Bezahlbaren Wohnraum erhalten – (II) SOS Untergiesing
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Anna Hanusch und Sabine Nallinger (Fraktion Die Grünen/Rosa Liste) vom 8.5.2017
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 8.5.2017 führen Sie Folgendes aus:
„Der Presse (http://www.sueddeutsche.de/muenchen/untergiesing-unter-verdacht-1.3104406) war zu entnehmen, dass der gemeinnützige Verein SOS-Kinderdorf ein Anwesen in einem Erhaltungssatzungsgebiet geerbt hatte. Abgesehen davon, dass es in diesem Zusammenhang Anzeichen gibt, die ein Vorkaufsrecht für die LH München nahelegen, wirft dieser Fall exemplarisch einige Fragen zum Milieuschutz und zur Zweckentfremdung auf.
Mittlerweile wohnen nicht mehr viele der ursprünglichen Mieter im Haus. Wohnungen werden zu Preisen vermietet, die ein Vielfaches der alten Miete betragen und weit über dem Mietspiegel liegen. Wo früher Familien wohnten, leben heute nur noch 1-2 Personen, die es sich leisten können. Ein klassischer Fall von Verdrängung und Gentrifikation in einem Erhaltungssatzungsgebiet, verursacht durch einen gemeinnützigen Verein, der auf seiner Homepage damit wirbt, dass bei ihm ‚Ihr Nachlass in guten Händen‘ sei.“
Zu Ihrer Anfrage vom 8.5.2017 nimmt das Sozialreferat, unter Einbindung des Kommunalreferates zur Frage 1, im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Hat sich in diesem Fall, beispielsweise durch die interne Überschreibung der Immobilie von einem Vereinsteil zu seiner internationalen Dachorganisation, ein Vorkaufsrecht ergeben? Falls ja, weshalb wurde dies nicht geprüft? Falls nein: Warum nicht?
Antwort:
Hierzu nimmt das für die Vorkaufsrechtsausübung zuständige Kommunalreferat wie folgt Stellung: „Die Umschreibung des Anwesens „Hans-Mielich-Straße 1a“ auf den Verein erfolgte aufgrund gewillkürter Erbfolge (notarielle Testamente). Ein Verkauf des Anwesens hat gemäß Grundbuchrecherche vom 13.9.2016 nicht stattgefunden. Anderweitige Informationen liegen uns nicht vor. Eine gemeindliche Ausübung des Vorkaufsrechts kommt in diesem Fall nicht in Betracht, da es bereits an dem erforderlichen Kaufvertrag mangelt, vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB).“[bold]
Frage 2:
Die neue, in Mieterkreisen als durchaus „robust“ bekannte Hausverwaltung, hat als erstes den Mietern von Gewerberäumen mitgeteilt, dass an eine Verlängerung der Mietverträge nicht gedacht wird. Auch den Mietern der Wohnungen wurden neue Mietverträge „angeboten“ sowie Modernisierungsmaßnahmen angekündigt. Mittlerweile sind bereits einige Mietparteien „freiwillig“ ausgezogen. Vorher leer stehende und durch Auszug frei gewordene Wohnungen wurden innen renoviert und zu Preisen, die weit über dem Mietspiegel liegen, zur Miete angeboten. Ist hier die Miet- preisbremse völlig wirkungslos?
Antwort:
Die Beratungsstelle in Miet- und Wohnungsfragen im Sozialreferat, Amt für Wohnen und Migration, ist ausschließlich für Wohnraummietrecht, nicht hingegen für Gewerbemietrecht zuständig. Grundsätzlich sei jedoch angemerkt, dass die Vertragsmodalitäten bei Gewerbemietverträgen überwiegend nicht den gesetzlichen Schutzvorschriften des Mietrechts unterliegen und somit größere vertragliche Spielräume hinsichtlich Befristung etc. möglich sind.
Für bestehende Wohnungsmietverträge gilt Folgendes:
Stirbt die Vermieterin bzw. der Vermieter, wird das Mietverhältnis mit dem (oder den) Erben fortgesetzt. Der bisherige Mietvertrag behält im Regelfall seine Gültigkeit. Dies bedeutet, dass der Erbe eine Änderung oder einen neuen Mietvertrag grundsätzlich nicht verlangen kann.
Grundsätzlich sind gemäß § 555 d Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Modernisierungsmaßnahmen zu dulden. Dies gilt jedoch gemäß § 555 d Abs. 2 BGB nicht, wenn die Maßnahme für die Mieterinnen und Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Vermieterin bzw. des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Laut Gesetz sind dabei insbesondere die vorzunehmenden Arbeiten, die baulichen Folgen, vorangegangene Investitionen der Mieterschaft in das Mietobjekt und die zu erwartende Mieterhöhung zu berücksichtigen. In einem eventuellen Rechtsstreit würde diesbezüglich eine Abwägung vor Gericht stattfinden. Abgesehen davon muss gemäß § 555c Abs. 1 BGB eine Vermieterin bzw. ein Vermieter die Modernisierungsmaßnahmen der Mieterschaft gegenüber spätestens drei Monate vor ihrem Beginn in Textform ankündigen.
Hierbei sind Art, voraussichtlicher Umfang, Dauer sowie die zu erwartende Mieterhöhung mitzuteilen.Für Mietverträge, die in München ab dem 1.8.2015 abgeschlossen wurden, gilt die sogenannte „Mietpreisbremse“. Gemäß § 556d Abs. 1 BGB darf in Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens um 10 Prozent übersteigen.
Gemäß § 556e Abs. 1 BGB darf in Fällen, in denen die bisherige Miete (vorangegangenes Mietverhältnis) bereits über der Grenze „ortsübliche Miete plus 10%“ lag, die neue Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden. Bei der Ermittlung der Vormiete bleiben Mietminderungen sowie Mieterhöhungen im letzten Mietjahr unberücksichtigt. Sollten in den letzten drei Jahren vor Beginn des neuen Mietverhältnisses Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt worden sein, darf im Regelfall zuzüglich zur „ortsüblichen Miete plus 10%“ eine zulässige Modernisierungsumlage (§ 556e Abs. 2 BGB) verlangt werden.
Die Mietpreisbremse gilt nicht für Wohnraum, der nach dem 1.10.2014 erstmals genutzt und vermietet wurde. Sie gilt ebenfalls nicht bei der ersten Vermietung nach umfassender Modernisierung. Hier verlangt die Rechtsprechung einen Modernisierungsaufwand, der etwa ein Drittel des Neubauaufwands erreicht.
Darüber hinaus ist in den Fällen, in denen die „Mietpreisbremse“ nicht gilt bzw. Ausnahmen gegeben sind, § 5 Wirtschaftsstrafgesetz (WiStG) zu beachten. Demnach handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig Mietpreise für Wohnräume, die um mehr als 20% die ortsübliche Miete überschreiten, unter Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Wohnräumen fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.
Betroffene Mieterinnen und Mieter, die den Verdacht haben, eine unangemessen hohe Miete zu bezahlen, können gerne bezüglich einer Überprüfung der Miethöhe einen Termin bei der Beratungsstelle in Miet- und Wohnungsfragen der Landeshauptstadt München vereinbaren (Telefonnummer zur Terminvereinbarung: 2 33-4 02 00). Darüber hinaus können hier Informationen zu Mietvertragsrecht und Modernisierung eingeholt werden. Die kostenlose Serviceeinrichtung befindet sich im Amt für Wohnen und Migration, Franziskanerstraße 8 auf Zimmer 238. Zur Vorsprache sollten Mietvertrag und relevanter Schriftverkehr wie z.B. Schreiben des Vermieters, etc. unbedingt mitgebracht werden.
Frage 3:
Erhaltungssatzungen erzielen ihre positive Wirkung, indem sie Luxussanierungen in Satzungsgebieten weitgehend verhindern. Wie stellt die LH München sicher, dass die Renovierung einer Wohnung nur die Herstellung eines zeitgerechten Ausstattungsstandards, der in München mittlerweile ziemlich hoch ist, zum Ziel hat und keine Luxussanierung stattfindet?
Antwort:
Soll eine Wohnung in einem Erhaltungssatzungsgebiet modernisiert werden, so ist ein entsprechender Erhaltungssatzungsantrag nach § 172 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Baugesetzbuch (BauGB) zu stellen. In diesem sind der Landeshauptstadt München eine umfassende Baubeschreibung mit Angabe der zu erwartenden Kosten dafür abzugeben. Modernisierungsmaßnahmen sind Maßnahmen, die den Gebrauchswert des Wohnraumes erhöhen oder die allgemeinen Wohnverhältnisse verbessern und daher von reinen Instandsetzungsmaßnahmen abzugrenzen. Im Rahmen der Prüfung des Antrags wird untersucht, ob die geplanten Maßnahmen dem allgemein üblichen Standard von Wohnraum der Landeshauptstadt München entsprechen. Genehmigt werden dabei nur solche Maßnahmen, die sich an diesem Standard orientieren. Der allgemein übliche Standard von Wohnungen in der Landeshauptstadt München ist in der Regel gegeben, wenn hinsichtlich Bauausführung und Ausstattung die Mindestanforderungen der Bayerischen Bauordnung erfüllt und die Wohnbedürfnisse breiter Schichten der Stadtbevölkerung nicht überschritten sind. Ein allgemein üblicher Standard von Wohnräumen liegt dann vor, wenn deutlich mehr als die Hälfte der Wohnungen über eine entsprechende Ausstattung und Merkmale zum Standard verfügen. Die Bestandsaufnahme zum allgemein üblichen Wohn- und Ausstattungsstandard nimmt dabei nicht Bezug auf die zur Bauzeit geltenden Vorschriften oder Normen, wie zum Beispiel Energieeinsparverordnung (EnEV), Schallschutz, Brandschutz, Statik, Umweltauflagen, Denkmalschutz usw. Näheres zum allgemein üblichen Standard, Wohn- und Ausstattungsstandard in München können Sie dem beigefügten Informationsblatt (Stand 21.2.2017) entnehmen.
Frage 4:
Auch ohne eine Luxussanierung können Wohnungen in München hochpreisig vermietet werden. Die neu renovierten Wohnungen standen viele Monate leer, da sich so schnell niemand fand, der mehr als 20 Euro Kaltmiete pro m² zu zahlen bereit war. Ist ein Leerstand, dessen Ursache einzig darin liegt, dass Höchstmieten erreicht werden sollen, eine Zweckentfremdung?
Antwort:
Grundsätzlich liegt eine genehmigungspflichtige Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum länger als drei Monate leer steht. Eine Zweckentfremdungsgenehmigung ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Wohn-raum nachweislich zügig umgebaut, instandgesetzt oder modernisiert wird und deshalb vorübergehend unbewohnbar ist oder leer steht. Die Wohnungen wurden nach der Renovierung wieder vermietet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass künftige Mieter entsprechende Kündigungsfristen einzuhalten haben. Es war daher von einem gerechtfertigten Leerstand auszugehen.
Eine Rückfrage bei dem vom Eigentümer beauftragten Architekturbüro vom 8.6.2017 ergab, dass derzeit keine Leerstände im Anwesen vorliegen. Die zuletzt sanierten Wohnungen im 2. und 3. OG sind seit 1.11.2016 bzw. 1.3. und 15.4.2017 vermietet.
Frage 5:
Wäre ein städtisches Vorkaufsrecht vorgelegen, hätte dies durch die Abgabe einer Abwendungserklärung abgewendet werden können. Wäre eine Zusammenlegung von Wohnungen bzw. eine Vermietung von Wohnungen zu Preisen, die weit über dem Mietspiegel liegen, nach Abgabe einer Abwendungserklärung in der derzeitigen Fassung möglich?
Antwort:
Eine Zusammenlegung von Wohnungen nach Abgabe einer Abwendungs-
erklärung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Hierbei ist aber darauf zu achten, dass dies dem in Frage 3 erläuterten allgemeinen üblichen Standard des Wohnraumes entspricht. So dürfen keine übergroßen Wohnungen geschaffen werden.
Als allgemein übliche Wohnungsgrößen gelten:
1-Zimmer-Wohnung mit rund 25 m² bis rund 45 m² Wohnfläche
2-Zimmer-Wohnung mit rund 40 m² bis rund 70 m² Wohnfläche
3-Zimmer-Wohnung mit rund 65 m² bis rund 95 m² Wohnfläche
4-Zimmer-Wohnung mit rund 90 m² bis rund 130 m² Wohnfläche
Die Abgabe einer Abwendungserklärung hat auf den Mietpreis keinen Einfluss.
Frage 6:
Falls die Frage 5 bejaht wird: Was wendet die Abwendungserklärung denn ab und weshalb wird diese nicht endlich reformiert, um den Zielen von Er- haltungssatzungen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB – dem Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung, sprich des Milieus – gerecht zu werden?
Antwort:
Die Abwendungserklärung in ihrer derzeitigen Fassung verhindert bei bestehendem Wohnraum sog. „Luxusmodernisierungen“, d.h. Modernisierungsmaßnahmen, die dazu führen, dass der durchschnittliche Ausstattungsstandard einer Münchner Wohnung überschritten wird, sowie die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Dies gilt für den Zeitraum, in dem das Anwesen im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung liegt, längstens aber zehn Jahre ab Abgabe der Abwendungserklärung. Bei einem Weiterverkauf oder jedweder Übertragung des Eigentums sind die Bestimmungen aus der Abwendungserklärung auf den Rechtsnachfolger bzw. die Rechtsnachfolgerin im notariellen Vertrag zu übertragen.
Die weitere Fragestellung bezüglich der Anpassung bzw. Verschärfung der Abwendungserklärung entspricht inhaltlich Ihrem Antrag vom 24.2.2017. Dessen geschäftsordnungsgemäße Behandlung steht derzeit noch aus.
Die Anlage zur Antwort kann abgerufen werden unter: