Armut von Kindern und Jugendlichen in München beziffern
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Alexandra Gaßmann und Marian Offman (CSU-Fraktion) vom 21.3.2018
Antwort Sozialreferentin Dorothee Schiwy:
In Ihrer Anfrage vom 21.3.2018 führen Sie Folgendes aus:
„Die Statistik für München zählt 230.000 Kinder und Jugendliche unter dem 18. Lebensjahr. Nach den Zahlen des Bundesamtes für Statistik leben in Deutschland 20% der Kinder unter der Armutsgrenze. Für München würden sich analog etwa 50.000 Kinder in Armut lebend errechnen. Diese Zahl wäre beunruhigend, insbesondere mit Blick auf die Zukunft und auf das soziale Gleichgewicht in der Landeshauptstadt.
Nach dem jüngsten Armutsbericht der Landeshauptstadt beziehen 10,5% der Kinder bis fünf Jahren, 11,4% der Kinder von 6-14 Jahren und 5,6% der Jugendlichen von 15-24 Jahren Leistungen nach SGB II. Das ist aber nur ein Teil der Kinderarmut. Wie viele der Jugendlichen und Kinder leben in München tatsächlich unter der Armutsgrenze? Armutsgrenze bedeutet ein Einkommen von weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens.“
Die Beantwortung der Anfrage war innerhalb der geschäftsordnungsgemäßen Frist aufgrund verwaltungsinterner Abstimmung nicht möglich. Dazu erfolgte eine Zwischenmitteilung am 7.5.2018.
Zu Ihrer Anfrage vom 21.3.2018 nimmt das Sozialreferat im Auftrag des Herrn Oberbürgermeisters im Einzelnen wie folgt Stellung:
Frage 1:
Wie viele Kinder und Jugendliche in München haben in ihren Familien ein Einkommen von weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens differenziert nach Kindern bis zum Lebensalter 5, Kinder von 6-14 Jahren und Jugendliche von 15-24 Jahren. Dabei ist auch die Zahl Haus- halte mit allein Erziehenden ebenso die Familien mit 3 und mehr Kindern auszuweisen. Außerdem ist für die Haushalte die Summe der Transferleistungen darzustellen. Interessant wäre auch zu erfahren, wie viele Haus- halte oberhalb der Armutsgrenze dank der Transferleistungen liegen.
Antwort:
Basis für die Berechnung des Anteils von Personen, die von Armut betroffen sind, bildet die Schwerpunktbefragung der Münchner Bürgerinnen undBürger zur sozialen und gesundheitlichen Lage 2016 (BesogeLa 2016). Insgesamt haben über 3.700 Personen an der Befragung teilgenommen.
Nach der EU-Definition gilt als armutsgefährdet, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren (medianen) Nettoeinkommens der Bevölkerung verfügt. In München betrug die Armutsschwelle 2016 für einen Ein-Personen-Haushalt 1.350 Euro. Um die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe vergleichbar zu machen, werden die Haushaltsnettoeinkommen jeweils in sogenannte bedarfsgewichtete Nettoäquivalenzeinkommen umgerechnet. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass durch gemeinsames Wirtschaften von mehreren Haushaltsmitgliedern der Bedarf nicht proportional mit der Anzahl der Personen steigt. Dabei wird die erste Person im Haushalt mit dem Faktor 1,0 gewichtet, jeder weitere Erwachsene und jeder Jugendliche ab 14 Jahre mit 0,5 und Kinder unter 14 Jahren mit 0,3. Dementsprechend lag beispielsweise die Armutsschwelle 2016 für Familien mit einem Kind unter 14 Jahren bei 2.430 Euro und für Haushalte mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2.835 Euro. Bei einem Alleinerziehenden-Haushalt mit einem Kind unter 14 Jahren lag sie bei 1.755 Euro und mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2.160 Euro.
Die Ergebnisse der BesogeLa zu Kinder-, Jugend- und Familienarmut zeigen, dass das Risiko, arm zu sein, besonders bei Alleinerziehenden hoch ist: Diese Haushalte sind zu 42% von Armut betroffen, bei den Paar-Haushalten sind es 14 Prozent. Eine weitere Differenzierung der Haushalte nach Anzahl und Alter der Kinder ist aufgrund der Größe der Stichprobe jedoch nicht möglich.
Über die Anzahl von Kindern und Familien im SGB II-Leistungsbezug liegen dem Sozialreferat dagegen belastbare Daten der Bundesagentur für Arbeit vor. Demnach bezogen im Dezember 2017 etwa 10% (bzw. 9.407) der
Kinder bis 5 Jahre, 11% (bzw. 12.113) der Kinder von 6-14 Jahre und 6% (bzw. 8.744) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen von 15-24 Jahren SGB II-Leistungen. Von den im Dezember 2017 in München lebenden Paar-Haushalten mit Kindern erhielten über 5% (6.285 Bedarfsgemeinschaften) und von den Alleinerziehenden rund 27% (7.309 Bedarfsgemeinschaften) SGB II-Leistungen. Je mehr Kinder eine Familie hat, desto häufiger ist sie im SGB II Leistungsbezug. Bei den Paar-Haushalten mit einem Kind unter 18 Jahre sind es über 3%, bei Paar-Haushalten mit drei und mehr Kindern bereits 15%, bei den Alleinerziehenden mit einem Kind 22% und bei Alleinerziehenden mit drei und mehr Kindern 60%.Die Frage, in welcher Summe für die Haushalte mit Kindern Transferleistungen gezahlt werden, kann leider nicht beantwortet werden. Die hierfür zur Verfügung stehenden Statistiken lassen bei den tatsächlich gezahlten Leistungen keine Differenzierung nach Haushaltsgröße und Kinderzahl zu. Wie viele Haushalte dank der Transferleistungen oberhalb der Armutsgrenze leben, kann vom Sozialreferat ebenfalls nicht beantwortet werden. Aufgrund der Münchner Armutsschwelle von 1.350 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und dem davon abgeleiteten Nettoäquivalenzeinkommen für Familien (s.o.) ist davon auszugehen, dass mit dem Bezug von SGB II-Leistungen in München weiterhin ein Armutsrisiko für Familien besteht. So errechnet sich für eine Paar-Familie mit zwei Kindern zwischen 6 und 14 Jahren ein SGB II-Bedarf in Höhe von 1.340 Euro zuzüglich Miete und Heizung. Auch wenn man eine Miete in Höhe der Mietobergrenze von 1.093 Euro (Bruttokaltmiete) hinzurechnet, liegt das Familieneinkommen immer noch deutlich unter der Münchner Armutsschwelle von 2.835 Euro (Nettoäquivalenzeinkommen für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren).
Aus Sicht des Sozialreferates ist dies ein Beleg dafür, dass der Regelsatz im SGB II zu gering ist, um die soziale und materielle Teilhabe sicherzustellen. Laut der Aussage der EU sind Personen unterhalb des Armutsschwellenwertes potenziell von der Lebensweise ausgeschlossen, die in der Region den Standard darstellt. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) über Familien im SGB II-Leistungsbezug zeigt auf, auf welche Güter und Freizeitaktivitäten diese Familien verzichten müssen: Bei jedem zehnten Kind im SGB II-Leistungsbezug besitzen nicht alle Haushaltsmitglieder ausreichende Winterkleidung (Übrige 0,7%). 20% der Kinder im Grundsicherungsbezug leben aus finanziellen Gründen in beengten Wohnverhältnissen (gegenüber 3,9% der Kinder, die in gesicherten Einkommensverhältnissen aufwachsen). Knapp einem Drittel ist es aus finanziellen Gründen nicht möglich, wenigstens einmal im Monat Freunde zum Essen nach Hause einzuladen (Übrige 3,3%). 4% leben in Haushalten ohne Internet (Übrige 1%). Drei von vier Kindern, deren Eltern SGB II-Leistungen erhalten, können keinen Urlaub von mindestens einer Woche machen (Übrige 21%) (Tophoven u.a. (2015): Kinder- und Familienarmut – Lebensumstände von Kindern in der Grundsicherung, Gütersloh).
Das Sozialreferat schließt sich deshalb der Forderung der Wohlfahrts- und Sozialverbände – wie beispielsweise dem VdK und dem Paritätischen Gesamtverband – an, die Regelsätze angemessen zu erhöhen. Dazu gehören auch die Wiedereinführung einmaliger Leistungen und die stärkere Berücksichtigung der Bedarfe von Kindern bei der Ermittlung der Regelbedarfe.