für die vielen Herausforderungen verantwortlich ist, vor denen wir heute stehen.
Unbestreitbare Tatsache ist, dass wir auf Grund des rasanten Wachstums unserer Stadt vor großen Aufgaben stehen, wahrscheinlich den größten der letzten Jahrzehnte. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen müssen wir einiges tun.
Ich möchte einen Vergleich aus dem Sport bemühen und unseren Haushalt mit dem Pulsmesser eines Marathonläufers vergleichen.
In den letzten Jahren war unser Pulsmesser nach großer Anstrengung Anfang der 2000-er Jahre absolut im grünen Bereich. Der Puls war gleichmäßig, eher noch sinkend.
Die Einnahmen waren gut, wir konnten investieren und Schulden abbauen. Wir befanden uns sozusagen in der Erholungsphase nach einem anstrengenden Marathon. Wir haben ein bisschen Speck angesetzt für schlechtere Zeiten, waren in Maßen aktiv, haben uns dabei aber nicht überanstrengen müssen.
Nun aber kommt der nächste Marathon ins Blickfeld, vielleicht ist es eher ein Triathlon, auf den wir uns vorbereiten müssen.
Noch ist der Puls relativ ruhig, aber wir müssen wieder mit den Anstrengungen beginnen, auf Touren kommen. Der Puls muss steigen und der Pulsmesser reagieren. Damit wir fit werden für die schwierigen Disziplinen.
Es wird anstrengend werden, aber wie alle Sportler wissen wir, dass es sich lohnt sich anzustrengen, sich zu quälen, wenn es sein muss, um unsere Ziele für München, für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Wir müssen uns nun aber überlegen, wo wir hin wollen, welche Etappen vor uns liegen und was für uns auf dem Weg zum Ziel unverzichtbar ist. Schließlich kann unser Puls zwar deutlich steigen, aber irgendwann ist Schluss und der Pulsmesser – in dem Fall, personifiziert, der Kämmerer – schlägt Alarm.
So, und jetzt Schluss mit der Metapher und Klartext:
Wir müssen Prioritäten setzen und uns ehrlich fragen, welche Investitionen tatsächlich nötig sind und wie und in welchem Umfang wir künftig unsere sonstigen Aufgaben erledigen.
Diese Frage müssen wir – möglichst ohne parteipolitische Brille – offen diskutieren, gegebenenfalls befragen wir auch die Münchnerinnen und Münchner.
Bisher habe ich allerdings in der politischen Diskussion hierzu noch sehr wenig konkrete Vorschläge gehört.
Wir müssen aber priorisieren und debattieren, in welche Richtung wir, die wir hier alle Verantwortung für unsere Stadt tragen, gehen wollen. Ich habe mir dazu natürlich auch schon ein paar Gedanken gemacht. Klar ist für mich: München muss eine Stadt für alle bleiben – und damit sind die wesentlichen Grundzüge auch schnell genannt:
Ich will eine soziale Stadt im Gleichgewicht mit einer engagierten und solidarischen Stadtgesellschaft.
Daher kommt es für mich nicht in Frage, an den vielen sozialen Leistun- gen und Einrichtungen zu sparen.
Ich will, dass wir als Stadt auch in Zukunft ein verlässlicher Auftraggeber für unsere vielen Träger und Partner in diesen Bereichen bleiben. Ausgeschlossen ist auch, bei den Investitionen in die Bildung und in die Kinderbetreuung zu kürzen.
Die Schulbauoffensive ist daher ebenfalls unverrückbar – jedenfalls, was das Programm als solches betrifft.
Ich sage hier ausdrücklich das Programm, denn ich bin der Meinung, dass wir beim Thema Standards gemeinsam nachdenken müssen, was unbedingt erforderlich ist und was nicht.
Ich will das nur beispielhaft anführen, um Sie zu sensibilisieren – insbesondere die Damen und Herren in den Fachausschüssen ermutigen, die heute im Haushalt vorgestellten Rahmenbedingungen in jede Entscheidung einzubeziehen.
Erst im gestrigen interfraktionellen Arbeitskreis zum Haushalt haben wir uns darauf verständigt, die Nutzerbedarfsprogramme kritisch zu hinterfragen.
Ziel muss sein, für alle Kinder einen vernünftigen Betreuungsplatz und ein pädagogisch mit den erforderlichen Dingen ausgestattetes Klassenzimmer in einer vernünftigen Klassen- oder Gruppenstärke zur Verfügung zu stellen.
Und zwar rechtzeitig und im räumlichen Umgriff zum Wohnort. Meine sehr geehrten Damen und Herren, München muss eine Stadt für alle bleiben!
Ich werde daher auch nicht am Wohnungsbauprogramm rütteln lassen. Im Gegenteil, da müssen wir noch ehrgeiziger sein.
Die Zahl der Wohnungssuchenden wird in den nächsten Jahren sicher aus verschiedenen Gründen noch spürbar ansteigen.
Also müssen wir beim Wohnen noch deutlich zulegen:
An Geschwindigkeit und an der Zahl der fertiggestellten Wohnungen. Und wir müssen kreativer, flexibler und offener für neue Ideen in diesem Bereich werden.
Und auch ein Abweichen von liebgewordenen und liebevoll gepflegten Standards darf nicht generell als undenkbar angesehen werden.
Wir gemeinsam, meine Damen und Herren, haben es in der Hand hier voranzukommen. Wir müssen es anpacken!
Wir müssen den Takt vorgeben und nicht reflexartig solche Dynamik mit Hinweis auf die vermeintlich ,zu langsame‘ Verwaltung als nicht machbar bezeichnen. Das hilft uns nicht weiter.
Eine meiner Lehren aus dem vergangenen Jahr und den vielen Sitzungen in Task Forces und SAEs ist, die Verwaltung kann durchaus schnell arbeiten – wenn man es ihr gestattet.
Wenn ich daran denke, wie schnell die Verwaltung nach relativ kurzem Anlauf Standorte und Unterkünfte für die aus Krisengebieten zu uns kommenden Menschen aus dem Boden gestampft hat, dann weiß ich, dass das auch beim Wohnungsbau gehen kann – wenn man an einem Tisch sitzt und die eine oder andere Vorschrift mal etwas weniger restriktiv auslegt bzw. anwendet.
Und – ganz wichtig – die Politik und die Stadtspitze müssen dafür auch die Verantwortung übernehmen und sich vor die Verwaltung stellen, auch wenn mal etwas schief geht.
Und da ich gerade von der Verwaltung spreche, möchte ich etwas anderes los werden, weil es mir ein Bedürfnis ist:
Ich danke allen Referentinnen und Referenten sowie allen ihren Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern für die sehr gute Arbeit im vergangenen Jahr – nicht nur bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen, sondern auch beim ganz normalen ,Routinegeschäft‘.
Ich weiß schon, man sieht mir meine Dankbarkeit nicht immer auf den ersten Blick an, deshalb betone ich das hier ausdrücklich. Und Sie dürfen es mir glauben:
Danke für die Unterstützung – bitte richten Sie meinen Dank auch den Kolleginnen und Kollegen in Ihren Häusern aus.
Das bringt mich auch gleich zum nächsten Thema, an dem wir nicht über die Maßen sparen sollten: an der Verwaltung selbst nämlich.
Denn dass wir aktuell leistungsfähiger sind als andere, liegt auch daran, dass wir in der Vergangenheit unsere Verwaltung nicht kaputt gespart haben.
Zugegeben: Diesbezüglich gibt es jedoch auch eine (kleine) Schwierigkeit: nämlich das richtige Maß zu finden.
Der ehrenamtliche Stadtrat hat im letzten Jahr viele Stellen bewilligt, die Zahlen brauche ich hier nicht zu nennen, das macht der Personalreferent sicher gleich.
Das war wohl auch richtig, denn wir haben unbestreitbar etwas nachzuholen und auch zusätzlichen Bedarf wegen des Wachstums.
Allerdings musste ich aktuell erst einmal auf die Bremse steigen und habe daher alle Stellenbeschlüsse für das laufende Jahr gestoppt. Ich sage nicht, dass es keine neuen Stellen mehr geben darf, aber ich möchte hier bis Mitte des nächsten Jahres das entsprechende Portfolio für die kommenden Jahre fixiert wissen.
Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Referentenbank: Gehen Sie noch einmal in sich und prüfen Sie genau, wo und wie viel Bedarf Sie noch haben und beantragen Sie die Stellen, die Sie für unabdingbar halten. Und in die Richtung des ehrenamtlichen Stadtrats sage ich das gleiche: schauen Sie ebenfalls genau hin und einigen Sie sich, wo Ihre Prioritäten sind und für was Sie neue Stellen bewilligen möchten.
Es gibt aus meiner Sicht noch ein Zeitfenster bis zum ersten Nachtragshaushalt 2016.
Danach aber möchte ich für die laufende Amtsperiode nur noch sehr zurückhaltend – abgesehen von unabweisbaren und gesetzlich zwingenden Erfordernissen – Stellenmehrungen zulassen.
Aber klar ist auch: Besetzungssperren oder Beförderungsstopps wird es nicht geben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch an der kommunalen Da-
seinsvorsorge wird uneingeschränkt festgehalten. Kein Verkauf von Wohnungen, kein Verkauf der Stadtwerke oder der Krankenhäuser oder der Altenheime. Das wird es nicht geben.
Und auch ein Verkauf unserer Flughafenanteile kommt für mich unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und ohne erneuten Bürgerentscheid nicht in Betracht. Denn, und dabei bleibe ich – der Bürgerwille ist nicht verkäuflich!
Unbestreitbar ist auch, dass wir weiter in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren müssen, v.a. in den ÖPNV, der für mich Priorität vor allen anderen Verkehrsprojekten genießt.
In diesem Sinne hoffe ich auch, dass der Ministerpräsident sein Wort hält und in Kürze den Startschuss für das wichtigste Infrastrukturprojekt dieser Zeit gibt: die zweite S-Bahn-Stammstrecke! Es ist höchste Eisenbahn! Wohnungen, Schulen, Kinderbetreuungsplätze, Nahverkehr, all das kostet selbstverständlich Geld, das bekommen wir nicht zum Nulltarif. Anzunehmen, dass wir das aus der Portokasse bezahlen können, wäre naiv. Eine Neuverschuldung wird mittelfristig daher angesichts der großen Herausforderungen wohl nicht zu vermeiden sein.
Schulden sind ja auch nicht per se unseriös oder Ausdruck einer unsoliden Finanzpolitik. Kommunen dürfen im Gegensatz zu Bund und Land Kredite ja nur für Investitionen aufnehmen – und Investitionen dienen der Zukunftssicherung. Das ist gut so!
Eine andere Frage ist natürlich, wie hoch die Verschuldung ausfallen kann. Rechne ich alle derzeit gewünschten und geplanten Vorhaben hoch, komme ich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.
Das ist natürlich nicht zu machen. Das wird es so mit mir auch nicht geben. Sie sehen schon, es wird nicht einfach, zu priorisieren und die richtige Entscheidung darüber zu treffen, was wir tun und was wir besser sein lassen. Das ist eine Aufgabe, vor der wir alle in den nächsten Jahren stehen und der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe ist unmittelbar verknüpft mit der Einnahmesituation der Stadt.
Und die ist wirklich nicht Gott gegeben. Gerade die Gewerbesteuer als unsere Haupteinnahmequelle ist höchst volatil und nicht berechenbar. Daher ist es zwingend notwendig, in den Dialog und die Debatten einzusteigen. Und auch Ergebnisse zu erzielen!
Ich ermuntere Sie ausdrücklich: diskutieren Sie, streiten Sie, wägen Sie ab – und dann: Entscheiden Sie auch!
Der Prozess hat begonnen, setzen Sie ihn fort, zum Wohle unserer Stadt. Ich stehe hierfür jederzeit bereit.
Und am besten richten wir uns gemeinsam nach dem Leitsatz:
,Erst die Pflicht, dann die Kür!‘“