Gier essen Seele auf – Warum konnte der illegale Abriss des denkmalgeschützten Anwesens Obere Grasstraße 1 nicht verhindert werden?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Gülseren Demirel, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch und Dominik Krause (Fraktion Die Grünen – rosa liste) vom 4.9.2017
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Zunächst danke ich Ihnen für die erteilten Terminverlängerungen.
Mit Schreiben vom 4.9.2017 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
„Mit einer bisher kaum dagewesenen Dreistigkeit und hoher krimineller Energie wurde am Wochenende das denkmalgeschützte Anwesen Obere Grasstraße 1 in Giesing abgerissen. Nicht einmal die Polizei vermochte den widerrechtlichen Abriss zu verhindern. Während Giesing ein Stück Identität verliert, kann der Eigentümer unterm Strich auf einen satten Gewinn hoffen.“
Frage 1:
Welche (straf-)rechtlichen Konsequenzen kann dieser Abriss für die Beteiligten (Abrissfirma und -eigentümer) haben?
Antwort:
Nach erfolgten Recherchen, Auswertung von Polizeiberichten und Zeugenvernehmungen wurden gegen die Betroffenen wegen Verstößen gegen das Bayerische Denkmalschutzgesetz und die Bayerische Bauordnung Bußgeldverfahren eingeleitet. Die Zuständigkeit für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten bzw. der Strafverfahren liegt derzeit ausschließlich bei der Staatsanwaltschaft. Hier weitergehende Aussagen zu treffen wäre spekulativ.
Frage 2:
Muss der Eigentümer das offensichtlich widerrechtlich abgerissene Gebäude wieder so aufbauen wie es war?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung – Untere Denkmalschutzbehörde hat nach erfolgter Anhörung gegenüber dem Verantwortlicheneine Verfügung gem. Art. 15 Abs. 4 Bayer. Denkmalschutzgesetz (BayD-SchG) erlassen, zur Wiedergutmachung einen Neubau in ursprünglicher Form und Kubatur des abgerissenen Baudenkmals zu errichten.
Frage 3:
War die Lokalbaukommission über einen möglichen Abbruch des Anwesens Obere Grasstraße 1 vorab informiert worden?
Antwort:
Nein.
Frage 4:
Der Abbruch fand bezeichnenderweise außerhalb der üblichen behördlichen Dienstzeiten statt. Sind die Fachdienststellen auch außerhalb der Dienstzeiten erreichbar, beispielsweise um Rückfragen der Polizei klären zu können?
Antwort:
Ja. Durch die Rufbereitschaft der Lokalbaukommission ist die Erreichbarkeit der jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im technischen Dienst rund um die Uhr sichergestellt.
Frage 5:
Wie lange stand das Anwesen Obere Grasstraße 1 bereits leer?
Antwort:
Das Anwesen war bis Februar 2017 bewohnt, seitdem stand es leer.
Frage 6:
War dieser Leerstand der Verwaltung bekannt?
Falls ja: Wurde diese Zweckentfremdung beantragt, genehmigt bzw. geahndet?
Antwort:
Ja. Am 10.7.2017 wurde beim Referat für Stadtplanung und Bauordnung – Abt. Denkmalschutz und Stadtgestalt ein denkmalrechtlicher Erlaubnisantrag zur Sanierung des gesamten Gebäudes eingereicht. Nach Ortseinsicht und Bearbeitung ist zu dem Antrag entsprechend des eingereichten Maßnahmekonzeptes mit Bescheid vom 28.7.2017 die Erlaubnis erteilt worden. Es war danach damit zu rechnen, dass die Sanierung gemäß der Erlaubnis auch zeitnah umgesetzt wird. Die Frage der Zweckentfremdung von Wohnraum durch Leerstand stellte sich daher nicht.
Frage 7:
Wie viele andere, vergleichbare Fälle (längerer Leerstand von denkmalgeschützten Gebäuden) sind der Verwaltung bekannt?
Antwort:
Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung kümmert sich derzeit um sieben leerstehende Einzelbaudenkmäler, um diese zu erhalten bzw. wieder einer Nutzung zuzuführen.
Das Kommunalreferat teilte auf Anfrage mit, dass sich im Zuständigkeitsbereich des Kommunalreferates derzeit ein kleineres Objekt befindet, das unter Denkmal-/Ensembleschutz steht und von Leerstand betroffen ist. Es handelt sich um das Anwesen Theresienhöhe 16. Seit 2002 liegt hierzu eine Zweckentfremdungsgenehmigung des Sozialreferates vor; Wohnraum ist daher nicht mehr gegeben. In Abstimmung mit dem Kommunalreferat und der Lokalbaukommission soll derzeit von der „IG Feuerwachen“ ein Nutzungskonzept für das Gebäude erstellt werden.
Wohnungsleerstände, die länger als sechs Monate dauern, werden jährlich gegenüber dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung zur Erstellung des aktuellen Leerstandsberichts als Vorlage im Stadtrat gemeldet.
Frage 8:
Wie viele Objekte in München haben in den vergangenen 5 Jahren den Denkmalschutzstatus legal durch eine vom (neuen) Eigentümer erwirkte Streichung aus der Denkmalliste verloren?
Antwort:
Neben dem bekannten Fall Kolberger Straße 5 haben weitere 20 Objekte den Denkmalstatus verloren. Meist handelt es sich um Rückgebäude von Anwesen, deren Vordergebäude in der Denkmalliste verblieben sind.
Frage 9:
Welche Objekte wurden in München in den vergangenen Jahren aus der Denkmalliste gestrichen, ohne dass die Untere Denkmalschutzbehörde gehört wurde?
Antwort:
Keine.Frage 10:
Wie viele der Objekte, deren Streichung aus der Denkmalliste erwirkt wurde, sind bereits abgerissen worden bzw. haben bereits eine Abrissgenehmigung erhalten?
Antwort:
Zwei.
Frage 11:
Welche Möglichkeiten hat die LH München denkmalgeschützte Häuser besser vor Verfall und Abriss zu schützen (Modernisierungs- und Instand- setzungsgebot, Zwangsgeld, Ersatzvornahme, Vorkaufsrecht...). Welche davon werden von der Verwaltung genutzt, welche nicht?
Antwort:
Art. 4 bzw. Art. 6 BayDSchG i.V.m. dem Bayer. Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz bilden die Grundlagen, um denkmalgeschützte Häuser vor Verfall und Abriss zu schützen. Sicherungsmaßnahmen zum Erhalt der Bausubstanz mit Zwangsgeldandrohungen sind selten zu treffen (vgl. Antwort 7); vom Mittel der Ersatzvornahme musste einmal Gebrauch gemacht werden. Ein Vorkaufsrecht nach Art. 19 BayDSchG steht unter bestimmten Voraussetzungen nur dem Freistaat Bayern, bei beweglichen Denkmälern (z.B. geschützte, historische Ausstattungsstücke), zu.
Ergänzend hat das Kommunalreferat Folgendes mitgeteilt:
„Wenn die Ausübung eines Vorkaufsrechts gem. §§ 24 ff BauGB möglich ist, kann ein denkmalgeschützes Gebäude, insbesondere im Erhaltungssatzungs- oder Sanierungssatzungsgebiet, grundsätzlich im gesetzlichen Rahmen von der Stadt München selbst oder zugunsten Dritter erworben werden. Im vorliegenden Fall lag das Anwesen ‚Obere Grasstraße 1‘ zwar im Gebiet der Erhaltungssatzung ‚Tegernseer Landstraße‘, da es sich aber um keinen Verkaufsfall handelte, der in der Regel vom Notariat bei uns angezeigt wird, sondern um einen illegalen Abriss, war die Ausübung des Vorkaufsrechts ausgeschlossen.“
Frage 12:
Kann die Stadt bzw. das Land Objekte, die aus offensichtlich spekulativen Motiven leer stehen und dem Verfall preisgegeben werden, auch enteignen?
Antwort des Kommunalreferats-Enteignungsbehörde:
„Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt (Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG).
Nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz ist die Enteignung nur zulässig, wenn eine Gefahr für den Bestand oder die Gestalt eines Bau- oder Bodendenkmals oder eines eingetragenen beweglichen Denkmals auf
andere Weise nicht nachhaltig abgewehrt werden kann. Das Gesetz selber bietet jedoch Ermächtigungsgrundlagen, nach denen der Eigentümer bzw. Besitzer verpflichtet werden kann, selbst Maßnahmen zu ergreifen oder zu dulden. So können Eigentümer und Besitzer aufgrund des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes verpflichtet werden, bestimmte Erhaltungsmaßnahmen ganz oder zum Teil selbst durchzuführen bzw. zu dulden. Eine Enteignung kommt in diesen Fällen nicht in Betracht.
Eine weitere gesetzliche Grundlage für eine mögliche Enteignung ist das Baugesetzbuch. Danach kann enteignet werden, um im Geltungsbereich einer wirksamen Erhaltungssatzung eine bauliche Anlage aus bestimmten Gründen zu erhalten. Doch auch in diesen Fällen stellt die Enteignung den schärfsten Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht dar und kommt nur nachrangig in Betracht, soweit das Ziel nicht auf andere Weise erreicht werden kann.
Das denkmalgeschützte Anwesen ‚Obere Grasstraße 1‘ liegt beispielsweise im Geltungsbereich der Erhaltungssatzung ‚Tegernseer Landstraße/ Chiemgaustraße‘ sowie der ebenfalls förmlich festgesetzten Sanierungssatzung ‚Tegernseer Landstraße/Chiemgaustraße‘.
Voraussetzung für eine Enteignung wäre, dass der Eigentümer nicht in der Lage oder nicht willens ist, die bauliche Anlage zu erhalten, sodass ohne Enteignung die Erhaltung gefährdet wäre, wodurch dann die städtebauliche Gestalt des Gebiets Schaden nehmen würde oder das erhaltenswerte Milieu beeinträchtigt wäre oder ein sozialen Belangen entsprechender Ablauf bei städtebaulichen Umstrukturierungen nicht gesichert werden könnte. Die Enteignung ist nur aus einem dieser Gründe zulässig. Doch selbst bei Vorliegen dieser Gründe ist eine auf Dauer angelegte und vollständige Entziehung des Eigentums nicht ohne Weiteres möglich, da Erhaltungssatzungen zeitlich begrenzt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aber das Mittel der vollständigen Eigentumsentziehung nur bei einem auf Dauer angelegten Unternehmen gerechtfertigt.Ganz generell gilt: Könnte bereits auf andere Art und Weise die Erhaltung der baulichen Anlage gesichert werden, ist eine Enteignung nicht zulässig. Weder Art. 158 noch Art. 159 Verfassung des Freistaates Bayern kommen als Grundlage einer Enteignung in Betracht.“
Frage 13:
Wurden in der Stadt München bereits jemals Gebäude aus Gründen des Denkmalschutzes enteignet?
Antwort:
Weder dem Kommunalreferat – Enteignungsbehörde noch dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung – Untere Denkmalschutzbehörde ist ein einschlägiger Fall bekannt.