Vergleich Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) und Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) – wer zahlt die Rechnung für die erforderliche Infrastruktur?
Anfrage Stadtrats-Mitglieder Paul Bickelbacher, Herbert Danner, Katrin Habenschaden, Anna Hanusch und Sabine Nallinger (Fraktion die Grünen – rosa liste) vom 12.6.2018
Antwort Stadtbaurätin Professorin Dr.(I) Elisabeth Merk:
Mit Schreiben vom 12.6.2018 haben Sie gemäß § 68 GeschO folgende Anfrage an Herrn Oberbürgermeister gestellt, die vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung wie folgt beantwortet wird.
In Ihrer Anfrage führen Sie Folgendes aus:
Im Rahmen der Diskussion über die jetzt abgesagte Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Norden Münchens sei festzustellen gewesen, dass sowohl Presse, interessierte Öffentlichkeit und selbst Stadträte die Meinung vertreten hätten, die Infrastruktur werde in München durch die Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) eh bezahlt und eine SEM wäre daher gar nicht nötig. Auch werde angenommen, dass 2/3 der Planungsgewinne durch die SoBoN abgeschöpft würden. Um die Diskussion zu versachlichen, sollten die Größenordnungen der SoBoN-Lasten bei Entwicklung von landwirtschaftlicher Fläche sowie mögliche höhere Belastungen für den städtischen Haushalt durch Anwendung der SoBoN-Regularien anstatt einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme dargestellt werden.
Beide Verfahren gebe es nicht ohne Grund. Die SoBoN sei geeignet für kleinere Maßnahmen in gut erschlossenen Bereichen. Die SEM sei bei größeren, schlechter erschlossenen Flächen mit mehreren Einzeleigentümern das geeignete Verfahren.
Da bei der SoBoN nur Teile der Infrastruktur (mit-)finanziert würden, kämen bei Anwendung mit großen Umgriffen enorme Belastungen auf den städtischen Haushalt zu. Allein ein erforderlicher Schulcampus mit weiterführenden Schulen koste mehrere hundert Millionen Euro, die nicht durch die SoBoN erfasst würden. Diese erfasse lediglich die KiTa- und Grundschulversorgung und werde durch eine Pauschale abgegolten, die – anders als die steigenden Baukosten – nicht dynamisiert sei. Weitere Leistungen, beispielsweise Erschließungsbeitrag und Kanalbaukostenzuschüsse, würden dann nicht verlangt. Nach Beispielrechnungen der Stadt bei Umstrukturierungen von Gewerbeflächen fielen bei der SoBoN nur 50% der Planungsgewinne als SoBoN-Last ab. Der Bodenwert von landwirtschaftlichenFlächen bei einer Umwidmung zu Bauland verhundertfache sich. 10 Hektar Bauland seien deutlich mehr als 100 Mio. Euro wert. Da die SoBoN-Last in beiden Fällen die selbe sei, sei der Planungsgewinn bei einer Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen erheblich höher als bei umstrukturierten Gewerbegebieten. Deutlich mehr als 50% verblieben als leistungsloser Gewinn beim Grundeigentümer.
Sie baten, wie in der Geschäftsordnung des Stadtrates vorgesehen, um eine fristgemäße Beantwortung der Anfrage.
Frage 1:
Welche ursächliche technische Infrastruktur (Straßen, Verkehrswege, Kanäle, leistungsfähige ÖPNV-Anschlüsse etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen der SoBoN an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen (mit)finanziert?
Antwort:
Im Rahmen der Verfahrensgrundsätze der sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) ist zu unterscheiden: Für die Erstellung der technischen Infrastruktur (gleiches gilt für die soziale Infrastruktur) fallen einerseits Kosten für die Herstellung an, andererseits werden Flächen benötigt, um die notwendigen Einrichtungen unterzubringen. Im Rahmen der SoBoN verpflichten sich die Planungsbegünstigten daher, die notwendigen Flächen für die ursächliche Infrastruktur an die Stadt unentgeltlich und kostenlos abzutreten und die jeweiligen Herstellungskosten ganz oder anteilig zu übernehmen. Sie haben dabei grds. ein Wahlrecht dahingehend, ob sie die Maßnahmen auf eigene Kosten selbst herstellen oder der Stadt die Kosten erstatten bzw. Finanzierungsbeiträge leisten.
Voraussetzung ist stets, dass es sich um ursächliche Kosten bzw. Flächen handelt.
Ursächlich sind Kosten und Aufwendungen, die – im Sinne einer unmittelbaren Veranlassung – ohne das Vorhaben eines Planungsbegünstigten unter Zugrundelegung einer abwägungsfehlerfreien Planung der Gemeinde nicht entstanden wären, wobei hier Kosten und Aufwendungen von vornherein auszuscheiden sind, die auf Grund eines fehlenden bodenrechtlichen Bezugs als „sachfremd“ anzusehen sind.
Ursächliche technische Infrastruktur sind insbesondere die Erschließungsanlagen (z.B. Straßen, Geh- und Radwege, Plätze, Dienstbarkeitsflächen) einschließlich Beleuchtung und Straßenentwässerung, Lärmschutzmaßnahmen und dergleichen. Auch die Übernahme von Kosten für Brücken,Fußgängerstege, Tunnel und Unterführungen kann vereinbart werden, sofern die Ursächlichkeit gegeben ist. Kanalkosten werden regelmäßig über Gebühren finanziert; eine Kostenbeteiligung im Rahmen der SoBoN erfolgt daher nicht. Überörtliche Einrichtungen, wie beispielsweise überörtliche Straßen, sind nicht ursächlich. Auch ÖPNV-Anbindungen werden nicht erfasst, da diese regelmäßig eine überörtliche Bedeutung haben. Die ursächlichen Flächen, also beispielsweise die für eine öffentliche Verkehrsfläche benötigten Grundstücke, müssen der Stadt unentgeltlich und kostenlos abgetreten werden.
Frage 2:
Welche ursächliche technische Infrastruktur (Straßen, Verkehrswege, Kanäle, leistungsfähige ÖPNV-Anschlüsse etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen einer SEM an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen (mit)finanziert?
Antwort:
Im Rahmen einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme sind alle notwendigen Bau- und Ordnungsmaßnahmen aus der Maßnahme heraus zu finanzieren. Maßgeblich ist, ob die Kosten nach den Zielen und Zwecken der Entwicklung erforderlich sind.
Anzusetzende Kosten sind u.a. die Kosten für die innere und äußere Erschließung des Gebiets. Darunter fallen wie bei der SoBoN alle Kosten für Baumaßnahmen zur Herstellung der verkehrlichen Infrastruktur sowie der sonstigen vom Entwicklungsträger zu tragenden Erschließungsaufwendungen (Tiefbaumaßnahmen einschließlich Straßenbaumaßnahmen. Nicht erfasst werden Kosten für allgemeine Vorhaben der Gemeinde, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit den Zielen und Zwecken der Maßnahme stehen (Battis/Krautzberger/Löhr/Mitschang, BauGB, § 171 Rn. 6). Der wesentliche Unterschied der SEM zur SoBoN besteht in dem regelmäßig größeren Umgriff einer SEM, in dem eine Gesamtmaßnahme durchzuführen ist. Insoweit erfolgt die Beurteilung der erforderlichen Maßnahmen in einem größeren Maßstab als bei einem typischen SoBoN-Fall. Dementsprechend sind bei einer SEM nicht nur der Bau von Wohnerschließungsstraßen, sondern auch (Haupt-) Sammelstraßen bis hin zu der Anbindung an Staatsstraßen oder Autobahnen mit einzustellen. Andererseits ist es auch im Rahmen der SoBoN üblich, auch ursächliche Maßnahmen außerhalb des Planungsgebiets über die SoBoN (mit)zufinanzieren (z.B. ursächliche Umbaumaßnahmen am bestehenden Straßennetz).
Frage 3:
Welche ursächliche „grüne“ Infrastruktur (Grün- und Erholungsflächen, Ausgleichsflächen, Friedhöfe etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen der SoBoN an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen (mit)finanziert?
Antwort:
Wie bereits zu Frage 1 ausgeführt, ist wesentliche Voraussetzung für eine Lastenübernahme die Ursächlichkeit. Ursächliche „grüne Infrastruktur“ sind regelmäßig die öffentlichen Grünflächen wie auch die Ausgleichsflächen. Die Grünflächen und Ausgleichsflächen sind herzustellen. Bei Verbleib der Ausgleichsflächen beim Planungsbegünstigten hat dieser zusätzlich auch die Entwicklungspflege zu übernehmen. Ansonsten erfolgt eine Ablösezahlung. Im Übrigen sind die Flächen an die Stadt unentgeltlich und kostenlos abzutreten. Friedhöfe weisen in der Regeln einen überörtlichen Bezug auf und sind daher keine SoBoN-Last.
Frage 4:
Welche ursächliche „grüne“ Infrastruktur (Grün- und Erholungsflächen, Ausgleichsflächen etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen einer SEM an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grund- stückswertsteigerungen (mit)finanziert?
Antwort:
Hier gelten die Ausführungen zu Frage 2 entsprechend. Es wäre im Einzelfall zu klären, ob ein Friedhof im Rahmen einer konkreten Gesamtmaßnahme erforderlich wird und dem Gebiet zugeordnet werden kann. Aufgrund der Größe und Bedeutung, die eine SEM regelmäßig haben wird, ist nicht auszuschließen, dass auch die Bereitstellung von überörtlichen Gemeinbedarfseinrichtungen erforderlich nach den Zielen und Zwecken der Maßnahme ist.
Frage 5:
Welche ursächliche soziale Infrastruktur (Kitas, Grundschulen, weiterführende Schulen, Jugendeinrichtungen, ASZ, Nachbarschaftstreffs etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen der SoBoN an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen (mit) finanziert?
Antwort:
Bezüglich der Herstellungskosten der ursächlichen sozialen Infrastruktur haben die Planunungsbegünstigten im Rahmen der SoBoN ein Wahlrecht,ob sie die ursächlichen Kosten übernehmen („Spitzabrechnung“) oder ob sie diese Verpflichtung durch Zahlung eines anteiligen Finanzierungsbeitrags in Höhe von 100 Euro pro Quadratmeter neu geschaffener Geschossfläche (GF) Wohnen ablösen.
Als ursächliche Einrichtungen werden hier regelmäßig Kindergrippen, Kindergärten, Horte, Kindertagesstätten und Grundschulen (Gemeinbedarfseinrichtungen für Kinder bis 10 Jahre) einschließlich der erforderlichen Außenspielflächen/Sportflächen in Teilen mit finanziert, da diese einem Gebiet zugeordnet werden können. Weiterführende Schulen, wie Gymnasien oder Berufsschulen fallen aufgrund der fehlenden festen Zurechenbarkeit zu einem Gebiet (keine „Sprengelung“) nicht darunter. Gleiches gilt für Alten- und Servicezentren (ASZ). Bei großen Planungen könnten aber auch im Rahmen der SoBoN solche Kosten Berücksichtigung finden. Die Kosten für Jugendzentren und Nachbarschaftstreffs werden als freiwillige kommunale Aufgaben nicht weitergereicht.
Frage 6:
Welche ursächliche soziale Infrastruktur (Kitas, Grundschulen, weiterführende Schulen, Jugendeinrichtungen, ASZ, Nachbarschaftstreffs etc.) fallen als ursächliche Last im Rahmen einer SEM an und werden ganz bzw. teilweise aus den planungsbedingten Grundstückswertsteigerungen (mit) finanziert?
Antwort:
Hier gilt wie zu Frage 2 ausgeführt der Grundsatz, dass die Kosten nach den Zielen und Zwecken der Maßnahme erforderlich sein müssen. Weiterführende Schulen wie auch Alten- und Servicezentren könnten daher in Abhängigkeit von der Größe und den ausgelösten Bedarfen des Entwicklungsgebiets über die Maßnahme abgerechnet werden, soweit die Erforderlichkeit belegt werden kann. Entscheidend ist, dass die Bedarfe durch die Maßnahme ausgelöst werden.
Frage 7:
Unter Zugrundelegung von Werten aus größeren neuen Wohnquartieren (z.B. Riem, Freiham, ehem. Kasernenflächen) und den aktuellen Baukosten für Kitas und Schulen: welche (Bau-)Kosten für Kinderbetreuung und Schulversorgung fallen in einem Baugebiet mit ca. 30.000 Einwohnern in einer grob überschlägigen Berechnung an?
Antwort:
Im Bebauungsplan zum 1. RA Freiham, welcher sich in einer ähnlichen Lage am Stadtrand befindet und für 10.000 bis 12.000 Menschen Wohnraum schaffen wird, sind als Beispiel insgesamt zwei freistehende Grundschulen mit jeweils einer integrierten Zweifachsporthalle und einem Haus für Kinder sowie ein Bildungscampus (mit Grundschule, Förder- und Kompetenzzentrum, Gymnasium und Realschule sowie integrierter Zweifachsporthalle) berücksichtigt. Gemäß den Beschlüssen der Vollversammlung vom 28.1.2015 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 02143) und 15.11.2016 (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 07391) sind für die freistehenden Grundschulen Kosten von 43.170.000 Euro und 37.070.000 Euro in den Haushalt eingestellt worden; der Bildungscampus wurde mit Gesamtkosten i.H.v. rund 241.000.000 Euro veranschlagt. Für die Sportflächen des an den Bildungscampus angrenzenden Sportparks betragen die voraussichtlichen Kosten 97.600.000 Euro (Sitzungsvorlage Nr. 14-20/V 08289).
Im Weiteren sind 13 Kindertageseinrichtungen vorgesehen. Bei Kindertageseinrichtung können ganz allgemein Kosten von ca. 4.260.000 Euro je Einheit angenommen werden.
Bei einer Planung für rund 30.000 Menschen muss grob überschlägig zumindest mit einer Verdopplung der notwendigen Bedarfe und somit der Kosten gerechnet werden.
Frage 8:
Welche Kosten davon könnten über eine SEM abgerechnet werden?
Antwort:
Soweit die Maßnahmen nach den Zielen und Zwecken der Maßnahme
erforderlich sind, können grds. alle Kosten über die erzielten Einnahmen finanziert werden. Soweit die durch die SEM verursachten Bodenwertsteigerungen die Kosten nicht decken, hat der städtische Haushalt diese Kosten zu tragen. Ein an die Eigentümer grds. zu verteilender Überschuss verbleibt dann nicht. Die Gemeinde muss hierfür die Finanzierbarkeit sicherstellen.
Frage 9:
Wie hoch wäre der zu erwartende SoBoN-Finanzierungsbeitrag (100 Euro/ m² Wohnfläche) wenn man den Erfahrungswert der Wohnfläche von 30.000 Einwohnern zugrunde legt?
Antwort:
Für 30.000 Einwohner ist grob überschlägig ein Bedarf 1,2 Mio. m² Geschossfläche Wohnen anzunehmen. Bei 100 Euro/m² GF würde der Finanzierungsbeitrag bei rund 120 Mio. Euro liegen.