Kein Platz für Obdachlose unter den Isarbrücken?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Cetin Oraner und Birgitt Wolf (Die Linke) vom 22.5.2017
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 22.5.2017 führen Sie Folgendes aus:
„Mit Datum vom 16. Mai kündigt eine Tafel an der Isar die Räumung des Lagers unter der Wittelsbacher Brücke an. In mehreren Sprachen werden die Menschen aufgefordert, ihre Sachen wegzuräumen, am 23. Mai werde das ‚Lager‘ geräumt. Begründung für die Ankündigung: Das Campen sei verboten.
Nun ist die Wittelsbacher Brücke aber seit mehreren Jahrzehnten einer der Orte, an denen Obdachlose in München zumindest über die Sommermonate ein ‚Dach über dem Kopf‘ finden – mit Duldung der städtischen Verwaltung. Denn Ersatzwohnraum in der Stadt ist Mangelware, eine Unterbringung in der Wohnungslosenhilfe von den Betroffenen oft nicht gewünscht. Im Stadtrat ist auch nicht über eine Änderung dieser Politik diskutiert und beschlossen worden.“
Eine fristgemäße Beantwortung der Anfrage war aufgrund zusätzlicher Aufgabenstellungen leider nicht möglich. Die Fristverlängerung wurde rechtzeitig beantragt. Wir bitten um Verständnis hinsichtlich der späteren Beantwortung.
Zu Ihrer Anfrage vom 31.5.2017 nimmt das Sozialreferat – in Abstimmung mit dem Kreisverwaltungsreferat und dem Baureferat – im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Vorab ein Hinweis zu den einleitenden Sätzen der Anfrage: Es wird moniert, dass im Stadtrat nicht über eine Änderung „dieser Politik“ (Duldung von obdachlosen Personen unter der Wittelsbacherbrücke) diskutiert oder abgestimmt wurde. Nach Kenntnisstand des Sozialreferates gab es niemals einen Stadtratsbeschluss, der das Nächtigen unter den Isarbrücken explizit erlaubt. Die Landeshauptstadt München vertritt die Auffassung, dass mit Augenmaß und in Abstimmung mit den beteiligten Referaten alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden sollen, um der Gefahr der Verfestigung von Strukturen oder gar der Schaffung von Anreizen für die Bildung weiterer Lager durch Wohnungslose entgegenzuwirken. Erkannte Lager werden weiterhin beobachtet und gegebenenfalls geräumt.
Frage 1:
Warum wird das Lager der Obdachlosen als „Zeltlager“ bezeichnet und damit in die Kategorie „Wildes Campieren“ eingeordnet?
Antwort:
Der Arbeitsbegriff „Wildes Campieren“ umfasst nicht nur das unerlaubte Aufstellen von Zelten auf nicht dafür genehmigten Flächen, sondern auch das Errichten von sonstigen Lagern und Behausungen mit festen Schlafstätten, Kochgelegenheiten und Möbeln. Nach dieser Definition zählen auch die festen Lager unter den Isarbrücken zum „Wilden Campieren“.
Obdachlose Einzelpersonen, die zum Beispiel in Hauseingängen nächtigen und ihren Schlafsack und ihre Isomatte oder ihren Pappkarton morgens wegräumen und somit kein festes Lager errichten, zählen nicht zu den sog. „wilden Campierern“.
Frage 2:
Erfolgt eine solche „Räumung“ in regelmäßigen Abständen? Wer hat die „Räumung“ veranlasst?
Antwort:
Am 23.5.2017 erfolgte an der Isar und unter den Isarbrücken keine vollständige Räumung der dort befindlichen Lager. Die obdachlosen Personen erhielten auch keine Platzverweise. Es handelte sich ausschließlich um eine Sperrmüllräumung (siehe auch Rathaus Umschau vom 23.5.2017). Räumungen von Obdachlosenlagern beziehungsweise sogenannten „wilden Camps“ auf öffentlichem Grund erfolgen nach Entscheidung der referatsübergreifenden Arbeitsgruppe „Wildes Campieren“. Im Vordergrund steht jedoch immer die soziale Beratung der obdachlosen Personen durch die Streetworkerinnen und Streetworker der Teestube „komm“ beziehungsweise der Beratungsstelle „Schiller 25“. Bei Hochwasser werden Obdachlosenlager an der Isar geräumt. Dies geschieht zum Schutz der dort nächtigenden Personen. Diese Räumungen erfolgen durch das Baureferat in eigener Zuständigkeit.
Frage 3:
Wurde den Betroffenen Hilfe angeboten zum Abtransport ihres wenigen, aber umso wichtigeren Eigentums?
Antwort:
Die betroffenen obdachlosen Personen wurden durch die Hinweisschilder, durch die Streetworker sowie durch Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung auf die anstehende Sperrmüllräumung hingewiesen und hatten ausreichend Gelegenheit, ihre Wertsachen zu sichern. Bei der Sperrmüllräumung wurde von Mitarbeiterinnen des Kreisverwaltungsreferates und des Sozialreferates sorgfältig darauf geachtet, dass keinerlei Wertsachen oder intakte Möbelstücke oder sonstige Habseligkeiten im Sperrmüll landen. Alle Wertsachen, intakte Möbel und sonstige persönliche Gegenstände wurden vom Baureferat eingelagert. Die obdachlosen Personen wurden darüber informiert, wo sie ihre Möbel etc. abholen können.
Die Schlafstätten und explizit persönliche Gegenstände wurden unter der Reichenbach- bzw. Wittelsbacherbrücke am 23.5.2017 nicht abtransportiert.
Frage 4:
Wohin sollen sich die Betroffenen wenden für eine neue Unterbringungsmöglichkeit?
Antwort:
Im Zuge der Sperrmüllräumung am 23.5.2017 wurden weder Platzverweise erteilt, noch die Schlafstätten/Matratzen der obdachlosen Personen entsorgt (siehe auch Bericht in der Rathaus Umschau vom 23.5.2017).
Grundsätzlich ist das Bestreben des Sozialreferates, dass niemand in München draußen übernachten muss. Um dies zu gewährleisten, stellt die Landeshauptstadt München inzwischen über 5.000 Plätze für obdach-/wohnungslose Frauen, Männer und Familien zur Verfügung. Wer in München wohnungslos wird und beim Sozialreferat/Amt für Wohnen und Migration vorspricht, erhält in der Regel einen Bettplatz in einem Clearinghaus, in einem städtischen Notquartier oder in einem gewerblichen Beherbergungsbetrieb. Dort erhält er auch sozialpädagogische Betreuung und Beratung, um eine möglichst schnelle Vermittlung in eigenen Wohnraum zu gewährleisten.
Sollte die Landeshauptstadt München für eine ordnungsrechtliche Unterbringung nicht zuständig sein, z. B. weil die wohnungslose Person über Wohnraum in einer anderen Stadt oder in einem anderen EU-Land verfügt, erhalten die Personen eine Beratung und eine Rückfahrkarte in ihre Heimatstadt bzw. in ihr Heimatland.
Frage 5:
Ist mit dieser angekündigten „Räumung“ eine Änderung der städtischen Politik gegenüber auf der Straße lebenden Obdachlosen verbunden?
Antwort:
Wie bereits in Frage 4 dargestellt, ist das Ziel des Sozialreferates nach wie vor, dass niemand in München „auf der Straße“ oder unter einer Brücke leben muss. Trotz äußerst angespanntem Wohnungsmarkt und fehlender öffentlich geförderter Wohnungen gelingt es der Landeshauptstadt München in vorbildhafter Weise, wohnungslose Haushalte in München menschenwürdig unterzubringen. Durch die begleitende sozialpädagogische Beratung und die Finanzierung von Erzieherpersonal, das in den verschiedenen Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder da ist, wird das existentielle Problem des Wohnraumverlustes abgemildert.
Um auch die obdachlosen Personen, die „auf der Straße“ leben, zu erreichen, werden Streetworkangebote des Evangelischen Hilfswerkes für die verschiedenen Zielgruppen finanziert. Diese Angebote wurden in den vergangenen Jahren ausgebaut. In 2018 wird außerdem ein zweiter Tagestreff für obdachlose Personen eröffnet (Vorlagen Nr. 14-20/V 09047 vom 20.7.2017). Nach wie vor stehen für die Stadtverwaltung die verschiedenen Hilfeangebote für wohnungs- und obdachlose Menschen im Vordergrund. Dazu zählt z. B. auch das Kälteschutzprogramm von November bis April jeden Jahres. Dies wird auch in Zukunft so bleiben.